Aktuelle Ausgabe komplett als PDF - Studi38
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Karriere<br />
Industrienationen liegt ein Vielfaches<br />
über dem dauerhaft beanspruchbaren<br />
Durchschnittswert von 1,9 Hektar pro<br />
Jahr und Kopf, das hat das Global Footprint<br />
Network errechnet. Der Fußabdruck<br />
gibt die Fläche der Erde an, die<br />
nötig ist, um die eigene Lebensweise<br />
dauerhaft zu ermöglichen. Würden wir<br />
so weiter machen, bräuchten wir zur<br />
Versorgung aller Menschen fast drei Erden.<br />
Unser Lebensstil baut auf der Summe<br />
aller unserer Handlungen auf. Wie<br />
viel ändern hierbei <strong>als</strong>o Bioobst und<br />
recycelte Handtaschen, wenn wir im<br />
Sommer in den Urlaub fliegen und dabei<br />
einen horrenden CO²-Ausstoß verursachen?<br />
Oder wenn die recycelte<br />
Handtasche meine dritte Handtasche<br />
im Schrank ist? Mit Hilfe des Heldenmarktes,<br />
der dieses Jahr in fünf Städten<br />
Deutschlands stattfindet, können Interessierte<br />
Wege zu einem nachhaltigeren<br />
Konsum- und Lebensstil einschlagen.<br />
Sie können aber auch einfach über<br />
den Durst konsumieren und die Wirtschaft<br />
ankurbeln. Schwieriger ist es<br />
mit dem kollektiven Fußabdruck. Gesellschaftliche<br />
Anforderungen, kollektive<br />
Wohlstandsansprüche und unsere<br />
Infrastruktur machen ein ökologisch<br />
verantwortbares Leben schwierig. Als<br />
Studierende sind wir zum Beispiel an<br />
Mobilität gewöhnt. So sind Heimat, Universitätsstadt<br />
und der Ort des zukünftigen<br />
Arbeitsplatzes selten dieselben.<br />
Auch die differenzierten Berufsfelder<br />
in unserer auf globaler Arbeitsteilung<br />
basierenden Gesellschaft veranlassen<br />
uns zu hohem Ressourcenverbrauch.<br />
Was <strong>als</strong>o tun? Zunächst mal weiterlesen.<br />
Denn der Nachhaltigkeitsforscher<br />
Dr. André Reichel hat studi38 im Interview<br />
verraten, was eine Postwachstumsgesellschaft<br />
ausmacht und wie der Weg<br />
dahin aussehen könnte. #<br />
„Die Postwachstumsgesellschaft<br />
kommt so oder so“<br />
André Reichel sieht enormes Potenzial zum<br />
Wandel bei den Unternehmen.<br />
Fotos: Architectuul, Privat<br />
Was halten Sie von grünem bzw. qualitativem<br />
Wachstum?<br />
Grundsätzlich ist damit ja gemeint, dass<br />
durch Investitionen in Umweltindustrien und<br />
Themen wie Energieeffizienz und erneuerbare<br />
Energien ein Wirtschaftswachstum ausgelöst<br />
wird, das gleichzeitig mit deutlich weniger<br />
Umweltverbrauch einhergeht. Grünes Wachstum<br />
hilft uns aber nicht wirklich zu einer Entkopplung<br />
von Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch.<br />
Denn auch wenn es gelingt,<br />
Produkte mit weniger Ressourceneinsatz zu<br />
produzieren, gibt es das Problem des sogenannten<br />
Rebound-Effekts.<br />
Das müssen Sie uns jetzt etwas genauer<br />
erläutern!<br />
Ein effizienteres Produkt hilft beim Ressourcenschonen<br />
und setzt damit Einkommen<br />
frei. Das erlaubt es dem Verbraucher, mehr<br />
von diesem oder einem anderen Produkt zu<br />
kaufen – so dass er am Ende paradoxerweise<br />
ebenso viele Ressourcen, wenn nicht noch<br />
mehr <strong>als</strong> ursprünglich, verbraucht. Man<br />
müsste die Entkopplungsvorstellung vielleicht<br />
gänzlich aufgeben.<br />
Sie sprechen sich dafür aus, für eine Postwachstumswirtschaft<br />
bestehende kapitalistische<br />
Mechanismen zu überdenken. Andere<br />
lehnen kapitalistische Perspektiven<br />
grundsätzlich ab.<br />
In der Diskussion um eine Postwachstumsökonomie<br />
fällt der betriebswirtschaftliche Aspekt,<br />
die Sichtweise der Unternehmen, immer hinten<br />
runter, weil viele Vertreter sehr grundsätzlich<br />
in politökonomischen Entwürfen denken.<br />
Genau hier liegt mein Forschungsinteresse:<br />
Was für eine Rolle spielen eigentlich Unternehmen<br />
und was bedeutet Postwachstum aus<br />
unternehmerischer Sicht?<br />
Sie gehen davon aus, dass besonders von<br />
den Unternehmen eine Veränderung ausgehen<br />
kann?<br />
Ein Stück weit ordne ich mich der substanziellen<br />
Postwachstumsrichtung zu, die die Akteure<br />
in den Mittelpunkt rückt und sich von allzu<br />
planerischen und verordnenden Lösungen abgrenzt.<br />
Daher sehe ich auch Unternehmen <strong>als</strong><br />
Teil einer größeren Bewegung von unten, die<br />
ja letztlich in einer Postwachstumswirtschaft<br />
oder -gesellschaft auch agieren müssen. →<br />
Dr. André Reichel ist Research<br />
Fellow für nachhaltiges<br />
Wirtschaften am European<br />
Center for Sustainability<br />
Research an der Zeppelin<br />
Universität am Bodensee. In der<br />
Vergangenheit stand er dem<br />
Forschungscluster `Nachhaltigkeit<br />
in der Produktion` der<br />
durch die Deutsche<br />
Forschungsgemeinschaft (DFG)<br />
geförderten Graduiertenschule<br />
für advanced Manufactoring<br />
Engineering in Stuttgart<br />
vor. Sein Interesse gilt der<br />
Postwachstumsforschung.<br />
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