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Gender und Gerechtigkeit in Gesellschaften - Hochschule Darmstadt

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<strong>Gender</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Gesellschaften</strong><br />

E<strong>in</strong> Essay<br />

Prof. Dr Edith Rost-Schaude<br />

<strong>Hochschule</strong> <strong>Darmstadt</strong><br />

Die Unterscheidung von Menschen nach dem Geschlecht ist e<strong>in</strong>e soziale Universalie<br />

aller derzeit existierenden <strong>Gesellschaften</strong> 1 . Die dichotom verfasste Funktion im<br />

Rahmen der biologischen Reproduktion wird seit Menschengedenken als e<strong>in</strong><br />

wichtiges Differenzierungskriterium – ja als das zentrale Differenzierungskriterium<br />

zwischen zwei sozialen Kategorien, den Frauen <strong>und</strong> den Männern - gewählt. Und<br />

diese Unterscheidung prägt die Lebenslage der Individuen mehr als alle andere<br />

Kriterien. <strong>Gender</strong> stellt e<strong>in</strong>e zentrale Machtkonstellation dar.<br />

In fast allen <strong>Gesellschaften</strong> werden dabei Frauen schlechter behandelt als Männer,<br />

sie haben weniger Rechte, weniger Eigentum, weniger Entfaltungsmöglichkeiten,<br />

führen mehr <strong>und</strong> schlechtere Arbeiten aus, etc. Die wichtigste Konstituante bildet<br />

dabei die gesellschaftliche Arbeitsteilung, <strong>und</strong> Macht <strong>und</strong> Herrschaftschancen<br />

durch die rechtliche Institution des Eigentums. Auch bildungsmäßige Vorsprünge<br />

oder die Unentbehrlichkeit der weiblichen Gebärfähigkeit ändert nichts an der<br />

Benachteiligung aufgr<strong>und</strong> des weiblichen Geschlechts. Es mangelt an Gleichheit<br />

<strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Frauen <strong>in</strong> (fast) allen <strong>Gesellschaften</strong>.<br />

Der Wandel der westlichen <strong>Gesellschaften</strong> von der Industrie- zur Wissens- <strong>und</strong><br />

Informationsgesellschaft ist mit der Erkenntnis verb<strong>und</strong>en, dass die biologischen<br />

Unterschiede zwischen Individuen nicht mehr von zentraler Bedeutung für die<br />

zentralen Funktionen der Gesellschaft s<strong>in</strong>d.<br />

Überlegene Muskelkraft kann die sozialen Vorteile der Männer nicht mehr<br />

legitimieren; gefragt s<strong>in</strong>d geistige Fähigkeiten, die nicht biologisch mit den<br />

Geschlechterkategorien verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d.<br />

Es gäbe also ke<strong>in</strong>en <strong>in</strong> gesellschaftlichen Funktionen liegenden Gr<strong>und</strong> mehr, sich<br />

so <strong>in</strong>tensiv der Unterscheidung von Männern <strong>und</strong> Frauen zu widmen, wie es immer<br />

noch geschieht.<br />

Man könnte me<strong>in</strong>en, dass damit <strong>in</strong> modernen <strong>Gesellschaften</strong> die<br />

Geschlechterdifferenz <strong>in</strong> den Zusammenhang der biologischen Reproduktion<br />

verdrängt werde, <strong>und</strong> alle anderen gesellschaftlichen Zuschreibungen <strong>und</strong> Chancen<br />

nicht mehr mit dem Geschlechterkriterium <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stünden.<br />

1 Auch <strong>in</strong> <strong>Gesellschaften</strong>, <strong>in</strong> denen Matril<strong>in</strong>earität herrscht, wie z. B. bei den Palauern auf den<br />

Pazifischen Inseln, oder das Matriarchat, wie z. B. bei den Khasis <strong>und</strong> den Garos <strong>in</strong> Meghalaya/Indien<br />

(an der Grenze zu Bangladesch <strong>und</strong> Assam), den Nagovisi (<strong>in</strong> Süd Bouga<strong>in</strong>ville, e<strong>in</strong>er tropischen Insel<br />

westlich von Neu Gu<strong>in</strong>ea) <strong>und</strong> den Machiguenga <strong>in</strong> Peru spielt der Geschlechtsfaktor für die Def<strong>in</strong>ition<br />

der Arbeitsteilung e<strong>in</strong>e wichtige Rolle.


2<br />

Aufgr<strong>und</strong> der Trägheit des gesellschaftlichen Systems <strong>und</strong> des Widerstands der <strong>in</strong><br />

der Vergangenheit privilegierten Gruppe der Männer – <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der<br />

erfolgreichen Bee<strong>in</strong>flussung auch des Bewusstse<strong>in</strong>s von weiblichen Individuen -<br />

wird aber das obsolete Verfahren der Prägung <strong>und</strong> Bewertung sog. männlicher <strong>und</strong><br />

weiblicher Individuen unverändert weiter praktiziert. Dabei entstehen e<strong>in</strong>e Menge<br />

dysfunktionaler Effekte für die Gesellschaft <strong>und</strong> ihre Individuen.<br />

Sowohl aus pragmatischer Sicht, als auch aus moralisch-ethischen Erwägungen<br />

heraus steht e<strong>in</strong>e Gleichstellung der Individuen <strong>in</strong> den <strong>Gesellschaften</strong> <strong>und</strong> damit<br />

e<strong>in</strong>e Aufhebung überflüssiger sozialer Kategorienbildung an.<br />

Die Aufhebung der Diskrim<strong>in</strong>ierung zwischen den Geschlechtern würde für die<br />

derzeit die Gesellschaft prägenden Kräfte der größten sozialen Revolution<br />

gleichkommen, die die bekannte Menschheitsgeschichte kennen würde. Bis <strong>in</strong> die<br />

fe<strong>in</strong>sten Verästelungen der gesellschaftlichen Funktionen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> ist die<br />

Geschlechterdifferenz ausgeprägt. Unverdrossen sp<strong>in</strong>nen die Individuen <strong>in</strong> den<br />

<strong>Gesellschaften</strong> an e<strong>in</strong>em Netzwerk von E<strong>in</strong>flüssen, E<strong>in</strong>schätzungen, Prägungen,<br />

Aktionen, das die Geschlechterdifferenz aufrecht erhält. Die Herrschaft der<br />

„Männer“ über die „Frauen“ wird sorgfältiger abgesichert als jede Herrschaft von<br />

Besitzenden gegenüber Nicht-Besitzenden, Privilegierten gegenüber Nicht-<br />

Privilegierten oder Menschen unterschiedlicher Rassen oder Herkunft.<br />

E<strong>in</strong> Programm sozialer Veränderung h<strong>in</strong>sichtlich der Geschlechterfrage steht damit<br />

vor den größten Herausforderungen. Es muss sowohl se<strong>in</strong>e Ziele klar def<strong>in</strong>ieren,<br />

Mitstreiter <strong>und</strong> Mitstreiter<strong>in</strong>nen gew<strong>in</strong>nen, methodisch perfekt sozialen Wandel<br />

<strong>in</strong>szenieren, Widerstände bewältigen, wie auch mögliche Erfolge <strong>in</strong> den sozialen<br />

Praktiken durch Bewusstse<strong>in</strong>sarbeit möglich machen <strong>und</strong> zugleich absichern. E<strong>in</strong><br />

solches Veränderungsprogramm braucht gesicherte Instrumentarien aus der<br />

psychologischen, sozial-psychologischen, soziologischen <strong>und</strong> politologischen,<br />

Rechts- , Wirtschafts- <strong>und</strong> staatswissenschaftlichen Forschung ebenso wie aus der<br />

pädagogischen Theorie. Es stellt e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Herausforderung dar, die so<br />

groß ist, dass laufend der Gefahr begegnet werden muss, dass nicht nur e<strong>in</strong><br />

Rückfall <strong>in</strong> die alten Verhältnisse, sondern sogar e<strong>in</strong>e Verschärfung der Gegensätze<br />

hervorgerufen wird.<br />

Selbst wenn sich alle <strong>in</strong> der Gesellschaft e<strong>in</strong>ig wären, dass Chancengleichheit e<strong>in</strong><br />

wichtiges Ziel darstellt, ließe sich aufgr<strong>und</strong> der etablierten Strukturen <strong>und</strong><br />

Funktionsweisen <strong>in</strong> den <strong>Gesellschaften</strong> Gleichheit <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht<br />

kurzfristig erreichen <strong>und</strong> schon gar nicht erzw<strong>in</strong>gen.<br />

E<strong>in</strong>e wirkliche Revolution im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es raschen, gewaltsamen Umsturzes der<br />

Verhältnisse kommt deshalb nicht <strong>in</strong> Frage, weil die Individuen die Unterscheidung<br />

zwischen den Geschlechterkategorien so selbstverständlich ver<strong>in</strong>nerlicht haben,<br />

dass sie selbst an die postulierten Unterschiede glauben <strong>und</strong> das hervorgerufene<br />

Leiden für gottgegeben oder durch die Biologie gegeben halten. Und damit werden<br />

die Unterschiede zwischen den Geschlechtern immer wieder reproduziert. Die<br />

Erkenntnis, dass die Biologie außer den Reproduktionsfunktionen ke<strong>in</strong>e anderen<br />

gesellschaftlichen Funktionen prädest<strong>in</strong>iert, muss sich erst mühsam durchsetzen.<br />

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3<br />

Und e<strong>in</strong>e Revolution kommt auch deshalb nicht <strong>in</strong> Frage, weil die gesellschaftlichen<br />

Institutionen <strong>und</strong> Strukturen e<strong>in</strong>e Änderungsresistenz aufweisen, die kurzfristig<br />

nicht zu überw<strong>in</strong>den ist - auch nicht durch e<strong>in</strong>en bewaffneten Kampf, wie er mit den<br />

Revolutionen der Vergangenheit meist <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stand. E<strong>in</strong> solcher ist als<br />

Instrument weder durchsetzbar, noch legitimierbar, noch mit e<strong>in</strong>er ausreichenden<br />

Erfolgwahrsche<strong>in</strong>lichkeit versehen.<br />

Bleibt also die Generalstrategie e<strong>in</strong>er evolutionären Veränderung durch<br />

kont<strong>in</strong>uierliche Reformen. E<strong>in</strong>e solche Veränderung sollte auf allen Ebenen<br />

gleichzeitig ansetzen <strong>und</strong> sowohl Bewusstse<strong>in</strong>sfaktoren, wie auch<br />

Sozialisationspraktiken, rechtliche Institutionen, Gesetze <strong>und</strong> Verhalten <strong>in</strong> der<br />

Gesellschaft e<strong>in</strong>beziehen.<br />

Und wie e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Gegenrichtung e<strong>in</strong>hakendes Zahnrad muss die evolutionäre<br />

Strategie dafür sorgen, dass erreichte Zwischenziele erhalten werden <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>er<br />

Restauration zum Opfer fallen.<br />

Wesentliche Prozesse s<strong>in</strong>d dabei <strong>in</strong> der Sozialisation <strong>und</strong> Enkulturation der K<strong>in</strong>der<br />

begründet, im System der Erziehung <strong>und</strong> Bildung, im System der<br />

Eigentumsgestaltung, im System der Gesetze, der herrschenden Formen von<br />

Arbeitsteilung <strong>und</strong> <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong>en Kultur e<strong>in</strong>er Gesellschaft. Diese Prozesse<br />

müssen umgestaltet <strong>und</strong> <strong>in</strong>stitutionell abgesichert werden.<br />

Wie e<strong>in</strong> solches Verfahren auf der <strong>in</strong>stitutionellen, gesetzgeberischen Ebene laufen<br />

kann, geben e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Programmen <strong>und</strong> Verlautbarungen der<br />

Europäischen Geme<strong>in</strong>schaft wieder. Die Geme<strong>in</strong>schaft ist <strong>in</strong> bezug auf ihr<br />

Bewusstse<strong>in</strong> der Notwendigkeit von Gleichstellung der Geschlechter <strong>und</strong> <strong>in</strong> bezug<br />

auf Entwicklung e<strong>in</strong>es entsprechenden – vor allem gesetzgeberischen –<br />

Instrumentariums weiter als die meisten europäischen Teilstaaten.<br />

Die Europäische Geme<strong>in</strong>schaft <strong>und</strong> ihre Staaten haben deshalb schon e<strong>in</strong>ige<br />

Anstrengungen unternommen, die Makroebene <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die E<strong>in</strong>ebnung von<br />

Ungleichheiten zu bee<strong>in</strong>flussen. Es gibt e<strong>in</strong>e Antidiskrim<strong>in</strong>ierungsgesetzgebung, die<br />

wesentliche Fortschritte enthält.<br />

In parlamentarischen Demokratien mit marktwirtschaftlicher Ordnung nehmen<br />

aber wirtschaftliche Institutionen die zentrale Rolle der Regelung des Zugangs zu<br />

Ressourcen e<strong>in</strong>. Sie regulieren Erwerbschancen <strong>und</strong> entscheiden über den E<strong>in</strong>satz<br />

der Produktionskapazitäten. Und sie steuern letztlich die Lebens- <strong>und</strong><br />

Entfaltungschancen von Individuen <strong>in</strong> Gesellschafen. Staatliche <strong>und</strong><br />

gesellschaftliche Institutionen bilden dafür den Rahmen <strong>und</strong> den Puffer für<br />

problematische „Nebenwirkungen“.<br />

Durch welche Maßnahmen <strong>in</strong> wirtschaftlichen Institutionen – sprich Unternehmen –<br />

kann die angestrebte Veränderung befördert <strong>und</strong> abgesichert werden kann?<br />

Kostproben dafür, wie mühsam e<strong>in</strong>e Veränderung der Praxis <strong>in</strong> der Wirtschaft ist,<br />

bieten zum Beispiel die andauernden Bemühungen staatlicher Mächte, die<br />

Wirtschaft zur E<strong>in</strong>haltung von Nicht-Diskrim<strong>in</strong>ierung zu bewegen. Wie beim<br />

Umweltschutz s<strong>in</strong>d staatliche Instanzen sich im Gr<strong>und</strong>e im Klaren darüber, dass<br />

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4<br />

ohne gesetzliche Vorgaben ke<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legende Veränderung der Situation zu<br />

erreichen ist.<br />

Dennoch ist der Widerstand so groß, dass beispielsweise die derzeitige Regierung<br />

<strong>in</strong> Deutschland trotz e<strong>in</strong>deutigen Bekenntnisses für den Antidiskrim<strong>in</strong>ierungskurs<br />

es nicht geschafft hat, e<strong>in</strong> verpflichtendes Frauenförderungs- oder <strong>Gender</strong>-<br />

Ma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>g-Programm für die Privatwirtschaft zu etablieren. Sogar der Versuch<br />

des Instituts für Arbeitsmarkt- <strong>und</strong> Berufsforschung der B<strong>und</strong>esanstalt für Arbeit,<br />

durch e<strong>in</strong>e Befragung Daten über die Lage der weiblichen Beschäftigten <strong>in</strong> den<br />

Betrieben zu sammeln, wurde im wesentlichen durch die Wirtschaft vereitelt.<br />

Entsprechende Items <strong>in</strong> der Umfrage des Jahres 2003 wurde die Umsetzung<br />

verweigert. Und auch die derzeitigen Bemühungen der UNO-<br />

Menschenrechtskommission, die freiwillige E<strong>in</strong>haltung von Menschenrechts- <strong>und</strong><br />

Antidiskrim<strong>in</strong>ierungsstandards durch mult<strong>in</strong>ationale oder transnationale<br />

Unternehmen im Rahmen des „global compact“ durch verb<strong>in</strong>dliche Vorschriften zu<br />

ergänzen, stößt auf heftigen Widerstand der Wirtschaft.<br />

Die hier vorzuschlagenden Maßnahmen bedürfen aufgr<strong>und</strong> der vorhandenen<br />

Entscheidungs- <strong>und</strong> Machtstrukturen <strong>in</strong> den Betrieben deshalb e<strong>in</strong>er sorgfältigen<br />

Begründung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er ausgefeilten Durchführungsstrategie. In ihrer Gesamtheit<br />

gleichen sie e<strong>in</strong>em Projekt, von dessen Nutzen zwar die Projektbearbeiter<br />

überzeugt s<strong>in</strong>d, das sie aber den Entscheidungsträgern schmackhaft machen<br />

müssen – notfalls mithilfe deren eigener Logik wirtschaftlicher Notwendigkeit oder<br />

wirtschaftlicher Vorteile. Gesellschaftliche Vorteile <strong>und</strong> ethische Effekte spielen<br />

dann die Rolle der erwünschten Begleitersche<strong>in</strong>ungen.<br />

Werte <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>snormen <strong>in</strong> der Gesellschaft.<br />

Frauenpolitik verfolgt seit langer Zeit das Ziel, <strong>in</strong> den verschiedensten<br />

Zusammenhängen Chancengleichheit <strong>und</strong> Chancengerechtigkeit für Frauen <strong>in</strong> der<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> ihren Institutionen herzustellen. Dabei wurde <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

das Fortbestehen der Bedeutung der bei uns gängigen <strong>Gender</strong>-Kategorisierungen<br />

als selbstverständlich betrachtet. Der Rückbezug auf die verme<strong>in</strong>tliche biologische<br />

Zweiteilung von Menschen führte zur Def<strong>in</strong>ition e<strong>in</strong>er b<strong>in</strong>ären <strong>Gender</strong>def<strong>in</strong>ition, die<br />

ebenso wie die biologische unveränderbar sei.<br />

Dass der Stand der Forschung <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong> anderer ist – es ist bekannt, dass<br />

weder der biologische Sexus, noch die Anzahl verschiedener <strong>Gender</strong>-Kategorien<br />

sich auf zwei beschränken lässt, <strong>und</strong> es ist ebenso bekannt, dass sich Frauen <strong>und</strong><br />

Männer <strong>in</strong> bezug auf zentrale psychische <strong>und</strong> <strong>in</strong>tellektuelle Funktionen nicht<br />

unterscheiden – ändert nichts daran, dass gesellschaftliche Zuschreibung Fakten<br />

schafft, die für die derzeit lebenden Individuen von Bedeutung s<strong>in</strong>d. Frauen erleben<br />

als Frauen <strong>in</strong> den <strong>Gesellschaften</strong> Benachteiligung, Diskrim<strong>in</strong>ierung, ja teilweise<br />

auch krasse Formen der Verletzung ihrer Menschenrechte. An diesem Zustand der<br />

derzeitigen Gesellschaft soll normativ gerüttelt werden.<br />

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5<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong><br />

echtigkeit<br />

Es muss demnach analysiert werden, welche Methoden geeignet s<strong>in</strong>d, das Ziel zu<br />

erreichen, zwischen den Geschlechterkategorien „<strong>Gerechtigkeit</strong>“ herzustellen. Was<br />

nun aber unter <strong>Gerechtigkeit</strong> zu verstehen ist, ist schwierig zu klären.<br />

Dabei kann von der folgenden Prämisse ausgegangen werden: Menschen wünschen<br />

sich von e<strong>in</strong>er Gesellschaft, <strong>in</strong> der sie leben, neben e<strong>in</strong>er gerechten<br />

Ressourcenverteilung <strong>und</strong> gerechter Chancenallokation auch Wertschätzung <strong>und</strong><br />

Akzeptanz, also e<strong>in</strong>e gute <strong>und</strong> gerechte Behandlung durch die Mitmenschen oder<br />

Mitbürger <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuelle Freiheit zur eigenen Lebensgestaltung. „Das Selbst<br />

verlangt sowohl nach Geme<strong>in</strong>schaft als auch nach Individualität, nach B<strong>in</strong>dung wie<br />

nach Freiheit“ formuliert Drucilla Cornell 2 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Essay über das „Gute“ als<br />

allgeme<strong>in</strong>e Richtschnur für die Gesetzgebung e<strong>in</strong>er Gesellschaft, als Gesetz des<br />

Gesetzes. Cornell bezieht sich auf Hegels These, das Streben nach e<strong>in</strong>em gerechten<br />

<strong>und</strong> egalitären Staat gehe aus e<strong>in</strong>er irreduziblen Verantwortung des Individuums<br />

gegenüber den Anderen hervor. Das Recht hat dabei die Pflicht, das universale Gute<br />

als Richtschnur für die Behandlung aller Individuen zu verfolgen. Das Ideal des<br />

universalen Guten liegt <strong>in</strong> der Symmetrie der Beziehungen aller Menschen. D. h.<br />

Menschen haben auf e<strong>in</strong>er horizontalen Ebene mite<strong>in</strong>ander zu verkehren. Das<br />

universale Gute ist nicht zu def<strong>in</strong>ieren; es ist allenfalls zu erschließen aus dem<br />

Kantschen Imperativ <strong>und</strong> der Regel „Tue anderen nur das, was Du auch von<br />

anderen erfahren möchtest“ oder volkstümlich ausgedrückt: „Was Du nicht willst,<br />

dass man Dir tu, das füg auch ke<strong>in</strong>em anderen zu.“<br />

Entsprechend dieser Gr<strong>und</strong>auffassung des Guten betont Hegel die rechtliche<br />

Verwerfung aller Formen vertraglich geregelter Sklaverei <strong>in</strong> der Moderne. Dabei ist<br />

nicht nur die Institution der Leibeigenschaft e<strong>in</strong>geschlossen, sondern auch viel<br />

subtilere Formen der Unterdrückung, Ausbeutung <strong>und</strong> Entrechtung, wie sie auch im<br />

Geschlechterkampf vorkommen.<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> ist demnach e<strong>in</strong> komplexer Wert. Er be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong>e Vorstellung von<br />

angemessener Behandlung <strong>in</strong> Abhängigkeit von Bedürfnissen, von Leistungen, von<br />

<strong>in</strong>dividuellem Verhalten. Walster, Walster & Berscheid haben als e<strong>in</strong>en Index der<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> die Balance zwischen den Input-Output-Relationen verschiedener<br />

Individuen entwickelt. Wie aber Inputs bewertet werden ist dabei e<strong>in</strong>e schwierige<br />

gesellschaftliche Setzung.<br />

John Rawls (1975) hat an die Stelle e<strong>in</strong>er komplexen <strong>und</strong> immer unvollständigen<br />

Def<strong>in</strong>ition gerechter Verhältnisse e<strong>in</strong>e Methode gesetzt, mit der die subjektive<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft etabliert werden kann: E<strong>in</strong> Maßstab für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> kann nach Rawls dadurch gewonnen werden, dass sich Akteure<br />

zunächst bewußt „h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>en Schleier der Unwissenheit“ zurückziehen.<br />

Unwissenheit bezieht sich darauf, dass das Individuum die Vorstellung übernehmen<br />

solle, noch nicht zu wissen, was aus ihm selbst werde <strong>und</strong> welche Position es <strong>in</strong> der<br />

Gesellschaft e<strong>in</strong>nehmen werde. Als Denkmodell kann man sich vorstellen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Gremium zu sitzen, <strong>in</strong> dem die Regeln gesellschaftlichen Lebens def<strong>in</strong>iert werden.<br />

2 Cornell, D. Vom Leuchtturm her: Das Erlösungsversprechen <strong>und</strong> die Möglichkeit der Auslegung des<br />

Rechts. In: Anselm Haverkamp (Hrsg.) Gewalt <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>. Derrida – Benjam<strong>in</strong>, Frankfurt:<br />

Suhrkamp, 1994, S. 60-96. Zitat S. 74<br />

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6<br />

Nach Abschluss der Arbeit sterben alle Mitglieder des Gremiums um irgend wann<br />

e<strong>in</strong>mal wieder geboren zu werden <strong>und</strong> dann den gesellschaftlichen Verhältnissen<br />

ausgeliefert zu se<strong>in</strong>. Wann man geboren wird, wie man geboren wird, mit welcher<br />

Hautfarbe <strong>und</strong> welchem Geschlecht man wieder geboren wird, ist ungewiss. In<br />

e<strong>in</strong>er solchen Situation würden die Mitglieder e<strong>in</strong>es solchen Gremiums sich hüten,<br />

gesellschaftliche Regeln zu entwickeln oder gesellschaftliches Verhalten zu zeigen,<br />

die ihnen selbst möglicherweise nach ihrer Wiedergeburt schaden würde. (Sei es<br />

deshalb, weil bis zum Zeitpunkt der Wiedergeburt die Natur zerstört wäre, sei es<br />

deshalb, weil man nicht so gerne als Frau <strong>in</strong> Saudi-Arabien oder als Türke <strong>in</strong> der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik wieder geboren würde.) Aus dieser Position des Urzustandes, des<br />

„Erst noch Geboren-werdens“ soll das Individuum entscheiden, welche Regeln<br />

Institutionen e<strong>in</strong>er Gesellschaft e<strong>in</strong>halten sollten, damit das Individuum se<strong>in</strong>e<br />

Behandlung auch dann noch als gerecht ansehen könnte, wenn es <strong>in</strong> der<br />

schlechtest möglichen Ausgangsposition <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft landen würde. Damit<br />

soll jede Person auch die Interessenlage anderer Personen mitdenken <strong>und</strong> zu<br />

e<strong>in</strong>em fairen Ausgleich kommen. Das bedeutet nicht, dass für Rawls das Modell der<br />

Umverteilung grenzenlos bis zu völliger Gleichheit der Lebenslage angewendet<br />

werden soll. Die Leistungsfähigen müssen auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Modell durchaus noch<br />

genügend Anreize haben, ihre Leistung auch zu entfalten. Würden diese wegfallen,<br />

würde die zurück gehende Güterproduktion ja auch wiederum die Lebenschancen<br />

der Schwachen reduzieren. Damit besteht Rawls Gr<strong>und</strong>idee dar<strong>in</strong>, auf gerechte<br />

Weise das Geme<strong>in</strong>wohl zu fördern (s. 463). „Wenn es Ungleichheiten des<br />

E<strong>in</strong>kommens <strong>und</strong> Vermögens <strong>und</strong> der Macht <strong>und</strong> Verantwortung gibt, die dah<strong>in</strong><br />

führen, dass jeder besser gestellt ist als <strong>in</strong> der Ausgangssituation der Gleichheit,<br />

warum sollte man sie nicht zulassen?“ (S. 175)<br />

E<strong>in</strong>e gerecht handelnde Gesellschaft muss demnach allen Bürgern die gleichen<br />

Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>pflichten zugestehen <strong>und</strong> gewährleisten <strong>und</strong> dafür sorgen,<br />

dass bei der Verteilung von Ressourcen das sogenannte „Unterschiedspr<strong>in</strong>zip“ gilt.<br />

„Die Gr<strong>und</strong>struktur sollte also diese Ungleichheit zulassen, solange sie die Lage<br />

aller verbessern, auch der am wenigsten Begünstigten, <strong>und</strong> sofern sie mit der<br />

gleichen Freiheit für alle <strong>und</strong> fairen Chancen vere<strong>in</strong>bar s<strong>in</strong>d.“ (s. 175). Diejenigen,<br />

die mehr Vorteile haben, müssen das vor denen, die die ger<strong>in</strong>gsten Vorteile haben,<br />

rechtfertigen können.“ (S. 176)<br />

Rawls formuliert zwei Gr<strong>und</strong>sätze der <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gesellschaftssystem:<br />

1. Jedermann (<strong>und</strong> jedefrau Zusatz der Verf.) soll gleiches Recht auf das<br />

umfangreichste System gleicher Gr<strong>und</strong>freiheiten haben, das mit dem<br />

gleichen System für alle verträglich ist.<br />

2. Soziale <strong>und</strong> wirtschaftliche Ungleichheiten s<strong>in</strong>d so zu gestalten, dass a)<br />

vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen,<br />

<strong>und</strong> b) sie mit Positionen <strong>und</strong> Ämtern verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d, die jedem offen<br />

stehen.<br />

Soziale Absicherung für den schlimmsten Fall im Leben wird durch die Gesellschaft<br />

garantiert. E<strong>in</strong>e solche Gesellschaftsordnung verlangt von den Talentierten,<br />

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7<br />

Begüterten, Begünstigten, Gut-Positionierten <strong>in</strong> der Gesellschaft e<strong>in</strong>en höheren<br />

Anteil an Leistungen zugunsten von Schwachen. Dies ist e<strong>in</strong> Gegenmodell zum<br />

<strong>in</strong>dividualistischen, meritokratischen Modell der <strong>Gerechtigkeit</strong>, das sich <strong>in</strong> den<br />

westlichen <strong>Gesellschaften</strong> immer mehr durchsetzt. Die Leistung e<strong>in</strong>es solchen<br />

Modells besteht auch <strong>in</strong> der Sicherung der Zustimmung aller zu e<strong>in</strong>em solchen<br />

Verfahren.<br />

Rawls Modell be<strong>in</strong>haltet damit sowohl liberale Züge, als auch etatistische Elemente<br />

der Steuerung von Verteilung der Ressourcen durch staatliche Institutionen. Auch<br />

die praktische Vernunft <strong>und</strong> ethische Gr<strong>und</strong>lagen bilden wichtige Elemente („das<br />

Gute als das Vernünftige“(s. 433 ff)) Es stellt <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>e Alternative zur<br />

utilitaristischen Tradition dar.(S. 174)<br />

Gleichheit oder <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

Gleichheit ist dann gegeben, wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft auch Ungleiche gleiche<br />

Rechte, Lebenschancen, Entwicklungschancen, Anerkennung <strong>und</strong><br />

Entfaltungsmöglichkeiten haben. Gleichheit ist demnach e<strong>in</strong> Merkmal, das nicht<br />

den semantischen Gehalt der Homogenität, des Sich-Gleichens allgeme<strong>in</strong> betrifft,<br />

sondern den Aspekt, dass vor dem Gesetz, vor den wirtschaftlichen<br />

Verteilungsregeln, vor den Institutionen <strong>in</strong> der Gesellschaft alle gleich s<strong>in</strong>d, d.h. auf<br />

alle dieselben Regeln angewendet werden. Dass sich daraus dennoch ungleiche<br />

Lebenslagen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft entwickeln ist e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>senweisheit, die nicht per<br />

se problematisiert werden muss. 3<br />

„Gesellschaftsstrukturen s<strong>in</strong>d also <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie so zu gestalten, dass sie den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Mitgliedern, Gruppen, Kategorien <strong>Gerechtigkeit</strong> widerfahren lassen.“<br />

Fairness-Normen<br />

betonen aus ethischer Sicht, dass sich e<strong>in</strong> ausgewogenes<br />

Verhältnis zwischen Kosten <strong>und</strong> Aufwand auf der e<strong>in</strong>en Seite <strong>und</strong> Nutzen <strong>und</strong> Ertrag<br />

auf der anderen Seite herstellt. Das ist jedoch nicht nur e<strong>in</strong>e moralische Forderung,<br />

sondern dadurch soll Trittbrettfahrertum im S<strong>in</strong>ne von Vere<strong>in</strong>nahmen von Werten<br />

ohne Beitrag zur Wertschöpfung vermieden werden.<br />

Fairness soll dazu beitragen, dass der Wohlstand e<strong>in</strong>er Gesellschaft <strong>in</strong><br />

Abhängigkeit von den Ressourcen der Bevölkerung optimiert werden kann.<br />

Verschwendung von Humanressourcen durch entweder mangelnde Ausbildung,<br />

mangelnde Entwicklungschancen oder mangelnde E<strong>in</strong>satzchancen von Fähigkeiten<br />

s<strong>in</strong>d kontra<strong>in</strong>diziert.<br />

Identifikation mit e<strong>in</strong>er Gesellschaft bzw. mit e<strong>in</strong>em Staat fördert die Bereitschaft,<br />

etwas zur gesellschaftlichen Wertschöpfung beizutragen. Sie ist auch von den<br />

Partizipationschancen abhängig, die e<strong>in</strong>e Gesellschaft ihren Mitgliedern ermöglicht.<br />

Es muss e<strong>in</strong>e Anreizwirkung gewährleistet se<strong>in</strong>, die das E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen von Ressourcen<br />

belohnt; <strong>und</strong> gleichzeitig muss jedes Mitglied der Gesellschaft sicher se<strong>in</strong> können,<br />

dass es <strong>in</strong> Notlagen oder bei Unvermögen von der Geme<strong>in</strong>schaft aufgefangen wird.<br />

3 Dass Gleichheit nicht unbed<strong>in</strong>gt <strong>Gerechtigkeit</strong> ist <strong>und</strong> auch nicht unbed<strong>in</strong>gt identisch mit dem Wohl e<strong>in</strong>er Gesellschaft betont<br />

Rawls s.u.<br />

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8<br />

Das heißt nicht unbed<strong>in</strong>gt, dass „Gleichheit“ aller Mitglieder e<strong>in</strong>er Gesellschaft<br />

hergestellt werden muss. Gerecht kann – wie John Rawls das ausführlich<br />

demonstriert - <strong>in</strong> bestimmten Zusammenhängen auch Ungleichheit se<strong>in</strong>; z. B.<br />

dann, wenn Ungleichheit zum Geme<strong>in</strong>wohl beiträgt.<br />

Was <strong>in</strong> sozialen E<strong>in</strong>heiten gerecht ist, wird von unterschiedlichen Denkansätzen her<br />

auch unterschiedlich gefasst. Friedrich August von Hayek sieht <strong>Gerechtigkeit</strong> dann<br />

gewahrt, wenn jede/r die Freiheit hat, se<strong>in</strong>e Chancen wahrzunehmen. John Rawls<br />

entwickelt e<strong>in</strong> Kriterienraster, mit dessen Hilfe entschieden werden soll, wann sich<br />

e<strong>in</strong>e Gesellschaft ihren Mitgliedern gegenüber gerecht verhält. Rawls fordert von<br />

der Gesellschaft <strong>in</strong>stitutionelle Vorkehrungen für die Gleichverteilung des Zugangs<br />

zu zentralen Gütern. Kommunitaristen wie Michael Walzer oder Ökonomen wie der<br />

Nobelpreisträger Amartya Sen sehen die Aufgabe der politischen Führung vor allem<br />

<strong>in</strong> der Sicherung von Chancen auf e<strong>in</strong> selbstbestimmtes Leben, <strong>in</strong> dem der/die<br />

E<strong>in</strong>zelne se<strong>in</strong>e Chancen auf e<strong>in</strong> befriedigtes Leben <strong>in</strong> Eigen<strong>in</strong>itiative <strong>und</strong><br />

Selbstachtung selbst verfolgen kann. Durch die Entfaltung der <strong>in</strong>dividuellen<br />

Fähigkeiten kann jede/r Lebenschancen wahrnehmen.<br />

Diese Forderung geht über die liberale Forderung des Nachtwächterstaates h<strong>in</strong>aus:<br />

Der Staat hat nicht nur dadurch Freiheitsrechte zu garantieren, dass er sich aus<br />

dem Leben se<strong>in</strong>er Bürger so weit wie möglich heraushält (negative Freiheitsrechte),<br />

sondern auch dadurch, dass er positive Freiheitsrechte aktiv herstellt. Die Chance<br />

zur Entfaltung der eigenen Fähigkeiten gibt dem Individuum Lebens- <strong>und</strong><br />

Entfaltungsmöglichkeiten. Die vielseitig entwickelte Persönlichkeit, die mit der<br />

Freiheit auch Verantwortung übernimmt, hat auch höhere Chancen auf e<strong>in</strong>e flexible<br />

Anpassung an sich wandelnde Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> damit auch bessere<br />

Überlebenschancen. Vor allem Bildung <strong>und</strong> Ausbildung, aber auch Chancen auf<br />

kulturelle Betätigung s<strong>in</strong>d hier die ersten Voraussetzungen. H<strong>in</strong>zu kommt<br />

gesellschaftliche Anerkennung, die Ermöglichung <strong>in</strong>dividueller Lebensplanung <strong>und</strong><br />

die Abwesenheit von Unterwerfung <strong>und</strong> Ausbeutung. Die Gesellschaft stellt<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Ressourcen zur Verfügung, damit sich ihre Mitglieder frei<br />

entwickeln können. Die Gegenleistung des Individuums besteht dar<strong>in</strong>, se<strong>in</strong>e<br />

Fähigkeiten zum Nutzen der Allgeme<strong>in</strong>heit anzuwenden <strong>und</strong> zwar so anzuwenden,<br />

dass es für die (Weiter-)Existenz der Gesellschaft <strong>und</strong> ihrer<br />

Handlungsmöglichkeiten aktiv Verantwortung übernimmt.<br />

E<strong>in</strong>e gerechte Gesellschaft <strong>und</strong> e<strong>in</strong> gerechter Staat fördern damit die Eigen<strong>in</strong>itiative<br />

<strong>und</strong> das soziale Handeln ihrer Mitglieder. Das ist e<strong>in</strong>e der Gr<strong>und</strong>lagen für den<br />

aktiven Sozialstaat. Nur da, wo die bereit gestellten Möglichkeiten für e<strong>in</strong><br />

Individuum nicht ausreichen, selbst verantwortlich se<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> die Hand zu<br />

nehmen, hat der Staat E<strong>in</strong>greifpflichten. Paternalistische Fürsorge ist demnach e<strong>in</strong><br />

Ausnahmetatbestand, der sich beschränkt auf solche, die die Chancen nicht<br />

wahrnehmen können, die ihnen die Geme<strong>in</strong>schaft zur Verfügung stellt.<br />

Februar 2007


9<br />

Was bedeutet diese Betrachtung von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Fairness als<br />

gesellschaftliche Norm für die <strong>Gender</strong>-Kategorien?<br />

Angewandt auf die Frage der gerechten Behandlung von <strong>Gender</strong>-Kategorien <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft ist der <strong>Gerechtigkeit</strong>sgr<strong>und</strong>satz Nr. zwei von Rawls (Soziale <strong>und</strong><br />

wirtschaftliche Ungleichheiten s<strong>in</strong>d so zu gestalten, dass a) vernünftigerweise zu<br />

erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen, <strong>und</strong> b) sie mit Positionen <strong>und</strong><br />

Ämtern verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d, die jedem offen stehen) so <strong>in</strong>terpretierbar, dass e<strong>in</strong>e<br />

Arbeitsteilung, Güterverteilung, Machtverteilung zwischen den Kategorien nicht<br />

gleich, sondern pareto-optimal se<strong>in</strong> muss (Pareto-optimal ist e<strong>in</strong>e Verteilung dann,<br />

wenn e<strong>in</strong>e ke<strong>in</strong>e Umverteilung gibt, bei der nicht m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Beteiligter besser<br />

<strong>und</strong> ke<strong>in</strong>er schlechter dasteht als zuvor). Rawls formuliert, dass nach se<strong>in</strong>em<br />

Modell „...unverdiente Ungleichheiten ausgeglichen werden sollten. Da nun<br />

Ungleichheiten der Geburt <strong>und</strong> der natürlichen Gaben unverdient s<strong>in</strong>d, müssen sie<br />

irgendwie ausgeglichen werden. (S. 121)“ „Das Unterschiedspr<strong>in</strong>zip bedeutet<br />

faktisch, dass man die Verteilung der natürlichen Gaben <strong>in</strong> gewisser H<strong>in</strong>sicht als<br />

Geme<strong>in</strong>schaftssache betrachtet <strong>und</strong> <strong>in</strong> jedem Falle die größeren sozialen <strong>und</strong><br />

wirtschaftlichen Vorteile aufteilt, die durch die Komplementaritäten dieser<br />

Verteilung ermöglicht werden. Die Unterschiede zwischen den Menschen sollen den<br />

weniger begünstigten zugute kommen. ... es ist auch nicht ungerecht, dass die<br />

Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e bestimmte Position der Gesellschaft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren werden. Das<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>fach natürliche Tatsachen. Gerecht oder ungerecht ist die Art, wie sich die<br />

Institutionen angesichts dieser Tatsachen verhalten.“ (S. 123)<br />

Rawls verkennt dabei aber nicht, dass die „Verteilung der natürlichen Gaben“ ke<strong>in</strong>e<br />

re<strong>in</strong>e Naturtatsache sei, sondern er formuliert. „doch <strong>in</strong> gewissem Maße wird sie<br />

vom Gesellschaftssystem bee<strong>in</strong>flusst. (S. 129)<br />

Soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> entsteht also dann, wenn Individuen nicht auf wirklich oder<br />

sche<strong>in</strong>bar natürliche Unterschiede <strong>in</strong> den Startchancen festgenagelt werden,<br />

sondern aktiv durch Umverteilung von Ressourcen daran gearbeitet wird, solche<br />

„Defizite“ zu kompensieren.<br />

Geht man wie wir davon aus, dass Unterschiede zwischen den <strong>Gender</strong>-Kategorien<br />

sozial hergestellt werden, liegt das Hauptgewicht von Rawls Forderungen <strong>in</strong><br />

unserem Kontext dar<strong>in</strong>, dass<br />

a) für Frauen <strong>und</strong> Männer das Pr<strong>in</strong>zip der Freiheit gilt,<br />

b) für Frauen <strong>und</strong> Männer Chancen, E<strong>in</strong>kommen, Vermögen <strong>und</strong> die sozialen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen der Gr<strong>und</strong>achten gleichmäßig zu verteilen s<strong>in</strong>d, soweit nicht e<strong>in</strong>e<br />

ungleiche Verteilung jedermann zum Vorteil gereicht (S. 83).<br />

c) Frauen <strong>und</strong> Männer gleichen Zugang zu Positionen <strong>und</strong> Ämtern, <strong>und</strong> damit zu<br />

Entscheidungsbefugnissen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft haben müssen.<br />

Rawls Modell weist demnach darauf h<strong>in</strong>, dass die Ressourcenverteilung e<strong>in</strong><br />

zentraler Faktor bei der Herstellung von <strong>Gerechtigkeit</strong> ist, der die Basis für die freie<br />

<strong>und</strong> gleiche Chance zur Verfolgung zentraler menschlicher Interessen darstellt.<br />

Februar 2007


10<br />

Das moderne Menschenbild macht zunächst ke<strong>in</strong>en Unterschied zwischen den<br />

<strong>Gender</strong>-Kategorien, wenn es darum geht, e<strong>in</strong> selbstbestimmtes <strong>und</strong> nicht dem<br />

Staat oder anderen unterworfenes Leben, sondern e<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> Verantwortung zu<br />

führen. Geht es aber um die Bereitstellung der dazu notwendigen Institutionen <strong>und</strong><br />

Ressourcen, ist die Gleichbehandlung rasch zuende. Es wird auch vom Staat <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>en Institutionen tendenziell immer noch mehr <strong>in</strong> Bildung für<br />

Männerlebensläufe <strong>in</strong>vestiert als <strong>in</strong> Frauenlebensläufe. Dennoch haben Frauen<br />

<strong>in</strong>zwischen den Aufruf, sich zu qualifizieren, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise erhört, die zu e<strong>in</strong>er<br />

Überlegenheit im Bildungssystem geführt hat. Familien <strong>in</strong>vestieren <strong>in</strong>zwischen<br />

auch <strong>in</strong> die Bildung von weiblichem Nachwuchs, was vor e<strong>in</strong> bis zwei Generationen<br />

nicht üblich war.<br />

Aber die berühmte Schwelle zwischen Bildungs- <strong>und</strong> Beschäftigungssystem, die<br />

ger<strong>in</strong>gere Entlohnung, die ger<strong>in</strong>geren Karrierechancen etc. machen deutlich, dass<br />

Frauen strukturell weniger Chancen e<strong>in</strong>geräumt werden, ihre Persönlichkeit <strong>und</strong><br />

ihre Qualifikationen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> selbstbestimmtes <strong>und</strong> ökonomisch gleichwertiges Leben<br />

umzusetzen. Frauen nehmen zwar die von den Sozialphilosophen als Gegenleistung<br />

für die Zurverfügungstellung von Chancen geforderte Verantwortung wahr (sie<br />

erziehen <strong>in</strong> großer Zahl die K<strong>in</strong>der – auch als Alle<strong>in</strong>erziehende – sie versorgen Alte<br />

<strong>und</strong> Kranke, sie bezahlen Steuern, sie betätigen sich ehrenamtlich etc.), sie haben<br />

aber immer noch große Schwierigkeiten, sich dafür auch e<strong>in</strong> adäquates Stück vom<br />

Kuchen der gesellschaftlichen Wertschöpfung abzuschneiden.<br />

Das E<strong>in</strong>räumen von Entfaltungsspielräumen für die <strong>in</strong>dividuellen Qualifikationen<br />

durch Maßnahmen des Staates auf der politischen Ebene reicht bekanntermaßen<br />

nicht aus, um e<strong>in</strong> selbstbestimmtes <strong>und</strong> entfaltetes Leben zu führen. Unsere<br />

Gesellschaft ist auf den Primat der Erwerbsarbeit gegründet. Deshalb ist es e<strong>in</strong>e<br />

Forderung an e<strong>in</strong>e gerechte Gesellschaft, <strong>Gerechtigkeit</strong> auch <strong>in</strong> bezug auf Arbeit<br />

<strong>und</strong> E<strong>in</strong>kommen, Besitz <strong>und</strong> Partizipation, Zugang zu Positionen <strong>und</strong> Gruppierungen<br />

herzustellen. Die Gesellschaft stößt hier bezüglich der Behandlung der<br />

Geschlechter auf Grenzen, die im Privateigentum der Wirtschafts<strong>in</strong>stitutionen<br />

begründet s<strong>in</strong>d. Solange privilegierte Gruppen – wie Männer – die Möglichkeit<br />

haben, trotz aller Gleichheit, die staatlicherseits hergestellt wurde, ungleiche<br />

Chancen im Erwerbsleben zu schaffen, durch ihre Entscheidungsmacht oder ihre<br />

„property rights“ / Eigentumsrechte <strong>in</strong> der Wirtschaft, Frauen zu benachteiligen, ist<br />

das Postulat der <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht erfüllt.<br />

Sozialstaatliche <strong>Gerechtigkeit</strong>smodelle kommen deshalb nicht umh<strong>in</strong>, auch nichtstaatliche<br />

Institutionen <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>flussbereich der geltenden Normen zu befördern.<br />

E<strong>in</strong>e schwierige Aufgabe, angesichts der klaren Neigung von privilegierten<br />

Gruppen, mitnichten nur e<strong>in</strong>er ethischen Norm zuliebe auf eigene Vorteile zu<br />

verzichten.<br />

Die Partizipationsbereitschaft der Frauen, auf die unsere Gesellschaft ja <strong>in</strong> starkem<br />

Maße angewiesen ist, kann aber auf Dauer nur erhalten werden, wenn Input <strong>und</strong><br />

Output verschiedener gesellschaftlicher Kategorien <strong>in</strong> e<strong>in</strong> angemessenes Verhältnis<br />

gebracht werden – auch durch staatliche E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> die Gestaltungsfreiheit von<br />

Unternehmen.<br />

Februar 2007


11<br />

Zur Ungleichheit <strong>in</strong> der Gesellschaft – Wie werden soziale Kategorien geschaffen<br />

<strong>und</strong> mit unterschiedlichen Entwicklungs- <strong>und</strong> Lebenschancen versehen?<br />

Ausgangspunkt unserer Betrachtung ist die universalistische Norm des gleichen<br />

Rechts aller auf diesem Globus geborenen Menschen zu Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong><br />

Verfolgung des eigenen Glücks (wie auch z. B. <strong>in</strong> der amerikanischen Verfassung<br />

als Gr<strong>und</strong>rechte festgehalten: Life, Liberty and Pursuit of happ<strong>in</strong>ess). Die<br />

europäische Menschenrechtskonvention bekräftigt 1998 nochmals die <strong>in</strong> der<br />

allgeme<strong>in</strong>en UN-Menschenrechtskonvention von 1948 formulierten<br />

Menschenrechte. Die ersten 14 Artikel lauten:<br />

Konvention zum Schutze der Menschenrechte <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>freiheiten Abgeschlossen<br />

<strong>in</strong> Rom am 4. November 1950<br />

<strong>in</strong> der Fassung des Protokolls Nr. 11<br />

<strong>in</strong> Kraft getreten am 1. November 1998<br />

Art. 1 Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte<br />

Art. 2 Recht auf Leben<br />

Art. 3 Verbot der Folter<br />

Art. 4 Verbot der Sklaverei <strong>und</strong> der Zwangsarbeit<br />

Art. 5 Recht auf Freiheit <strong>und</strong> Sicherheit<br />

Art. 6 Recht auf e<strong>in</strong> faires Verfahren<br />

Art. 7 Ke<strong>in</strong>e Strafe ohne Gesetz<br />

Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- <strong>und</strong> Familienlebens<br />

Art. 9 Gedanken-, , Gewissens- <strong>und</strong> Religionsfreiheit<br />

Art. 10 Freiheit der Me<strong>in</strong>ungsäußerung<br />

Art. 11 Versammlungs- <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>igungsfreiheit<br />

igungsfreiheit<br />

Art. 12 Recht auf Eheschließung<br />

Art. 13 Recht auf wirksame Beschwerde<br />

Art. 14 Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbot<br />

Der Genuss der <strong>in</strong> dieser Konvention anerkannten Rechte <strong>und</strong> Freiheiten ist ohne<br />

Diskrim<strong>in</strong>ierung <strong>in</strong>sbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache,<br />

der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft,<br />

der Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er nationalen M<strong>in</strong>derheit, des Vermögens, der Geburt oder e<strong>in</strong>es<br />

sonstigen Status zu gewährleisten.<br />

Februar 2007


12<br />

Das Gr<strong>und</strong>gesetz der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland sieht wie Artikel 14 der<br />

Europäischen Menschenrechtskonvention <strong>in</strong> Artikel 3 e<strong>in</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbot<br />

vor. H<strong>in</strong>zugefügt wurde aber <strong>in</strong> Satz 2 e<strong>in</strong>e aktive Pflicht des Staates zur<br />

Herstellung des Gebots aktiv beizutragen:<br />

Artikel 3<br />

(1) Alle Menschen s<strong>in</strong>d vor dem Gesetz gleich.<br />

(2) Männer <strong>und</strong> Frauen s<strong>in</strong>d gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche<br />

Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen <strong>und</strong> Männern <strong>und</strong> wirkt auf die<br />

Beseitigung bestehender Nachteile h<strong>in</strong>.<br />

(3) Niemand darf wegen se<strong>in</strong>es Geschlechtes, se<strong>in</strong>er Abstammung, se<strong>in</strong>er Rasse,<br />

se<strong>in</strong>er Sprache, se<strong>in</strong>er Heimat <strong>und</strong> Herkunft, se<strong>in</strong>es Glaubens, se<strong>in</strong>er religiösen<br />

oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf<br />

wegen se<strong>in</strong>er Beh<strong>in</strong>derung benachteiligt werden.<br />

Das Gr<strong>und</strong>gesetz hebt <strong>in</strong>sbesondere die Verantwortung des Staates für die<br />

E<strong>in</strong>haltung von Gleichheitsnormen heraus. Inzwischen s<strong>in</strong>d aber die<br />

Machtverhältnisse durch die Entwicklung großer multi- oder transnationaler<br />

Unternehmen, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dauernden Veränderungsprozess bef<strong>in</strong>den –<br />

Unternehmensteile werden gekauft <strong>und</strong> verkauft, mergers <strong>und</strong> acquisitions s<strong>in</strong>d an<br />

der Tagesordnung <strong>und</strong> ersetzen bei vielen Managern die frühere Konzentration auf<br />

die Produktion von Gütern – so verändert, dass staatliche Instanzen nur noch<br />

beschränkten E<strong>in</strong>fluss auf die Akteure <strong>in</strong> der Wirtschaft haben. Verflechtungen<br />

zwischen Politik <strong>und</strong> Wirtschaft wirken <strong>in</strong> dieselbe Richtung.<br />

In diesem Zusammenhang wird seit vielen Jahren der Ruf laut, dass sich die<br />

Staaten zusammen schließen, um e<strong>in</strong> Ausweichen von Unternehmen vor staatlichen<br />

Normen durch Verschiebung von Unternehmensteilen <strong>in</strong> andere Länder zu<br />

verh<strong>in</strong>dern.<br />

Gesetzgeberische Ansätze zur Vermeidung von Diskrim<strong>in</strong>ierungen s<strong>in</strong>d vor allem <strong>in</strong><br />

der Europäischen Geme<strong>in</strong>schaft, aber auch bei den Vere<strong>in</strong>ten Nationen <strong>in</strong> Gange.<br />

E<strong>in</strong>e erste vor e<strong>in</strong>igen Jahren <strong>in</strong>’s Leben gerufene Initiative , das Forum „Global<br />

Compact“ 4 be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong>e Selbstverpflichtung von Firmen, ke<strong>in</strong>e<br />

Menschenrechtsverletzungen im S<strong>in</strong>ne von Zwangs-, Pflicht- <strong>und</strong> K<strong>in</strong>derarbeit<br />

durchzuführen <strong>und</strong> allen Beschäftigten e<strong>in</strong>e gerechte, die Existenz sichernde<br />

Entlohnung zu gewähren. Dabei sollen die Normen sich nicht an den nationalen<br />

Standards, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land herrschen, sondern an den <strong>in</strong>ternationalen<br />

Menschenrechts-Standards messen lassen. Schon 1998 begann aber auch die<br />

Arbeit der UN-Menschenrechtskonvention an e<strong>in</strong>er Konzeption, die diese Normen<br />

gesetzmäßig absichern sollte. E<strong>in</strong>e unabhängige Expertengruppe , an der auch<br />

Firmen beteiligt waren, erhielt den Auftrag, verb<strong>in</strong>dliche Normen zur<br />

Verantwortung von Unternehmen, sowie Möglichkeiten der Überwachung <strong>und</strong><br />

4 Uno-Generalsekretär Kofi Annan schlug 1999 dem Weltwirtschaftsforum <strong>in</strong> Davos vor, e<strong>in</strong>en<br />

„globalen Pakt“ zwischen Unternehmen, Lobby-Gruppen, Regierungen <strong>und</strong> UNO zu schließen, der für<br />

E<strong>in</strong>haltung der Menschenrechte <strong>in</strong> der Wirtschaft sorgen sollte. Dieser Pakt wurde dann im Jahre<br />

2000 <strong>in</strong> New York als „global compact“ geschlossen.<br />

Februar 2007


13<br />

Sanktionierung im Falle von Verstößen zu formulieren. Der vorgelegte Entwurf soll<br />

nun im August 2003 von der UNO-Unterkommission zur Förderung <strong>und</strong> zum Schutz<br />

der Menschenrechte verabschiedet werden. Die Normen tragen der Tatsache<br />

Rechnung, dass die Globalisierung fortschreitet <strong>und</strong> die „global players“ auch<br />

immer stärker über den eigenen Staat h<strong>in</strong>aus tätig s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> E<strong>in</strong>fluss haben. Die<br />

Normen sollen deshalb für Unternehmen aus den verschiedensten Branchen <strong>und</strong><br />

verschiedenster Größe Geltung erhalten. In bezug auf Diskrim<strong>in</strong>ierung sieht der<br />

Entwurf beispielsweise vor, dass gleiche Chancen <strong>und</strong> Behandlung aller Gruppen –<br />

unabhängig von Rasse, Farbe, Geschlecht, Religion, politischer Haltung,<br />

Nationalität, sozialer Herkunft, Status, Beh<strong>in</strong>derung, Alter, oder anderer Status-<br />

Faktoren, die <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Verb<strong>in</strong>dung zur Fähigkeit des Individuums stehen, se<strong>in</strong>e<br />

Arbeit durchzuführen. 5<br />

David Weissbrodt, Juraprofessor an der University von M<strong>in</strong>nesota <strong>und</strong> Mitglied der<br />

Expertengruppe erläuterte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit Amnesty International 6 , dass<br />

Entschädigungen vorgesehen s<strong>in</strong>d, die e<strong>in</strong>e Firma zahlen muss, wenn sie<br />

verantwortungslos mit der Umwelt umgeht, oder Menschenrechte verletzt.<br />

Genau dies ruft aber nun die Wirtschaft auf den Plan. Es gibt enorme Widerstände<br />

der Unternehmen, die auf ihre Selbstverpflichtung <strong>und</strong> Selbstkontrolle pochen. Die<br />

Internationale Handelskammer lehnt e<strong>in</strong>e Haftung von Firmen bei<br />

Menschenrechtsverletzungen vehement ab. E<strong>in</strong>e Überregulierung wird als<br />

schädlich angesehen, würde sie doch potentiell auch manchen „Standortvorteil“<br />

betreffen, der z. B. <strong>in</strong> der letzten Zeit bei der Firma Nike <strong>in</strong> die Öffentlichkeit<br />

gebracht wurde. Diese beschäftigt vor allem <strong>in</strong> Indonesien vor allem Frauen zu<br />

Niedrigstlöhnen <strong>und</strong> bei schlechten Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen. Arbeitsstandards <strong>und</strong><br />

Arbeitnehmerrechte, wie sie der neue UN-Entwurf vorsieht, würde nach Ansicht<br />

solcher Firmen e<strong>in</strong>e Kostenexplosion mit sich br<strong>in</strong>gen.<br />

Bisher mussten Unternehmen, die dem freiwilligen Pakt beitreten wollten, nur e<strong>in</strong>e<br />

schriftliche Absichtserklärung e<strong>in</strong>reichen <strong>und</strong> ihre Bemühungen im<br />

Geschäftsbericht dokumentieren. Dafür können sie sich mit dem<br />

publikumswirksamen Uno-Logo schmücken. Inzwischen s<strong>in</strong>d über 650<br />

Unternehmen dem Pakt beigetreten, e<strong>in</strong> Viertel davon gehört zu den größten<br />

Unternehmen der Welt.<br />

Nun ist die strategische Frage entbrannt, ob durch Zwangsmaßnahmen nicht die<br />

sanfte, auf Bewusstse<strong>in</strong>sveränderung setzende Strategie des Global compact<br />

ausgehebelt würde. Das bisher gebildete „Vertrauen“, so die Kassandra-Rufe,<br />

könnten durch e<strong>in</strong>e Zwangsmaßnahme vernichtet werden. 7<br />

5 Draft Commentary on the Norms of Responsibility of transnational corporations and other bus<strong>in</strong>ess<br />

enterprises with regard to human Rights. U.N.Document E/CN.4/Sub.2/2003/XX,<br />

E/CN.4/Sub.2/2003/WG.2/WP.1 (for discussion <strong>in</strong> July/August 2003) Internet:<br />

www1.umn.edu/humanrts/l<strong>in</strong>ks/bus<strong>in</strong>essresponsibilitycomm-2002.html<br />

6 ai-journal Mai 2003. Internet: www2.amnesty.de/<strong>in</strong>ternet/ai-theme.nsf<br />

7 Güssgen, Florian Vertrauen ist besser – Die UNO-Menschenrechtskommission will per Gesetz die<br />

Wirtschaft diszipl<strong>in</strong>ieren. Der Ansatz ist verfehlt – <strong>und</strong> beschädigt e<strong>in</strong> anderes, erfolgreiches UNO-<br />

Konzept. F<strong>in</strong>ancial Times Deutschland, 19. August 2003, S. 27<br />

Februar 2007


14<br />

Menschenrechte <strong>und</strong> soziale Realität<br />

Der erste Pfeiler e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Konstruktion von Ungleichheit besteht <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Differenzierung von Bevölkerungsgruppen <strong>in</strong> soziale Kategorien. Dadurch<br />

wird die vorhandene Heterogenität durch Segmentierung <strong>in</strong> verme<strong>in</strong>tlich homogene<br />

Teilmengen unterteilt.<br />

Der erste Verstoß von <strong>Gesellschaften</strong> gegen die Gleichheits-Norm besteht<br />

dabei <strong>in</strong> der Konstruktion sozialer Kategorien auf der Basis biologischer<br />

Konstituanten, die „beliebig“ gewählt s<strong>in</strong>d. (Männer <strong>und</strong> Frauen, Weiße <strong>und</strong><br />

Nicht-Weiße, Ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Beh<strong>in</strong>derte.) Dah<strong>in</strong>ter verbergen sich aber soziale<br />

Differenzierungen, die aufgr<strong>und</strong> unterschiedlicher Machtbasen zustande<br />

kommen.<br />

Der zweite Verstoß der <strong>Gesellschaften</strong> gegen diese Norm liegt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Zwangshomogenisierung <strong>und</strong> Zwangszuweisung durch stereotype<br />

Zuschreibung von Eigenschaften, Fähigkeiten, Rechten, Erwartungen,<br />

Sanktionen etc. zu den Individuen, die den sozialen s<br />

Kategorien angehören -<br />

nicht nur weil man dadurch der Realität der Individuen dieser Kategorien<br />

<strong>in</strong>folge ihrer vorhandenen Heterogenität nicht gerecht wird, sondern weil<br />

durch diese Stereotypen Realität (Bewusstse<strong>in</strong>, Motivation, Emotion,<br />

Selbste<strong>in</strong>schätzung, Fähigkeiten, Handlungsvermögen) geschaffen wird,<br />

aufgr<strong>und</strong> derer z. B e<strong>in</strong>e diskrim<strong>in</strong>ierende Arbeitsteilung oder<br />

diskrim<strong>in</strong>ierende Zuschreibungen von Gewalt- <strong>und</strong> Herrschaftsrechten<br />

erklärt <strong>und</strong> legitimiert wird.<br />

<strong>Gesellschaften</strong> prägen die ihnen angehörenden Individuen. Der Sündenfall<br />

liegt also auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zielorientierten Prägung von Individuen bestimmter<br />

sozialer Kategorien mit der Intention, Ungleichheit <strong>und</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierung bis<br />

h<strong>in</strong> zur Rechtlosigkeit zu legitimieren, <strong>in</strong>dem sie als quasi-natürlich<br />

dargestellt wird. Die „Prägung“ der Individuen durch stereotype<br />

Zuschreibungen ist jedoch nicht durchgängig so stark, dass das Bewusstse<strong>in</strong><br />

nicht rational „Unrichtigkeiten“ der stereotypen Zuschreibung feststellen<br />

könnte. Individuen s<strong>in</strong>d also nicht h<strong>und</strong>ertprozentig gesellschaftlich<br />

programmiert. Z.B. kann alle Zuschreibung von Sanftmut <strong>und</strong> Nicht-<br />

Aggressivität zur Kategorie weiblicher Menschen die Erkenntnis oder die<br />

Beobachtung nicht auslöschen, dass es enorm aggressive Frauen gibt. Die<br />

kognitive Reaktion auf e<strong>in</strong>e solche „Abweichung“ kann dar<strong>in</strong> bestehen, die<br />

Ursache des Verhaltens <strong>in</strong> ungewöhnlichen Umständen zu sehen (Injektion<br />

von Testosteron bei Sportler<strong>in</strong>nen), oder die Person als eigentlich nicht der<br />

Kategorie „Frauen“ zugehörig zu bezeichnen (ke<strong>in</strong>e „richtige“ Frau).<br />

Der dritte Verstoß gegen die Gleichheitsnorm besteht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er willkürlichen<br />

vertikalen Differenzierung der Position sozialer Kategorien, die Zuweisung<br />

höheren <strong>und</strong> niederen Status <strong>und</strong> damit der Zuweisung unterschiedlicher<br />

Rechte <strong>und</strong> Lebens- <strong>und</strong> Entwicklungschancen durch unterschiedliche<br />

Bewertung der Personen der sozialen Kategorien.<br />

Februar 2007


15<br />

Der zweite Pfeiler der Absicherung gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen<br />

besteht <strong>in</strong> der strukturellen organisatorischen Absicherung bestehender<br />

Ungleichheiten <strong>und</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierungen. Allokation von Ressourcen, Besetzung von<br />

Entscheidungspositionen (Instanzen), Betonung <strong>und</strong> Kommunikation von<br />

„Normalität“ ungleicher Verteilung sozialer Kategorien auf Machtpositionen <strong>in</strong> den<br />

<strong>Gesellschaften</strong> führen zu e<strong>in</strong>er noch stärkeren Verfestigung der durch die<br />

stereotype geprägten Bewusstse<strong>in</strong>s- <strong>und</strong> damit Verhaltenstendenz der sozialen<br />

Kategorien untere<strong>in</strong>ander.<br />

Fremd- <strong>und</strong> Selbststereotype auf der e<strong>in</strong>en Seite <strong>und</strong> gesellschaftliche Macht- <strong>und</strong><br />

Herrschaftsverhältnisse <strong>und</strong> –strukturen auf der anderen Seite ergänzen sich im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Aufrechterhaltung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Beharrungsstrebens bezüglich<br />

vorhandener Ungleichheiten. Und diese Verfestigung wird nicht nur durch<br />

privilegierte soziale Kategorien betrieben, sondern durch die übermittelten<br />

Überzeugungen auch durch Individuen, die der unterlegenen sozialen Kategorie<br />

angehören. 8<br />

Wie können <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft Ungleichheiten bekämpft werden?<br />

Vorab muss hier die Frage gestellt werden, ob es für e<strong>in</strong>e Gesellschaft überhaupt<br />

s<strong>in</strong>nvoll ist, die allenthalben durch Kategorisierung ihrer Bevölkerung entstandene<br />

Ungleichheit zu beseitigen. Hat diese Ungleichheit nicht e<strong>in</strong>en Nutzen für das<br />

Überleben der Gesellschaft, für ihre Prosperität, für das def<strong>in</strong>ierte „Geme<strong>in</strong>wohl“<br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft? Wenn ja: sollte man dann nicht ethische Normen zurückstellen<br />

<strong>und</strong> das Konstrukt des „Wohls der größten Zahl“ akzeptieren?<br />

8 Interessant ist hier e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Rückblick auf die Theorie von Louis Althusser aus den siebziger<br />

Jahren, die von Autor<strong>in</strong>nen wie Kaja Silverman (Prof. für Rhetorik <strong>in</strong> Berkeley), Teresa de Lauretis <strong>und</strong><br />

Judith Butler <strong>in</strong> fem<strong>in</strong>istischer Theorie-Rezeption aufgenommen wurde. Althusser entwickelte e<strong>in</strong>e<br />

Theorie der Machtverhältnisse <strong>in</strong> <strong>Gesellschaften</strong> als komplexes Netz dezentral wirkender Kräfte, <strong>in</strong><br />

dem die Ökonomie e<strong>in</strong>e wichtige, aber nicht die dom<strong>in</strong>ierende Rolle spiele. Gesellschaft stellt sich dar<br />

als dezentriertes System, das von unterschiedlichen Herrschaftsachsen durchzogen ist. Isolde Charim<br />

(Der Althusser-Effekt. Entwurf e<strong>in</strong>er Ideologie-Theorie. Wien: Passagen-Verlag, 2002) stellt heraus,<br />

wie bei Althusser durch die E<strong>in</strong>führung von Ideologien als materielle gesellschaftliche Instanz<br />

Bewußtse<strong>in</strong> <strong>und</strong> Identität geschaffen wird, die Subjekte hervorbr<strong>in</strong>gt, die zu e<strong>in</strong>er „freiwillligen<br />

Unterwerfung“ bereit s<strong>in</strong>d. <strong>Gesellschaften</strong> als Orte der Konstruktion <strong>und</strong> Konstitution von Subjekten,<br />

von Bewußtse<strong>in</strong> <strong>und</strong> Existenzweisen b<strong>in</strong>den die Individuen <strong>in</strong> die ökonomischen<br />

Produktionsverhältnisse <strong>und</strong> den Staat e<strong>in</strong>. Herrschaft erfolgt <strong>in</strong> modernen <strong>Gesellschaften</strong> nicht nur<br />

über direkten oder strukturellen Zwang <strong>und</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierung, sondern auch durch Zustimmung, durch<br />

freiwillige Unterwerfung. Das Subjekt glaubt, Herr über sich selbst zu se<strong>in</strong>, se<strong>in</strong>e Handlungen zu<br />

kontrollieren <strong>und</strong> über Freiheitsspielräume zu verfügen. Die verme<strong>in</strong>tlich freiwilligen<br />

Handlungstendenzen werden aber hergestellt durch materielle Praxis <strong>und</strong> Rituale im Verlauf der<br />

Sozialisation <strong>und</strong> Enkulturation. Freiwilligkeit <strong>und</strong> Selbstbestimmung werden von Charim als<br />

Ideologiekonstrukte moderner <strong>Gesellschaften</strong> gesehen <strong>und</strong> als Formen der Unterwerfung. Aus<br />

fem<strong>in</strong>istischer Sicht stellt sich dieser Vorgang so dar, dass Frauen die erworbene Subjektivität als<br />

„Mängelwesen“ komb<strong>in</strong>ieren mit Erfahrungen der Abwesenheit <strong>in</strong> Machtpositionen des Staates <strong>und</strong><br />

der Ökonomie, was wiederum im Zirkelschluss e<strong>in</strong>er freiwilligen E<strong>in</strong>fügung <strong>in</strong> das Unabänderliche<br />

führt.<br />

Februar 2007


16<br />

Es gibt <strong>in</strong> der Tat Theorien, die davon ausgehen, dass wirtschaftliche <strong>und</strong> kulturelle<br />

Blüte e<strong>in</strong>er Gesellschaft nur dann entsteht, wenn diese Gesellschaft über<br />

unbezahlte Arbeit – z.B. Sklavenarbeit verfügen kann. Muss alle Arbeit gleich<br />

„entlohnt“ werden <strong>und</strong> kann jede/r e<strong>in</strong>en gleichen Anteil an den Gütern<br />

beanspruchen, kann nur Mittelmäßigkeit entstehen; die große Masse verbraucht die<br />

geschaffenen Güter für ihr Wohlleben, ohne dass Güter massiert für die Produktion<br />

von Kultur, Wissenschaft, überlegener Wirtschaftsorganisation o.ä. zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Andere Theorien gehen davon aus, dass <strong>Gesellschaften</strong> dann am erfolgreichsten<br />

s<strong>in</strong>d bzw. wären, wenn sie alle Fähigkeiten ihrer Mitglieder ohne falsche<br />

Kategorisierungen e<strong>in</strong>setzen <strong>und</strong> die Basis für e<strong>in</strong>e solche Chancengleichheit <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er säkularen Ethik oder e<strong>in</strong>er religiös begründeten Moral legen.<br />

Das moderne Menschenbild geht davon aus, dass auch dann, wenn es für e<strong>in</strong>e<br />

„Gesellschaft“ nützlich wäre, sich der Fron unbezahlter oder unterbezahlter Kräfte<br />

zu bedienen, dieses auf der Basis der Gültigkeit der allgeme<strong>in</strong>en Menschenrechte<br />

nicht legitim wäre. Stattdessen soll e<strong>in</strong> Organisationsmodell für Staaten entwickelt<br />

werden, das zu e<strong>in</strong>er überlegenen Entwicklung <strong>und</strong> Nutzung der Fähigkeiten der<br />

Mitglieder e<strong>in</strong>er Gesellschaft führt <strong>und</strong> gleichzeitig <strong>Gerechtigkeit</strong>snormen gerecht<br />

wird. Außerdem ist die These der Vorteilhaftigkeit von Polarisierung <strong>in</strong> der<br />

Verfügungsrechten über Ressourcen <strong>in</strong> der Gesellschaft (viele Ressourcen <strong>in</strong> der<br />

Hand weniger, fähiger! Personen <strong>und</strong> wenig Ressourcen <strong>in</strong> der Hand vieler,<br />

unfähiger Personen) umstritten. Gerade <strong>in</strong> unseren westliche Industriestaaten zeigt<br />

sich derzeit, wie die Polarisierung von Vermögen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>kommen eben nicht zu<br />

mehr Kulturproduktion, Fortschritt, Wohlstand <strong>und</strong> sozialer Organisation führt,<br />

sondern eher zu e<strong>in</strong>er Destabilisierung, sozialen Unruhen, Unproduktivität <strong>und</strong><br />

sozialen Konflikten. So beschreibt Paul Krugman <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Essay im November<br />

2002 9 wie <strong>in</strong> den USA die Reichen, befreit von allen Gleichheitsidealen, immer mehr<br />

Wohlstand an sich reißen. Die Mittelschicht löst sich auf; immer mehr Menschen<br />

s<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> die Armut ab <strong>und</strong> immer mehr häufen e<strong>in</strong>en unvorstellbaren Reichtum<br />

unter ihren Eigentumsrechten an. „Die Ungleichheit <strong>in</strong> den USA hat e<strong>in</strong> Niveau<br />

erreicht, das kontraproduktiv ist“ merkt Krugman an. Und Krugmann stellt e<strong>in</strong>e<br />

hohe Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit fest, dass diese Polarisierung die Form e<strong>in</strong>es sich selbst<br />

verstärkenden Prozesses annimmt: Neben den Möglichkeiten, sich zunehmend<br />

materielle Ressourcen anzueignen, wächst den Reichen <strong>in</strong> den USA auch immer<br />

mehr E<strong>in</strong>fluss auf die Politik <strong>und</strong> sogar auf <strong>in</strong>tellektuelle Kreise zu. Politik, die im<br />

Pr<strong>in</strong>zip die Aufgabe hat, auszugleichen <strong>und</strong> umzuverteilen, läßt sich zunehmend <strong>in</strong><br />

den Dienst der Wohlhabenden stellen. Krugmann zitiert Kev<strong>in</strong> Philipps` Buch<br />

„Wohlstand <strong>und</strong> Demokratie“ mit se<strong>in</strong>er Warnung vor dem Entstehen e<strong>in</strong>er<br />

Plutokratie <strong>in</strong> den USA.<br />

Politische Praxis zur Veränderung, die auf der Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>er universalistischen<br />

Norm der Gleichheit agiert, muss zunächst alle Mechanismen, die zu Ungleichheit<br />

9 Krugman Paul Der amerikanische Alptraum In DIE ZEIT Nr. 46, 7. November 2002, S. 25f<br />

(Universität Pr<strong>in</strong>ceton)<br />

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17<br />

führen, analysieren: sie muss die soziale Konstruktion von Identität ebenso wie<br />

auch die politische <strong>und</strong> gesellschaftliche Institutionalisierung von Ungleichheit<br />

nachzeichnen, d.h. die wesentlichen Parameter sowohl im psychologischen<br />

Funktionsmuster von Menschen als auch <strong>in</strong> der Funktion von Macht- <strong>und</strong><br />

Herrschaftssicherungsapparaten aufdecken. Nach dieser Analyse – die sowohl<br />

psychologisch, wie auch soziologisch <strong>und</strong> politologisch begründet ist – muss durch<br />

Techniken der gezielten Aufweichung <strong>und</strong> Beseitigung der Ursachen für die<br />

Abweichung von der Gleichheitsnorm entgegen gearbeitet werden.<br />

Dies ist dann e<strong>in</strong> äußerst schwieriges Unterfangen, wenn man von e<strong>in</strong>em Modell<br />

ausgeht, dass das Wesen des Menschen egozentrisch, egoistisch, vom<br />

<strong>in</strong>dividualistischen Nutzenkalkül geprägt ist <strong>und</strong> eigene Vorteile <strong>und</strong> Privilegien<br />

ohne weitere Überlegung verfolgt. Dieses Modell des homo oeconomicus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

extremen Fassung wäre entweder verb<strong>und</strong>en mit e<strong>in</strong>er nutzenmaximierenden<br />

Verleugnung von Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Unrecht, e<strong>in</strong>er strikten Selbsttäuschung <strong>und</strong><br />

Ignoranz abweichender Erfahrungen oder mit e<strong>in</strong>er macchiavellistischen H<strong>in</strong>nahme<br />

von Verstößen gegen die Gleichheitsnorm <strong>und</strong> H<strong>in</strong>tanstellung ethischer Normen.<br />

E<strong>in</strong> solches Modell würde nahe legen, dass der Kampf gegen Ungleichheit nur von<br />

den „unterprivilegierten“ Gruppen selbst durchgeführt werden könnte. Und auch<br />

dieses nur, wenn diese Gruppen <strong>in</strong> Abkehr von ihrer gesellschaftlichen Prägung e<strong>in</strong><br />

Bewusstse<strong>in</strong> sowohl ihrer Lage als auch ihrer Handlungsmöglichkeiten gew<strong>in</strong>nen<br />

könnten. E<strong>in</strong>e recht unrealistische Vision!<br />

Sowohl nach Erich Fromm (Haben oder Se<strong>in</strong>) wie auch den Erkenntnissen der<br />

Wirtschaftspsychologie haben Menschen aber <strong>in</strong> sich auch die Neigung zu<br />

solidarischen Verhalten, zu Wertschätzung übergeordneter ethischer Normen, sie<br />

s<strong>in</strong>d bereit zu teilen <strong>und</strong> abzugeben, wenn sie dafür andere Belohnungen z.B. <strong>in</strong><br />

Form von Anerkennung, Status, Zuwendung oder sozialer E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung erhalten.<br />

Daniel Kahnemann erhielt z. B. im Jahr 2002 für se<strong>in</strong>e zusammen mit Amos Tversky<br />

durchgeführten Forschungen über das Entscheidungsverhalten von Menschen den<br />

Nobelpreis (zusammen mit Vernon Smith). Die beiden Verhaltensökonomen<br />

konnten nachweisen, dass Menschen, wenn sie e<strong>in</strong>e Verteilungssituation als<br />

ungerecht empf<strong>in</strong>den, lieber auf eigene Zuweisungen verzichten, als e<strong>in</strong>em anderen<br />

e<strong>in</strong>en ungerechten Vorteil zu verschaffen. Kooperativ spielten die Spieler <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Experiment nur so lange, wie sie ihren Partner für fair hielten. Nutzte er dagegen<br />

Machtmittel für sich aus, so verweigerten sich die Versuchspersonen – sogar unter<br />

eigenen Verlusten. Solche Experimente zeigten wie e<strong>in</strong>ige andere – z. B. von Ernst<br />

Fehr – dass im Menschen nicht nur e<strong>in</strong> rationaler homo oeconomicus wohnt,<br />

sondern dass er bei Entscheidungen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>schätzungen sozialer Situationen<br />

Werte, Normen <strong>und</strong> Emotionen e<strong>in</strong>führt, die unter bestimmten Konstellationen<br />

sogar dom<strong>in</strong>ant werden können.<br />

Dieses neue Menschenbild kann also der Ausgangspunkt für e<strong>in</strong> optimistischeres<br />

politisches Programm darstellen, als der homo oeconomicus es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Extremform nahe legt.<br />

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Die Initialzündung für e<strong>in</strong> solches politisches Programm liegt möglicherweise <strong>in</strong> der<br />

Erkenntnis der Spieltheorie, dass Vieles im sozialen Leben sich nicht als Null-<br />

Summen-Spiel darstellt: Dass Kooperation mehr Nutzen für alle Beteiligten als<br />

Egoismus <strong>und</strong> Wettbewerb stiftet, dass E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung von Fähigkeiten der Menschen<br />

aus machtlosen Kategorien den Nutzen aller mehren kann, dass ungerechte<br />

Attributionen <strong>und</strong> Behandlungen auch Menschen trifft, mit denen man sich <strong>in</strong><br />

anderen sozialen Zusammenhängen verb<strong>und</strong>en fühlt (z. B. Töchter von Männern,<br />

die sich selbst für Leistungsträger <strong>und</strong> Träger hochwertiger Gene halten).<br />

Daniel Goleman hat mit se<strong>in</strong>em Konstrukt der emotionalen Intelligenz <strong>und</strong> Howard<br />

Gardner (Psychologieprofessor an der Harvard-University) mit se<strong>in</strong>er neuen<br />

Def<strong>in</strong>ition von Intelligenz e<strong>in</strong>en Blick auf das Verhältnis von Klugheit <strong>und</strong> Moral<br />

geworfen. Während Goleman e<strong>in</strong>e Palette menschlicher Fähigkeiten für die<br />

Bewältigung von sozialen Situationen entwirft, def<strong>in</strong>iert Gardner Intelligenz als „e<strong>in</strong><br />

biopsychologisches Potential zur Verarbeitung von Informationen, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

kulturellen Umfeld aktiviert werden kann, um Probleme zu lösen oder geistige oder<br />

materielle Güter zu schaffen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kultur hohe Wertschätzung genießen.<br />

Moralische Intelligenz sieht Gardner dann gegeben, wenn der <strong>in</strong>dividuelle oder<br />

kollektive Gebrauch der Intelligenzen zur Bewältigung von gesellschaftlich hoch<br />

bewerteten Aufgaben führt. Zu den acht Intelligenzformen – sprachliche Intelligenz,<br />

logisch-mathematische Intelligenz, naturk<strong>und</strong>liche Intelligenz, musikalische<br />

Intelligenz, körperlich-k<strong>in</strong>ästhetische Intelligenz, räumliche Intelligenz,<br />

<strong>in</strong>terpersonale Intelligenz <strong>und</strong> <strong>in</strong>trapersonale Intelligenz zum Umgang mit sich<br />

selbst – thematisiert Gardner die Problematik des „Abgr<strong>und</strong>es zwischen<br />

Fähigkeiten <strong>und</strong> Moral, der nicht e<strong>in</strong>fach außer Acht bleiben kann.“ „Bedrohungen<br />

von Moral <strong>und</strong> Anstand müssen entschieden abgewehrt werden.“ Wenn das also<br />

auch unter Intelligenz zu verstehen ist, so hält Gardner moralisches Verhalten <strong>und</strong><br />

moralische Ziele für <strong>in</strong>telligent, weil mit ihnen gesellschaftlich hoch bewertete<br />

Aufgaben bewältigt werden können. Wobei nicht gesagt se<strong>in</strong> soll, dass es<br />

spezifischen kulturellen Kontexten obliegen kann zu def<strong>in</strong>ieren, was<br />

gesellschaftlich hoch bewertet wird, ohne Rückgriff auf allgeme<strong>in</strong>e <strong>und</strong><br />

übergeordnete Normen, wie die E<strong>in</strong>haltung der Menschenrechte unter Bezug auf<br />

alle Menschen <strong>und</strong> nicht nur mächtige oder herrschende Kategorien von<br />

Menschen 10 .<br />

Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> Frauen<br />

In der amerikanischen Verfassung heißt es:<br />

Alle Menschen s<strong>in</strong>d gleich geschaffen. Sie s<strong>in</strong>d von ihrem Schöpfer mit gewissen<br />

unveräußerlichen Rechten ausgestattet. Dazu gehört Leben, Freiheit <strong>und</strong> das<br />

Streben nach Glück.<br />

10 s. die Debatte über spezifische fernöstliche bzw. ch<strong>in</strong>esische Normen für Menschenrechte, mit<br />

denen nach dem Massaker an 3000 Studierenden auf dem Tiananmen-Platz (Platz des himmlischen<br />

Friedens) im Juni 1989 <strong>in</strong> Pek<strong>in</strong>g westliche Politiker ihr Nicht-E<strong>in</strong>treten für die Menschenrechte <strong>in</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a rechtfertigten.<br />

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In der Praxis war diese Aussage nicht für Frauen bestimmt, nicht für Männer, die<br />

Sklaven oder Dienstboten waren, nicht für e<strong>in</strong>geborene Amerikaner.<br />

Bis heute muss um die Selbstverständlichkeit gekämpft werden, Frauen als<br />

gleichwertige Menschen anzusehen, die Anwendung der allgeme<strong>in</strong>en<br />

Menschenrechte als selbstverständlich auf für die Kategorie Frauen anzusehen <strong>und</strong><br />

es als Verpflichtung von <strong>Gesellschaften</strong> zu sehen, für Frauenrechte zu sorgen.<br />

Es ist auch <strong>in</strong> den europäischen Ländern noch nicht allzu lange her, dass Frauen<br />

selbstverständliche Bürgerrechte wie das Wahlrecht, das Recht auf eigene<br />

Erwerbstätigkeit oder Freizügigkeit <strong>in</strong> f<strong>in</strong>anziellen Fragen nicht zugestanden<br />

wurden. In Ländern wie vielen islamisch geprägten Afrikas <strong>und</strong> des Nahen Ostens<br />

kämpfen Frauen um ihre Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> ihr Leben – e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>fordern von<br />

Menschenrechten oder bürgerlichen Freiheiten wird gar als absurd betrachtet (s.<br />

Afghanistan).<br />

Judith Lorber (deutsch: 1999 11 ) formuliert: „die großen Revolutionen der Modern <strong>in</strong><br />

Frankreich, Rußland <strong>und</strong> Ch<strong>in</strong>a haben die Klassenverhältnisse der Männer<br />

verändert <strong>und</strong> die Macht im Staat <strong>in</strong> die Hände von e<strong>in</strong>stmals unterdrückten<br />

Männern gelegt. Für die Frauen dieser neuen herrschenden Klassen, die diese<br />

Revolutionen aktiv mitgemacht hatten, endeten sie mit ihrer politischen<br />

Unterdrückung durch die Männer.“ (S. 355)<br />

Gleichheit <strong>und</strong> Emanzipation der Menschen<br />

Was bedeutet es, wenn wir davon reden, dass Frauen im sozialen Leben <strong>und</strong> im<br />

Erwerbsleben gleichgestellt werden sollen? Nicht etwa, wie polemisch unterstellt<br />

werden kann, dass weibliche Individuen nicht entsprechend ihren Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

Neigungen, ihren Unterschieden <strong>und</strong> ihren <strong>in</strong>dividuellen Bedürfnissen behandelt<br />

werden sollten, sondern fortan nach „männlichen“ Anforderungen zu behandeln<br />

seien. Dies wäre nur die Umkehrung e<strong>in</strong>er stereotypen <strong>und</strong> nicht-<strong>in</strong>dividuellen<br />

Behandlung im Geme<strong>in</strong>wesen, das dem Primat der sensiblen Verfolgung von<br />

Menschenrechten ebenso wenig entsprechen würde wie die Frauendiskrim<strong>in</strong>ierung.<br />

Stattdessen kann die alte Forderung nach e<strong>in</strong>er „Emanzipation“, e<strong>in</strong>er Befreiung<br />

von Denk- <strong>und</strong> Handlungszwängen, erhoben werden. Diese beschrieb Charles<br />

Fourier, der 1837 der Schöpfer des Wortes „Fem<strong>in</strong>ismus“ war, mit dem Spruch: Der<br />

Grad der weiblichen Emanzipation ist das natürliche Maß der allgeme<strong>in</strong>en<br />

Emanzipation.<br />

In dem Maße, <strong>in</strong> dem Frauen sensibilisiert, ermutigt <strong>und</strong> aktiviert s<strong>in</strong>d, ihr Leben <strong>in</strong><br />

die eigene Hand zu nehmen <strong>und</strong> die Bed<strong>in</strong>gungen dieses Lebens mitzugestalten,<br />

wird auch die ganze Bevölkerung e<strong>in</strong>e befreite <strong>und</strong> bereichernde E<strong>in</strong>stellung<br />

erhalten. Gefordert s<strong>in</strong>d also <strong>in</strong> allen Lebensbereichen emanzipatorische<br />

Anstrengungen, die sowohl die Interaktion, das Zusammenleben, Kommunizieren,<br />

Kooperieren – also prozesshafte Aspekte – als auch gleiche Chancen durch die<br />

Gestaltung von politischen, gesellschaftlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Strukturen<br />

betreffen.<br />

11 Lorber, Judith <strong>Gender</strong> Paradoxien, Opladen: Leske <strong>und</strong> Budrich, 1999<br />

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