Gender und Gerechtigkeit in Gesellschaften - Hochschule Darmstadt
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Nach Abschluss der Arbeit sterben alle Mitglieder des Gremiums um irgend wann<br />
e<strong>in</strong>mal wieder geboren zu werden <strong>und</strong> dann den gesellschaftlichen Verhältnissen<br />
ausgeliefert zu se<strong>in</strong>. Wann man geboren wird, wie man geboren wird, mit welcher<br />
Hautfarbe <strong>und</strong> welchem Geschlecht man wieder geboren wird, ist ungewiss. In<br />
e<strong>in</strong>er solchen Situation würden die Mitglieder e<strong>in</strong>es solchen Gremiums sich hüten,<br />
gesellschaftliche Regeln zu entwickeln oder gesellschaftliches Verhalten zu zeigen,<br />
die ihnen selbst möglicherweise nach ihrer Wiedergeburt schaden würde. (Sei es<br />
deshalb, weil bis zum Zeitpunkt der Wiedergeburt die Natur zerstört wäre, sei es<br />
deshalb, weil man nicht so gerne als Frau <strong>in</strong> Saudi-Arabien oder als Türke <strong>in</strong> der<br />
B<strong>und</strong>esrepublik wieder geboren würde.) Aus dieser Position des Urzustandes, des<br />
„Erst noch Geboren-werdens“ soll das Individuum entscheiden, welche Regeln<br />
Institutionen e<strong>in</strong>er Gesellschaft e<strong>in</strong>halten sollten, damit das Individuum se<strong>in</strong>e<br />
Behandlung auch dann noch als gerecht ansehen könnte, wenn es <strong>in</strong> der<br />
schlechtest möglichen Ausgangsposition <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft landen würde. Damit<br />
soll jede Person auch die Interessenlage anderer Personen mitdenken <strong>und</strong> zu<br />
e<strong>in</strong>em fairen Ausgleich kommen. Das bedeutet nicht, dass für Rawls das Modell der<br />
Umverteilung grenzenlos bis zu völliger Gleichheit der Lebenslage angewendet<br />
werden soll. Die Leistungsfähigen müssen auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Modell durchaus noch<br />
genügend Anreize haben, ihre Leistung auch zu entfalten. Würden diese wegfallen,<br />
würde die zurück gehende Güterproduktion ja auch wiederum die Lebenschancen<br />
der Schwachen reduzieren. Damit besteht Rawls Gr<strong>und</strong>idee dar<strong>in</strong>, auf gerechte<br />
Weise das Geme<strong>in</strong>wohl zu fördern (s. 463). „Wenn es Ungleichheiten des<br />
E<strong>in</strong>kommens <strong>und</strong> Vermögens <strong>und</strong> der Macht <strong>und</strong> Verantwortung gibt, die dah<strong>in</strong><br />
führen, dass jeder besser gestellt ist als <strong>in</strong> der Ausgangssituation der Gleichheit,<br />
warum sollte man sie nicht zulassen?“ (S. 175)<br />
E<strong>in</strong>e gerecht handelnde Gesellschaft muss demnach allen Bürgern die gleichen<br />
Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>pflichten zugestehen <strong>und</strong> gewährleisten <strong>und</strong> dafür sorgen,<br />
dass bei der Verteilung von Ressourcen das sogenannte „Unterschiedspr<strong>in</strong>zip“ gilt.<br />
„Die Gr<strong>und</strong>struktur sollte also diese Ungleichheit zulassen, solange sie die Lage<br />
aller verbessern, auch der am wenigsten Begünstigten, <strong>und</strong> sofern sie mit der<br />
gleichen Freiheit für alle <strong>und</strong> fairen Chancen vere<strong>in</strong>bar s<strong>in</strong>d.“ (s. 175). Diejenigen,<br />
die mehr Vorteile haben, müssen das vor denen, die die ger<strong>in</strong>gsten Vorteile haben,<br />
rechtfertigen können.“ (S. 176)<br />
Rawls formuliert zwei Gr<strong>und</strong>sätze der <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gesellschaftssystem:<br />
1. Jedermann (<strong>und</strong> jedefrau Zusatz der Verf.) soll gleiches Recht auf das<br />
umfangreichste System gleicher Gr<strong>und</strong>freiheiten haben, das mit dem<br />
gleichen System für alle verträglich ist.<br />
2. Soziale <strong>und</strong> wirtschaftliche Ungleichheiten s<strong>in</strong>d so zu gestalten, dass a)<br />
vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen,<br />
<strong>und</strong> b) sie mit Positionen <strong>und</strong> Ämtern verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d, die jedem offen<br />
stehen.<br />
Soziale Absicherung für den schlimmsten Fall im Leben wird durch die Gesellschaft<br />
garantiert. E<strong>in</strong>e solche Gesellschaftsordnung verlangt von den Talentierten,<br />
Februar 2007