Gender und Gerechtigkeit in Gesellschaften - Hochschule Darmstadt
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<strong>Gerechtigkeit</strong><br />
echtigkeit<br />
Es muss demnach analysiert werden, welche Methoden geeignet s<strong>in</strong>d, das Ziel zu<br />
erreichen, zwischen den Geschlechterkategorien „<strong>Gerechtigkeit</strong>“ herzustellen. Was<br />
nun aber unter <strong>Gerechtigkeit</strong> zu verstehen ist, ist schwierig zu klären.<br />
Dabei kann von der folgenden Prämisse ausgegangen werden: Menschen wünschen<br />
sich von e<strong>in</strong>er Gesellschaft, <strong>in</strong> der sie leben, neben e<strong>in</strong>er gerechten<br />
Ressourcenverteilung <strong>und</strong> gerechter Chancenallokation auch Wertschätzung <strong>und</strong><br />
Akzeptanz, also e<strong>in</strong>e gute <strong>und</strong> gerechte Behandlung durch die Mitmenschen oder<br />
Mitbürger <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuelle Freiheit zur eigenen Lebensgestaltung. „Das Selbst<br />
verlangt sowohl nach Geme<strong>in</strong>schaft als auch nach Individualität, nach B<strong>in</strong>dung wie<br />
nach Freiheit“ formuliert Drucilla Cornell 2 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Essay über das „Gute“ als<br />
allgeme<strong>in</strong>e Richtschnur für die Gesetzgebung e<strong>in</strong>er Gesellschaft, als Gesetz des<br />
Gesetzes. Cornell bezieht sich auf Hegels These, das Streben nach e<strong>in</strong>em gerechten<br />
<strong>und</strong> egalitären Staat gehe aus e<strong>in</strong>er irreduziblen Verantwortung des Individuums<br />
gegenüber den Anderen hervor. Das Recht hat dabei die Pflicht, das universale Gute<br />
als Richtschnur für die Behandlung aller Individuen zu verfolgen. Das Ideal des<br />
universalen Guten liegt <strong>in</strong> der Symmetrie der Beziehungen aller Menschen. D. h.<br />
Menschen haben auf e<strong>in</strong>er horizontalen Ebene mite<strong>in</strong>ander zu verkehren. Das<br />
universale Gute ist nicht zu def<strong>in</strong>ieren; es ist allenfalls zu erschließen aus dem<br />
Kantschen Imperativ <strong>und</strong> der Regel „Tue anderen nur das, was Du auch von<br />
anderen erfahren möchtest“ oder volkstümlich ausgedrückt: „Was Du nicht willst,<br />
dass man Dir tu, das füg auch ke<strong>in</strong>em anderen zu.“<br />
Entsprechend dieser Gr<strong>und</strong>auffassung des Guten betont Hegel die rechtliche<br />
Verwerfung aller Formen vertraglich geregelter Sklaverei <strong>in</strong> der Moderne. Dabei ist<br />
nicht nur die Institution der Leibeigenschaft e<strong>in</strong>geschlossen, sondern auch viel<br />
subtilere Formen der Unterdrückung, Ausbeutung <strong>und</strong> Entrechtung, wie sie auch im<br />
Geschlechterkampf vorkommen.<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> ist demnach e<strong>in</strong> komplexer Wert. Er be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong>e Vorstellung von<br />
angemessener Behandlung <strong>in</strong> Abhängigkeit von Bedürfnissen, von Leistungen, von<br />
<strong>in</strong>dividuellem Verhalten. Walster, Walster & Berscheid haben als e<strong>in</strong>en Index der<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> die Balance zwischen den Input-Output-Relationen verschiedener<br />
Individuen entwickelt. Wie aber Inputs bewertet werden ist dabei e<strong>in</strong>e schwierige<br />
gesellschaftliche Setzung.<br />
John Rawls (1975) hat an die Stelle e<strong>in</strong>er komplexen <strong>und</strong> immer unvollständigen<br />
Def<strong>in</strong>ition gerechter Verhältnisse e<strong>in</strong>e Methode gesetzt, mit der die subjektive<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft etabliert werden kann: E<strong>in</strong> Maßstab für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> kann nach Rawls dadurch gewonnen werden, dass sich Akteure<br />
zunächst bewußt „h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>en Schleier der Unwissenheit“ zurückziehen.<br />
Unwissenheit bezieht sich darauf, dass das Individuum die Vorstellung übernehmen<br />
solle, noch nicht zu wissen, was aus ihm selbst werde <strong>und</strong> welche Position es <strong>in</strong> der<br />
Gesellschaft e<strong>in</strong>nehmen werde. Als Denkmodell kann man sich vorstellen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Gremium zu sitzen, <strong>in</strong> dem die Regeln gesellschaftlichen Lebens def<strong>in</strong>iert werden.<br />
2 Cornell, D. Vom Leuchtturm her: Das Erlösungsversprechen <strong>und</strong> die Möglichkeit der Auslegung des<br />
Rechts. In: Anselm Haverkamp (Hrsg.) Gewalt <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>. Derrida – Benjam<strong>in</strong>, Frankfurt:<br />
Suhrkamp, 1994, S. 60-96. Zitat S. 74<br />
Februar 2007