Als Vorbild das wilde Raubtier

Als Vorbild das wilde Raubtier Als Vorbild das wilde Raubtier

02.09.2014 Aufrufe

1 'ALS VORBILD DAS WILDE RAUBTIER' HELDENBILDER IM NIBELUNGENLIED UND VERWANDTEN DICHTUNGEN DES MITTELALTERS und ihre Instrumentalisierung in späterer Zeit (Jörg Füllgrabe) Die Umdeutung des mittelalterlichen bzw. völkerwanderungszeitlichen Nibelungenstoffes im Rahmen einer national orientierten Geschichtsauffassung bzw. Geschichtsschreibung, ist ein Phänomen insbesondere der nationalromantischen und in extremster Auslegung nationalistischen Geschichtsschreibung und -deutung im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Offensichtlich wurde in diesem Zusammenhang einerseits das Bedürfnis sich als gesellschaftlich-politisch zusammengehörig fühlender Gruppen nach einer möglichst alten -und nicht zuletzt eindrucksvollen! - Traditionslinie 'bedient, andererseits die gesellschafts- und systemstabilisierende Ausrichtung an idealisierten Vorbildern berücksichtigt. Die hiermit verbundenen katastrophalen Folgen zeigten sich einerseits bereits während der Instrumentalisierung des Stoffes im I. Weltkrieg, in noch viel größerem Maße jedoch - in quasi kumulierender Weise verknüpft mit anderen nationalsozialistischen 'Parametern' - während der NS-Zeit und dann insbesondere während des Zweiten Weltkrieges. 1 In diesem Zusammenhang lassen sich auch Tendenzen etwa der neueren Forschung nachvollziehen, die dem Werk eine so weitreichende Wirkung per se abzusprechen scheinen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Focus auf den Aspekt des 'Heldentums gelegt und damit eine vermeintlich sicher zu erweisendes Psychogramm 'germanischen' Selbstverständnisses evoziert wurde. Die Fragen, die gerade an das Nibelungenlied bzw. seine Rezeptionsgeschichte zu stellen wären, sind also durchaus nicht unkomplexer Natur. Ein nicht unwesentliches Problem innerhalb der Rezeption der sogenannten Heldenstoffe des Mittelalters scheint mir die Frage danach zu sein, wie der Held zu definieren ist. Daß diese Definition je nach chronologischem und politischem! Umfeld wandelbar ist, liegt auf der Hand. Gerade im Kontext jüngerer deutscher Vergangenheit wird dies an der Vereinnahmung des Nibelungenliedes als 'Nationalepos' 2 deutlich, schienen doch das auf den nationalen Aufbau und eine entsprechende Selbstvergewisserung hin orientierte 19. Jahrhundert, insbesondere aber die NS-Zeit mit ihrer grotesken Übersteigerung der Ansätze des 19. Jahrhunderts gleichwohl einen harten Kern dessen herausgearbeitet zu haben, was einen Helden bzw. heldisches Verhalten ausmacht. GRUNDFRAGEN ZUM 'GERMANISCHEN HELDENTYPUS' 1 vgl. hierzu etwa OTFRID EHRISMANN, Das Nibelungenlied. Epoche - Werk - Wirkung, München 1987, S. 254ff. 2 vgl. OTFRID EHRISMANN, Das Nibelungenlied in Deutschland - Studien zur Rezeption des Nibelungenliedes von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, München 1975; vgl. ders. Nibelungenlied und Nationalgedanke - Zur Geschichte und Psychologie eines nationalen Identifikationsmusters, in: Damals. Zeitschrift für geschichtliches Wissen, (11 u. 12/1980) S. 942-960/S. 1033-1046; (1 u. 2/1981), S. 21-35/S. 115-132

1<br />

'ALS VORBILD DAS WILDE RAUBTIER'<br />

HELDENBILDER IM NIBELUNGENLIED UND VERWANDTEN DICHTUNGEN DES MITTELALTERS und ihre<br />

Instrumentalisierung in späterer Zeit<br />

(Jörg Füllgrabe)<br />

Die Umdeutung des mittelalterlichen bzw. völkerwanderungszeitlichen Nibelungenstoffes im<br />

Rahmen einer national orientierten Geschichtsauffassung bzw. Geschichtsschreibung, ist ein<br />

Phänomen insbesondere der nationalromantischen und in extremster Auslegung nationalistischen<br />

Geschichtsschreibung und -deutung im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Offensichtlich wurde in<br />

diesem Zusammenhang einerseits <strong>das</strong> Bedürfnis sich als gesellschaftlich-politisch<br />

zusammengehörig fühlender Gruppen nach einer möglichst alten -und nicht zuletzt<br />

eindrucksvollen! - Traditionslinie 'bedient, andererseits die gesellschafts- und systemstabilisierende<br />

Ausrichtung an idealisierten <strong>Vorbild</strong>ern berücksichtigt. Die hiermit verbundenen katastrophalen<br />

Folgen zeigten sich einerseits bereits während der Instrumentalisierung des Stoffes im I. Weltkrieg,<br />

in noch viel größerem Maße jedoch - in quasi kumulierender Weise verknüpft mit anderen<br />

nationalsozialistischen 'Parametern' - während der NS-Zeit und dann insbesondere während des<br />

Zweiten Weltkrieges. 1 In diesem Zusammenhang lassen sich auch Tendenzen etwa der neueren<br />

Forschung nachvollziehen, die dem Werk eine so weitreichende Wirkung per se abzusprechen<br />

scheinen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Focus auf den Aspekt des 'Heldentums gelegt und<br />

damit eine vermeintlich sicher zu erweisendes Psychogramm 'germanischen' Selbstverständnisses<br />

evoziert wurde.<br />

Die Fragen, die gerade an <strong>das</strong> Nibelungenlied bzw. seine Rezeptionsgeschichte zu stellen wären,<br />

sind also durchaus nicht unkomplexer Natur. Ein nicht unwesentliches Problem innerhalb der<br />

Rezeption der sogenannten Heldenstoffe des Mittelalters scheint mir die Frage danach zu sein, wie<br />

der Held zu definieren ist. Daß diese Definition je nach chronologischem und politischem! Umfeld<br />

wandelbar ist, liegt auf der Hand. Gerade im Kontext jüngerer deutscher Vergangenheit wird dies<br />

an der Vereinnahmung des Nibelungenliedes als 'Nationalepos' 2 deutlich, schienen doch <strong>das</strong> auf den<br />

nationalen Aufbau und eine entsprechende Selbstvergewisserung hin orientierte 19. Jahrhundert,<br />

insbesondere aber die NS-Zeit mit ihrer grotesken Übersteigerung der Ansätze des 19. Jahrhunderts<br />

gleichwohl einen harten Kern dessen herausgearbeitet zu haben, was einen Helden bzw. heldisches<br />

Verhalten ausmacht.<br />

GRUNDFRAGEN ZUM 'GERMANISCHEN HELDENTYPUS'<br />

1 vgl. hierzu etwa OTFRID EHRISMANN, Das Nibelungenlied. Epoche - Werk - Wirkung, München 1987,<br />

S. 254ff.<br />

2 vgl. OTFRID EHRISMANN, Das Nibelungenlied in Deutschland - Studien zur Rezeption des<br />

Nibelungenliedes von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, München 1975; vgl. ders.<br />

Nibelungenlied und Nationalgedanke - Zur Geschichte und Psychologie eines nationalen<br />

Identifikationsmusters, in: Damals. Zeitschrift für geschichtliches Wissen, (11 u. 12/1980) S.<br />

942-960/S. 1033-1046; (1 u. 2/1981), S. 21-35/S. 115-132


2<br />

In gewissem Sinne lassen sich anhand gewandelter Überlieferungen geschichtlicher und sagenhafter<br />

Stoffe die Veränderungen innerhalb eines gesellschaftlichen Systems erkennen, aber auch<br />

Kontinuiäten konstatieren - oder doch zumindest <strong>das</strong>, was auf den ersten Blick dafür zu halten sein<br />

mag! Gerade <strong>das</strong> Phänomen des kriegerischen Germanen - wie es sich etwa in der Heldensage<br />

darzubieten scheint und in Verbindung mit dem Barbarenbild der Antike mehr oder minder<br />

unreflektiert bis in die Gegenwart transponiert wird - vermag wohl eine entsprechende Sicht bzw.<br />

Deutung 'germanischer Wesensart' im Sinne einer Betonung des brutal-gewalttätigen Wesenszuges<br />

geradezu herauszufordern - und in eine von der jeweiligen Position abhängigen subjektiv negativen<br />

oder positiven Wertung umzumünzen. So konnte etwa ein Sammelwerk Klaus von Sees durch seine<br />

Betitelung "Barbar, Germane, Arier" 3 entsprechende Konnotationen einerseits reflektieren und<br />

kommentieren, andererseits wohl auch herausfordern.<br />

Wir erkennen also ein hochkomplexes Bündel von Anforderungen an die Forschung über die<br />

Heldendichtung, die sich seit der denkbaren, jedenfalls immer wieder postulierten Entstehung der<br />

Gattung im germanischsprachigen Raum aus einer sozusagen als 'Proto-Heldendichtung'<br />

fungierenden, auf die dichterische Heraushebung der vorbildlichen heldischen Einzelleistung<br />

zentrierten Kleinform, die gemeinhin als 'Preislied' bezeichnet wird, mehr oder weniger deutlich<br />

ausprägte. 4 Doch die 'Preislieder' mit ihren einfachen, gewissermaßen selbstverständlichen<br />

Strukturen, deren frühe Anfänge wir, wie gesagt, bereits bei Tacitus belegt sehen, sind eben<br />

möglicherweise lediglich eine Quelle, aus der sich im Zuge einer sozusagen in Mehrdimensionalität<br />

mündenden weltanschaulichen Verkomplizierung im Verlauf etwa der völkerwanderungszeitlichen<br />

Ereignisse und vollends der Christianisierung die Form der späteren Heldenepik allmählich<br />

evolutionär entwickelte bzw. entwickelt haben könnte.<br />

Trotz der scheinbar durchaus repräsentativen Ansätze einer Deutung des germanischen<br />

Heldenbildes auf vermeintlich gesicherter Quellenbasis einer solchen Darstellung bzw. Wertung<br />

germanischer Charakterzüge 5 stellen sich, so scheint mir, immer wieder grundsätzliche Probleme:<br />

So finden wir uns etwa mit der Frage nach der Authentizität dieses 'Germanenbildes' bzw.<br />

germanischen Heldenbildes - und damit späterhin auch des Bildes der Deutschen - konfrontiert, da<br />

offenkundig gewisse Mechanismen bzw. Traditionslinien seit der Antike und später die - nach<br />

Meinung des Forschungskonsenses weithin unoriginäre - Fremdreflexion zu prägen scheinen. Die<br />

Frage nach der Verwertbarkeit der Aussagen aus fremder Feder ist jedenfalls immer nur in Zusammenhang<br />

mit dem Blick auf die etwa noch erkennbare frühe Selbstreflexion germanischer Völker<br />

und Menschen zu stellen.<br />

Gilt Heiko Ueckers Aussage "<strong>Als</strong> fraglich jedoch erscheint, welche Ereignisse wie und warum in<br />

die Sage eingegangen sind: politisch bedeutsame, die zusammengerafft und gedeutet in persönliche<br />

Konflikte umgewandelt werden, oder irgendwelche Ereignisse, denen in der Heldendichtung nur<br />

sekundäre Bedeutung zukommt." 6<br />

3 KLAUS VON SEE, Barbar, Germane, Arier, Heidelberg 1994<br />

4 Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß es aufgrund der mangelhaften Beleglage schwer zu beweisen<br />

sein dürfte, ob und in welchem Umfange diese hypothetische Kleinform überhaupt bestanden hat!<br />

5 so etwa WERNER BETZ, Deutsche Heldensage, in: Wolfgang Stammler (Hg.), Deutsche Philologie im<br />

Aufriss, Berlin 2 1957, Sp. 1468ff.; vgl. auch HEIKO UECKER, Germanische Heldensage, Stuttgart 1972, S.<br />

17f.<br />

6 HEIKO UECKER, Germanische Heldensage, Stuttgart 1972, S. 12


3<br />

Wenn wir diesen quasi 'evolutionären' Entwicklungsverlauf in der Tradierung von Heldenmotiven<br />

und -idealen akzeptieren, ließe sich wohl eine Herleitung bestimmter Elemente und spezieller<br />

Heldenbilder zumindest aus der Zeit der germanischen Völkerwanderung, des 'heroic age' der<br />

Germanen, wagen! Eine solche Anbindung an eine Zeit und Gesellschaft, in der wir nach<br />

allgemeiner Ansicht die Anfänge der germanisch-deutschen bzw. germanisch-nordischen<br />

Heldendichtung ansiedeln, legt eine Kontinuität für die Motive der Heldensage bzw. der<br />

Heldendichtung und ihres Personals bis ins Mittelalter des "ersten Feudalzeitalters" 7 nahe. Die<br />

Bezeugung heldischer Leistungen wird aber - zeitgenössisch jedenfalls! - vor allem auch Gegenstand<br />

von Preisdichtung gewesen sein, deren historischer Hintergrund die Taten der entsprechend<br />

besungenen Könige und Krieger der germanischen Früh- und vor allem der Völkerwanderungszeit<br />

bildeten, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß solche Preislieder bei gegebener Kontinuität<br />

der Herrschaft auch langhin mündlich weitergegeben werden konnten. So lassen sich im Blick auf<br />

<strong>das</strong> völkerwanderungszeitliche Heldenrepertoire auch 'einfache' - und zeitnahe! - Formen von<br />

'Heldendichtung' wahrscheinlich machen, in denen in dieser relativ weit zurückliegenden<br />

Vergangenheit der Held vielleicht noch nicht oder nicht nur sein exorbitantes Einzelschicksal<br />

vertrat - wie es in den literarischen Ausformungen oft genug erscheint, sondern traditionsbedingt<br />

auch eine <strong>Vorbild</strong>funktion für eine ganze standesübergreifende Gruppe einnahm. 8 So sicher aber<br />

einerseits die immer wieder mit mehr oder minder guter Begründung als eine Vorstufe der späteren<br />

Heldenepik herangezogenen Preislieder als Gattung identitätsstiftende Darbietungen zu werten sind,<br />

so nahe also eine Verbindung zur entstehenden Heldendichtung liegt, so naheliegend ist auch die<br />

Annahme, daß sie sich gerade auch in der Wertung des Helden von der Preisliedhaftigkeit, d.h. der<br />

Vorstellung von <strong>Vorbild</strong>haftigkeit, fortenwickelt hat!<br />

Gerade die germanisch-deutsche Heldensage durchlief jedenfalls in literarischer wie illiterarischer,<br />

in künstlerisch hochwertiger wie eher trivial-märchenhafter Ausprägung einen längere Überlieferungszeitraum,<br />

der seit der Völkerwanderungszeit durch eine allmähliche Veränderung der<br />

Gesellschaft und der damit verbundenen Veränderung der feudal-aristokratischen Vorherrschaft<br />

vom ersten bis zum zweiten Feudalzeitalter unterschiedlich geprägt war. Dennoch lassen sich im<br />

'Personalbestand' wie auch in den von diesen heldischen Protagonisten vertretenen Verhaltensmustern<br />

erstaunliche Kontinuitäten erkennen. Wichtig ist es bereits an dieser Stelle darauf zu<br />

verweisen, daß sich aber auch ebenso erstaunliche Modifikationen nachweisen lassen. 9<br />

Mögen die Darstellungen bzw. einzelne szenische Präsentationen vor allem Siegfrieds und Hagens<br />

eine entsprechende Deutung im Sinne von demonstrativer Exorbitanz vielleicht gerechtfertigt<br />

haben, so sind in der Überlieferung der mittelalterlichen germanischen Heldenstoffe jedenfalls auch<br />

Gestalten präsent, die sich zumindest mit der Umschreibung ihrer Taten als exorbitant der sich<br />

abzeichnenden Eindeutigkeit der Motivation dadurch entziehen, daß sie in ihrer kriegerischen<br />

Vorgehensweise als schwankend, vielleicht sogar zögernd dargestellt werden, und damit in ihrer<br />

7 In diesem Zusammenhang sei auf <strong>das</strong> Werk von MARC BLOCH "Die Feudalgesellschaft" (Frankfurt 1982)<br />

verwiesen<br />

8 Diese <strong>Vorbild</strong>funktion des heldischen Protagonisten wird etwa noch betont von HEIKO UECKER<br />

(Germanische Heldensage, Stuttgart 1972, S. 17)<br />

9 Dies gilt wohl auch ungeachtet der allgemein-kulturell vermittelten, d.h. im Sinne einer<br />

'germanisch-deutschen' oder besser europäischen Enkulturation tradierten Ideale eines Heldenbildes.


4<br />

Darstellung eine andere Art 'Psychologisierung' erfahren, als wir es in den Texten, in denen der<br />

'eindimensional' denkende und "exorbitant" agierende Held herausgestellt wird, erfahren! Neben<br />

dem bekannten Beispiel Rüdegers von Bechelaren, dessen historische Grundlage fraglich ist, ist es<br />

insbesondere die im selben Nibelungenlied eingebaute literarische Gestalt eben Dietrichs von Bern<br />

(= Theoderich des Großen), die sich erkennbar von der üblichen Darstellung des germanischen<br />

Helden zu unterscheiden vermag! Durchgängiges Darstellungskriterium des Berners ist ja eben<br />

nicht die ständige Bereitschaft zum - unprovozierten! - Kampf, sondern gerade im Gegenteil <strong>das</strong><br />

Zurückhaltende in seinem Charakter, <strong>das</strong> ihm bisweilen sogar den Vorwurf der Feigheit einträgt,<br />

dem er allerdings auch immer entgegenzuarbeiten strebt. Offenbar ist es so, daß der literarische<br />

Dietrich von Bern, der gemeinhin aus der historischen Gestalt des Ostgotenkönigs Theoderichs des<br />

Großen entwickelt gedacht erscheint, sich einer Stereotypisierung dadurch entzieht, daß er eben<br />

nicht den Erwartungshaltungen entspricht, die für den 'typischen' germanischen Helden allgemein<br />

gelten sollen.<br />

Das klassisch-germanische Heldenbild entspricht anscheinend einer unbedingten Bereitschaft zur<br />

kriegerischen Auseinandersetzung und entsprechend heroischer Bewährung vor dem Hintergrund<br />

eines rigiden Ehrbegriffs auch und besonders im Angesicht unlösbarer tragischer Konflikte - und sei<br />

diese Bewährung durch <strong>das</strong> damit verbundene Scheitern überschattet! Aus diesem Rahmen fällt, so<br />

denken wir, insbesondere der literarische Dietrich von Bern, den die frühe deutsche 'heroische'<br />

Dichtung und ebenso die eddische Lieddichtung des Nordens zunächst allerdings auch nicht im<br />

Sinne einer Hauptgestalt berücksichtigt. Immerhin ist es aber doch eben bemerkenswert, daß die<br />

Gestalt des Berners dann in die deutsche nibelungische Dichtung eingefügt wurde! Letzten Endes<br />

aber zog diese literarische 'Neben-Figur' offenbar in den frühen literarischen Rezipierungen der<br />

sozial dominierenden Kreise merkwürdig wenig Interesse auf sich, und kaum wegen der offiziellen<br />

kirchlichen Infragestellung, obwohl ihre historischen Wurzeln wie die anderer Figuren der alten<br />

Heldendichtung in die Völkerwanderungszeit zurückreichen. 10<br />

UNTERSCHIEDLICHE REZEPTIONSEBENEN DES HELDENIDEALS<br />

Allerdings hat sich gezeigt, daß die Tradierung von "Heldenbildern" nicht allein auf der Ebene einer<br />

- literarischen und illiterarischen - "Hochliteratur" adeliger Kreise erfolgte; so ist es unumgänglich,<br />

die denkbaren verschiedenen Ebenen des Transponierens dieser Stoffe und Bilder zu berücksichtigen,<br />

wie sie zumindest seit dem Spätmittelalter faßbar sind; eine soziale Komponente ist dabei<br />

unverkennbar. Hierbei wird auffallen, daß es insbesondere in der Zeit seit Etablierung der<br />

abgehobenen "französischen" höfischen Dichtung im mittelalterlichen deutschen Raum nicht mehr<br />

die gesellschaftlich dominierenden Kreise sind, in denen die entsprechenden Traditionen als<br />

dominantes laikales Kulturelement für uns sichtbar weitergegeben werden, sondern zunächst wohl<br />

eher der niedere Adel, aber auch <strong>das</strong> neuentstehende Bürgertum: Es handelt sich um Gruppen, die<br />

sich zumindest in den vom westlichen Kultureinfluß weniger erfaßten Landschaften, in latentem -<br />

auch kulturellem! - Widerspruch zum hohen Adel befanden, der seine (literarischen) <strong>Vorbild</strong>er<br />

zunehmend aus der benachbarten französischen Hochkultur bezog, denen wir eine mehr oder<br />

10 Daß gerade die Dietrichgestalt über die Archetypisierungen der 'konventionellen' Heldengestalten<br />

hinauszuweisen scheint, wird an dem Exil deutlich, daß der literarische Berner - ganz unheldisch - auf sich<br />

nimmt, um seine Getreuen zu retten, ohne daß es zu einer ernsthaften kämpferischen Bewährung gekommen<br />

wäre.


5<br />

weniger ausgeprägte Kultur-konservativere Grundhaltung attestieren können - im Gegensatz zur<br />

höfischen Elite. Dies konnte so weit gehen, daß schließlich <strong>das</strong> "einfache Volk", die 'Bauern' und<br />

'Geburen' - was immer diese Begriffe auch genau meinen mögen - zumindest in der Wiedergabe der<br />

Dietrich-Stoffe bis hin zu liedhaft kurzen Texten, die wohl den Charakter einer rückwärtsgewandten<br />

Utopie annahmen, und die sich wohl auch gegen die "klassischen" Traditionen und Traditionsträger<br />

der Heldendichtungen richtete, ein altes, positive besetztes Heldenbild, scheint es, transportierten<br />

und transponierten, <strong>das</strong> sich vermutlich sehr von den inzwischen höfischen Traditionen der<br />

gesellschaftlich führenden Adelsgruppen unterschied! 11<br />

Im Zusammenhang mit der Rezeption des Menschenbildes sowie der Rezeption grundsätzlicher<br />

Züge der germanischen Heldensage nimmt vor allem <strong>das</strong> Nibelungenlied bzw. die ihm verwandten<br />

nibelungischen Texte, in denen Dietrich eine wichtige, wenngleich nicht ursprüngliche Rolle spielt,<br />

eine herausragende Position ein, wie sich unter anderem an der mannigfaltigen Bearbeitung des<br />

Stoffes im Laufe des Mittelalters über die frühe Neuzeit bis hin zur Rezeption und politischer<br />

Vereinnahmung - gerade auch in jüngerer Vergangenheit 12 - als sogenanntes "deutsches Nationalepos"<br />

ersehen läßt; auch die reagierenden Modifikationen nach Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

sind hierbei besonders interessant. 13 In diesem Zusammenhang ist es für uns besonders wichtig, daß<br />

die Gestalt Dietrich von Berns in Deutschland nachträglich in die nibelungischen Texte<br />

eingearbeitet wurde - aus Gründen, die zu untersuchen sind!<br />

Die erfolgten Wertungen bzw. Instrumentalisierungsansätze bereits im 18. Jahrhundert, aber auch in<br />

der Phase des späten 19. und vor allem auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts legten bei der<br />

11 Das heißt, es erscheint mehr als wahrscheinlich, daß die ehemals adeligen Wertvorstellungen offenbar in<br />

einen Bereich überführt wurden, in dem sei eigentlich gar nicht hätten gelten sollen, da <strong>das</strong> sozusagen<br />

autochthon adelige Prinzip des individualen Einzelkämpfers und mitunter tragischen Helden dadurch<br />

aufgehoben zu sein schien, daß an seine Stelle die Idee der (bürgerlichen) Gruppe und ihrer entsprechenden<br />

Gemeinschaftsleistung getreten waren. Dies gilt natürlich auch unter Hinblick auf die Veränderung der<br />

Waffentechnik und der Kampfesweise, die geprägt durch Feuerwaffen und Artillerie wohl kaum noch<br />

Raum für die heldische Bewährung bot! (Letztlich lassen sich entsprechende Tendenzen jedoch bereits viel<br />

früher beobachten, etwa im Zusammenhang mit dem Obsoletwerden der noch von Homer im Kontext der<br />

archaischen Griechen geschilderten Zweikämpfe durch die Etablierung der Hoplitenreihen.)<br />

Welche Mechanismen im Einzelnen hierfür auch ausschlaggebend waren; fest steht, daß sich auch und<br />

insbesondere im sogenannten bürgerlichen Zeitalter die Ausrichtung am Ideal der antibürgerlicharistokratischen<br />

Selbstbewährung feststellen läßt! Diese Funktion macht sich fest insbesondere an der Figur<br />

des strahlenden Helden Siegfried, der als lichtes Identifikationsmuster zu dienen vermochte, aber auch an<br />

seinem Gegenpol, dem düsteren Hagen, der mit Siegfried die gnadenlose Kampfbereitschaft gemein hat.<br />

Mochte der eine insbesondere in kriegerischen Situationen, die von erfolgreichen eigenen Angriffen gekennzeichnet<br />

waren, bemüht werden, konnte der andere als Modell des trotzigen Durchhaltens dienen - ohne<br />

daß die vollständigen Dimensionen der Charaktere, d.h., deren "psychologisierender" Facettenreichtum, in<br />

ebensolchem Maße rezipiert worden wären. In gewissem Sinne können wir von einer reduzierten Archetypisierung<br />

des Heldenbildes ausgehen, was insbesondere seine Instrumentalisierung - egal in welcher Hinsicht<br />

auch immer - ausmacht.<br />

12 vgl. in diesem Zusammenhang auch Jörg Füllgrabe, Dietrich von Bern als alternativer<br />

Heldenentwurf, in: FS für Otfrid Ehrismann, Hildesheim 2006<br />

13 Hierbei ist auch die Rezeptionsgeschichte des Epos nach 1945 von höchstem Interesse, da sich scheinbar<br />

objektive 'Gegentendenzen' in der Beurteilung des 'Helden' und des 'Heldischen' herauskristallisierten. In<br />

jüngerer Vergangenheit ist hierbei besonders an die Position Heinz Ritters (Ritter-Schaumburgs) zu denken,<br />

der in zwar trivialisierender Weise eine interessante Neo-Interpretation des Helden im Sinne übergreifender<br />

<strong>Vorbild</strong>haftigkeit liefert.


6<br />

Betrachtung der Heldendichtung im Allgemeinen und des Nibelungenliedes im Besonderen einen<br />

klar erkennbaren Akzent auf <strong>das</strong> Phänomen des Helden als einer Person, die im wesentlichen<br />

bewundernswerte kriegerische Selbstbestätigung demonstrierte, als jemand, mit dem man sich als<br />

Gruppe identifizieren konnte! Dabei ging es - ausgesprochen oder unausgesprochen - vor allem<br />

darum, die Rolle des "Helden" in der germanischen Vergangenheit als wesentlich für die Ausprägung<br />

einer eigenen nationalen Identität heranzuziehen - auch wenn in der Heldendichtung der<br />

Begriff der Nation bzw. des Nationalstaates überhaupt nicht vorkommt - und im Nibelungenlied<br />

beispielsweise zum Teil von längst verschwundenen Völkern (so etwa den Burgunden) die Rede<br />

ist! 14 Es bedurfte also auf jeden Fall kurzschlüssiger, schnellfüßiger gedanklicher Operationen, um<br />

zu den gewünschten ideologischen Ergebnissen zu kommen. Auf dem Wege dieser 'Selbstfindung'<br />

wurde <strong>das</strong> Heldenbild im Blick auf gern berufene epische Analogien im Sinne des griechischen<br />

"Nationalepos", der Illias, zum Medium eines möglichst weit in die Vergangenheit<br />

zurückprojizierten nationalen Selbstbewußtseins, zum Selbstbild also einer Nation, die einen<br />

genauen Begriff von sich selbst in der Vergangenheit - konkret im 'Nationalepos' suchte, und dies<br />

gilt nicht nur für Deutschland!<br />

HELDENSTEREOTYPEN<br />

Vor allem erscheint an den anspruchsvolleren längeren epischen Heldendichtungen des Mittelalters<br />

<strong>das</strong> bereits angesprochene "psychologische Element" bemerkenswert, <strong>das</strong> der "einfachen"<br />

Preisdichtung, die immer wieder genetisch mit der mit der "Normativik" der Heldendichtung<br />

verbunden wurde, 15 wohl weitgehend fehlte. Ein wesentliches inhaltliches Moment der eindrucksvollsten<br />

Helden-Dichtungen ist die unauflösbare Tragik, der die meisten der Protagonisten<br />

unterliegen. In gewissem Sinne wurde dieser Zug unter anderem von Andreas Heusler und Klaus<br />

von See herausgearbeitet. Hier ist in Reaktion auf die ältere, "normative" Forschung die Frage nach<br />

einer Neudefinition des "Helden" aufgeworfen, bzw. die notwendige Existenz eines vorbildlichen<br />

Helden zumindest zur Disposition gestellt worden. Es stellt sich mit Recht die Vorstellung von der<br />

"Einzigartigkeit" bzw. "Exorbitanz" des Helden ein, aber andererseits weiterhin die Frage, ob der<br />

sagenhafte Held in der Dichtung nicht doch eine politische <strong>Vorbild</strong>funktionen eingenommen hat,<br />

wie sie in der politischen Rezeption des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts ja geradezu<br />

symptomatisch angesehen wurde. 16 Nach Klaus von See erscheint der Held als "ein in der<br />

Geschichte handelndes, seiner selbst mächtiges Wesen. Uns so ist auch <strong>das</strong>, was am Helden<br />

fasziniert, vor allem die exorbitante Demonstration eben dieser Selbstmächtigkeit." 17 Im Unterschied<br />

zu dieser auf ein individualistisches, auf jeden Fall aristokratisches Weltbild verweisendes<br />

heldisches Individualistentum, <strong>das</strong> eher faszinierte als zur präzisen Nachahmung anreizen konnte<br />

und höchstens im übertragenen Sinne beispielhaft wirken mochte, setzte Gerd Wolfgang Weber auf<br />

ein kollektives Heldenbild. Demnach sei <strong>das</strong> heldische Handeln nicht allein gesellschaftlich<br />

bedingt, sondern wurzele geradezu in einem kollektiven Normensystem, so daß eine <strong>das</strong><br />

gesellschaftliche Gefüge erhaltende Funktion der Heldentaten notwendig anzunehmen sei. 18<br />

14 Den oben angedeuteten Gegentendenzen entsprechend, denen diese Aspekte suspekt waren, konnte<br />

durchaus auch eine Neagtividentifikation gemeint sein.<br />

15 Die Gattung der Preisdichtung, so unklar sie auch zu fassen sein mag, und so schlecht sie belegbar ist,<br />

wurde ja weiter oben als zumindest mit der Heldendichtung verwandt definiert.<br />

16 vgl. KLAUS VON SEE, Europa und der Norden im Mittelalter, S. 145ff.<br />

17 KLAUS VON SEE, Europa und der Norden im Mittelalter, S. 148<br />

18 vgl. GERD WOLFGANG WEBER, 'Sem komungr skyldi', S. 452f.


7<br />

Mögen - wie bereits erwähnt - die Darstellungen vor allem Siegfrieds und Hagens eine<br />

entsprechende, 'exorbitante' Deutung vielleicht auch noch gerechtfertigt haben, so sind in die<br />

Überlieferung der mittelalterlichen germanischen Heldenstoffe jedoch auch andere Gestalten bzw.<br />

Figurenentwürfe involviert, die sich zumindest mit der Umschreibung ihrer Taten als exorbitant der<br />

sich abzeichnenden Eindeutigkeit der Motivation dadurch entziehen, daß sie in ihrer<br />

kriegerisch-heldischen Handlungssweise als schwankend, vielleicht sogar zögernd dargestellt<br />

werden, und damit in ihrer Darstellung eine andere Art "Psychologisierung" erfahren, die eben<br />

nicht so eindeutig und 'geradlinig' ist, wie es insbesondere die Indienstnahme durch die<br />

nationalistische Geschichts- und Literaturforschung vorgaukelt, und sich somit einer einfachen<br />

Deutung erkennbar zu entziehen scheint! Neben dem bekannten Beispiel Rüdegers von Bechelaren<br />

ist es insbesondere die literarische Gestalt Dietrichs von Bern. Hier wird erkennbar von der<br />

üblichen stereotypisierenden Darstellung des germanischen Helden abgewichen! Dieses Heldenbild<br />

ist dadurch gekennzeichnet, daß es sich einer Stereotypisierung dadurch entzieht, eben nicht den Erwartungshaltungen<br />

entsprochen wird, die für den typischen germanischen Helden allgemein zu<br />

gelten scheinen.<br />

Das "klassisch-germanische" Heldenbild entspricht also offenbar nur scheinbar - und vor allem in<br />

seiner späteren politischen Ausbeutung! - dem unbedingten Willen zur kriegerischen<br />

Auseinandersetzung und entsprechend heroischer Bewährung vor dem Hintergrund eines Ehrenbegriffs<br />

- und sei diese durch <strong>das</strong> tragische Scheitern bestimmt! Aus diesem Rahmen fällt- wie<br />

bereits mehrfach angedeutet - insbesondere der literarische Dietrich von Bern, den die frühe<br />

literarische "heroische" Dichtung zunächst auch kaum im Sinne einer Hauptgestalt berücksichtigt.<br />

Immerhin ist es bemerkenswert, daß die Gestalt des Berners in die deutsche nibelungische Dichtung<br />

eingefügt wurde! Letzten Endes zog diese literarische Neben-Figur aber in den Rezipierungen der<br />

sozial dominierenden Kreise merkwürdig wenig Interesse auf sich. 19 Möglicherweise müssen wir<br />

im Blick auf Dietrich von Bern/Theoderich den Großen sowohl von den "klassischen" wie auch<br />

"modernen" Heldeninterpretationen als auch von dem seit der Antike immer wieder kolportierten<br />

einfachen Germanenbild Abschied nehmen bzw. dieses relativieren: Auch indem wir <strong>das</strong><br />

erschließbare (Selbst-)Bild der Germanen "revidieren" bzw. differenzieren! Es wundert im Blick<br />

darauf eigentlich nicht, daß es anscheinend auch eine letztlich untragische Heldendichtung und vor<br />

allem einen anderen Typus von Helden gegeben hat, als der Blick auf die "exorbitanten" Taten<br />

bekannter Heldendichtung erkennen läßt.<br />

Die 'Funktion' des bzw. eines bestimmten Heldenbildes<br />

Der Begriff der 'Germanischen Heldensage' wird als ein Erzählstoff 20 (bzw. als eine Rehe solcher<br />

Stoffe) mit einer Motivik verknüpft, die bis in die spätantike germanische Völkerwanderungszeit<br />

zurückreicht. Diese Zeit, im allgemeinen beginnt die Zählung mit dem Hunneneinbruch um 375 und<br />

endet mit der langobardischen Landnahme in Italien um 568, wird im Forschungskonsens als<br />

'heroic age' der Germanen bezeichnet. Es sollte sich demnach um eine bewegte Zeit gehandelt<br />

19 Daß gerade die Dietrichgestalt über die Archetypisierungen der "konventionellen" Heldengestalten<br />

hiauszuweisen scheint, wird an dem Exil deutlich, daß der literarische Berner - ganz unheldisch - auf sich<br />

nimmt, um seine Getreuen zu retten, ohne daß es zu einer ernsthaften kämpferischen Bewährung gekommen<br />

wäre.<br />

20 vgl. ROSWITHA WISNIEWSKI, Mittelalterliche Dietrich-Dichtung, S. 1


8<br />

haben, "die dem einzelnen zu mancher Bewährung Raum gab, ohne ihn durch festgefügte<br />

Organisation und Politik am Handeln zu hindern" 21 . Mit dieser Definition wäre eines der<br />

'heldischen Kriterien' durch ein Herausgehobensein aus den Netzen und Verpflichtungen des<br />

gesellschaftlichen Gefüges bestimmt; inwieweit diese Sicht der völkerwanderungszeitlichen<br />

Verhältnisse den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, läßt sich zwar im Detail sicherlich kaum<br />

nachprüfen, es ist allerdings fraglich ob es im realen 'heroischen Zeitalter' wirklich die von<br />

Roswitha Wisniewski postulierte absolute Freiheit des 'Tatenmenschen' gegeben haben kann. 22<br />

Bei alledem scheinen die Verbindungen der späteren Zeit in die germanische Vorzeit bzw.<br />

Völkerwanderungszeit nicht mehr so eindeutig (und "eindimensional") zu sein, wie dies die frühe<br />

Heldenmotiv-Forschung noch annehmen konnte. Offenbar gehörte es zwar zum Selbstverständnis<br />

der 'germanischen' Eliten späterer Zeit auch der Rückgriff auf die Verhältnisse bzw. die heroic ages<br />

der Völkerwanderung, die durch besondere Herausforderungen und Bewährungen geprägt<br />

möglicherweise eine Folie für die eigene, allmählich durch andere Wertmaßstäbe geprägte Zeit<br />

boten und eine Form der Selbstbestätigung durch die demonstrierte Kontinuität des Selbstbildes und<br />

der entsprechenden Verhaltensnormen mit sich brachten, daneben lassen sich freilich bereits frühe<br />

"Gegenströmungen" wahrscheinlich machen!<br />

So ist es naheliegend, daß im Verlauf der zunehmenden Feudalisierung insbesondere diejenigen<br />

Heldengestalten ausgewählt wurden, die sich aufgrund ihrer entsprechenden Taten als<br />

Identifikationsmodell einer auf elitären Bewährung hin orientierten Lebenswirklichkeit anboten -<br />

mehr als fraglich erscheint es aber, ob etwa <strong>das</strong> Scheitern des literarischen Helden in diesen Eliten<br />

als vorbildtauglich amgesehen wurde. 23 Heldische Bewährung, auch im Sinne einer sozusagen<br />

übermütigen, rücksichtslosen Kampfversessenheit, die in der alten feudalen Vorstellungswelt<br />

verwurzelt war - oder zumindest zu sein schien! -, mag hierbei ihren besonderen, zunehmenden<br />

Reiz für die Adeligen einer sich im Verlauf des Mittelalters vor dem Hintergrund eines<br />

ausgeprägten Ehren- und daraus folgenden Verhaltenskodex immer deutlicher abhebende<br />

Oberschicht besessen haben, wahrscheinlich ist sie aber immer deutlicher auch von klerikalen<br />

Kreisen - in Bezugnahme auf eben diese Ehrenvorstellungen - instrumentalisiert worden! Dies<br />

geschah möglicherweise auch im Zusammenhang mit bestimmten Varianten des miles christianus.<br />

In diesem Zusammenhang erscheint der kriegerische germanische Held der völkerwanderungszeitlichen<br />

Frühzeit bzw. <strong>das</strong> traditionelle Repertoire der Heldendichtung als Idealbild durchaus auch<br />

für die Adaption an spätere Verhältnisse tauglich, die scheinbar ganz andere Qualitäten<br />

einforderten.<br />

Hier nun stellt sich die grundsätzliche Frage, ob - bei Betrachtung der divergierenden Forschungspositionen<br />

- ein Entweder-Oder überhaupt nötig ist bzw. den divergierenden<br />

Überlieferungslinien gerecht wird! Gerade die hier hervorzuhebende literarische Gestalt der<br />

Heldendichtung, Dietrich von Bern, der historische Theoderich der Große, deutet darauf hin, daß es<br />

21 vgl. ROSWITHA WISNIEWSKI, a.a.O.<br />

22 So sollte gerade auch der Umstand, daß viele der heldischen Protagonisten der Überlieferung und Sage<br />

einem Adels- oder gar Königsgeschlecht entstammen, an der Vorstellung einer allzufreien<br />

'Selfmade-Gesellschaft' Zweifel rechtfertigen.<br />

23 Zu dieser Problematik sei auf die Fragwürdigkeit des Bildes nordischen Berserker verwiesen, die trotz -<br />

oder gerade wegen - ihrer rauschhaften Kampftüchtigkeit als gesellschaftlich eher zwiespältiges Phänomen<br />

angesehen wurden!


9<br />

durchaus neben der in der Forschung dominierenden Vorstellung auch ein anderes genuin germanisches<br />

bzw. möglicherweise doch auch (vor-)völkerwanderungszeitliches und folglich 'altdeutsches'<br />

bzw. 'altnordisches' Heldenbild gegeben haben kann, <strong>das</strong> aber auch einer anderen historischen Situation<br />

und anderen sozialen Verhältnissen entsprungen sein mag. Denkbar erscheint, wie ich<br />

meine, die - jedenfalls implizite - frühe Konkurrenz zweier Helden- bzw. Weltbilder im selben<br />

landschaftlichen Bereich, deren eines interessanterweise eben nicht den 'klassischen' Traditionen<br />

von Heroentum zu entsprechen scheint, ohne daß sie sich einfach mit späteren - etwa christlichen -<br />

Einflüssen in Verbindung bringen ließen!<br />

Im Blick zurück auf die alte Geltung des Preislieds einerseits und auf die zwiespältige<br />

Erscheinungsform der späten Heldendichtung andererseits scheinen die Ansätze, die wir anhand der<br />

Ausführungen Klaus von Sees und Gerd Wolfgang Webers exemplarisch dargestellt haben, in ihrer<br />

Ausschließlichkeit wenig gangbar, um die verschiedenen Helden(typen) in der literarischen<br />

Überlieferung vor dem Hintergrund der jeweiligen historischen Realität der verschiedenen Epochen<br />

und Landschaften zu erklären.<br />

So lassen sich etwa die historischen bzw. literarischen "Paare" Totila - Teja bzw. Siegfried - Hagen<br />

trotz ihrer unterschiedlichen Entwicklungen letztlich durch ihr tragisches Scheitern kennzeichnen,<br />

ihre "Funktion" bleibt jedoch weitgehend unklar. Ist hier der durch dichterische Bearbeitung<br />

überhöhte Versuch einer abgehobenen Feudalschicht zu sehen, eine Anleitung dafür zu geben, im<br />

Moment des unabwendbaren Todes "großartig" zu scheitern? Kann die heldische Unvernunft in<br />

christlicher Sicht als die Todsünde der Superbia gedeutet worden und damit eine Negativfolie<br />

gezeichnet worden sein? In jedem Falle scheint gerade diese Form letztlich hoffnungsloser<br />

heldischer Bewährung den Aspekt der Exorbitanz am weitgehendsten zu erfüllen!<br />

Für diese Tragik des "exorbitanten", heldischen Scheiterns bietet <strong>das</strong> Nibelungenlied mit dem<br />

Burgundenuntergang ein beeindruckendes - und genau besehen wenig ideologisierbares! - literarisches<br />

Beispiel. Das Scheitern als (<strong>Vorbild</strong>-)Wert für eine lebendige kriegerische Kultur<br />

erscheint jedenfalls nicht selbstverständlich; hierbei werfen sich Fragen auf, die bereits für <strong>das</strong><br />

Mittelalter gravierend gewesen sein müssen, ohne daß an dieser Stelle jedoch eine dem Typus der<br />

Heldendichtung, um die es hier geht, adäquate Antwort auf diese Fragwürdigkeit zu geben, die aber<br />

die Konstatierung einer Bewunderung des exorbitanten Standhaltens in einer ausweglosen Situation<br />

hinausweisen könnte. Wie aber etwa die Entwicklung auf eine "Doppel-" bzw. "Zweitversion" des<br />

Hildebrandsliedes zeigen kann, mag <strong>das</strong> tragische Scheitern bzw. tragische Auflösen einer -<br />

möglicherweise nur imaginär! - ausweglosen Situation bereits im Mittelalter nicht unwidersprochen<br />

geblieben sein! Im Blick auf die fortschreitende "Verbürgerlichung" der Heldenstoffe im weiteren<br />

Verlauf des Mittelalters und der frühen Neuzeit mögen diese Probleme noch viel drängender erschienen<br />

sein: So hat <strong>das</strong> spätere Mittelalter im Kontext seiner neuen Lebens- aber auch Produktionsweisen<br />

diese tragische-heroischen Spannungsbögen ideologisch offenbar nicht mehr<br />

ertragen wollen!<br />

Die Tragik des Nibelungenliedes ist jedoch ihrerseits wohlbemerkt durch den überlebenden Dietrich<br />

von Bern durchbrochen, von dem <strong>das</strong> Publikum wußte, daß er letztlich sein Reich zurückerobern<br />

würde! Diese literarische Gestalt, die trotz erkennbarer Mängel im weitesten Sinne menschlicher


10<br />

Sieger bleibt, hebt sich vom düsteren Personal des Epos ab - wie immer seine psychologische<br />

Situation beurteilt werden mag!<br />

Erwartungsgemäß lassen sich christliche Einflüsse auf die Rezeption des heldischen Personals eher<br />

als im sinne einer Schwarz-Weiß-Wertung erkennbar fassen. So bewirkt ein "christliche" Sicht des<br />

Nibelungenliedes eine über die Maßen positive Aufwertung der Gestalt der Kriemhild, während die<br />

Figur des Hagen von Tronje deutlich negativiert wird; hier läßt sich - neben anderem - etwa die<br />

Sünde der Superbia personalisieren, der Hagen dann sozusagen gerechterweise zum Opfer fällt.<br />

In diesem Zusammenhang fällt auch auf, daß im Laufe des Hochmittelalters die klassischen<br />

Heldenstoffe, die wir für die vorangegangene Zeit als durchaus verbindlich für die Ausprägung<br />

zumindest gewisser Züge des adlig-"germanischen" Selbstbildes ansehen wollen, ihre Bedeutung<br />

verlieren. Verdrängt wurden diese Stoffe in den entsprechenden Kreisen durch die französische<br />

Ritter-Epik, die einerseits zwar durchaus kriegerische bzw. kämpferische Ideale transportierte,<br />

andererseits jedoch durch den höfischen Grundton eher einer Verfeinerung des Lebensgefühls<br />

entsprach, <strong>das</strong> sich in den Kreisen des Hochadels durchzusetzen begann. Die entsprechenden Stoffe<br />

sanken in den Bereich des niederen Adels und des Bürgertums; sie fanden Verbreitung aber auch in<br />

bäuerlichen Kreisen, wo sich die Heldenstoffe wandelten und in Bezug auf die Dietrich-Thematik<br />

beispielsweise die märchenhafte Dietrich-Epik Platz greifen konnte. Möglicherweise haben wir<br />

gerade hier einen Zugang zu einer bereits im Mittelalter faßbaren Überlieferung und Rezeption der<br />

Dietrich-Gestalt, die diese - wie bereits gesehen - von den anscheinend gängigen Heldenbildern<br />

unterscheidet! Allerdings scheinen - und dies wird eben insbesondere in der modernen<br />

Rezeptionsgeschichte deutlich! - 'flächendeckender' Ideale von radikalem Kriegertum und eine<br />

unbedingte Todesbereitschaft tradiert worden zu sein.<br />

ANTAGONISTISCHE REAKTIONEN JÜNGERER FORSCHUNG<br />

Die berechtigte Kritik an diesen einseitigen Ansätzen und der entsprechenden Modellentwicklung<br />

hat nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings nicht eigentlich <strong>das</strong> Bild des germanischen 'Helden'<br />

differenziert oder modifiziert, sondern in genereller Tendenz die Unbrauchbarkeit des<br />

'Heldenbegriffs' für die genannten Zwecke, der als nationalistisch kontaminiert definiert wurden,<br />

nachzuweisen gesucht. Hierbei diente wiederum <strong>das</strong> Nibelungenlied und in dieser Dichtung<br />

insbesondere der heroische Untergang der Burgunden bzw. ihres Königtums als Ausgangspunkt,<br />

von dem aus man <strong>das</strong> Bild des 'Helden' stärker ausgesprochen oder unausgesprochen in<br />

vorstaatliche, barbarische Zusammenhänge rückte und zugleich eine "Exorbitanz" 24 herstellte bzw.<br />

definierte, die höchstens für eine zunehmend abgehobene Feudalschicht zum Handlungs-<strong>Vorbild</strong><br />

werden konnte - wobei die Frage unterblieb, ob es von Anfang an eine solche, exakt abzugrenzende<br />

soziale Schicht (Klasse, Stand) mit der Möglichkeit des offensiven, dichterisch beeindruckenden<br />

Bekenntnisses zur Rücksichtslosigkeit in den bzw. gegenüber den repräsentativen Gruppen der<br />

(germanischen) Frühzeit überhaupt gegeben hat.<br />

So scheint es auch für eine modernere Sicht symptomatisch zu sein, wenn vor über vierzig Jahren<br />

Heinz Rupp die germanistischen Positionen zur Heldendichtung zusammenfaßte: "Der Begriff<br />

Heldenepos erhält seinen Inhalt durch eine ganz bestimmte Blickrichtung des Forschers: die<br />

24 Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an die Position Klaus von Sees.


11<br />

Heldenepik beweist die Fortdauer germanischer Helden- und Kriegsethik hinein in <strong>das</strong> christliche<br />

Mittelalter; in ihr hat sich <strong>das</strong> Altheimisch-Heroische ins 13. Jahrhundert hinübergerettet; der<br />

germanische Mensch, die germanische Gefolgschaft, die germanische Ethik leben noch; man sucht<br />

und findet sie in eben dieser Heldenepik." 25 Bei Rupp sind frühe Tendenzen einer Relativierung des<br />

durch die traditionelle Forschung entworfenen und rezipierten germanischen Heldenbildes<br />

erkennbar, aber auch in der Berufung des Christentums bzw. des klerikal geprägten Weltbildes des<br />

13. Jahrhunderts der verdienstvolle Hinweis auf chronologische Entwicklungen innerhalb der<br />

mittelalterlichen Heldendichtung, die eben nicht nur germanische Adelsethik aufweist. Doch sind,<br />

auch wenn Rupp dies gar nicht intendierte, bestimmte Veränderungen des Menschen- bzw.<br />

Heldenbildes nur in einer Weise reflektiert, die immer noch eine ältere Einheitlichkeit voraussetzt,<br />

auch wenn die Forschungslage auch eine andere Wertung der Rolle des germanischen Helden<br />

notwendig erscheinen läßt. Chrono- und soziologische Veränderungen sind gewiß wie die<br />

Wandlung des Weltbildes allgemein für <strong>das</strong> Verständnis der Heldengestalt in der Heldendichtung<br />

von wesentlicher Bedeutung. Unsere Fragestellung zielt aber auf eine Infragestellung der immer<br />

noch mangelhaften Prämisse, daß es am Anfang ein einziges germanisches Heldenideal gegeben<br />

hätte.<br />

Es wundert daher nicht, daß es Texte gibt, die sich von dieser Position her nicht recht einordnen und<br />

verstehen lassen. Dies gilt insbesondere - wie bereits angedeutet - für die verschiedenen Dichtungen<br />

um die Figur Dietrichs von Bern! Es scheint demnach so, als müsse von einer differenzierteren<br />

Sicht des Helden bzw. der entsprechenden Bewertung heldischer Verhaltensweisen in der feudalen<br />

aber auch wohl 'bürgerlich-bäuerlichen' Gesellschaft des Mittelalters ausgegangen werden. 26 So<br />

erscheint es im Hinblick auch auf die seinerzeitige Bedeutung von literarischer Heldenüberlieferung<br />

und der Bewertung der Verhaltensweisen ihrer Protagonisten wesentlich vernünftiger, statt die<br />

unbedingten, verabsolutierenden Positionen auch und gerade der jüngeren Forschung und ihres<br />

implizierten Entweder-Oder zu akzeptieren, ein relativierendes Sowohl-<strong>Als</strong>-Auch anzunehmen!<br />

FAZIT<br />

Es ist zu beobachten, daß in der jüngeren Vergangenheit, d.h. der Zeit nach Ende des Zweiten<br />

Weltkrieges dabei im Falle des Nibelungenliedes 27 aber auch der Gestalt Dietrichs von Bern auch<br />

eine Diminuativierung in der entsprechenden Rezeptionen insofern zu beobachten ist, als gegenüber<br />

den großräumig argumentierenden Interpretationsansätzen, die die Heldenliedrezeption des 19. und<br />

frühen 20. Jahrhunderts erkennbar dominierten, quasi eine Art 'Provinzialisierung' bzw. 'Regionalisierung'<br />

der Gestalt Dietrich von Berns versucht wird. Dabei herrscht zwar immer noch erkennbar<br />

<strong>das</strong> Bestreben, eine Anbindung der gewissermaßen einer Rechtfertigung und Erklärung<br />

bedürfenden politischen Verhältnisse in der kleinräumigen Bundesrepublik an eine in relativ weiter<br />

Ferne liegenden Vergangenheit herzustellen; im Unterschied zu den raumgreifenden Ansätzen der<br />

älteren, politisch geprägten Rezeption wird jedoch eine 'provinzielle' Deutung der entsprechenden<br />

25 HEINZ RUPP, "Heldendichtung" als Gattung der deutschen Literatur des 13. Jahrhunderts, S. 228<br />

26 Bei der Ausprägung einer neuen Sicht des 'Helden' werden natürlich auch weitere gesellschaftlich-kulturelle<br />

Tendenzen eine Rolle gespielt haben, wie sie sich durch die Etablierung des Christentums<br />

belegen lassen.<br />

27 so Heinz Ritter(-Schaumburg), die Nibelungen zogen nordwärts, München 2 1984, der den<br />

Nibelungenstoff in den Großraum Soest und die angrenzenden Regionen transferieren will.


12<br />

Überlieferungen unternommen. Diese 'Lösungsvorschläge' im Hinblick auf die Genese der<br />

Dietrich-Gestalt weisen so kein faszinierendes geopolitisch-germanozentrisches<br />

Bedrohungspotential mehr auf, wie dies im üblichen historisierenden Rückgriff der<br />

nationalistischen Forschung und Politik auf die welterobernden germanischen Völker der<br />

Völkerwanderungszeit im Mittelmeerraum erfolgte, ebensowenig wie die kleinstdeutsche 'Bonner'<br />

Bundesrepublik, zu deren Vorgeschichtsbeschreibung etwa die Thidrekssaga als angeblich<br />

ursprünglich rheinisch-niederdeutsche Überlieferung gemacht wird! Es ist in diesem<br />

Zusammenhang also ebenso notwendig wie interessant, die entsprechenden (Forschungs-)Tendenzen,<br />

28 auch wenn sie in der wissenschaftlichen Diskussion nicht dominieren,<br />

kritisch zu hinterfragen! Das in der Dietrich-Überlieferung - und <strong>das</strong> gilt sowohl für die historischen<br />

als auch die märchenhaften Stoffe! - über einen weiten geographischen Raum, der sich zumindest<br />

von Süddeutschland bis nach Skandinavien erstreckt, transportierte Bild weist in jedem Falle<br />

deutlich über einen "König von Bonn" 29 hinaus! Die Anbindung an <strong>das</strong> der deutschen Sprachgrenze<br />

nahegelegene langobardisch-italische 'Bern'/Verona', an der weiterhin festzuhalten sein wird,<br />

eröffnet wohl gerade im Hinblick auf ein "alternatives germanisches Selbst- und Heldenbild" die<br />

richtigen Perspektiven - wie wohl auch andere als die bisherige Forschung, die die entsprechenden<br />

Fragestellungen in zu geringem Umfang interdisziplinär angegangen ist!<br />

Im Unterschied zu den (Überlieferungs-)Verhältnissen des Mittelalters, in denen beispielsweise in<br />

der 'volkstümlichen' Überlieferung die - recht oft in einen märchenhaften bzw. 'demokratisierenden'<br />

Kontext verbrachte - literarische Gestalt Dietrichs von Bern recht populär war, gewinnt <strong>das</strong><br />

Nibelungenlied, <strong>das</strong> in den spätmittelalterlichen Traditionssträngen vor allem im nicht-adelingen<br />

Umfeld offensichtlich weit weniger von Interesse war, in der Nationalideologie des 19. und vor<br />

allem dann des frühen 20. jahrhundert wieder an Bedeutung. Das 'vornationale' Werk wird in diesen<br />

Rezeptionen vor allem als 'Quasi-Steinbruch' für die eigene Traditionsfindung und eine Art<br />

überhöhter Selbstinszenierung genutzt. Aus diesem Grund mag die Forschungs-Haltung in der<br />

jungen Bundesrepublik nur zu verständlich erscheinen entweder durch eine 'Ent-Historisierung'<br />

oder aber Diminuierung 30 eine Entschärfung des so vorbelasteten Stoffes zu bewirken. Wie immer<br />

wird aber auch hier derlei Tendenzen gegenüber eine wohlbegründete Skepsis angebracht sein, vor<br />

allem dann, wenn aus der an sich wohlbegründeten Abkehr nationalistischen Ideologien gegenüber<br />

ein seinerseits ideologisch motiviertes Konstrukt wird, <strong>das</strong> keiner kritischen Überprüfung standhält!<br />

28 Neuerdings zusammengefaßt durch <strong>das</strong> 'Thidrekssaga-Forum', <strong>das</strong> unter seinem Vorsitzenden Reinhard<br />

Schmoeckel einen Sammelband unter dem Titel "Ein Niflungenreich in der Voreifel" (Bonn 2002)<br />

herausgegeben hat.<br />

29 So formuliert in dem Buch HEINZ RITTER(-SCHAUMBURGS), Dietrich von Bern, König von Bonn.,<br />

München 1985<br />

30 In diesem Zusammenhang sei wieder auf HEINZ RITTER(-SCHAUMBURG), Die Nibelungen zogen<br />

nordwärts, München 2 1984 verwiesen

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