Gender und Gerechtigkeit in Gesellschaften - Hochschule Darmstadt
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Das moderne Menschenbild macht zunächst ke<strong>in</strong>en Unterschied zwischen den<br />
<strong>Gender</strong>-Kategorien, wenn es darum geht, e<strong>in</strong> selbstbestimmtes <strong>und</strong> nicht dem<br />
Staat oder anderen unterworfenes Leben, sondern e<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> Verantwortung zu<br />
führen. Geht es aber um die Bereitstellung der dazu notwendigen Institutionen <strong>und</strong><br />
Ressourcen, ist die Gleichbehandlung rasch zuende. Es wird auch vom Staat <strong>und</strong><br />
se<strong>in</strong>en Institutionen tendenziell immer noch mehr <strong>in</strong> Bildung für<br />
Männerlebensläufe <strong>in</strong>vestiert als <strong>in</strong> Frauenlebensläufe. Dennoch haben Frauen<br />
<strong>in</strong>zwischen den Aufruf, sich zu qualifizieren, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise erhört, die zu e<strong>in</strong>er<br />
Überlegenheit im Bildungssystem geführt hat. Familien <strong>in</strong>vestieren <strong>in</strong>zwischen<br />
auch <strong>in</strong> die Bildung von weiblichem Nachwuchs, was vor e<strong>in</strong> bis zwei Generationen<br />
nicht üblich war.<br />
Aber die berühmte Schwelle zwischen Bildungs- <strong>und</strong> Beschäftigungssystem, die<br />
ger<strong>in</strong>gere Entlohnung, die ger<strong>in</strong>geren Karrierechancen etc. machen deutlich, dass<br />
Frauen strukturell weniger Chancen e<strong>in</strong>geräumt werden, ihre Persönlichkeit <strong>und</strong><br />
ihre Qualifikationen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> selbstbestimmtes <strong>und</strong> ökonomisch gleichwertiges Leben<br />
umzusetzen. Frauen nehmen zwar die von den Sozialphilosophen als Gegenleistung<br />
für die Zurverfügungstellung von Chancen geforderte Verantwortung wahr (sie<br />
erziehen <strong>in</strong> großer Zahl die K<strong>in</strong>der – auch als Alle<strong>in</strong>erziehende – sie versorgen Alte<br />
<strong>und</strong> Kranke, sie bezahlen Steuern, sie betätigen sich ehrenamtlich etc.), sie haben<br />
aber immer noch große Schwierigkeiten, sich dafür auch e<strong>in</strong> adäquates Stück vom<br />
Kuchen der gesellschaftlichen Wertschöpfung abzuschneiden.<br />
Das E<strong>in</strong>räumen von Entfaltungsspielräumen für die <strong>in</strong>dividuellen Qualifikationen<br />
durch Maßnahmen des Staates auf der politischen Ebene reicht bekanntermaßen<br />
nicht aus, um e<strong>in</strong> selbstbestimmtes <strong>und</strong> entfaltetes Leben zu führen. Unsere<br />
Gesellschaft ist auf den Primat der Erwerbsarbeit gegründet. Deshalb ist es e<strong>in</strong>e<br />
Forderung an e<strong>in</strong>e gerechte Gesellschaft, <strong>Gerechtigkeit</strong> auch <strong>in</strong> bezug auf Arbeit<br />
<strong>und</strong> E<strong>in</strong>kommen, Besitz <strong>und</strong> Partizipation, Zugang zu Positionen <strong>und</strong> Gruppierungen<br />
herzustellen. Die Gesellschaft stößt hier bezüglich der Behandlung der<br />
Geschlechter auf Grenzen, die im Privateigentum der Wirtschafts<strong>in</strong>stitutionen<br />
begründet s<strong>in</strong>d. Solange privilegierte Gruppen – wie Männer – die Möglichkeit<br />
haben, trotz aller Gleichheit, die staatlicherseits hergestellt wurde, ungleiche<br />
Chancen im Erwerbsleben zu schaffen, durch ihre Entscheidungsmacht oder ihre<br />
„property rights“ / Eigentumsrechte <strong>in</strong> der Wirtschaft, Frauen zu benachteiligen, ist<br />
das Postulat der <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht erfüllt.<br />
Sozialstaatliche <strong>Gerechtigkeit</strong>smodelle kommen deshalb nicht umh<strong>in</strong>, auch nichtstaatliche<br />
Institutionen <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>flussbereich der geltenden Normen zu befördern.<br />
E<strong>in</strong>e schwierige Aufgabe, angesichts der klaren Neigung von privilegierten<br />
Gruppen, mitnichten nur e<strong>in</strong>er ethischen Norm zuliebe auf eigene Vorteile zu<br />
verzichten.<br />
Die Partizipationsbereitschaft der Frauen, auf die unsere Gesellschaft ja <strong>in</strong> starkem<br />
Maße angewiesen ist, kann aber auf Dauer nur erhalten werden, wenn Input <strong>und</strong><br />
Output verschiedener gesellschaftlicher Kategorien <strong>in</strong> e<strong>in</strong> angemessenes Verhältnis<br />
gebracht werden – auch durch staatliche E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> die Gestaltungsfreiheit von<br />
Unternehmen.<br />
Februar 2007