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Aktuelle Ausgabe komplett als PDF - Studi38

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Campus<br />

Integrationsgespräch 2<br />

Samstag. Es ist tief in der Nacht und ich<br />

fahre ein Ehepaar um die 60 heim. Sie<br />

haben beim Einsteigen keine Probleme<br />

gehabt, was auf gute körperliche Verfassung<br />

schließen lässt. Die für diese späte<br />

Stunde charakteristische Alkoholfahne<br />

bei einem Großteil meiner üblichen<br />

Fahrgäste kann ich bei ihnen nicht ausmachen.<br />

Entweder sie sind starke Alkoholiker,<br />

die gut darin sind ihre Sucht zu<br />

verstecken oder sie sind nüchtern. Ich<br />

tippe auf letzteres. Insgesamt machen<br />

sie einen gepflegten, ja geradezu akkuraten<br />

Eindruck, sodass ich keine Zahlungsschwierigkeiten<br />

erwarte. Alles in<br />

allem verspricht es <strong>als</strong>o eine entspannte<br />

Fahrt zu werden. Recht schnell kommt<br />

es zu dem üblichen Ping-Pong-Gespräch:<br />

- Machen sie das hauptberuflich?<br />

- Hat sich schon einmal jemand in ihrem<br />

Auto übergeben?<br />

- Was verdient man so <strong>als</strong> Taxifahrer?<br />

Ich antworte beinahe ausschließlich<br />

wahrheitsgemäß, nur meinen studentischen<br />

Background verschleiere ich.<br />

Meistens führt die Nennung meines bildungstechnischen<br />

Status dazu, dass die<br />

Fahrerzunft am Ende <strong>als</strong> Arbeit zweiter<br />

Klasse degradiert wird. Dazu bin ich im<br />

Augenblick nicht in Stimmung.<br />

Es entsteht eine<br />

Pause, die mir<br />

nicht unangenehm<br />

ist, denn die wesentlichen Floskeln<br />

haben Erwähnung gefunden und<br />

allzu lange dauert die Tour auch nicht<br />

mehr. Allerdings wird die Phase der<br />

Ruhe durch die Frau unterbrochen: „Sagen<br />

Sie, wo kommen Sie denn her?“<br />

„Ich bin aus Salzgitter.“<br />

Daraufhin entgegnet sie: „Ja, aber wo<br />

sind sie ursprünglich her? Sie sind<br />

ja viel zu braun um aus Salzgitter zu<br />

kommen.“<br />

Ihrer Stimme schwingt etwas Undefinierbares<br />

mit, das mich in Alarmbereitschaft<br />

versetzt. Da ich bereits bei<br />

meinem studentischen Dasein gelogen<br />

habe und keine Lust habe, die Geschichte<br />

aufzutischen, in der meine<br />

Eltern rechtschaffende Altdeutsche waren,<br />

deren einziges Vergehen war, einen<br />

indischen Milchmann zu beschäftigen,<br />

entschließe ich mich bei der Wahrheit<br />

zu bleiben: „Meine Eltern sind aus der<br />

Türkei, wenn Sie das meinen. Sie haben<br />

sich hier niedergelassen, wo ich auf die<br />

Welt kam. Ich bin <strong>als</strong>o aus Salzgitter.“<br />

„Und, wie finden Sie es in Deutschland?“<br />

„Es gefällt mir hier ganz gut.“<br />

Erfreut sagt sie: „Ja, das merkt man. Sie<br />

sprechen auch sehr gut Deutsch.“<br />

„Danke. Ihr Deutsch ist auch gar<br />

nicht so übel,“ erlaube ich mir<br />

zu antworten, doch meine<br />

wohldosierte Spitze<br />

zieht an ihr vorbei,<br />

denn sie hakt ohne Umschweife nach:<br />

„Und? Wollen Sie irgendwann zurück?“<br />

„Zurück? Ich?“ frage ich nach, unsicher,<br />

ob sie meine Eltern oder mich meint.<br />

„Ja, in die Türkei. Wollen Sie irgendwann<br />

wieder zurück in ihre Heimat?“<br />

wiederholt sie. Ich bin genervt, wahre<br />

aber die Höflichkeit und versuche zu erklären:<br />

„Wir sind in Salzgitter, meiner<br />

Heimat. Hier ist es nicht immer rosig,<br />

aber ich fühle mich dennoch zuhause.“<br />

„Aber da ist das Wetter bestimmt viel<br />

schöner, vielleicht sollten Sie es sich<br />

überlegen, wieder zurückzukehren.“<br />

Ich bin auf einer naiven Weise der Meinung,<br />

dass sie es irgendwie gut meint,<br />

deswegen unternehme ich einen allerletzten<br />

Versuch, während ich das Fahrzeug<br />

in die Straße lenke, zu der sie wollen:<br />

„Bestimmt ist das Wetter in der<br />

Türkei wesentlich besser. Aber ‚zurückkehren‘<br />

passt in dem Zusammenhang<br />

nicht, weil ich ja nicht aus dem Land<br />

meiner Eltern komme.“<br />

Es folgt kurzes Schweigen, ich bringe<br />

den Wagen zum Stehen und nenne den<br />

Fahrpreis. Während sie aussteigt, zahlt<br />

er. „Ich würde es mir überlegen, da sind<br />

die Menschen bestimmt viel netter,“<br />

sagt er zum Abschluss<br />

und folgt seiner<br />

Frau. #<br />

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