Aktuelle Ausgabe komplett als PDF - Studi38
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Braunschweig | Wolfenbüttel<br />
Wolfsburg | Salzgitter | Suderburg<br />
<strong>Ausgabe</strong> 12<br />
Sommersemester 2013<br />
Frühlingsluft<br />
& Frühjahrsduft<br />
Auf den Spuren von Hormonen & Flirthelfern<br />
Bumerang HOK<br />
Über Ursachen & Folgen<br />
der HBK-Sparmaßnahmen<br />
Tiefenströme erreichen<br />
Thomas Steg über Lobbyismus, seine<br />
Karriere und die Bundestagswahl<br />
So Lieben wir!<br />
Von Beziehungsmodellen<br />
im Wandel der Zeit
Frühlingsgefühle<br />
kommen kaum auf …<br />
Bei den aktuellen Temperaturen<br />
auf den Campussen der Region.<br />
Besonders frostig geht es an der<br />
HBK zu. Dort liegen nicht nur die studentischen<br />
Flirtversuche, sondern auch<br />
der Haushalt auf Eis. Es bleibt die Frage:<br />
Sind Studierende unerwünscht oder<br />
wären Selbstzweifel angebracht? Wir sagen „Schluss mit Suchen!“,<br />
„Color up your Campus!“ und warten derweil unterm<br />
Zeichentisch. Denn jetzt ist Geisterstunde in Braunschweig<br />
und die Postwachstumsgesellschaft kommt so oder so.<br />
Viel Spaß beim Lesen!<br />
Holger Isermann<br />
TU Braunschweig, Redaktionsleitung studi38<br />
6<br />
Campus<br />
Bumerang HOK<br />
Sparmaßnamen an der HBK: Die Suche nach Gründen, Folgen und Lösungen<br />
36<br />
Wissenschaft<br />
Mr. & Mrs. Not-Quite-Right<br />
Von Beziehungsmodellen im Wandel der Zeit<br />
42<br />
Karriere<br />
Tiefenströme erreichen<br />
Thomas Steg über Lobbyismus, seine Karriere und die Bundestagswahl<br />
Inhalt<br />
Campus<br />
4 „Selbstzweifel wären angebracht“<br />
Zeichner Lukas Jüliger über seine Generation und sein Buchdebüt<br />
6 Bumerang HOK<br />
Die Sparmaßnamen an der HBK: Eine Suche nach Gründen, Folgen und Lösungen<br />
8 „Wir müssen das jetzt ausbaden“<br />
Stefanie Ponndorf (STUPA) über Lehrqualität und die studentische Stimmungslage<br />
9 „Das Land ist in der Verantwortung“<br />
Asta-Sprecher Jan-Phillip Schrader über studentischen Einfluss und Protest<br />
10 „Die HBK ist unteralimentiert“<br />
Präsident Hubertus von Amelunxen über Leuchttürme und die Zukunft der HBK<br />
11 Geisterstunde in Braunschweig<br />
Campus Historie: 1774 spukte es am Collegium Carolinum<br />
12 Festivalguide<br />
Ein Überblick über die regionale Festivallandschaft<br />
14 Studierende unerwünscht?<br />
Vom bisweilen harten Kampf um das Dach überm Kopf<br />
18 Outdoor-Paradies Harz?<br />
Das bietet Norddeutschlands höchstes Gebirge...<br />
22 Taxigespräche<br />
Zwei Erlebnisse eines Taxisfahrers mit türkischen Eltern<br />
24 Boxen vor dem K.O.?<br />
Die geplante Gebührenreform der GEMA und mögliche Folgen für das Nachtleben<br />
26 „Eine Gebührenerhöhung ist wahrscheinlich“<br />
Medienrechtler Jens O. Brelle über den Rechtsstreit zwischen GEMA und DEHOGA<br />
27 Frühlingszeit Pärchenzeit<br />
Er sagt, sie sagt<br />
28 Color up your Campus!<br />
Über kahle Hörsäle und die Sehnsucht nach Farbe<br />
Wissenschaft<br />
31 Frühlingsluft und Frühjahrsduft<br />
Auf den Spuren von Hormonen & Flirthelfern<br />
32 Wo kommen sie eigentlich her – die Frühlingsgefühle?<br />
Hormon-Experte Professor Helmut Schatz verrät es uns<br />
34 Die Anonyme Anmache<br />
Flirten ohne das Risiko der Zurückweisung: Die neuen Spotted- und Bibflirt-Seiten<br />
36 Mr. & Mrs. Not-Quite-Right<br />
Über Beziehungsmodelle im Wandel der Zeit<br />
39 Schluss mit Suchen!<br />
DLR und TU arbeiten an einem selbstparkenden Auto<br />
Karriere<br />
40 Silicon Valley<br />
Die Kolumne von Professor Reza Asghari<br />
41 Warten unterm Zeichentisch<br />
Moritz Gramming gewinnt Designwettbewerb für eine Bushaltestelle<br />
42 Tiefenströme erreichen<br />
Thomas Steg über Lobbyismus, seine Karriere und die Bundestagswahl<br />
44 Pünktlicher <strong>als</strong> die Bahn<br />
Emanuel Chmielarski setzt TU-Präsident Jürgen Hesselbach in Bewegung<br />
46 Was heißt nachhaltig leben?<br />
Eine Spurensuche auf dem Berliner Heldenmarkt<br />
47 „Die Postwachstumsgesellschaft kommt so oder so“<br />
Dr. André Reichel sieht enormes Potenzial zum Wandel bei den Unternehmen<br />
Schlussakkord<br />
49 Lieblings ... Album? Film? Buch?<br />
50 Die Sache mit dem Konjunktiv<br />
Kolumne<br />
9 Impressum<br />
3
Campus<br />
„Selbstzweifel<br />
wären angebracht“<br />
Lukas Jüliger’s jüngst erschiene Graphic Novel „Vakuum“ wird von Medien<br />
und Kritikern bejubelt. studi38 hat ihm Ausschnitte davon vorgelegt<br />
und wollte wissen, warum Erwachsenwerden so schwierig ist.<br />
Von Holger Isermann<br />
Deine Protagonisten stecken voller Selbstzweifel. Wie sehr spürst du solche Gefühle<br />
in unserer Generation?<br />
Warum gibt ausgerechnet ein an ein<br />
„Arschloch“ erinnernder Nabel der<br />
Welt den verlorenen Heranwachsenden<br />
Wärme und Halt?<br />
Meine Hauptberührungspunkte mit meiner Generation in den letzten zwei Jahren haben<br />
eigentlich auf verrauchten Tanzflächen stattgefunden. Da wirken die meisten Leute sehr selbstsicher.<br />
Aber das ist etwas sehr Individuelles. Insgesamt empfinde ich diese Generation aber <strong>als</strong><br />
sehr konzeptlos und Selbstzweifel wären eigentlich angebracht. Wir schwimmen.<br />
Auch die sexuell verrohte „Generation Porno“ findet seinen Platz in Vakuum. Dass<br />
schließlich der ganz normale, schüchterne Ben Fimming die Schulschönheit „in<br />
den H<strong>als</strong> fickt und sich umbringt“ klingt wie die Erfüllung einer von Pädagogen immer<br />
wieder vorausgesagten, jugendlichen Apokalypse. Willst du in deren Klagelied<br />
einstimmen?<br />
Um Himmels Willen! Nein! Das soll nicht nach Gejammer klingen. Von dem Klagelied war<br />
mir außerdem nichts bekannt. Ich singe nicht mit. Lea Shavano in den H<strong>als</strong> zu ficken, ist<br />
der Welt ins Gesicht zu spucken und das Leben auszusaugen, sich zu nehmen was man will.<br />
Ein nicht unproblematischer Gedanke, aber ein aufregender.<br />
„Arschloch“ und „Nabel der Welt“ sind<br />
deine Interpretation. Da gibt es inzwischen<br />
verschiedene. Für mich ist das in<br />
der Geschichte ein sehr persönlicher Ort.<br />
Das war er auch beim Schreiben. Und<br />
was ich so höre, wird er auch beim Lesen<br />
zu einem sehr persönlichen Ort, den man<br />
subjektiv erleben und eben ausschmücken<br />
und mit Bedeutung füllen kann. Deswegen<br />
möchte ich das auch gar nicht weiter<br />
ausführen und potenziellen Lesern das<br />
eigene Erleben mit meinen Gedanken einfärben.<br />
Ted Bundy antwortete vor seiner<br />
Hinrichtung auf die Frage, warum er all<br />
diese armen Frauen umgebracht hat, mit<br />
ganz ruhiger Stimme: „Because I liked it“.<br />
Das vielleicht zur Form. Ist das unpassend?<br />
Bestimmt.<br />
4
Campus<br />
Halt von den Eltern gibt es nicht. Sie sind Hassfiguren, die beim<br />
Spieleabend „über Scheiße lachen, die nicht lustig ist“, der Tochter<br />
„auf Titten und Arsch glotzen“ und am Ende in ihrer eigenen<br />
Magensäure sitzen, die einen verdaut, wenn man nicht davon<br />
läuft. Warum so vorwurfsvoll?<br />
Du hast Vakuum <strong>als</strong> Meditation über dich<br />
selbst bezeichnet. Wäre die Stimmung in einem<br />
Buch über deine Studienzeit ähnlich düster?<br />
Das weiss ich nicht, meine Studienzeit ist ja noch<br />
lange nicht vorbei. Würde ich die Zeit bisher<br />
in einer Geschichte einfangen wollen, wäre die<br />
Stimmung insgesamt vermutlich betrunkener<br />
und verstrahlter.<br />
Das ergibt sich ja aus der Story. Diese Passage braucht es, um den<br />
Charakter des Mädchens schärfer zu zeichnen. Die Magensäure ist außerdem<br />
eher <strong>als</strong> eine Form der Existenzangst zu verstehen. Fun fact:<br />
Tatsächlich gibt es sehr schreckliche Menschen auf diesem Planeten.<br />
Selbst die Liebe zwischen deinen namenlosen Protagonisten zeugt von<br />
Unsicherheiten, fehlenden Beziehungsvorbildern und Sprachlosigkeit. Ist<br />
denn nichts mehr klar?<br />
Deine Figuren haben Probleme, aber keine<br />
Lösungen. Sie leben weniger in <strong>als</strong> neben einer<br />
Welt und werden erst durch einen Amoklauf<br />
aus dieser befreit. Hast du irgendwo im<br />
Vakuum ein Fünkchen Hoffnung versteckt,<br />
das ich übersehen habe?<br />
Illustrationen: Lukas Jüliger, Foto: Tillmann Engel<br />
Das weiss ich nicht. Ich weiss nicht, ob es mal einen Moment der Klarheit gab.<br />
Wenn ja, war der wahrscheinlich vor meiner Geburt.<br />
Es kommt eine sehr niedliche Katze vor.<br />
Achja, und es ist eine Liebesgeschichte.<br />
Lukas Jüliger studiert Illustration an der Hochschule für Angewandte<br />
Wissenschaften in Hamburg. Nach einigen kürzeren Comics erschien<br />
mit „Vakuum“ vor kurzem sein Buchdebüt bei Reprodukt. Für die<br />
Arbeit an der düsteren Coming-of-Age-Geschichte hat der 25-Jährige<br />
sein Studium unterbrochen. Mehr Infos zu Lukas und seiner Arbeit<br />
gibt es unter: →www.laluq.de<br />
5
Campus<br />
Bumerang<br />
HOK<br />
(Hochschuloptimierungskonzept)<br />
Weil die HBK 2003 ein Sparprogramm des Landes mit Rücklagen<br />
gegenfinanzierte, anstatt es umzusetzen, steht sie jetzt vor<br />
einem strukturellen Defizit. Seit dem 21. April ist sie faktisch<br />
fremdverwaltet. Eine Suche nach Gründen, Folgen und Lösungen...<br />
Von Holger Isermann<br />
Lutz Stratmann ist ein Name, der<br />
den niedersächsischen Studierenden<br />
in nicht allzu guter Erinnerung<br />
bleiben wird. Der ehemalige<br />
Wissenschaftsminister hatte in seiner<br />
Amtszeit wenig (Geld) für die Wissenschaft<br />
übrig. Stattdessen beschloss Niedersachsen<br />
im Dezember 2005 unter<br />
seiner Federführung <strong>als</strong> erstes Bundesland<br />
die Einführung von Studiengebühren<br />
für das Erststudium. Gut zwei Jahre<br />
zuvor setzte er außerdem wie kaum<br />
einer seiner Vorgänger den Rotstift in<br />
der hiesigen Hochschullandschaft an.<br />
Als Hochschuloptimierungskonzept<br />
(HOK) verkauft, sollten Niedersachsens<br />
Hochschulen jährlich rund 50 Millionen<br />
Euro einsparen und gleichzeitig<br />
durch einen Zukunftspakt vor weiteren<br />
Kürzungen verschont bleiben. Ein<br />
vergiftetes Geschenk: Die Studierenden<br />
demonstrierten gegen Stratmanns<br />
„Hochschulvernichtungsprogramm“<br />
und die Hochschulen setzten es um –<br />
zumindest die meisten.<br />
Glaubt man einer der Redaktion vorliegenden<br />
Email von HBK-Präsident Hubertus<br />
von Amelunxen, hat die Hochschule<br />
die aktuell vom Ministerium für<br />
Wissenschaft und Kultur (MWK) geforderten<br />
Einsparungen selbst zu verantworten:<br />
„Ich bedauere diesen extremen<br />
Einschnitt außerordentlich. Er betrifft<br />
die gesamte Hochschule, gefährdet ihr<br />
jetziges Dasein, begründet sich gleichwohl<br />
in einer Personalpolitik, die seit<br />
2005 anstatt die gebotenen Einsparungen<br />
vorzunehmen, zusätzliches Personal<br />
eingestellt hat.“<br />
Insgesamt rund 450000 Euro jährlich<br />
sollte die HBK seit 2004 sparen und so<br />
schloss man zunächst, wie vom MWK<br />
vorgeschlagen, bis auf das Darstellende<br />
Spiel die Lehramtsstudiengänge. Doch<br />
schon ein Jahr später öffnete die Hochschule<br />
nach massiven Protesten wieder<br />
für werdende Lehrer ihre Pforten. Die<br />
angemahnte Zusammenlegung von Industrial-<br />
und Kommunikationsdesign<br />
ignorierte das damalige HBK-Präsidium<br />
unter Michael Schwarz ganz und konnte<br />
seinen hochschulpolitischen Alleingang<br />
bis zum Jahr 2008 aus Rücklagen<br />
finanzieren. Ab diesem Zeitpunkt mach-<br />
Foto: Matthias Langer<br />
6
Campus<br />
Mit dieser Traueranzeige haben<br />
die HBK-Studierenden in der<br />
Braunschweiger Zeitung auf ihre<br />
Situation aufmerksam gemacht<br />
te Niedersachsens einzige Kunsthochschule<br />
Schulden – nach Ministeriumsangaben<br />
insgesamt rund 2 Millionen<br />
Euro. Der für die damaligen Personalentscheidungen<br />
verantwortliche und<br />
mittlerweile pensionierte Hauptberufliche<br />
Vizepräsident (HVP) Gerhard Baller<br />
möchte sich heute nicht mehr zu den<br />
Vorgängen äußern. In seiner im letzten<br />
Sommer gehaltenen Abschiedsrede<br />
gibt er aber zu: „Heute stehen wir vor<br />
der schwierigen Situation, ein sich aufbauendes<br />
strukturelles Defizit abwenden<br />
zu müssen und das geht nur durch<br />
Strukturveränderungen, die wir zu einem<br />
viel früheren Zeitpunkt hätten entscheiden<br />
müssen.“<br />
Warum die Beamten am Leibnizufer<br />
der Braunschweiger Personalpolitik so<br />
lange tatenlos zusahen bevor sie jetzt<br />
die Reißleine zogen, bleibt wohl ihr Geheimnis.<br />
Erst am 18. Februar, einen Tag<br />
vor der offiziellen Amtsübergabe an Gabriele<br />
Heinen-Kljajic von den Grünen<br />
ging in Hannover schließlich das Schreiben<br />
in die Post, das die Kunsthochschule<br />
seitdem in Atem hält. Verantwortet<br />
hat es die damalige Wissenschaftsministerin<br />
Johanna Wanka, die mittlerweile<br />
im Kabinett von Angela Merkel<br />
für Bildung und Forschung zuständig<br />
ist. „Formal ist das richtig“, heißt es von<br />
einem Sprecher des MWK. Doch bereits<br />
seit August 2012 habe es mehrere Gespräche<br />
mit dem Präsidium der HBK gegeben.<br />
Dabei sei die HBK zu geeigneten<br />
Vorschlägen für die zukünftige finanzielle<br />
Planung aufgefordert worden.<br />
Es geht konkret um den zukünftigen<br />
Hochschulentwicklungsplan und jährliche<br />
Einsparungen von 900.000 Euro bei<br />
einem Gesamtbudget von etwas mehr<br />
<strong>als</strong> 14 Millionen Euro: 500000 Euro zur<br />
Beseitigung des strukturellen Defizites<br />
und temporär noch einmal 400000<br />
Euro zum Abbau der in den letzten Jahren<br />
entstandenen Schulden. „Bedauerlicherweise<br />
ist dies nur unzureichend<br />
erfolgt. Dem MWK blieb aufgrund des<br />
immer weiter steigenden Defizits nur<br />
übrig, in diesem Februar eine Wiederbesetzungssperre<br />
zu verhängen.“<br />
Faktisch kommt dies einer Fremdverwaltung<br />
gleich. Denn seit dem 18. Februar<br />
muss jede Entscheidung über<br />
Wieder- und Neubesetzungen einzeln<br />
vom MWK genehmigt werden. Das Ministerium<br />
versichert zwar, dass zumindest<br />
alle Lehraufträge und Vertretungen<br />
von Professuren für das Sommersemester<br />
"in vollem Umfang" genehmigt wurden.<br />
Doch Medienwissenschaftler Professor<br />
Rolf Nohr widerspricht: "Das<br />
kommt auf die Definition des vollen<br />
Umfangs an. Alle Verlängerungsangebote<br />
von denen ich weiß, hatten schlechtere<br />
Konditionen <strong>als</strong> die vorigen Verträge."<br />
Veränderte Konditionen bestätigt<br />
auch HBK-Sprecher Jesco Heyl. Laut<br />
Nohr werden Vertretungsprofessuren<br />
dadurch unheimlich unattraktiv, man<br />
schäme sich fast diese Kollegen anzubieten.<br />
"Solche Kürzungen funktionieren<br />
mit dem Kalkül, dass sich im Zweifelsfall<br />
natürlich irgendwo immer ein<br />
Wissenschaftler findet, der lieber für<br />
Dumpinglöhne, <strong>als</strong> gar nicht arbeitet.<br />
Das weiß auch das Ministerium."<br />
Bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern<br />
wird vom MWK "im Einzelfall entschieden,<br />
immer mit dem Ziel, die notwendige<br />
Lehre sicherzustellen.“ Was<br />
das bedeutet, bekommen gegenwärtig<br />
vor allem diejenigen zu spüren, bei denen<br />
eine Vertragsverlängerung ansteht.<br />
„Eigentlich hatte ich die Verlängerung<br />
schon seit Langem zugesichert bekommen<br />
– sogar per Präsidiumsbeschluss“,<br />
erzählt eine langjährige Mitarbeiterin.<br />
Auf mehrmalige Nachfrage hin hatte<br />
man ihr versichert, dass ihr neuer<br />
Vertrag in trockenen Tüchern sei. Erst<br />
durch die bereits zitierte Email des Präsidenten<br />
hat sie erfahren, dass sie wohl<br />
binnen einer Woche arbeitslos sein<br />
wird. Das Fazit: „Die Verträge sind verschleppt<br />
worden. Ich war da kein Einzelfall.“<br />
Der promovierten Wissenschaftlerin<br />
ist schließlich doch noch ein neuer<br />
Vertrag angeboten worden. Allerdings<br />
eine Teilzeitstelle, die von ihr selbst mit<br />
kostenlosen Lehraufträgen aufgefüllt<br />
werden sollte. Damit mixen sich an<br />
der HBK gerade die ohnehin prekären<br />
Arbeitsverhältnisse von wissenschaftlichen<br />
Mitarbeitern mit den Sparauflagen<br />
des Ministeriums zu einem für<br />
den Kunst- und Wissenschaftsstandort<br />
Braunschweig gefährlichen Cocktail.<br />
Wer der Planbarkeit beraubt ist, weil er<br />
nur Halbjahresverträge erhält, pendelt,<br />
anstatt umzuziehen. Das moderne Nomadenleben<br />
frisst aber große Teile des<br />
Gehalts und ist oft nur mit vollen Stellen<br />
zu finanzieren. Im konkreten Fall<br />
bedeutet dies die Arbeitslosigkeit – und<br />
für die Studierenden ein bekanntes Gesicht<br />
weniger. Wie viele Lehrende insgesamt<br />
noch um ihre Verträge bangen<br />
oder die HBK bereits verlassen haben,<br />
ist schwer zu durchschauen. Insgesamt<br />
hat nach Hochschulangaben mehr <strong>als</strong><br />
ein Drittel der in der Lehre Beschäftigten<br />
einen befristeten Vertrag.<br />
Neben den wissenschaftlichen Mitarbeitern<br />
sind zudem studentische Tutoren<br />
und Hiwis betroffen. Wie wichtig<br />
diese sonst wenig beachteten Helfer<br />
im Gefüge einer Hochschule sind, merken<br />
aktuell vor allem ihre Kommilitonen.<br />
Ein Beispiel: „In der Kunstwissenschaft<br />
werden alle Lehrveranstaltungen<br />
zwei Wochen nach hinten verschoben,<br />
weil noch kein einziger Tutorenvertrag<br />
unterzeichnet wurde. Das hat zur Folge,<br />
dass es keine Reader gibt und die<br />
Veranstaltungen nicht vorbereitet →<br />
7
Campus<br />
Demo-Videos<br />
→ is.gd/AStAHBK<br />
werden können“, betont Stefanie Ponndorf<br />
aus dem Studierendenparlament<br />
(Stupa). Auch Nohr spricht von chaotischen<br />
Wochen, weil Verträge zu spät<br />
und mit geringerer Stundenzahl unter-<br />
zeichnet wurden: "Das HBK-Gefüge ist<br />
Spitz auf Knopf genäht. Da hinterlässt<br />
jede noch so kleine Kürzung Spuren.<br />
Im Grunde ist uns ein Monat verloren<br />
gegangen." Die Studierenden jedenfalls<br />
sind verunsichert und wütend zugleich.<br />
Mit Protestmärschen und Todesanzeigen<br />
wollen sie auf ihre Situation<br />
aufmerksam und ihrem Ärger<br />
Luft machen. Asta-Sprecher<br />
Jan-Phillip Schrader fordert<br />
außerdem mehr Einfluss<br />
in der Debatte für seine Kommilitonen.<br />
(→Seite 9) Zusätzlich<br />
zu den unmittelbaren Folgen<br />
für das aktuelle Semester,<br />
stehen die entscheidenden Einschnitte<br />
sogar noch aus. HBK-Präsident von<br />
Amelunxen verrät im Interview (→Seite<br />
10): „Anstatt innerhalb der Studiengänge<br />
zu sparen und damit die Qualität<br />
in Lehre und Forschung anzurühren,<br />
werden wir Studiengänge auslaufen lassen<br />
oder zusammenlegen müssen.“ Wie<br />
ein Bumerang kehrt das HOK damit an<br />
den Johannes-Selenka-Platz zurück und<br />
trifft letztendlich einen Präsidenten,<br />
einige Professoren und Mitarbeiter sowie<br />
eine Gesamtheit von Studierenden,<br />
die sich erst Jahre später für die HBK<br />
entschieden haben. Dass niemand in<br />
Braunschweig und Hannover die Flugkurve<br />
beobachtet und gewusst hat, was<br />
sich da kreisförmig auf Niedersachsens<br />
einzige Kunsthochschule zubewegt,<br />
scheint wenig glaubhaft. Fest steht:<br />
Die Wissenden haben lange gewartet.<br />
Jetzt ist der finanzielle Bumerang zurück<br />
und trifft die gesamte HBK, die<br />
wie viele Hochschulen des Landes vor<br />
ihr wohl noch Jahre später unter dem<br />
HOK-Einschlag leiden wird. #<br />
„Wir müssen das jetzt ausbaden“<br />
Stefanie Ponndorf über Lehrqualität und die studentische Stimmungslage<br />
Von Eva Casper<br />
Die Braunschweiger Zeitung (BZ) hat vor<br />
kurzem geschrieben, es gehe nur noch um<br />
drei ungeklärte Lehrstellen. Klingt halb so<br />
schlimm...<br />
Es ging unter anderem um drei Professuren,<br />
das ist richtig. Aber es geht ja auch um die<br />
Mitarbeiter, die die Organisation und Lehre<br />
mitbetreuen. Insgesamt sind es 65 Stellen, die<br />
innerhalb des nächsten Jahres auslaufen. Das<br />
Ministerium verlangt von der HBK eine Rechtfertigung<br />
für jede von ihnen. Also jeder Hiwi,<br />
jeder Mitarbeiter muss dem Ministerium<br />
schreiben, warum er befähigt ist an der Hochschule<br />
zu arbeiten und was seine Aufgaben<br />
sind. Das ist ein riesiger Aufwand und hat<br />
dazu geführt, dass viele Lehrveranstaltungen<br />
zur Debatte stehen. Wir haben die Entscheidung,<br />
die dam<strong>als</strong> getroffen wurde nicht mitgetragen<br />
und müssen das jetzt ausbaden.<br />
Zeichnet sich denn in naher Zukunft eine<br />
endgültige Entscheidung ab oder läuft die<br />
Debatte noch bis ins Semester?<br />
Ich kann momentan nur von der Kunstwissenschaft<br />
sprechen. Dort werden alle Lehrveranstaltungen<br />
zwei Wochen nach hinten verschoben,<br />
weil noch kein einziger Tutorenvertrag<br />
unterzeichnet wurde. Das hat zur Folge, dass<br />
es keine Reader gibt und die Veranstaltungen<br />
nicht vorbereitet werden können.<br />
Lutz Röttger, der Leiter Studium und Lehre,<br />
forderte in der BZ die Einsparungen auch<br />
durch größere Seminare und mehr Vorlesungen<br />
zu erreichen. Wie steht ihr dazu?<br />
Dieser Punkt steht für uns nicht zur Debatte,<br />
weil er eine Minderung der Qualität der Lehre<br />
darstellt. Wir haben hier eben viele Studiengänge,<br />
die auf das Diskutieren von Texten, Bildern<br />
oder Filmen <strong>als</strong> Grundprinzip aufbauen<br />
oder – im Fall von Kunst und Design – einen<br />
sehr hohen praktischen Anteil besitzen. Weswegen<br />
eine Veranstaltung mit über 400 Leuten<br />
wie an der TU auch nicht gehen würde.<br />
Wie ist die Stimmung unter den Studierenden?<br />
Stefanie Ponndorf studiert<br />
Kunstvermittlung an der<br />
HBK und ist Vertreterin im<br />
Studierendenparlament (STUPA)<br />
Sie sind verängstigt, weil sie nicht wissen, was<br />
aus ihrem Studium wird. Viele befürchten,<br />
dass sie länger studieren müssen <strong>als</strong> geplant.<br />
Dann gibt es Studenten, die stark verunsichert<br />
sind und zum Teil sogar überlegen die<br />
Hochschule zu verlassen. Wir erfahren aber<br />
auch einen großen Zusammenhalt untereinander<br />
und bekommen viele Hilfsangebote. #<br />
Fotos: Ina Hengstler, privat<br />
8
Campus<br />
„Das Land ist in der Verantwortung“<br />
Jan-Phillip Schrader über wenig studentischen Einfluss und viel Protest<br />
Von Eva Casper<br />
Foto: Privat<br />
Jan-Phillip Schrader studiert<br />
Darstellendes Spiel und Kunstwissenschaft.<br />
Er ist Mitglied im<br />
HBK-Asta.<br />
Dass die HBK sparen muss, ist wohl unumgänglich.<br />
Wie sieht eurer Meinung nach<br />
eine vernünftige Strategie aus?<br />
Vor allem müssen Studierende deutlich mehr<br />
Einfluss in der Debatte haben. Sparpotenzial<br />
ist zwar insgesamt wenig vorhanden, doch<br />
gerade im Bereich der Mietobjekte muss man<br />
prüfen, was machbar ist. Eine schrittweise<br />
Kündigung aller auslaufenden Stellen, völlig<br />
unabhängig von ihrer tatsächlichen Funktion<br />
in der Hochschule, ist jedenfalls definitiv keine<br />
Möglichkeit!<br />
Hat sich durch die Finanzlage der HBK eure<br />
Meinung zu Studiengebühren geändert?<br />
Nein, das hat ja schließlich auch nichts mit-<br />
einander zu tun. Wir sehen nach wie vor das<br />
Land in der Hauptverantwortung qualitativ<br />
hochwertige Lehre und Ausbildung zu garantieren.<br />
Außerdem ist paradoxerweise einer<br />
der MWK-Zwänge, dass weder Drittmittel<br />
noch Studiengebühren zum Erhalt von Stellen<br />
verwendet werden dürfen.<br />
Wie sieht euer weiteres Vorgehen aus? Gibt<br />
es konkrete Pläne?<br />
Wir <strong>als</strong> Studierende werden weiter für den<br />
Erhalt der HBK kämpfen. Dabei versuchen<br />
wir uns gemeinsam mit dem Personal der<br />
Hochschule zu vernetzen. Unsere letzte größere<br />
Demo werten wir <strong>als</strong> Erfolg und werden<br />
versuchen, daran anzuknüpfen. #<br />
Impressum<br />
Herausgeber: BZV Medienhaus GmbH<br />
Hamburger Straße 277, 38114 Braunschweig<br />
Telefon: (0531) 39 00-0 # Telefax: (0531) 39 00-610 # E-Mail: info@bzv.de<br />
www.braunschweiger-zeitungsverlag.de # www.newsclick.de<br />
Persönlich haftender Gesellschafter:<br />
Verwaltungsgesellschaft Braunschweiger Zeitungsverlags GmbH<br />
Geschäftsführer: Harald Wahls<br />
Registergericht: Amtsgericht Braunschweig, HRA 6991<br />
Ust.-Ident.-Nr.: DE 114 88 11 13<br />
Die redaktionellen Inhalte dieser <strong>Ausgabe</strong> sind das Ergebnis<br />
eines Projektseminars der Abteilung Medienwissenschaften<br />
der Technischen Universität Braunschweig<br />
Redaktionsleitung: Holger Isermann (TU Braunschweig) V. i. S. d. P.<br />
Redaktion: Lina Beling, Raphael Berendes, Annekatrin Bock, Eva Casper, Sophie<br />
Dannenfeld, Manuel Dierkes, Lisa Habelt, Annika Heller, Holger Isermann, Ingo<br />
Kasseck, Stefanie Lipka, Claudia Malecka, Jessica Martensen, Elena Patzer, Simon<br />
Polatzek, Michaline Saxel, Elena Schade, Desiree Schober, Kristin Schulze, Muhtesin<br />
Sogukpinar, Agata Sulik<br />
Adresse: TU Braunschweig, Abteilung Medienwissenschaften<br />
Bienroder Weg 97, 38106 Braunschweig<br />
Telefon: (0531) 391-8961 # Telefax: (0531) 391-8963 # E-Mail: redaktion@studi38.de<br />
www.tu-braunschweig.de/medienwissenschaften<br />
Titelfoto: Florian Koch # Model: Julia Menze<br />
Objektleitung: Daniela Waltemathe<br />
Anzeigen: Michael Heuchert (verantwortlich)<br />
Koordination Vertrieb/Anzeigen: Katharina Heidmann<br />
Telefon: (0531) 3900-193 # Telefax: (0531) 3900-123<br />
Druck: braunschweig-druck GmbH, Ernst-Böhme-Str. 20, 38112 Braunschweig<br />
Auflage: ca. 10.000 Exemplare<br />
© BZV Medienhaus GmbH 2013<br />
Das Projekt studi38 wird freundlich unterstützt durch<br />
W A R U M N U R E I N E N B E R E I C H , W E N N S I E V I E L E<br />
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genauso wie unseren mehr <strong>als</strong> 5.500 Mitarbeitern – die Chance, sich in<br />
jeder Branche und auf jedem Gebiet weiterzuentwickeln. Ganz nach Ihren<br />
Vorstellungen. Und auch darüber hinaus. Investieren Sie mit uns in Ihre<br />
eigene Zukunft und nutzen Sie Ihre individuellen Karrieremöglichkeiten<br />
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FERCHAU Engineering GmbH<br />
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„Die HBK ist<br />
unteralimentiert“<br />
Präsident Prof. Dr. Hubertus von Amelunxen<br />
über Leuchttürme und die Zukunft der HBK<br />
Von Eva Casper & Holger Isermann<br />
Die Asta sagt bereits den Tod der HBK voraus,<br />
sollten die Sparmaßnahmen wirklich<br />
in voller Härte greifen. Ist es so schlimm?<br />
Das strukturelle Defizit der HBK beträgt seit<br />
2005 jährlich ca. 500000 Euro. Diese Summe<br />
ist einzusparen. Das nach Aufbrauchen der<br />
Rücklagen dann seit 2008 akkumulierte Defizit<br />
beträgt ca. 1.8 Millionen und muss ebenfalls<br />
sukzessive abgetragen werden. Das bedeutet<br />
aber keinesfalls den Tod der HBK.<br />
Die Missstände im Haushalt der HBK sind<br />
schon seit 2005 bekannt. Warum wurde so<br />
lange nichts unternommen?<br />
Das Defizit hat mehrere Ursachen. Die seinerzeit<br />
im Rahmen des Hochschuloptimierungskonzepts<br />
(HOK) des Landes Niedersachsen<br />
geforderten Einsparungen waren mit einer<br />
Summe von 450000 Euro für eine verhältnismäßig<br />
kleine Hochschule zu hoch und konnten<br />
nur zu kleinen Teilen erfolgen. Einige der „in<br />
Abgang“ zu setzenden Stellen sind zur Stärkung<br />
anderer Studiengänge benutzt worden.<br />
Die Kosten sind gestiegen, insbesondere die<br />
Gebäudeunterhaltungen. Die HBK wie auch<br />
die Musikhochschule in Hannover hatten im<br />
Verhältnis zu den anderen Hochschulen des<br />
Landes die geringste Progression seit 2005 in<br />
den jährlichen Landeszuweisungen. Die künstlerischen<br />
Hochschulen haben einen schweren<br />
Stand in Niedersachsen trotz ihres international<br />
hohen Ansehens. Die Versuche der HBK,<br />
zumindest die Hälfte der für das HOK einzusparenden<br />
Mittel erlassen zu bekommen,<br />
waren nicht erfolgreich. Die Hochschule für<br />
Musik, Theater und Medien hatte dam<strong>als</strong> offensichtlich<br />
überzeugendere Argumente.<br />
Wie steht es konkret um den momentanen<br />
Haushalt? Was sind die zentralen Ursachen<br />
für die schlechte finanzielle Lage?<br />
Nach dem Weggang des bis zum Sommer<br />
2012 amtierenden Hauptberuflichen Vizepräsidenten<br />
(HVP) hat es bis zum 2. April eine Vakanz<br />
gegeben. Die Vertretung der elementaren<br />
Position in der Leitung von Finanzen und<br />
Personal und die seitens des MWK gestellten<br />
Fragen zur Haushaltslage haben die o.g. Ursachen<br />
erst in ganzem Umfang zutage treten<br />
lassen, insbesondere im Personalbereich. Die<br />
HBK hat sich seit 1998 in den drei Bereichen<br />
der Kunst, des Designs und der Wissenschaften<br />
zu einer international sehr erfolgreichen<br />
künstlerischen und wissenschaftlichen Hochschule<br />
entwickelt, deren Grundlage, im Unterschied<br />
zu anderen Kunsthochschulen, die<br />
Gleichberechtigung aller Studienbereiche ist.<br />
Dafür waren Gelder erforderlich, welche die<br />
HBK objektiv nicht hatte und darin ist die<br />
maßgebliche Ursache zu finden. Umgekehrt<br />
gesagt, ist die Hochschule gemessen an ihren<br />
Ambitionen unteralimentiert. Das MWK hat<br />
im Februar 2013 eine Art Zwangsverwaltung<br />
und Wiederbesetzungssperre verordnet, wenige<br />
Wochen vor dem Eintreffen des neuen<br />
HVP, d.h. Verträge konnten nur mit Ausnahmegenehmigung<br />
verlängert werden.<br />
Welche Möglichkeiten hat die HBK noch,<br />
um die Sparmaßnahmen zu umgehen?<br />
Erhoffen Sie sich einen positiven Einfluss<br />
durch den kürzlichen Regierungswechsel?<br />
Wir werden nun geschlossen im Rahmen des<br />
seit 2005 überfälligen Hochschulentwicklungsplans<br />
einen entsprechenden Sparplan<br />
vorlegen. Die Sparmaßnahmen müssen aber<br />
strukturellen Entscheidungen folgen. Anstatt<br />
innerhalb der Studiengänge zu sparen und<br />
damit die Qualität in Lehre und Forschung<br />
anzurühren, werden wir Studiengänge auslaufen<br />
lassen oder zusammenlegen müssen.<br />
Eine Umgehung der Sparmaßnahmen halte<br />
ich für unrealistisch, ein Entgegenkommen<br />
allerdings für möglich. Die Wissenschaftsministerin<br />
Frau Dr. Heinen-Kljajic sprach kürzlich<br />
von Leuchttürmen in der Kultur. Als einen<br />
Leuchtturm hatte auch ich mit meinem Amtsantritt<br />
im Oktober 2010 die HBK bezeichnet;<br />
um derart zu leuchten, haben wir die künstlerischen<br />
und geistigen Entsprechungen, nicht<br />
jedoch den erforderlichen Haushalt.<br />
Im Rahmen des HOK wurde der HBK die<br />
Schließung der Lehramts- sowie die Zusammenlegung<br />
der Designstudiengänge nahe<br />
gelegt. Wird es dazu jetzt kommen?<br />
Der Lehramtsstudiengang ist seinerzeit geschlossen<br />
worden, später im Zuge der Bologna-Reform<br />
wieder eröffnet und nun seit dem<br />
WS 2012/13 nach erneuten Veränderungen in<br />
einem sehr guten Modell mit einer kleinen Fakultas<br />
ganz neu begonnen worden. Ebenfalls<br />
wird der Lehramtsstudiengang Darstellendes<br />
Spiel im Verbund mit vier anderen Hochschulen<br />
des Landes geführt. Gesellschaftspolitisch<br />
gehört die Ausbildung für das Lehramt zu<br />
den Kernaufgaben einer künstlerischen Hochschule.<br />
Die Ausbildung muss aus der künstlerischen<br />
Praxis heraus erwachsen, die nirgendwo<br />
im Land besser <strong>als</strong> in den künstlerischen<br />
Hochschulen gegeben ist. Wir werden nun sehen<br />
müssen, ob wir uns beide Studiengänge<br />
leisten können und auch die Design-Studiengänge<br />
werden geprüft. Neben den erforderlichen<br />
Einsparungen im Personalbereich wird<br />
es Einsparungen im Bereich der Liegenschaften<br />
geben müssen. Grundsätzlich werden<br />
sämtliche, strukturell verankerten Einsparungen<br />
auf eine Zeitschiene bis zum Jahr 2020 gelegt.<br />
Die Summe von 900000 Euro ist jährlich<br />
nicht zu erwirtschaften. Bereits durch die für<br />
das Jahr 2013 vorgelegten Einsparungen von<br />
ca. 500000 Euro sind starke Einbrüche in der<br />
Qualität der Lehre und Forschung die Folge. #<br />
Foto: Maria Boger<br />
10
Campus<br />
Campus<br />
historie<br />
Geisterstunde<br />
in Braunschweig<br />
1747 spukte es im Collegium Carolinum<br />
Von Lisa Habelt<br />
Foto: Stadtarchiv Braunschweig<br />
Man möchte meinen, Gespenster<br />
gibt es nur in Filmen und<br />
Büchern. Doch auch in der Geschichte<br />
unserer Stadt finden sich einige<br />
seltsame Begebenheiten. So spukte<br />
es in Braunschweig angeblich im<br />
Collegium Carolinum, der Vorgängerinstitution<br />
der heutigen Technischen<br />
Universität.<br />
Wissenschaftlich untersucht und auf<br />
109 Seiten unter dem Pseudonym Adeifidaimone<br />
veröffentlicht, wurde die mysteriöse<br />
Geschichte von Theologie- und<br />
Geschichtsprofessor Johann Christoph<br />
Harenberg, der die Vorgänge dam<strong>als</strong><br />
selbst beobachtet hatte. Er schreibt in<br />
seinen Aufzeichnungen: „Diese sonderbare<br />
Erfahrung kann in der Lehre von<br />
den Geistern von großem Nutzen sein “.<br />
Folgendermaßen soll sich die Geschichte<br />
zugetragen haben: Es war im<br />
Jahre 1747, <strong>als</strong> die Schattengestalt des<br />
verstorbenen Hofmeisters Melchior<br />
Dörrien die Schule heimsuchte. Mehrere<br />
Male wurde der Geist erst von Studenten<br />
und schließlich auch von Professoren<br />
und Mitarbeitern gesichtet.<br />
Da Dörrien einige Schulden zu seinen<br />
Lebzeiten nicht mehr beglichen hatte,<br />
konnte seine Seele nach dem Tod<br />
Im alten<br />
Collegium<br />
Carolinum trieb<br />
ein Gespenst sein<br />
Unwesen<br />
scheinbar keine Ruhe finden und versuchte<br />
durch das immer wiederkehrende<br />
Auftauchen auf dieses Versäumnis<br />
hinzuweisen. Es dauerte einige Zeit, bis<br />
schließlich herausgefunden wurde, dass<br />
sich noch Bilder in Dörriens Besitz befanden,<br />
die er vor seinem Tod bei einem<br />
Bilderhändler geliehen hatte. Erst <strong>als</strong><br />
seine Familie letztendlich die Schulden<br />
beglich und die Bilder dem Eigentümer<br />
zurückgab, konnte der Geist seine verdiente<br />
Ruhe finden und ließ sich nicht<br />
mehr im Collegium Carolinum blicken.<br />
Bis heute konnte das Auftauchen dieser<br />
rätselhaften Gestalt nicht logisch erklärt<br />
werden. Harenbergs Vorliebe für<br />
das Überirdische zeigt auch sein frühes<br />
Werk „Vernünftige und Christliche<br />
Gedancken Uber die VAMPIRS Oder<br />
Bluhtsaugende Todten“.<br />
Nachzulesen ist der Bericht heute<br />
noch im Braunschweiger Universitätsarchiv.<br />
Wer <strong>als</strong>o mehr über den Braunschweiger<br />
Geist erfahren möchte, kann<br />
unter →is.gd/unigeist selbst einen Blick<br />
in die inzwischen digitalisierten Aufzeichnungen<br />
werfen. #<br />
11
Campus<br />
Festivalguide<br />
Der Sommer kommt und mit ihm die Zeit der Festiv<strong>als</strong> – Musik, Sonne und <br />
gute Laune. Doch für gute Festiv<strong>als</strong> muss man nicht in die Ferne schweifen.<br />
studi38 verschafft euch einen kleinen regionalen Überblick:<br />
Von Michaline Saxel<br />
Deichbrand Festival<br />
Wo: Seeflughaven Cuxhaven<br />
Wann: 18.-21. Juli<br />
Preis: 99 €<br />
Infos: deichbrand.de<br />
Genre: Rock, Hip-Hop, Pop, Alternative,<br />
Independent<br />
Headliner: Casper, Kraftklub, Sportfreunde<br />
Stiller, Die toten Hosen<br />
North Coast Festival<br />
Wo: Norddeich<br />
Wann: 30. August<br />
Preis: Kostenlos<br />
Infos: facebook.com/<br />
northcoastfestival<br />
Genre: Hip Hop, Rock,<br />
Indie, Elektro<br />
Headliner: Razz, Adam Tensta<br />
Reload Festival<br />
Wo: Sulingen<br />
Wann: 5.-7. Juli<br />
Preis: 75 €<br />
Infos: reload-festival.de<br />
Genre: Metal, Hardcore,<br />
Punk<br />
Headliner: Motörhead,<br />
Hatebreed, Papa Roach<br />
Buchtipp<br />
Autorin Christine Neder hat 40 Festiv<strong>als</strong> in 40<br />
Wochen besucht: Zum Beispiel den Partystaat<br />
KaZantip, die spanische Gemüseschlacht La<br />
Tomatina und das Penis-Festival in Japan.<br />
Ihr Fazit: „Feiern ist fühlen. Sich selbst fühlen.“<br />
Serengeti Festival<br />
Wo: Schloss Holte Stukenbrock<br />
Wann: 19.-21. Juli<br />
Preis: 83,39 € mit Zelten,<br />
77,89 € ohne Zelten.<br />
Infos: www.serengeti-festival.de<br />
Genre: Rock, Pop, Alternative, Metal<br />
Headliner: Seeed, Broilers<br />
Fuchsbau Festival<br />
Wo: Hannover<br />
Wann: 16.-18. August<br />
Preis: 18 €<br />
Infos: fuchsbau-festival.de<br />
Genre: House, Electronica, Independent,<br />
Electroswing<br />
12
Campus<br />
Hurricane<br />
Wo: Scheeßel<br />
Wann: 21.-23. Juni<br />
Preis: 149 €<br />
Infos: hurricane.de<br />
Genre: Rock, Alternative, Independent, Electro<br />
Headliner: Arctic Monkeys, Rammstein, Queens<br />
Of The Stone Age<br />
Fusion Festival<br />
Wo: Lärz<br />
Wann: 27.-30. Juli<br />
Preis: 70 € zzgl. 10 €<br />
Müllpfand<br />
Infos: fusion-festival.de<br />
Genre: Elektro, Hip Hop, Jazz,<br />
Rock, Punk, Metal, Ska, Reggae …<br />
Was: Festival für Musik, Theater, Performance-<br />
Kunst und vieles mehr.<br />
Sommerloch Festival<br />
Wo: Braunschweig<br />
Wann: 13.-25. Juli<br />
Preis: Kostenlos<br />
Infos: www.sommerloch-bs.de<br />
Was: Bunte Kultur, Politik,<br />
Party, Sport, Freizeit, Medien und<br />
Kulinarisches<br />
Fährmannsfest<br />
Wo: Hannover<br />
Wann: 2.-4. August<br />
Preis: 15 €<br />
Infos: faehrmannsfest.de<br />
Genre: Rock, Alternative, Independent<br />
Headliner: Fiddlers Green, Monsters of Liedermaching<br />
Rock unter den Eichen<br />
Wo: Bertingen<br />
Wann: 26.-27. Juli<br />
Preis 34 €<br />
Infos: rockunterdeneichen.de<br />
Genre: Rock, Metal<br />
Headliner: Grave, Asphyx<br />
Holi Festival Braunschweig<br />
Wo: Braunschweig, Bürgerpark<br />
Wann: 15. Juni<br />
Preis: 15 €<br />
Infos: holi-braunschweig.de<br />
Was: In Anlehnung an das indische<br />
Frühlingsfest, das <strong>als</strong> eines<br />
der ältesten Feste überhaupt gilt. Mit<br />
Live Acts aus der elektronischen Musikszene.<br />
Kurzfilmfest Durchgedreht 24<br />
Wo: Braunschweig<br />
Wann: 28.–30. Juni<br />
Preis: 10 €<br />
Infos: durchgedreht24.de<br />
Was: Kurzfilmfestival zum selber<br />
mitmachen, Kamera eingepackt<br />
und los geht’s!<br />
Zytanien Open Air Festival<br />
Wo: Zytanien<br />
Wann 23.-25. August<br />
Preis: 29,00 €<br />
Infos: www.zytanien.de<br />
Genre: Independent, Alternative, Rock,<br />
Akustik<br />
Fotos: Schwarzkopf & Schwarzkopf, Nina Hüpen-Bestendonk, Jochen Melchior, Andreas Hebestriet, Zeitfixierer, jeweilige Veranstalter<br />
13
Campus<br />
Studierende<br />
unerwünscht?<br />
Vom bisweilen harten Kampf um das Dach überm Kopf<br />
Von Annika Heller & Agata Sulik<br />
Illustrationen: Annika Heller, Foto: Privat<br />
14
Campus<br />
„Es gibt eine gewisse Anspannung:<br />
Wohnraum in Braunschweig ist stark<br />
nachgefragt.“<br />
Stadtbaurat Heinz-Georg Leuer<br />
Antonio ist Erasmusstudent aus<br />
Spanien und kam im Winter<br />
nach Braunschweig. Er wollte<br />
für zwei Semester hier studieren und<br />
sich vor Ort um eine Wohnung kümmern.<br />
Die erste Nacht verbrachte Antonio<br />
mit einer Freundin im Hotel. „Am<br />
nächsten Tag erfuhr ich, dass es schwer<br />
werden würde hier ein Zimmer zu finden“,<br />
erklärt er. „Das Studentenwerk<br />
half mir nicht, weil ich mich zu spät<br />
meldete und auch die Universität konnte<br />
mir nicht weiterhelfen.“<br />
Nach einigen weiteren Nächten im<br />
Hotel konnte Antonio für ein paar Tage<br />
bei einem Bekannten, der im Urlaub<br />
war, unterkommen. Mittlerweile suchte<br />
er gemeinsam mit zwei anderen Erasmusstudierenden<br />
nach einer Wohnung.<br />
„Doch die Vermieter suchten alle Familien,<br />
keine Studenten-WGs und bei<br />
jeder Besichtigung gab es mindestens<br />
Hochschulstädte nach Höhe der<br />
durchschnittlichen <strong>Ausgabe</strong>n für<br />
Miete und Nebenkosten pro Monat<br />
Standort <strong>Ausgabe</strong>n für Miete<br />
München 348 €<br />
Hamburg 345 €<br />
Köln 333 €<br />
Berlin 298 €<br />
Wuppertal 297 €<br />
Hannover 285 €<br />
Marburg 279 €<br />
Braunschweig 273 €<br />
Göttingen 261 €<br />
Kassel 260 €<br />
Magdeburg 236 €<br />
Jena 233 €<br />
Dresden 223 €<br />
Chemnitz 210 €<br />
DSW/HIS 19. Sozialerhebung<br />
20 andere Bewerber.“ Nach einer Woche<br />
saßen die drei quasi auf der Straße.<br />
Wieder retteten sie persönliche Kontakte.<br />
Ein befreundetes Pärchen zog vorrübergehend<br />
zusammen, damit sie in ihrer<br />
Wohnung leben konnten – zu dritt<br />
in einem Zimmer. Nach vielen weiteren<br />
Besichtigungen gab die erste von ihnen<br />
auf und ging zurück nach Spanien.<br />
Erst zwei Monate später hat Antonio<br />
schließlich ein Zimmer im Studentenwohnheim<br />
bekommen und zieht ein<br />
ernüchterndes Resümee: „Wie mit mir<br />
umgegangen wurde, ist nicht gerecht<br />
für einen Ausländer, der die Sprache<br />
nicht kann und der nicht weiß, wie hier<br />
alles funktioniert.“ Antonios Geschichte<br />
ist womöglich ein extremes Beispiel<br />
für die Wohnungssuche in Braunschweig.<br />
Doch der Markt für günstige<br />
Wohnungen ist angespannt. Nicht nur<br />
in der Region, sondern deutschlandweit.<br />
Mittlerweile hat selbst die Politik<br />
den umkämpften Wohnungsmarkt<br />
<strong>als</strong> Wahlkampfthema für die kommende<br />
Bundestagswahl erkannt. Geplant<br />
sind unter anderem massive Bauprogramme<br />
und eine Beschränkung<br />
von Mieterhöhungen. Ob<br />
diese Maßnahmen tatsächlich<br />
umgesetzt werden und wann<br />
sie für Entspannung sorgen,<br />
bleibt offen. Klar<br />
ist: Wenn bezahlbarer<br />
Wohnraum eng<br />
wird, betrifft das<br />
auch Studierende.<br />
Zu Beginn des<br />
Wintersemesters<br />
lief beim AStA der<br />
TU Braunschweig<br />
deshalb die Aktion<br />
„Sofa-Frei“, bei der<br />
Studierende einen<br />
Schlafplatz für Erstsemester<br />
anbieten<br />
konnten, bis diese eine eigene Unterkunft<br />
gefunden haben.<br />
„Insgesamt konnten wir 40 Studierenden<br />
einen vorübergehenden Schlafplatz<br />
anbieten. Die Zahl der Bedürftigen<br />
dürfte aber weitaus höher liegen. Gerade<br />
ausländische Studierende haben oft<br />
Probleme auf dem Wohnungsmarkt, da<br />
viele Vermieter eine Bürgschaft fordern,<br />
die ausländische Studierende schwer erbringen<br />
können“, erklärt Anne Schicke<br />
vom AStA der TU. In der Verantwortung<br />
für die Wohnungsnot sieht Schicke<br />
auch die Niedersächsische Landesregierung.<br />
„Die Studentenwerke sind<br />
seit Jahren dramatisch<br />
unterfinanziert.<br />
Sie benötigen aber finanzielle<br />
Mittel, um<br />
neue Studenten- →<br />
15
Campus<br />
„Es gibt keine negativen Erfahrungen<br />
mit Studenten in unserem Wohnbesitz,<br />
nur Gründe, die dafür sprechen Studenten<br />
nach Salzgitter zu holen.“<br />
SZitty-Pressesprecher Günter Ott<br />
wohnheime bauen zu können. Das würde<br />
den gesamten Wohnungsmarkt entlasten<br />
und davon würden nicht nur die<br />
Studierenden profitieren.“<br />
Und tatsächlich: Auch das Studentenwerk<br />
Braunschweig bewertet die<br />
Wohnsituation in Braunschweig <strong>als</strong> angespannt.<br />
„Vor allem günstiger Wohnraum<br />
ist nur schwer zu finden. Beim<br />
Studentenwerk sind derzeit alle Wohnheime<br />
belegt. Auf der Warteliste stehen<br />
aktuell 400 Bewerber, wobei die Zahlen<br />
in ein paar Tagen schon wieder ganz anders<br />
aussehen können“, sagt Pressesprecherin<br />
Petra Syring.<br />
Was verwundert: Wirft man einen<br />
Blick in Zeitung oder Internet, findet<br />
man Wohnungsangebote zuhauf. „Insgesamt<br />
ist der Wohnungsmarkt im<br />
Gleichgewicht, wir haben im Mietspiegel<br />
keine sprunghaften Bewegungen“,<br />
betont auch Stadtbaurat Heinz-Georg<br />
Leuer. Das zeigt auch die Mietpreissteigerung<br />
der letzten Jahre. Im Vergleich<br />
zu anderen Großstädten ist sie eher moderat<br />
geblieben. Braunschweig taucht<br />
in der jährlich erstellten „F+B“-Studie<br />
Diese Zuschrift<br />
von Lisa Krusche<br />
war der Startschuss<br />
für unsere<br />
Recherche.<br />
→is.gd/LisaK<br />
(Forschung und Beratung für Wohnen,<br />
Immobilien und Umwelt GmbH) regelmäßig<br />
nicht unter den ersten 100 Städten<br />
auf, in denen die höchsten Mieten<br />
zu zahlen sind.<br />
Aber auch Leuer bestätigt, „dass<br />
es eine gewisse Anspannung gibt:<br />
Wohnraum in Braunschweig ist stark<br />
nachgefragt.“<br />
Und wenn ein Vermieter die Wahl<br />
hat, entscheidet er sich womöglich eher<br />
für das im Berufsleben stehende Paar<br />
<strong>als</strong> für die studentische Wohngemeinschaft.<br />
Doch woran liegt das?<br />
studi38 hat sich umgehört und von<br />
abenteuerlichen Zuständen und Fällen<br />
erfahren. Zwei Studenten rufen bei einem<br />
Vermieter an. Als dieser erfährt,<br />
dass sie eine Zweier-WG gründen wollen,<br />
wird ohne weitere Nachfragen<br />
aufgelegt. Wohnungen<br />
in schlechtem Zustand<br />
werden zu unangemessenen<br />
Preisen angeboten,<br />
weil Vermieter<br />
sich der schwierigen<br />
Lage der Studenten<br />
bewusst sind und das<br />
ausnutzen wollen.<br />
Ähnliche Erfahrungen<br />
hat auch<br />
Lisa Krusche gemacht:<br />
„Dreckig,<br />
laut, unzuverlässig.<br />
dauerpleite und mit einer latenten<br />
Zerstörungswut behaftet“, waren die<br />
Vorurteile, derer sie sich bei der Wohnungssuche<br />
ausgesetzt sah.<br />
Andere Studierende erzählten<br />
von einer Wohnungsbaugenossenschaft,<br />
die flächendeckend keine<br />
neuen Hauptmieter in ihre Mietverträge<br />
aufnimmt und damit vorhandene<br />
Wohngemeinschaften nach und<br />
nach aus ihren Immobilien drängt. Ein<br />
gesamter Wohnblock wird so angeblich<br />
für Studierende unzugänglich gemacht.<br />
Und in der Tat hat der damalige<br />
Eigentümer der Immobilie aufgrund<br />
schlechter Erfahrungen versucht die<br />
Bildung von WGs zu minimieren. Gründe<br />
seien „erhebliche Probleme mit den<br />
Vertragsbegebenheiten bei mehreren<br />
Mietern, ständiger Wechsel in der Bewohnerschaft<br />
und kaum Rückmeldung<br />
an den Vermieter.“ Dies hätte zu einem<br />
erhöhten Verwaltungsaufwand geführt,<br />
heißt es schriftlich auf Nachfrage. „Von<br />
dem Zustand der Mietsache nach Beendigung<br />
des Vertrages, der Mieternebenpflichten<br />
wie Treppenhausreinigung,<br />
etc. sowie Lärmbelästigung mal ganz<br />
abzusehen.“ Vor Kurzem hat die ‚Deutsche<br />
Wohnen‘ sämtliche Wohneinheiten<br />
übernommen und steht für einen<br />
Strategiewechsel. „Wir begegnen<br />
potenziellen Mietern diskriminierungsfrei.<br />
Solange<br />
die Miete regelmäßig gezahlt<br />
und das Mietrecht<br />
eingehalten wird, freuen<br />
wir uns auch über<br />
WGs in unseren Wohnungen“,<br />
erklärt die<br />
Leiterin der Unternehmenskommunikation<br />
Manuela<br />
Damianakis.<br />
Natürlich gibt es auch andere<br />
Privatvermieter sowie Genossenschaften,<br />
die kein rotes Tuch sehen,<br />
sobald Studierende bei ihnen<br />
eine WG gründen wollen.<br />
Zum Beispiel die Nibelungen<br />
Wohnbau<br />
GmbH. Sie bietet<br />
seit 2004<br />
sogar einen<br />
besonderen<br />
Studententarif an,<br />
bei dem Studenten<br />
Illustrationen: Annika Heller, Fotos: Privat<br />
16
Campus<br />
„Studierende haben sich <strong>als</strong> eine<br />
sehr zahlungssichere Zielgruppe<br />
herausgestellt. Die Ausfallquote<br />
liegt praktisch bei 0 Prozent.“<br />
Detlef Dürrast, Geschäftsführer Wohnbau Salzgitter<br />
25 Prozent Ermäßigung auf die Grundmiete<br />
bekommen. „Bei der derzeitigen<br />
Lage auf dem Braunschweiger Wohnungsmarkt<br />
mit wenigen Angeboten an<br />
kleineren, bezahlbaren Wohnungen ist<br />
eine Wohngemeinschaft eine Alternative,<br />
über die sich nachzudenken lohnt.<br />
Im Bereich der 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen<br />
gibt es nach wie vor ein deutlich<br />
größeres Angebot. Hier hat man<br />
die Möglichkeit, bei der Miete zu sparen,<br />
ohne lange auf eine freie Wohnung<br />
warten zu müssen“, erklärt Uwe Jungherr,<br />
der Ansprechpartner für das Kundenmagazin<br />
der Nibelungen. Auch die<br />
Genossenschaft SZitty in Salzgitter bietet<br />
spezielle Tarife für Studierende an:<br />
„Wir begrüßen Studenten in unseren<br />
Wohnungen. Salzgitter braucht junge<br />
Leute. Fast ein Drittel der dort lebenden<br />
Menschen sind über 60 Jahre alt“,<br />
erklärt Pressesprecher<br />
Günter Ott. Und<br />
überhaupt: „Es gibt<br />
keine negativen Erfahrungen<br />
mit Studenten<br />
in unserem<br />
Wohnbesitz, nur<br />
Gründe, die dafür<br />
sprechen<br />
Studenten<br />
nach Salzgitter<br />
zu holen.<br />
Das belebt<br />
die Stadt und<br />
führt zu neuen<br />
sozialen Kontakten<br />
in jedem Lebensbereich.“<br />
Die<br />
Wohnbau Salzgitter<br />
hat die werdenden<br />
Akademiker <strong>als</strong> Mieter<br />
schon seit Jahren im<br />
Blick und „überwiegend<br />
positive“ Erfahrungen mit<br />
Studierenden gemacht: „Sie haben<br />
sich <strong>als</strong> eine sehr zahlungssichere<br />
Zielgruppe herausgestellt. Die Ausfallquote<br />
liegt praktisch bei 0 Prozent. Erfreulich<br />
ist auch das Auftreten und das<br />
Verhalten in den Hausgemeinschaften,<br />
das funktioniert sehr vorbildlich“, erklärt<br />
Wohnbau-Geschäftsführer Detlef<br />
Dürrast.<br />
Also doch alles palletti auf dem<br />
Braunschweiger Wohnungsmarkt? Fest<br />
steht: Die Aussagen von Vermietern<br />
und Studierenden auf Wohnungssuche<br />
lassen sich nicht immer synchronisieren.<br />
Denn, wenn tatsächlich alle Vermieter<br />
gerne Studierende <strong>als</strong> Mieter<br />
aufnehmen würden, dürften für diese<br />
Wohnungssuche wohl kaum zur Zerreißprobe<br />
werden. Es gibt sie wohl, die<br />
Vorurteile, wie sie Lisa Krusche und anderen<br />
entgegegen gegenschlagen sind.<br />
Natürlich gibt es auch Vermieter, die<br />
Interessenten auf der Suche nach<br />
einer Wohnung unvoreingenommen<br />
begegnen und sie<br />
nicht in Schubladen einsortieren.<br />
Und: Die Löwenstadt<br />
ist nicht München<br />
oder Hamburg. Deutschlands<br />
Metropolen üben<br />
eben doch noch einen<br />
anderen Reiz aus <strong>als</strong><br />
unsere beschauliche<br />
Provinzstadt. Deshalb sind<br />
die Mieten hier im Vergleich<br />
zu anderen Großstädten<br />
bezahlbar und Notlager<br />
in Sporthallen oder campierende<br />
Studierende wird man<br />
wohl auch in Zukunft nicht zu<br />
Gesicht bekommen. Das bleibt<br />
jedenfalls zu hoffen.<br />
Denn eine Studentenstadt wie<br />
Braunschweig sollte sich werdenden<br />
Akademikern gegenüber besser<br />
einladend präsentieren, wenn<br />
sie es tatsächlich ernst meint mit Superlativen<br />
wie der höchsten Forschungsdichte<br />
Europas. Der lausige Studierende<br />
von heute ist schließlich der Wissensarbeiter<br />
von morgen und wird spätestens<br />
nach dem Abschluss zum umworbenen<br />
Standortvorteil. Sonst geht es Braunschweig<br />
am Ende, wie von Lisa Krusche<br />
angedroht: „Ich will mich nicht jedes<br />
Mal nach einem weiteren Suchversuch<br />
klein, wertlos und schlecht fühlen.<br />
Wenn es so weitergeht, Braunschweig,<br />
muss ich mich trennen. Andere Städte<br />
haben schöne Wohnungen …“ #<br />
17
Campus<br />
Outdoor-<br />
Paradies Harz?<br />
Der Harz – geografisch so nah am Campus. Trotzdem kennen viele Studierende nicht die Möglichkeiten,<br />
die das Mittelgebirge bietet. Liegt im Harz <strong>als</strong>o ein ungenutztes Potential zur Freizeitgestaltung oder ist die<br />
Region doch eher für die ältere Generation interessant? studi38 hat sich für euch dort umgesehen und die<br />
Angebote unter die Lupe genommen.<br />
Von Stefanie Lipka<br />
18
Campus<br />
Megazipline<br />
Hochseilgarten<br />
Fotos: TourismusMarketing Niedersachsen GmbH (TMN) / Peter Hamel, Johan G, badkleinkirchheim, Harzer Tourismusverband, Francis Lesage, Veranstalter<br />
An der höchsten Staumauer Deutschlands, der Rappbodet<strong>als</strong>perre,<br />
bietet die Megazipline Adrenalin pur. An zwei Stahlseilen<br />
mit einer Länge von 1000 Meter können Wagh<strong>als</strong>ige<br />
mit dem Kopf voraus über’s Tal fliegen und Spitzengeschwindigkeiten<br />
von 70 km/h erreichen. Der Flug kostet 39 Euro.<br />
Survival<br />
Survialkurse im Harz: Das heißt, Feuer<br />
machen ohne Streichhölzer, Trinkwasser<br />
und Essbares finden oder den Umgang<br />
mit Kompass und Karte lernen.<br />
Mountainbiking<br />
Paragliding<br />
Für Biker gibt es im Harz viele ausgeschilderte Routen und<br />
Bikeparks, die darauf warten, erkundet zu werden. Entlang<br />
der vorgegebenen Strecken laden zahlreiche Unterkünfte<br />
und Einkehrmöglichkeiten zur Erholung ein.<br />
Den Harz mit dem Gleitschirm von<br />
oben zu entdecken, verspricht fantastische<br />
Panoramen. Ein Tandemflug kostet<br />
in Bad Harzburg 40 Euro.<br />
Für Kletterer jeder Altersklasse gibt es fünf verschiedene<br />
Hochseilgärten im Harz. Der Skyrope Hochseilpark in<br />
Bad Harzburg gehört zu den größten und vielfältigsten<br />
in Deutschland. Zwei Stunden klettern kosten dort<br />
20 Euro pro Person.<br />
Tauchen<br />
Schneeschuhwandern<br />
Mit Schneeschuhen kann man im Winter<br />
fast wie Legolas über den Schnee<br />
laufen. In geführten Tourern oder allein<br />
lässt sich so der Harz erkunden.<br />
Tauchen im Harz? Aber sicher! Zahlreiche Stau- und Bergseen<br />
sind interessante Tauchziele. Zum Beispiel der Sundhäuser<br />
See, wo Tauchgänge zu versenkten Kutterwracks<br />
oder Schatzsuchen im Angebot stehen.<br />
19
Campus<br />
Downhill<br />
In insgesamt 4 Downhill-Parks können<br />
Biker sich im Harz austoben. Der Bikepark<br />
Braunlage bietet beispielsweise<br />
auf 7 Strecken 18 Kilometer Fahrspaß.<br />
Studenten bekommen die 5-points-Karte<br />
dort für 13 Euro.<br />
Bergsteigen<br />
Norddeutschlands höchstes Mittelgebirge<br />
bietet Klettersportlern zahlreiche<br />
interessante Routen. Die unterschiedlichen<br />
Gesteinsarten und Schwierigkeitsgrade<br />
richten sich an Anfänger<br />
wie auch Fortgeschrittene.<br />
Abfahrt<br />
Das größte Skigebiet im Harz ist der<br />
Wurmberg in Braunlage. Neben einer<br />
Seilbahn gibt es zahlreiche Lifte für die<br />
insgesamt 7 Abfahren. Aktuell werden<br />
hier 8 Millionen Euro investiert. Der<br />
Skipass kostet Studierende 22 Euro.<br />
Monsterroller<br />
Als Alternative zum Mountainbike bieten sich die Monsterroller an. Vom Wurmberg<br />
geht es auf den überdimensionalen Tretrollern mit großen Profilreifen rund<br />
5 Kilometer und 411 Höhenmeter hinab ins Tal. Der Preis von 15 Euro beinhaltet<br />
neben Roller und Helm auch die Seilbahnfahrt auf den Wurmberg.<br />
Wallrunning<br />
Alle, die Höhe lieben, können die<br />
Rappbodet<strong>als</strong>perre auch herunterlaufen.<br />
Der James-Bond-mäßige Abstieg<br />
am Sicherungsseil kostet 49 Euro.<br />
Fotos: Harzer Tourismusverband, Stefanie Lipka, Veranstalter<br />
20
AUSSTRAHLUNG<br />
AM 29.04.<br />
UM 18 UHR<br />
AUF STUDIO38.TV<br />
UND TV38<br />
Deine Diskussionsrunde<br />
Campus Talk<br />
AUSLANDSSEMESTER – WELCHE KONSEQUENZEN<br />
HAT DIES AUF MEINE BEZIEHUNG?<br />
Diskutiere mit Experten live am 16.04. um 18 Uhr<br />
Richard-Wagner-Str. 1–2 in Braunschweig!<br />
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Weitere Infos unter<br />
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Campus<br />
Taxigespräche<br />
Unser Redakteur Muhtesin studiert Lehramt an der TU und<br />
finanziert sein Studium <strong>als</strong> Taxifahrer. Weil seine Eltern aus<br />
der Türkei stammen wird der gebürtige Salzgitteraner kommt<br />
es dabei immer wieder zu Gesprächen über Herkunft, Heimat<br />
und Hautfarbe. Zwei erzählt er uns hier …<br />
Von Muhtesin Sogukpinar<br />
Integrationsgespräch 1<br />
Drei Jungs im besten Teenageralter steigen<br />
zu mir ins Auto und nennen eine<br />
Gegend <strong>als</strong> Bestimmungsort, die in meiner<br />
Branche einen eher zweifelhaften<br />
Ruf besitzt.<br />
Sie wechseln ein paar Worte in türkischer<br />
Sprache miteinander und nennen<br />
mir dann auf Deutsch das Fahrziel.<br />
Während ich das Fahrzeug durch<br />
den Verkehr lenke, werde ich eine Weile<br />
von meinem Beifahrer gemustert. Offensichtlich<br />
ist ihm meine Hautfarbe<br />
aufgefallen.<br />
„Entschuldigen Sie die Frage,“ richtet<br />
er das Wort an mich, „aber sind Sie<br />
Türke?“<br />
„Nein“, antworte ich wahrheitsgemäß<br />
und erwidere die Frage mit einem „Du?“<br />
„Ja“, nickt er, „und ich bin stolz darauf.“<br />
Er blickt mich herausfordernd an.<br />
Ich: „Du hast einen türkischen Pass?“<br />
Er: „Nein.“<br />
Ich: „Du bist in der Türkei geboren?“<br />
Er: „Nein.“<br />
Ich: „Aber ihr drei sprecht untereinander<br />
türkisch?“<br />
Er: „Nein. Wir sprechen deutsch. Zuhause<br />
mit unseren Eltern reden wir alle türkisch.<br />
Aus Gründen des Respekts.“<br />
Ich: „Na gut. Und in welcher Sprache<br />
denkst du?“<br />
Er (nach kurzem Grübeln): „Auf<br />
Deutsch.“<br />
Ich: „Okay. Wie ist das denn, wenn ihr<br />
in den Urlaub in die Türkei fahrt, hast<br />
du dann das Gefühl, dass die Menschen<br />
dich dort <strong>als</strong> Türke wahrnehmen?“<br />
Er: „Nein, für die bin ich Deutscher.“<br />
Ich: „Und wie oft warst du schon in der<br />
Türkei?“<br />
Er: „Fünf Mal. Wir fahren nicht so oft.“<br />
Ich: „Also halten wir mal fest: Du bist<br />
in Deutschland geboren. Du hast einen<br />
deutschen Pass. Du denkst in deutscher<br />
Sprache. Aber dennoch sagst du, du bist<br />
Türke, obwohl du dort <strong>als</strong> Fremder gesehen<br />
wirst. Hm. Irgendwie komisch,<br />
oder?“<br />
Er: „Das wurde mir so beigebracht zuhause.<br />
Und in der Schule sagten die<br />
Deutschen auch, dass ich Türke bin.“<br />
Ich würde ihm gerne sagen, dass er<br />
meiner Meinung nach nochmal in<br />
Ruhe darüber nachdenken sollte, was<br />
seine Heimat ist. Aber es ist schwierig<br />
auf unserer kurzen Wegstrecke ein<br />
solch komplexes Thema zu diskutieren.<br />
Stattdessen nenne ich den Fahrpreis,<br />
der anstandslos gezahlt wird und bleibe<br />
mit einem unbefriedigten Gefühl<br />
zurück.<br />
Illustrationen: Annika Heller<br />
22
Campus<br />
Integrationsgespräch 2<br />
Samstag. Es ist tief in der Nacht und ich<br />
fahre ein Ehepaar um die 60 heim. Sie<br />
haben beim Einsteigen keine Probleme<br />
gehabt, was auf gute körperliche Verfassung<br />
schließen lässt. Die für diese späte<br />
Stunde charakteristische Alkoholfahne<br />
bei einem Großteil meiner üblichen<br />
Fahrgäste kann ich bei ihnen nicht ausmachen.<br />
Entweder sie sind starke Alkoholiker,<br />
die gut darin sind ihre Sucht zu<br />
verstecken oder sie sind nüchtern. Ich<br />
tippe auf letzteres. Insgesamt machen<br />
sie einen gepflegten, ja geradezu akkuraten<br />
Eindruck, sodass ich keine Zahlungsschwierigkeiten<br />
erwarte. Alles in<br />
allem verspricht es <strong>als</strong>o eine entspannte<br />
Fahrt zu werden. Recht schnell kommt<br />
es zu dem üblichen Ping-Pong-Gespräch:<br />
- Machen sie das hauptberuflich?<br />
- Hat sich schon einmal jemand in ihrem<br />
Auto übergeben?<br />
- Was verdient man so <strong>als</strong> Taxifahrer?<br />
Ich antworte beinahe ausschließlich<br />
wahrheitsgemäß, nur meinen studentischen<br />
Background verschleiere ich.<br />
Meistens führt die Nennung meines bildungstechnischen<br />
Status dazu, dass die<br />
Fahrerzunft am Ende <strong>als</strong> Arbeit zweiter<br />
Klasse degradiert wird. Dazu bin ich im<br />
Augenblick nicht in Stimmung.<br />
Es entsteht eine<br />
Pause, die mir<br />
nicht unangenehm<br />
ist, denn die wesentlichen Floskeln<br />
haben Erwähnung gefunden und<br />
allzu lange dauert die Tour auch nicht<br />
mehr. Allerdings wird die Phase der<br />
Ruhe durch die Frau unterbrochen: „Sagen<br />
Sie, wo kommen Sie denn her?“<br />
„Ich bin aus Salzgitter.“<br />
Daraufhin entgegnet sie: „Ja, aber wo<br />
sind sie ursprünglich her? Sie sind<br />
ja viel zu braun um aus Salzgitter zu<br />
kommen.“<br />
Ihrer Stimme schwingt etwas Undefinierbares<br />
mit, das mich in Alarmbereitschaft<br />
versetzt. Da ich bereits bei<br />
meinem studentischen Dasein gelogen<br />
habe und keine Lust habe, die Geschichte<br />
aufzutischen, in der meine<br />
Eltern rechtschaffende Altdeutsche waren,<br />
deren einziges Vergehen war, einen<br />
indischen Milchmann zu beschäftigen,<br />
entschließe ich mich bei der Wahrheit<br />
zu bleiben: „Meine Eltern sind aus der<br />
Türkei, wenn Sie das meinen. Sie haben<br />
sich hier niedergelassen, wo ich auf die<br />
Welt kam. Ich bin <strong>als</strong>o aus Salzgitter.“<br />
„Und, wie finden Sie es in Deutschland?“<br />
„Es gefällt mir hier ganz gut.“<br />
Erfreut sagt sie: „Ja, das merkt man. Sie<br />
sprechen auch sehr gut Deutsch.“<br />
„Danke. Ihr Deutsch ist auch gar<br />
nicht so übel,“ erlaube ich mir<br />
zu antworten, doch meine<br />
wohldosierte Spitze<br />
zieht an ihr vorbei,<br />
denn sie hakt ohne Umschweife nach:<br />
„Und? Wollen Sie irgendwann zurück?“<br />
„Zurück? Ich?“ frage ich nach, unsicher,<br />
ob sie meine Eltern oder mich meint.<br />
„Ja, in die Türkei. Wollen Sie irgendwann<br />
wieder zurück in ihre Heimat?“<br />
wiederholt sie. Ich bin genervt, wahre<br />
aber die Höflichkeit und versuche zu erklären:<br />
„Wir sind in Salzgitter, meiner<br />
Heimat. Hier ist es nicht immer rosig,<br />
aber ich fühle mich dennoch zuhause.“<br />
„Aber da ist das Wetter bestimmt viel<br />
schöner, vielleicht sollten Sie es sich<br />
überlegen, wieder zurückzukehren.“<br />
Ich bin auf einer naiven Weise der Meinung,<br />
dass sie es irgendwie gut meint,<br />
deswegen unternehme ich einen allerletzten<br />
Versuch, während ich das Fahrzeug<br />
in die Straße lenke, zu der sie wollen:<br />
„Bestimmt ist das Wetter in der<br />
Türkei wesentlich besser. Aber ‚zurückkehren‘<br />
passt in dem Zusammenhang<br />
nicht, weil ich ja nicht aus dem Land<br />
meiner Eltern komme.“<br />
Es folgt kurzes Schweigen, ich bringe<br />
den Wagen zum Stehen und nenne den<br />
Fahrpreis. Während sie aussteigt, zahlt<br />
er. „Ich würde es mir überlegen, da sind<br />
die Menschen bestimmt viel netter,“<br />
sagt er zum Abschluss<br />
und folgt seiner<br />
Frau. #<br />
23
Campus<br />
Fotos: pixabay.com, Qiaochu Sun<br />
Boxen vor dem K.O.?<br />
DIE GEMA plant eine Gebührenreform, die Club- und Diskothekenbetreiber<br />
teuer zu stehen kommen könnte<br />
Von Raphael Berendes & Manuel Dierkes<br />
Jeder kennt es von uns – dieses Gefühl<br />
zu feiern. Die pure Ekstase bei<br />
beschallender lauter Musik bereitet<br />
ein Glücksgefühl. Dazu kommt der<br />
fließende Alkohol, der durch seine Wirkung<br />
jede Party noch einmal drastisch<br />
anheizt. Wenn man morgens aufwacht,<br />
wundert man sich, wie leer die eigene<br />
Geldbörse auf einmal ist. Doch bald<br />
könnte es uns noch viel schlimmer treffen,<br />
wenn die GEMA (Gesellschaft für<br />
musikalische Aufführungs- und mechanische<br />
Vervielfältigungsrechte) ihre Pläne<br />
zur Gebührenerhöhung tatsächlich<br />
umsetzt.<br />
Die GEMA verpflichtet jeden Veranstalter,<br />
Inhaber einer Discothek oder<br />
jeglichen Betreiber einer öffentlichen<br />
Veranstaltung mit verbreiteter Musik<br />
eine Abgabe zu zahlen, um diese an<br />
die Künstler und Produzenten weiterzuleiten.<br />
Kurz gesagt, bekommen Musikkünstler<br />
einen Verdienst für Ihre<br />
produzierten Werke. Dieser Kostenbeitrag<br />
richtet sich derzeit nach der Größe<br />
des Veranstaltungsraumes und der<br />
Höhe des Eintrittsgeldes. So errechnet<br />
sich beispielsweise der Kostenbeitrag<br />
einer Veranstaltung in einer Diskothek<br />
anhand der Größe des Raumes<br />
24
Campus<br />
je 100 Quadratmeter und des Eintrittsgeldes<br />
ab drei Euro in Ein-Euro-Schritten.<br />
Dazu kommen standardmäßig der<br />
GVL-Zuschlag (Gesellschaft zur Verwertung<br />
von Leistungsschutzrechten) sowie<br />
der Zeit- und Vervielfältigungszuschlag.<br />
Klingt kompliziert. Ist es auch. Deshalb<br />
forderten laut GEMA die Politik, die<br />
Öffentlichkeit und einzelne Verbände<br />
eine Lichtung des Tarifwaldes. Daraufhin<br />
wurden zehn zu zwei Tarifen<br />
zusammen gefasst. Einen<br />
Tarif für die Tonträgerwiedergabe,<br />
wie es in Diskotheken<br />
oder Clubs üblich ist und einen<br />
Tarif für Live-Konzerte,<br />
sofern Musikstücke von anderen<br />
Künstlern gespielt werden.<br />
Die Zusammenfassung<br />
der einzelnen Tarife bewirkt<br />
eine Vergünstigung für einzelne<br />
Veranstaltungen mit<br />
niedriger Raumgröße, aber<br />
gleichzeitig eine höhere Vergütung<br />
für viele andere, vor<br />
allem größere Veranstaltungen.<br />
Besonders drastisch sieht<br />
die Lage für Club- und Diskothekenbetreiber<br />
aus. Ihnen<br />
drohen Gebührenerhöhungen<br />
von bis zu 3500 Prozent,<br />
wenn man den Berechnungen<br />
des Deutschen Hotelund<br />
Gaststättenverbandes (DEHOGA)<br />
glaubt. Dieser wirft der GEMA vor, ihre<br />
„Monopolstellung für radikale Tarifreformen“<br />
zu missbrauchen. Die GEMA<br />
verteidigt sich und spricht weiter von<br />
Vergünstigungen für viele Veranstalter.<br />
Dieses Gebühren- und Argumentationsdickicht<br />
zu durchschauen ist schwer.<br />
Fest steht: Viele Veranstalter kritisieren<br />
die Reform und sind gegen eine Einführung<br />
der neuen Tarife. Tim Lemke,<br />
der Geschäftsführer der Strauss & Lemke<br />
GmbH, Discotier GmbH und Gastro<br />
GmbH in Braunschweig ist, sieht es<br />
noch gelassen. „Momentan gelten noch<br />
die alten Verträge. Im Juni 2013 wird es<br />
neue Auflagen der GEMA geben – wir<br />
wissen jedoch nicht was uns erwartet.<br />
Es gibt noch keine konkreten Forderungen.“<br />
Sollte es wirklich zur Reform<br />
kommen, könnte das zu finanziellen<br />
Schwierigkeiten bei den Clubs und Diskotheken<br />
in Deutschland führen. Um<br />
den neuen Tarifforderungen zu begegnen,<br />
müssten Veranstalter wohl neue<br />
Strategien entwickeln. Eine Option<br />
wäre die Erhöhung des Eintritts- oder<br />
Getränkepreises.<br />
„Wir warten erst einmal in Ruhe ab,<br />
wie sich die Großen der Branche verhalten.<br />
Wahrscheinlich ziehen erst die<br />
Konzertveranstalter vor Gericht. Ich<br />
hoffe, dass wir am Ende mit einem blauen<br />
Auge davonkommen. Deutlich höhere<br />
Kosten würden auf jeden Fall massive<br />
Einschnitte für uns bedeuten“, betont<br />
Lemke, der in Braunschweig neun Bars<br />
und Diskotheken betreibt. Unter anderem<br />
das 42° Fieber, das Schwanensee,<br />
den Lindbergh Palace, das Pantone und<br />
das Sonnendeck Süd.<br />
Das Reformvorhaben der GEMA wirkt<br />
sich auch auf DJs, wie J.N.S, aus. „Sicherlich<br />
werden Clubbetreiber auch anfangen,<br />
bei den Personalkosten und Gagen<br />
zu sparen. Nur sind gemeinhin unsere<br />
Gagen von den richtigen Stars mal abgesehen<br />
nicht so hoch, wie man vermuten<br />
mag. Von einer Kürzung wären <strong>als</strong>o viele<br />
DJs in ihrer Existenz bedroht.“ J.N.S.,<br />
der eigentlich Jens heißt und vor allem<br />
Electro auflegt sieht die größere Bedro-<br />
hung für die DJs im so genannten VR-Ö-<br />
Tarif, der am 1. April in Kraft getreten<br />
ist. „Wir müssen seitdem pro Track, den<br />
wir zum Auflegen mitnehmen 13 Cent<br />
zahlen. Aber nicht nur einmalig, sondern<br />
bei jedem Kopiervorgang. Da ist<br />
ein absolut hanebüchenes Regelwerk<br />
entworfen worden, nach dem wir für<br />
bereits gekaufte Tracks und Songs zahlen<br />
müssen.“.<br />
„Ein Clubsterben ist<br />
da leider kein<br />
unrealistisches<br />
Szenario.“<br />
DJ J.N.S.<br />
Auch Städte und Kommunen<br />
sind gegen das neue Vorhaben<br />
der GEMA. Es wird vor<br />
einer Katastrophe für die Veranstalter<br />
gewarnt. Insbesondere<br />
der DEHOGA protestiert<br />
und erwirkte, den Fall in einem<br />
Gerichtsverfahren vor<br />
der Schiedsstelle des deutschen<br />
Patent- und Markenamtes<br />
zu klären. Seit Dezember<br />
2012 läuft die Verhandlung<br />
und hat bereits ein erstes Ergebnis<br />
geliefert: Nach aktuellen<br />
Informationen wurde<br />
die geplante Gebührenerhöhung zunächst<br />
verhindert und zumindest für<br />
2013 eine Übergangsregelung zwischen<br />
der GEMA und der Bundesvereinigung<br />
der Musikveranstalter festgelegt. Diese<br />
sieht eine Gebührenerhöhung von<br />
5 Prozent für alle Veranstalter und von<br />
weiteren 10 Prozent für Club- und Diskothekenbetreiber<br />
ab dem 1. April<br />
vor. Der DEHOGA wertet dies <strong>als</strong> Erfolg<br />
und deren Präsident Ernst Fischer<br />
betont: „Mit dieser Lösung ist zumindest<br />
für 2013 die Zeit der existenziellen<br />
Ängste vieler Veranstalter beendet.“<br />
GEMA-Vorstandsmitglied Georg Oeller<br />
spricht von einer „Übergangsvereinbarung“<br />
und nennt <strong>als</strong> voraussichtlichen<br />
Einführungstermin von neuen Tarifstrukturen<br />
den 1. Januar 2014. Vom<br />
Tisch ist die geplante Reform damit<br />
noch lange nicht … #<br />
25
Campus<br />
„Eine Gebührenerhöhung<br />
ist wahrscheinlich“<br />
Anwalt Jens O. Brelle über den Rechtsstreit zwischen GEMA und DEHOGA<br />
Von Holger Isermann<br />
Die GEMA spricht von einer Vereinfachung<br />
des Gebührenmodels, bei der viele Veranstalter<br />
sparen würden. Der DEHOGA macht<br />
dagegen mit Beispielrechnungen Stimmung<br />
gegen die Reform, die astronomische<br />
Ratenerhöhungen voraussagen. Wer<br />
hat Recht?<br />
Grundsätzlich ist es natürlich einfacher, wenn<br />
es statt vielen einzelnen Tarifen nur noch zwei<br />
Tarife gibt. Der Tarifdschungel der GEMA<br />
war so undurchsichtig, dass auch Profis Probleme<br />
hatten, den richtigen Tarif zu finden. Die<br />
GEMA versucht, ihr neu geschaffenes Tarifmodell<br />
zu verteidigen und der DEHOGA versucht<br />
wiederum dagegen anzugehen und kritisiert<br />
vor allem auch, dass die GEMA ihre Monopolstellung<br />
ausnutzt. Wahrscheinlich liegt die<br />
Wahrheit irgendwo dazwischen. Eine Tarifreform<br />
war in jedem Fall notwendig, aber es<br />
war auch abzusehen, dass nicht jeder damit<br />
glücklich wird.<br />
Halten Sie eine Gebührenerhöhung für gerechtfertigt?<br />
Und: Kommen Mehreinnahmen<br />
überhaupt bei den Künstlern an?<br />
Eine Gebührenerhöhung halte ich im Allgemeinen<br />
und aus wirtschaftlicher Sicht für ge-<br />
rechtfertigt. Fraglich<br />
ist, ob das gewählte<br />
Modell das richtige<br />
ist und ob man nicht<br />
schon früher die Betroffenen<br />
mit in die<br />
Planungen hätte<br />
einbeziehen können.<br />
Dass die Mehreinnahmen<br />
tatsächlich<br />
bei den Künstlern ankommen, bleibt zu hoffen.<br />
Der DEHOGA musste zwar Zugeständnisse<br />
machen, aber sie hat die geplante Gebührenreform<br />
zunächst für 2013 abgewendet?<br />
Ist das nur ein Etappensieg oder ist die Reform<br />
damit vom Tisch?<br />
Vom Tisch wird die Reform nicht sein. Das<br />
Verschieben könnte aber ein Eingeständnis<br />
dafür sein, dass die Reform viel zu überstürzt<br />
umgesetzt werden sollte und sich die Betroffenen<br />
überrumpelt fühlten. Für beide Seiten<br />
herrscht durch das Aussetzen der Reform zumindest<br />
für 2013 Planungssicherheit und beide<br />
Seiten haben zudem Zeit gewonnen und<br />
können sich gemeinsam an einen Tisch setzen<br />
und ihre Interessen einbringen.<br />
Jens O. Brelle betreibt<br />
die Anwaltskanzler Art<br />
Lawyer in Hamburg. Der<br />
Fachanwalt für Urheber- und<br />
Medienrecht lehrt zudem<br />
an mehreren Hochschulen,<br />
unter anderem der TU<br />
Braunschweig.<br />
Für wie wahrscheinlich halten Sie, dass am<br />
Ende eine Gebührenreform in Kraft tritt,<br />
die die Eintritts- oder Getränkepreise in<br />
Diskotheken, Kneipen etc. spürbar erhöht?<br />
Um die Frage mit einem eindeutigen Ja oder<br />
Nein beantworten zu können, wäre ein Blick<br />
in die Glaskugel hilfreich. Wahrscheinlich ist,<br />
dass eine Gebührenerhöhung kommen wird,<br />
aber ob sie tatsächlich so hoch ausfallen wird,<br />
dass ein Clubsterben eintreten wird, weil sich<br />
niemand mehr die Getränke- oder Eintrittspreise<br />
leisten kann, ist eher unwahrscheinlich.<br />
Aber: der Widerstand gegen die Gebührenerhöhung<br />
ist nach wie vor groß und vielleicht<br />
lässt die GEMA ja doch noch mit sich reden.<br />
Diskotheken- und Clubbetreiber beschwören<br />
trotzdem munter das Ende des Nachtlebens.<br />
Ist das Panikmache oder taumeln<br />
die Veranstalter wirklich in eine existenzielle<br />
Krise, wenn die Reform wie geplant<br />
in Kraft tritt?<br />
Ein Nachtleben wird es auch weiterhin geben.<br />
Wen es am Schlimmsten treffen wird, ist<br />
so nicht absehbar. Wichtig ist aber, dass die<br />
Veranstalter deutlich auf ihre Situation aufmerksam<br />
machen und die GEMA auch nach<br />
in Kraft treten der Reform auf die Veranstalter<br />
zu geht und ein offenes Ohr für die Probleme<br />
ihrer Vertragspartner hat. Möglich wäre<br />
auch, die Änderungen nach einem Jahr zu<br />
überprüfen und die Ergebnisse mit den Veranstaltern<br />
zu diskutieren. Bislang fehlte es an<br />
einem Dialog mit allen Beteiligten. #<br />
Foto: Darius Ramazani, Raphael Berendes & Manuel Dierkes<br />
26
Campus<br />
Foto: LCYAero<br />
Mit den Frühlingsgefühlen kann ich mich nicht so<br />
recht anfreunden. Es würde doch beispielsweise<br />
viel MEHR Sinn ergeben, wenn sich die turtelnden<br />
Pärchen im Winter vergnügen würden. Da belästigen<br />
sie niemanden mit ihrem Brunftverhalten in den Parks. Das<br />
könnte man dann schön vor den Kamin verlegen. Und im<br />
Frühling könnte man die Depressionen draußen haben. In<br />
der Sonne. Mit Freunden. Fantastisch. Ein Park trauriger<br />
Frauen, die alleine in der Sonne sitzen. Leichtes Spiel Jungs.<br />
Moment. Eines der großen Rätsel liegt plötzlich gelöst<br />
vor uns! Daher kommen sie nämlich, die invasiven Parkpärchen!<br />
Alleinstehende, traurige Winterdepressionsfrauen<br />
in Verbindung mit den, durch die ersten Sonnenstrahlen<br />
hormonell wiedererwachten Datingzombiemännern<br />
aus der Vorjahreskollektion. Im Februar geht es los. Im<br />
März vorsichtige Treffen und tiefere Gespräche, im Mai die<br />
wachsende Überzeugung: „Der isses!?“ Um dann rechtzeitig<br />
zum April/Mai ein Paarungsgespann zu bilden. Eure Ichs<br />
werden zum Wir. Und diesmal ist alles<br />
anders <strong>als</strong> mit dem vom letzten Frühling.<br />
Ganz klar. Wenn ihr mich nach einer<br />
wirklich guten Geschäftsidee fragt,<br />
schlage ich folgendes vor. Man zäunt die<br />
Parks ein. Mit einem Gatter. Und einem<br />
Tor. Alle Pärchen lassen sich beim Pförtner<br />
registrieren und die Parkbesucher<br />
mit Restverstand können dann auf das<br />
Verfallsdatum wetten. Ähnlich wie beim<br />
Pferderennen. Da gäbe es dann Analysten, die das ganze Geschehen<br />
dem Laien verständlich kommentieren: „… und<br />
unter der Linde sind Sandra und Mark an den Start gegangen.<br />
Dieser tiefe Blick sieht vielversprechend aus. Ob sie zu<br />
alter Stärke zurückfinden kann?“ Oder so. Eine ebenfalls interessante<br />
Frage ist nicht nur, wo kommen die vielen Pärchen<br />
her, sondern auch die vielen Menschen, die sich an<br />
diesem Naturschauspiel so stören? Alles Enttäuschte? Deprimierte?<br />
Am Ende gar Neider? Ich kann an dieser Stelle<br />
nur für mich sprechen: Ich gönne all euch glücklichen Frühlingspärchen<br />
immer eine handbreit Schmetterlinge unter<br />
dem Kiel. Möget ihr so weit fliegen wie euch der Hormone<br />
Schwingen tragen! Mich persönlich stört nicht das einzelne,<br />
glückliche Pärchen im Park, sondern das Phänomen <strong>als</strong> solches.<br />
Denn zeigt nicht die frühlingsbedingte Anhäufung der<br />
süß verliebten Kuschelpärchen, was wirklich in uns steckt?<br />
Ist das ganze Phänomen nicht eher ein Beweis, dass hinter<br />
den meisten glücklichen Pärchen ein interessanter Cocktail<br />
an körpereigenen Drogen steht?<br />
Daher mein Rat: Hasst sie nicht, die Frühlingspärchen.<br />
Sie sind den Junkies nicht fern. Sie haben unser Mitleid verdient.<br />
Und wenn ihr ein Pärchen im Park trefft? Ruhe bewahren.<br />
Langsam nähern. Beide an die Schultern fassen.<br />
Augenkontakt aufbauen und dann sagt ihr mit fester, überzeugter<br />
Stimme und ernstem Blick: „Wird schon... Es kommen<br />
auch wieder bessere Tage …“#<br />
Frühlingszeit<br />
Pärchenzeit<br />
Er sagt, Sie sagt<br />
Von Ingo Kasseck & Agata Sulik<br />
Gestatten, Frühling ist sein Name. Seine Vorzüge –<br />
Sonne, Wärme und bunte Blumen. Lange haben wir<br />
auf ihn gewartet und endlich ist er da !!! Alles blüht<br />
auf. Die Tage werden länger, die Laune steigt und auch die<br />
Glückshormone schäumen über. Winterdepressionen und<br />
Zwiebel-Look adé. Aber … Uff, wie sieht's denn hier aus?!<br />
Die Fenster könnten auch mal wieder geputzt werden. Ein<br />
Frühjahrsputz käme wie gerufen. Aber nein, nicht jetzt. Her<br />
mit den leichten Klamotten. Das Dekolleté etwas tiefer setzen<br />
und endlich wieder Bein zeigen, damit auch die Männerherzen<br />
höher schlagen können. Hat das Top vom letzten<br />
Jahr nicht etwas lockerer gesessen? Sollte ich eine Schokiund<br />
Sekt Diät machen? Vielleicht mal wieder ins Fitnessstudio<br />
gehen und mich in die Bikini Figur schwitzen? Später.<br />
Radfahren ist schließlich auch Sport. Also erstmal raus-rausraus<br />
und ab mit den Mädels in den Park. Offenbar beginnt<br />
hier die Balzzeit. Pärchen schießen wie Pilze aus dem Boden.<br />
Versteckt haben sie sich im Winter und strahlen nun<br />
mit der Sonne um die Wette. Mal gut, dass es Sonnenbrillen<br />
gibt. Und wenn es jetzt mit dem Balzen nicht klappt, dann<br />
vielleicht im Sommer. Bis dahin kann man sich mit einer<br />
Kugel Eis und den Mädels die Zeit vertrösten. #<br />
27
Campus<br />
Fotos: Jessica Martensen, Privat<br />
Color up<br />
your Campus!<br />
Jeder Studierende hat es schon einmal erlebt: Beim Anblick kahler Hörsäle und betonartiger Gebäude auf dem<br />
Campus fühlt man sich manchmal so merkwürdig fremd, so wenig zu Hause. Warum <strong>als</strong>o nicht ein wenig Farbe<br />
bekennen? Eine Spurensuche mit Professor Wolfgang Ellenrieder (HBK Braunschweig) und den Studentinnen Julia<br />
Dworetski (TU Braunschweig), Birte Opitz (HBK Braunschweig) und Felicitas Schönfeld (Ostfalia Wolfenbüttel).<br />
Von Jessica Martensen<br />
Wolfgang Ellenrieder zufolge<br />
„verbinden wir Rot mit<br />
Wärme und Feuer, Gelb mit<br />
Sonne bzw. Licht, Grün mit dem Leben<br />
und der Natur und Blau mit Kälte und<br />
Wasser.“ Im gegenwärtigen Denken verknüpfen<br />
wir Farben immer mit gewissen<br />
Assoziationen, die uns evolutionär<br />
in die Wiege gelegt zu sein scheinen.<br />
Sie sind ein wichtiger Teil unseres Lebens<br />
und manchmal ist uns nur mehr<br />
oder weniger bewusst wie sehr sie uns<br />
in der Hand haben und unser tägliches<br />
Handeln steuern. „In meinem WG-Zimmer<br />
habe ich eine Wand, die grün gestrichen<br />
ist – ich habe nach einer Farbe<br />
gesucht, die ich dauerhaft um mich<br />
haben kann und ich fühle mich tat-<br />
28
Campus<br />
sächlich sehr wohl damit“, erklärt Birte<br />
Opitz. „Es gab eine Zeit, da trug ich<br />
öfters eine gelbe Mütze und eine gelbe<br />
Strickjacke und mir kam es so vor, <strong>als</strong><br />
wurde ich von meinen Mitmenschen<br />
prompt freundlicher begrüßt!“. Felicitas<br />
Schönfeld ist der Meinung, dass man<br />
entweder „versucht sich durch Kleidung<br />
bewusst zu tarnen oder aber Aufmerksamkeit<br />
auf sich zu ziehen.“ Ob<br />
nun farbige Wände oder Kleidung – es<br />
gibt noch viele andere Beispiele dafür,<br />
dass Menschen durch Farbe nicht nur<br />
sich selbst, sondern auch ihre Mitmenschen<br />
verändern.<br />
TU, Ostfalia oder HBK – sie alle haben<br />
ihr individuell gestaltetes Campusleben<br />
mit guten sowie schlechten<br />
Seiten. Birte Opitz beschreibt beispielsweise<br />
die Atmosphäre am Nordcampus<br />
der TU wie folgt: „Ich komme zum Seminar<br />
und gehe gleich wieder, kaum<br />
Plaudern danach, keine Gespräche, es<br />
scheint, <strong>als</strong> gäbe es gar keine richtige<br />
Campuskultur, kein Leben.“ Der Frage<br />
nach Farbe auf dem Campus steht Professor<br />
Ellenrieder zunächst skeptisch<br />
gegenüber. „Die Universität <strong>als</strong> Arbeitsraum<br />
darf kein Ort der Überlagerung<br />
sein. Schließlich würde ein Pianist auch<br />
nicht in einem Raum spielen, wo gleichzeitig<br />
Radio und Plattenspieler laufen:<br />
Diese Atmosphäre würde vom Wesentlichen<br />
ablenken und somit einer konzentrierten<br />
Arbeit im Wege stehen. Andererseits<br />
könnte man bestimmte Wände<br />
innerhalb der universitären Räumlichkeiten<br />
für die Studenten zur Verfügung<br />
stellen, welche beispielsweise mit einer<br />
Art Holzgitter und Haken ausgestattet<br />
sind. Hieran könnten Studentinnen und<br />
Studenten etwas Persönliches befestigen,<br />
um selbst Anteil an der Gestaltung<br />
eines Raumelementes zu haben. Daraus<br />
könnten Gespräche entstehen und das<br />
persönliche Verhältnis zur Umgebung<br />
könnte sich ändern. Außerdem wären<br />
etwa drehbare Elemente in einer Wand<br />
denkbar, die man im Vorbeigehen verändern<br />
kann, sodass sich stets ein neues<br />
farbliches Gesamtbild ergibt: So könnte<br />
sich zudem Farbe dynamisch mit der<br />
Zeit verändern. Der Designer Otl Aigner<br />
beispielsweise hat im Zuge eines durchdachten<br />
Farbkonzepts eine ganze Stadt<br />
neu gestaltet, was ein Vorbild für solche<br />
Veränderungen sein könnte.“ Blau,<br />
Weiß, Silber und ergänzend Orange,<br />
Hellorange, Hellgrün, Blauviolett und<br />
Dunkelgrün – dies ist das Farbkonzept<br />
von Otl Aicher. Von 1967 bis 1972 war<br />
er Gestaltungsbeauftragter<br />
der<br />
Olympischen Spiele<br />
von München<br />
und bekannt für<br />
seine Konzepte im<br />
Bereich moderner<br />
visueller Gestaltung.<br />
Das Konzept<br />
stellt ein System<br />
variabler untereinander<br />
verwandter<br />
Elemente dar, welches<br />
das visuelle<br />
Klima Münchens<br />
und „die Farbwelt<br />
der bayerischen<br />
Landschaft“ gestalterisch<br />
verarbeitet.<br />
Nicht umsonst<br />
sind die Spiele <strong>als</strong><br />
„Regenbogenspiele“<br />
in den Köpfen<br />
der Menschen präsent<br />
geblieben.<br />
Ob im Alltag<br />
oder an der Uni –<br />
Farbe ist ein wichtiger<br />
Teil unseres<br />
Lebens und sollte<br />
im Zuge dessen<br />
nicht unterschätzt<br />
werden!<br />
Farbtupfer vor kahlem Beton:<br />
Birte Opitz am Campus Nord<br />
„Die Universität <strong>als</strong><br />
Arbeitsraum darf kein Ort<br />
der Überlagerung sein.<br />
Schließlich würde ein<br />
Pianist auch nicht in<br />
einem Raum spielen, wo<br />
gleichzeitig Radio und<br />
Plattenspieler laufen.“<br />
Professor Wolfgang Ellenrieder<br />
Sie ist in der Lage, Menschen auf emotionaler<br />
Ebene in den Bann zu ziehen<br />
und zu begeistern. Warum dies nicht<br />
nutzen für eine Campusgestaltung,<br />
die im wahrsten Sinne für die Studentinnen<br />
und Studenten gemacht ist und<br />
nicht nur reiner Zweckbau! #<br />
29
Wissenschaft<br />
30
Wissenschaft<br />
Titel-<br />
Thema<br />
Frühlingsluft<br />
& Frühjahrsduft<br />
Auf den Spuren von Hormonen, Flirthelfern und dem Geruch von Erde,<br />
die vom Schnee befreit wurde.<br />
Von Elena Schade & Desiree Schober<br />
Fotos: Florian Koch, Claudia malecka<br />
2013. Der Frühling<br />
hat begonnen. Verschneite<br />
20.März<br />
Straßen, eisige Winde und<br />
Temperaturen, die unsere Wintermäntel<br />
aus dem Dunkeln der Kleiderschränke<br />
auferstehen lassen. Auf den Flughäfen<br />
campieren die Passagiere, Verkehrschaos<br />
in ganz Deutschland und bis zu 20<br />
Zentimeter Neuschnee. Tief „Andreas“<br />
sorgt pünktlich zum Frühlingsanfang<br />
für arktische Kaltluft. Winterblues statt<br />
Frühlingsmarsch. Ein Traumstart sieht<br />
anders aus.<br />
„Frühlingsgefühl“, dazu bräuchte man<br />
doch wenigsten einen Hauch von wärmender<br />
Sonne, blühenden Blumen und<br />
luftige Kleidung, finden wir. Das hebt die<br />
Laune und weckt die Sinne. Das fördert<br />
die Lust, sich endlich im Fitnessstudio<br />
anzumelden und „in 30 Tagen Bikinifit“<br />
zu werden. Wir möchten uns in den<br />
Park setzen und zwar ohne Daunenjacke<br />
und die ersten Sonnenstrahlen genießen,<br />
die uns um die Nasen kitzeln.<br />
Wir würden gerne, wie laut Definition<br />
vom „Frühling“ erwartet, das alljährliche<br />
Erwachen der sprießenden Natur beobachten<br />
und endlich mit dem Fahrrad<br />
fahren, ohne dabei einen bevorstehenden<br />
Kältetod unserer kleinen Zehen zu<br />
befürchten. Lieber Andreas, das musst<br />
du doch verstehen. In unseren Köpfen<br />
tanzen bunte Bilder von warmen Tagen<br />
und lauen Nächten. Die Realität sieht anders<br />
aus. Der Lenz macht sich rar. In den<br />
Geschäften sieht man bunte Pastellfarben,<br />
auf der Straße glänzen die Grautöne.<br />
In Thüringen hat die Grillsaison begonnen,<br />
in Sachsen fallen Singvögel tot<br />
vom Baum. Deutschland mault und in<br />
den sozialen Netzwerken werden die<br />
ersten „Flüchtlingsfotos“ gut gelaunter<br />
Freunde jenseits unserer Klimazone veröffentlicht.<br />
Natürlich mit ganz viel Sonne,<br />
Strand und Meer. Neid? Niem<strong>als</strong>!<br />
Immerhin versprechen uns die Wetterexperten<br />
eine baldige Besserung, spätestens<br />
an Ostern. Wir sind gespannt und<br />
widmen uns solange wenigstens auf dem<br />
Papier ganz der warmen Jahreszeit.<br />
Der Frühling, der Lenz, die Phase des<br />
blühenden Lebens. Eigentlich Zeit der<br />
„Vom Eise befreit sind<br />
Strom und Bäche,<br />
schreit der Specht und<br />
prellt die Zeche.“<br />
Max (24) und Nina (22), TU Braunschweig,<br />
Psychologie, 2. Semester Master<br />
euphorischen Gefühle und der Vorfreude<br />
auf den Sommer. Die Natur erwacht,<br />
die Sonne strahlt. Die Straßencafés und<br />
Eisdielen füllen sich mit Leben und die<br />
Laune hebt sich. In den Parks sammeln<br />
sich Menschen, grillen und lachen. Die<br />
Tierwelt beginnt hemmungslos mit<br />
den merkwürdigsten Balzritualen. Vogelmännchen<br />
bieten spektakuläre Gesangseinlagen<br />
um ihre Weibchen zu betören,<br />
Schimpansendamen erwarten vor<br />
dem Akt mitgebrachte Früchte, ohne Geschenk<br />
läuft hier gar nichts und der Seeotter<br />
begrüßt seine Liebste mit einem<br />
blutigen „Nasenkuss“. Bei der Wespenspinne<br />
bricht der Penis des Männchens<br />
während des Geschlechtsakts ab und<br />
wenn es anschließend nicht schnell genug<br />
das Weite sucht, hat ihn das Weibchen<br />
zum Fressen gern. Der Hammerhai<br />
kann sich, wenn es mit der Paarung<br />
nicht klappen will, auch ganz ohne<br />
Männchen fortpflanzen und die Pilzlederkoralle<br />
wechselt einfach das Geschlecht,<br />
wenn es mit dem gegenüber<br />
grade mal nicht passt. Auch wenn einige<br />
dieser Praktiken <strong>als</strong> äußerst fragwürdig<br />
erscheinen, sprühen im Tierreich zu Beginn<br />
der warmen Jahreszeit unübersehbar<br />
die Funken. Doch wie ist es bei uns<br />
Menschen? Wie verhält sich die Sache<br />
mit der vermehrten Liebeslust im Frühjahr<br />
bei uns? Sind wir wirklich pünktlich<br />
zum Sommeranfang mehr in Flirtlaune<br />
oder ist das alles nur Einbildung?<br />
Gibt es sie eigentlich, die sogenannten<br />
„Frühlingsgefühle“? Wir haben nachgefragt<br />
und uns auf die Suche nach wissenschaftlichen<br />
Beweisen für die frühjährliche<br />
Lust auf Liebe gemacht. #<br />
31
Titel-<br />
Thema<br />
Wissenschaft<br />
Wo kommen sie eigentlich her<br />
die Frühlingsgefühle?<br />
Wir von der <strong>Studi38</strong>-Redaktion haben uns auf die Suche gemacht. Der Hormon-Experte Professor<br />
Helmut Schatz von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) verrät uns, dass dafür<br />
eine ganze Reihe von Faktoren verantwortlich sind.<br />
Von Elena Schade & Desiree Schober<br />
Professor Helmut Schatz<br />
Was ist eigentlich dran an dem Mythos<br />
„Frühlingsgefühle“ ?<br />
Das ist kein Mythos. Frühlingsgefühle sind immer<br />
echt. Es gibt kein f<strong>als</strong>ches Gefühl. Die Frage<br />
ist nur, was ist die Ursache für ein Gefühl.<br />
Frühlingsgefühle entstehen aus einem Mix von<br />
verschiedenen Faktoren. Ganz wichtig dabei ist<br />
das Gefühl des Neuaufbruchs in der Natur, von<br />
der der Mensch Teil ist.<br />
Um welche Faktoren handelt es sich genau?<br />
Betrachten wir einmal die Hormone. Für die<br />
Frühlingsgefühle sind besonders das Melatonin<br />
und das Serotonin wichtig. Melatonin ist<br />
das Schlafhormon. Bei Dunkelheit ist es hoch<br />
und bei Licht wird es unterdrückt. Bei jedem<br />
Menschen steigt im Schlaf das Melatonin und<br />
wenn es hell wird, sinkt es wieder. Wenn die<br />
Tage länger sind und es heller wird, dann ha-<br />
32
Wissenschaft<br />
Fotos: Claudia malecka, privat<br />
„Frühling ist immer ein<br />
Neuanfang. Die Sonne<br />
fängt an zu scheinen.<br />
Die Menschen blühen<br />
auf und tun die Dinge,<br />
die sie sich das letzte<br />
Jahr über vorgenommen<br />
haben.“<br />
Jessika (21), TU Braunschweig, Grundschullehramt<br />
Musik und Deutsch, 4. Semester<br />
ben wir weniger Schlafhormon in uns und sind<br />
somit frischer, zugleich steigt das Glückhormon<br />
Serotonin im Körper an.<br />
Hat der Frühling auch Auswirkungen auf<br />
unsere Sexualhormone?<br />
Das männliche Sexualhormon Testostero ist<br />
bei uns heute am Höchsten im Frühsommer<br />
und im Sommer und nicht im Frühling. Bei<br />
den Frauen gibt es in der Hinsicht im Frühling<br />
auch keine großen Veränderungen. Schon allein<br />
deshalb, weil ja gerade Studentinnen fast<br />
alle die Anti-Baby-Pille nehmen und sich somit<br />
in einen Zustand der „Scheinschwangerschaft“<br />
versetzen. Deswegen gibt es keinen Eisprung.<br />
Selbst wenn es früher einmal einen höheren<br />
Hormonspiegel gegeben haben könnte, so<br />
würde sich das jetzt nicht mehr auswirken.<br />
Es hat <strong>als</strong>o nichts mit den Geschlechtshormonen<br />
zu tun, sondern mit dem Melatonin, dem<br />
Serotonin und auch dem Dopamin. Das Dopamin<br />
wirkt ähnlich wie Adrenalin, es vermehrt<br />
zum Beispiel das Herzklopfen.<br />
Inwiefern spielen die Veränderungen der<br />
Natur eine Rolle<br />
Der Mensch erlebt, wie eingangs schon erwähnt,<br />
auf psychischer Ebene den Neubeginn<br />
der Natur mit. Wie schon Herman Hesse sagte:<br />
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“<br />
Außerdem tragen auch Düfte zu den Frühlingsgefühlen<br />
bei. Die Menschen sind duftgesteuerter<br />
<strong>als</strong> man glaubt. Man kennt ja<br />
z.B. das Frühlingsgedicht von Eduard Mörike,<br />
das beginnt: „Süße wohlbekannte Düfte<br />
streifen ahnungsvoll das Land.“ Diese Düfte<br />
sind aber in Wirklichkeit gar nicht süß.<br />
Ein Parfümeur würde so ein Parfüm kaum<br />
mixen. Es geht dabei hauptsächlich um den<br />
Geruch der vom Schnee befreiten Erde, und<br />
dieser Geruch ist ein frischer Geruch, der<br />
den Menschen signalisiert, dass jetzt bald<br />
die Blütenpracht mit den Blumendüften<br />
kommt. Dieser Geruch ist beim Menschen<br />
im Gehirn gespeichert, tief unten im Hippocampus,<br />
wo der Mensch die Erinnerung<br />
abspeichert. Wenn der Mensch dann diesen<br />
Duft riecht, erkennt er den Frühlingsduft.<br />
Wie kommt es dazu, dass die meisten Menschen<br />
besonders im Frühling in Flirtstimmung<br />
kommen?<br />
Da gibt es noch die optischen Reize. Man ist<br />
nicht mehr so verkleidet z.B. in Kapuzenjacken<br />
und langen Hosen. Die Männer schauen<br />
dann den jungen Frauen gerne auf die Beine<br />
und den Busen und die Frauen schauen Männern<br />
gerne auf die Hände, Arme oder den Po.<br />
Es gibt viele optische Reize, die im Frühling<br />
wieder mehr zur Geltung kommen. Auch die<br />
Farben spielen eine Rolle. Wenn man jetzt in<br />
ein Klamottengeschäft geht, sieht man wieder<br />
bunte, helle Farben.<br />
Sind bestimmte Personen besonders anfällig<br />
für das Phänomen Frühlingsgefühle?<br />
Empfänglich ist eigentlich jeder. Das liegt in<br />
der Natur des Menschen. Im Grunde ist jeder<br />
offen dafür. Es gibt aber natürlich immer<br />
auch Gefühlsmuffel . Die gibt es aber auf allen<br />
Ebenen, nicht nur bei den Frühlingsgefühlen.<br />
„SPASIS bereiten mir<br />
Frühlingsgefühle.“<br />
Felix (24), TU Braunschweig, Integrierte<br />
Sozialwissenschaften, 6. Semester<br />
„Nie wieder auswendig<br />
lernen, das bereitet mir<br />
Frühlingsgefühle.“<br />
Niels (23), TU Braunschweig Psychologie,<br />
2. Semester Master<br />
Schwierig wird es auch bei Menschen, die nicht<br />
mit dem Jahr leben. Menschen, die dauernd<br />
Last-Minute-Flüge buchen und z.B. schon vor<br />
dem Frühling auf den Malediven sind. Sie erleben<br />
den Frühling, wenn sie zurückkommen<br />
natürlich nicht so intensiv. #<br />
33
Titel-<br />
Thema<br />
Wissenschaft<br />
Die Anonyme Anmache<br />
Flirten ohne das Risiko der Zurückweisung:<br />
Die neuen Spotted- und Bibflirt-Seiten<br />
Von Elena Schade & Desiree Schober<br />
Er: "Dein Blick hat geknistert wie die Wunderkerzen<br />
vom Apfelkuchen. Ebenso süß<br />
wie dieser ist auch jetzt noch meine Erinnerung<br />
an diesen Abend. Du bist blond,<br />
trägst deine Haare immer zu einem geflochtenen<br />
Zopf und arbeitest <strong>als</strong> Kellnerin<br />
im Alex …" (Spotted TU Braunschweig)<br />
Anonyme Liebesbriefe findet man<br />
zum Bedauern vieler Romantiker<br />
leider schon lange nicht<br />
mehr im Briefkasten oder am Spint<br />
hängen. Für Leute, die ohne die kleinen<br />
Briefchen aber zu schüchtern sind, den<br />
Schwarm direkt anzusprechen, gibt es<br />
jetzt Internetseiten wie „Spotted“ oder<br />
„Bibflirt“. Dort kann man anonym Personen,<br />
die einem nicht mehr aus dem<br />
Kopf gehen, suchen, beschreiben und<br />
hoffen, dass sich jemand meldet. Dabei<br />
spielt es kaum eine Rolle, in welcher<br />
Stadt man lebt, ob man sich auf dem<br />
Campus, im Café oder auf der letzten<br />
Party verguckt hat. Die Flirtseiten vermehren<br />
sich schneller <strong>als</strong> Unkraut und<br />
so gibt es sie mittlerweile in sämtlichen<br />
Städten für die verschiedensten Orte<br />
und Situationen.<br />
Die „Spotted: TU Braunschweig“-Facebookseite<br />
hat mittlerweile über 2000<br />
„Gefällt mir“-Angaben, dabei gibt es<br />
„Suche dich, du irre hübsche Blondine! Bist<br />
heute, gerade <strong>als</strong> ich mein Auto mit leeren<br />
Getränkekästen beladen habe, mit deinem<br />
Gruber-Firmen-Wagen um die Ecke gebogen,<br />
und hast einen Rasenmäher ausgeliefert.<br />
Sag bescheid, wenn du das nochmal<br />
bei mir in der Nähe tust, ich glaube nämlich<br />
du hast mich nicht bemerkt!“ (Spotted.de)<br />
sie erst seit Januar. Und auch „Spotted:<br />
Nightlife Braunschweig“ richtet sich<br />
nun an fast 1000 „Follower“. Und Für<br />
Pendler gibt’s übrigens auch Seiten wie<br />
„Spotted: Deutsche Bahn“.<br />
Das Prinzip ist einfach und ähnelt einer<br />
Kontaktanzeige. Man schreibt einer<br />
passenden „Spotted“-Seite, zu finden<br />
sind diese zum Beispiel auf „Facebook“,<br />
einen Text, dieser richtet sich an den/<br />
die schönen Unbekannte(n). Die Betreiber<br />
der Seite posten den Text dann anonym.<br />
Wenn ein Leser daraufhin denkt in<br />
dem Text gemeint zu sein, kann er sich<br />
darauf melden oder Dritte, welche die<br />
gesuchte Person kennen, können Hinweise<br />
geben.<br />
Aber funktioniert das wirklich? Flirten<br />
2.0? Zugegeben ist es schon ganz<br />
amüsant, sich die Versuche der Spotted-<br />
Nutzer durchzulesen, die versuchen ihrem<br />
Liebesglück auf die Sprünge zu helfen.<br />
Die Erfolgschancen sind allerdings<br />
ungewiss.<br />
„An die dame mit den modelmaßen aus<br />
hogwards ;) mit deiner „avada kedavra“<br />
umhaengetasche bist du mir gerade im<br />
kaufland aufgefallen. Mit dir wuerde ich<br />
mich gerne durch das trimagische turnier<br />
kaempfen, zusammen was trinken gehen<br />
waere aber auch ein guter anfang ;)<br />
Dein Harry mit der blau-weißen bommelmuetze<br />
;)“ (Spotted.de)<br />
Nicht nur romantische oder schmachtende<br />
Einträge finden sich auf den Seiten.<br />
Auch der ein oder andere erotisch<br />
angehauchte Spruch zieht die Aufmerksamkeit<br />
auf sich:<br />
Er: „An die junge Göttin in blau, die an ihrem<br />
Kuli kaut und dabei lasziv in die Runde<br />
blickt: mehr Zunge bitte!“ (Spotted.de)<br />
34
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Wissenschaft<br />
Fotos: Robert Agthe, Privat<br />
Mr. & Mrs.<br />
Not-Quite-Right<br />
über Beziehungsmodelle im Wandel der Zeit<br />
Von Elena Patzer<br />
Lassen wir den Steinzeit-Gossip mal<br />
hinter uns. Ja, wir alle wissen, dass<br />
Partnerschaften biologisch dafür<br />
vorgesehen sind, Nachwuchs zu zeugen<br />
und dann zu enden, sobald dieser<br />
aus dem Gröbsten raus ist. Und wir wissen,<br />
dass die Ehe ursprünglich aus wirtschaftlichen<br />
Gründen geschlossen wurde.<br />
Selbstverständlich wissen wir auch,<br />
dass Partnerschaften vor der Emanzipation<br />
auf gegenseitigen Abhängigkeiten basierten<br />
– der eine verdient das Essen, der<br />
andere bereitet es zu. Wissen wir. Viel<br />
interessanter ist doch: Wie sehen unsere<br />
Beziehungen jetzt aus? Jetzt, da jeder<br />
jede Art von Beziehung mit jedem Menschen<br />
jederzeit führen kann, aber nicht<br />
muss? Jetzt, da es keine Vorgaben, Notwendigkeiten<br />
und Verbote mehr gibt?<br />
Was kommt nach der Vernunft-Ehe?<br />
Erstmal ein großes Chaos. Nachdem<br />
die vorherigen Generationen sich gegen<br />
gesellschaftliche Zwänge erhoben<br />
haben, stehen wir nun auf dem längst<br />
wieder aufgeräumten Schlachtfeld inmitten<br />
größtmöglicher Freiheit und<br />
unendlicher Möglichkeiten. Das gab es<br />
vorher noch nie. Und deshalb wundert<br />
es auch nicht, dass wir maßlos überfordert<br />
sind. Wer die Wahl hat, hat die<br />
Qual – nicht bloß in Beziehungsfragen,<br />
sondern auch bei dem richtigen Beruf,<br />
dem Wohnort, der Haarfarbe. Die Grenzen<br />
zwischen Freiheit und Zwang verwischen,<br />
denn wer die Freiheit genießt, alles<br />
tun zu dürfen, unterliegt gleichzeitig<br />
dem Zwang, alles tun zu müssen. Wenn<br />
du die Möglichkeit hast, im Ausland zu<br />
studieren, warum tust du es dann nicht?<br />
Neuer Job, andere Stadt, sexuelle Experimente,<br />
Stipendium – Warum nicht? Wer<br />
36
Wissenschaft<br />
seine unbegrenzten Möglichkeiten nicht<br />
nutzt, gilt <strong>als</strong> Versager. Hier deutet sich<br />
schon die Wurzel des Problems unserer<br />
Generation an: Es sind unbegrenzte,<br />
unendliche Möglichkeiten! Es gibt kein<br />
Ende und kein Ziel, alles geht immer höher,<br />
schneller, weiter. Niemand kann je<br />
ankommen in der angesagtesten Stadt<br />
mit den tollsten Freunden, dem interessantesten<br />
Hobby, makellosesten Körper<br />
und erfüllendsten Beruf. Permanent<br />
schwebt die Verheißung des vermeintlich<br />
besseren Anderen, das Könnte-Sein<br />
über dem Ist. In einer Zeit, in der ein<br />
gelungenes Leben definiert wird über<br />
Intensität, Genuss und Selbstverwirklichung<br />
– <strong>als</strong>o durch Kriterien, die kein<br />
Maß kennen – wie kann man da jem<strong>als</strong><br />
zufrieden sein mit dem, was ist? Im Vergleich<br />
mit der Unendlichkeit dessen, was<br />
sein könnte, erscheint ein einzelnes Leben<br />
zwangsläufig <strong>als</strong> unzureichend.<br />
Schlimmer noch: Da jeder Mensch frei<br />
von äußerem Zwang für sein Leben<br />
selbst verantwortlich scheint, trägt er<br />
auch die alleinige Schuld für sein unweigerliches<br />
Scheitern. Es liegt an mir,<br />
ich habe mich nicht genug bemüht. Und<br />
schon ist der Ursprung gelegt für chronische<br />
Selbstoptimierung und Selbsthass.<br />
Nirgends wird dieses unablässige Streben<br />
nach dem Besseren so deutlich wie<br />
bei der Partnerwahl. Den besonderen<br />
Menschen suchen wir uns heute selbst<br />
aus, hier haben wir die alleinige Entscheidungsmacht,<br />
hier sind wir absolut<br />
selbst verantwortlich. Klingt doch ganz<br />
gut? Sven Hillenkamp vertritt in seinem<br />
Buch „Das Ende der Liebe“ eine andere<br />
Meinung: „Zwei Feinde kennt die Liebe.<br />
Den Zwang und die Freiheit.“ Freiheit<br />
ist nicht zwanglos, Freiheit verlagert<br />
den Zwang von außen nach innen, von<br />
der Gesellschaft ins Selbst – unbewusst<br />
natürlich. Die Freiheit Sex vor der Ehe<br />
zu haben wird zum Zwang Sex vor der<br />
Ehe zu haben. Die Freiheit sich bei Unzufriedenheit<br />
scheiden zu lassen wird<br />
zum Zwang sich scheiden zu lassen.<br />
Die Freiheit sich einen Partner aus unendlich<br />
vielen auszusuchen wird zum<br />
Zwang, sich den Besten auszusuchen.<br />
Welcher der Beste ist, findet man nur<br />
heraus durch Versuch und Irrtum. Doch<br />
selbst wenn man in einer glücklichen<br />
Beziehung lebt, bleibt angesichts der<br />
scheinbar grenzenlosen Vielzahl potentieller<br />
Partner immer die Ahnung, dass<br />
es noch einen Besseren geben muss.<br />
Laut statistischem Bundesamt ist zwar<br />
die Anzahl der Scheidungen seit 1960<br />
nicht übermäßig angestiegen (von 1,9<br />
Scheidungen pro 1000 Einwohner auf<br />
2,3 in 2011), dafür hat sich jedoch im<br />
selben Zeitraum die Zahl der Eheschließungen<br />
mehr <strong>als</strong> halbiert (von 10,8 auf<br />
4,6 pro 1000 Einwohner). Immer weniger<br />
Menschen sind <strong>als</strong>o bereit, eine le- →<br />
Abnabelungsprozess und Partnerbindung<br />
(Median Jahrgang 1981-83 im Vergleich zu 1971-73)<br />
Auszug aus dem Elternhaus Frauen Männer<br />
Ostdeutschland ▲ ▲<br />
Westdeutschland ● ▲<br />
Erste Paarbeziehung Frauen Männer<br />
Ostdeutschland ● ▼<br />
Westdeutschland ● ▼<br />
Erste Lebensgemeinschaft Frauen Männer<br />
Ostdeutschland ▲ ▲<br />
Westdeutschland ● ●<br />
▲ mehr <strong>als</strong> 6 Monate älter ▼ mehr <strong>als</strong> 6 Monate jünger ● keine Veränderung<br />
Pairfam 2008/2009, DemoDiff 2009/2010<br />
André Tatjes ist wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter am Institut für<br />
Sozialwissenschaften der TU<br />
Braunschweig. Zusammen mit Prof. Dr.<br />
Dirk Konietzka untersuchte er kürzlich<br />
den Lebenslauf junger Erwachsener in<br />
Bezug auf ihre erste Paarbeziehung, den<br />
Auszug aus dem Elternhaus und der<br />
ersten Lebensgemeinschaft. Verglichen<br />
wurden hierbei zwei Generationen: Die<br />
Jahrgänge 1971-73 und 1981-83 in Ost- und<br />
Westdeutschland.<br />
Leiden jüngere Generationen zunehmend an<br />
Bindungsangst?<br />
Nein, die Bindungsbereitschaft junger Erwachsener<br />
ist nach wie vor hoch. Unsere empirischen<br />
Untersuchungen zeigen sogar, dass die erste<br />
Paarbeziehung tendenziell in jüngeren Jahren,<br />
d. h. früher eingegangen wird. Zudem findet der<br />
erste Zusammenzug mit einem Partner, nachdem<br />
man von Zuhause ausgezogen ist, nach kürzerer<br />
Zeit statt. Untersucht wurde jedoch nicht, wie<br />
lange diese Beziehungen Bestand haben. Zudem<br />
ist noch unklar, ob es sich dabei um einen stabilen<br />
Trend handelt.<br />
Suchen die Menschen <strong>als</strong>o unverändert nach<br />
der Sicherheit der Familie?<br />
Tatsächlich hat sich der Zeitpunkt der Familiengründung<br />
hinausgezögert. Man beginnt zwar früher<br />
mit seiner Beziehungsbiographie, eine Heirat<br />
findet wiederum erst später statt. Das Bildungsniveau<br />
hat hier einen entscheidenden Einfluss:<br />
Mit zunehmenden Bildungsgrad steigt auch die<br />
Neigung, später zu heiraten und eine Familie zu<br />
gründen.<br />
Die Zahl der Ein-Personen-Haushalte hat sich<br />
laut statistischem Bundesamt in den letzten<br />
50 Jahren mehr <strong>als</strong> verdoppelt. Wie passt das<br />
ins Bild?<br />
Nur weil ich alleine wohne, muss ich nicht alleine<br />
sein. Wir erleben eine Pluralisierung der Lebensformen<br />
und eine Haushaltsgröße sagt nichts<br />
mehr darüber aus, ob der Bewohner Single ist. So<br />
genannte ‚Living-Apart-Together-Beziehungen’,<br />
in denen man mit seinem festen Partner nicht zusammen<br />
wohnt, bilden in der Regel den Beginn<br />
der individuellen Beziehungsbiographie.<br />
37
Wissenschaft<br />
benslange Entscheidung für einen Menschen<br />
zu treffen. Die Hoffnung auf das<br />
noch Bessere führt zu ständigem Zweifeln<br />
und einer permanenten Suche. Der<br />
Suche wonach? Nach einer Fantasie, einer<br />
Art Vielwesen: Jeglichen Erfahrungen<br />
und Eindrücken von Verflossenen,<br />
Passanten, Filmen oder Fotos werden Details<br />
entnommen und zu einer Collage<br />
gesammelt. So entsteht ein schemenhaftes<br />
und nicht reales Wunschbild, quasi<br />
„Ich führe seit fast 3<br />
Jahren eine Fernbeziehung<br />
und ich bin immer<br />
wieder überrascht, wie<br />
gut das funktioniert.<br />
Aber vielleicht ist genau<br />
diese Distanz das, was ich<br />
brauche. Ich weiß, dass<br />
diese Beziehung nichts für<br />
immer ist, aber das suche<br />
ich auch nicht. Ich denke,<br />
es hält so lange, wie es<br />
hält. Ich richte mein Leben<br />
nicht nach ihm und er tut<br />
das auch nicht.<br />
Charlotte, 22<br />
ein Best-Of der unendlichen Möglichkeiten.<br />
„Sie suchen nach einem Objekt, das<br />
keinen Verzicht auf die Unendlichkeit<br />
bedeutet, nicht bloß Perfektion, sondern<br />
die Summe alles Perfekten“, schreibt Hillenkamp.<br />
Schauen wir der Wahrheit ins<br />
Gesicht: Kann eine einzige Person den<br />
Vergleich mit der Summe alles Perfekten<br />
„Man entwickelt sich über<br />
die Zeit immer weiter und<br />
verändert seine Wünsche<br />
und Vorstellungen von<br />
Beziehungen. Ich bin froh,<br />
schon einiges ausprobiert<br />
zu haben, da ich dadurch<br />
an Erfahrung und Urteilsvermögen<br />
gewonnen habe.<br />
Irgendwann würde ich<br />
gerne mit ‚der Richtigen’<br />
eine Familie gründen.“<br />
Niklas, 23<br />
gewinnen? Wer jetzt ja sagt, neigt zur<br />
Selbstüberschätzung. Früher oder später<br />
sind wir zwangsläufig von der Endlichkeit<br />
des potentiellen Lebenspartners<br />
enttäuscht und suchen weiter nach der<br />
Mensch gewordenen Unendlichkeit. Dabei<br />
werden wir laut Hillenkamp zu „Bulimikern<br />
der Liebe“. Auf unserer Suche<br />
stopfen wir alles in uns hinein, würgen<br />
es hinunter und bevor es ein Bestandteil<br />
unseres Körpers, <strong>als</strong>o Lebens wird,<br />
erbrechen wir es wieder. „So bleiben sie<br />
dünn, so können sie immer weiter essen,<br />
immer mehr, alle Möglichkeiten<br />
nutzen.“ Zugegebenermaßen ist das eine<br />
ziemlich pessimistische Sicht der Dinge.<br />
Oder einfach unglücklich formuliert. Ob<br />
bedauernswerte Rastlosigkeit und deprimierende<br />
Unvollkommenheit auf der Suche<br />
nach Mr. & Mrs. Right oder aufregende<br />
Abenteuer und zeitlich begrenztes<br />
Glück mit Mr. & Mrs. Right-Now – darüber<br />
bildet sich letztlich jeder seine eigene<br />
Meinung.<br />
Die Antwort darauf, was nach der<br />
Vernunft-Ehe kommt? Die Vernunft-<br />
Ehe. Das zumindest prophezeit Hillenkamp,<br />
seines Zeichens Realist, in seinem<br />
Buch. Das bedeutet, „dass sie einen wählen,<br />
der ihnen ‚gut tut’, dass sie <strong>als</strong>o einen<br />
Partner aus guten Gründen wählen,<br />
nicht aus Leidenschaft, sondern aus Vernunft.“<br />
Um den Pessimisten unter uns<br />
aus der Seele zu sprechen: Auch die<br />
Wahl des f<strong>als</strong>chen Partners oder ein Leben<br />
in Einsamkeit wären mögliche Optionen.<br />
Und was sagen die Optimisten?<br />
Die muss man wahrscheinlich in zwei<br />
Lager unterteilen: Team „Prinz auf dem<br />
weißen Ross findet seine Prinzessin“<br />
und Team „Hauptsache wir haben Spaß<br />
dabei“. Erstere haben mit Glück eine<br />
ausreichend rosa getönte Brille um tatsächlich<br />
den oder die Richtige zu finden.<br />
Letztere sind im besten Fall sowohl mit<br />
<strong>als</strong> auch ohne „Lebensabschnittsgefährten“<br />
oder auf welche Art auch immer<br />
glücklich. Vermutlich sind diese zudem<br />
die vielversprechendsten Kandidaten,<br />
um neue Beziehungsmodelle zu entwickeln.<br />
Nach einem Blick in die Vergangenheit<br />
– von einem Partner für das gesamte<br />
Leben, über wenige wechselnde<br />
Beziehungen vor der Ehe, bis heute, da<br />
beinahe alles möglich scheint – wäre es<br />
da zum Beispiel so abwegig, dass in 50<br />
Jahren Polyamorie der absoluten Normalität<br />
entspricht? Einen Partner für<br />
guten Sex, einen für gute Gespräche, einen<br />
mit demselben Lieblings-Verein. Alle<br />
Wünsche würden nach dem Baukasten-<br />
Prinzip erfüllt. Eine reduzierte Version<br />
der Fantasie-Collage <strong>als</strong>o? Es bleibt<br />
spannend. #<br />
„William Maugham hat<br />
einmal gesagt: „Liebe: nur<br />
ein schmutziger Trick der<br />
Natur, um das Fortbestehen<br />
der Menschheit zu<br />
garantieren.“ So unglücklich<br />
die Formulierung<br />
auch ist, hat er rational<br />
betrachtet Recht. Für mich<br />
besteht die Kunst darin,<br />
zu differenzieren, ob man<br />
wirklich liebt, oder nur<br />
verliebt darin ist, geliebt<br />
zu werden. “<br />
Jann, 24<br />
Fotos: Privat<br />
38
Wissenschaft<br />
Schluss mit Suchen!<br />
Das DLR forscht an Fahrerlosem Fahren und selbstparkenden Autos<br />
Von Annekatrin Bock<br />
Fotos: DLR<br />
Fotografieren, spielen und online<br />
surfen. Schon lange ist das Mobiltelefon<br />
nicht mehr ausschließlich<br />
zum Telefonieren da. Denn bald machen<br />
die tragbaren Geräte mobil. In Zukunft<br />
parkt unser Smartphone dann auch<br />
gleich noch das Auto. Ermöglicht wird<br />
das autonome Einparken, auch ‚valet<br />
parking‘ (wie der Parkservice im Nobelhotel)<br />
genannt, unter anderem<br />
durch die<br />
Kombination<br />
bereits<br />
erprobter Sensor- und Smartphone-Technik.<br />
Forscher der TU Braunschweig und<br />
des Deutschen Zentrums für Luft- und<br />
Raumfahrt (DLR) haben mit dem selbstgesteuerten<br />
Auto ‚Leonie‘ bereits einen<br />
wichtigen Meilenstein für das hochautomatisierte<br />
Fahren gesetzt.<br />
Nun testete das Institut für Verkehrssystemtechnik<br />
des DLR unter Leitung<br />
von Professor Karsten Lemmer<br />
am Braunschweiger<br />
Hauptbahnhof Szenarien,<br />
bei denen<br />
das Auto selbständig<br />
eine Parklücke<br />
sucht.<br />
Das Projekt zu Valet-Parking<br />
bildet dabei<br />
nur einen Baustein<br />
der Anwendungsplattform<br />
Intelligente<br />
Mobilität (AIM).<br />
Hierbei erprobt das<br />
DLR beispielsweise<br />
die Kommunikation<br />
zwischen Kreuzungen<br />
und Fahrzeugen und<br />
forscht am hochautomatisierten Fahren.<br />
Ziel ist es, langfristig Infrastruktur<br />
und Individualverkehr mit modernen<br />
Kommunikationstechnologien wie<br />
dem Smartphone zu verknüpfen. „Wir<br />
erhoffen uns dadurch zukünftig unter<br />
anderem mehr Sicherheit für den Straßenverkehr“,<br />
sagt Lemmer. „In ausgereiftem<br />
Zustand kann automatisiertes<br />
Fahren wesentlich zuverlässiger sein,<br />
<strong>als</strong> die menschlichen Fahrer.“ Kratzer<br />
und Parkbeulen gehören dann der Geschichte<br />
an.<br />
Daneben sparen die mobilen Parkassistenten<br />
auch Energie. Sie sind somit<br />
umweltfreundlich und bieten zusätzlichen<br />
Komfort, weil das Einparken dann<br />
weniger Sprit, Zeit und Nerven kostet.<br />
Denn wer kennt das nicht? Nerviges im<br />
Kreisfahren auf der Suche nach einem<br />
Parkplatz und die Vorlesung fängt dabei<br />
schon ohne uns an. Das könnte sich mit<br />
dem Handy gesteuerten Auto in nicht allzu<br />
ferner Zukunft ändern. Und während<br />
unser Flitzer selbständig einparkt, sitzen<br />
wir schon im Hörsaal oder treffen die<br />
Lerngruppe zum Kaffee. #<br />
39
Silicon<br />
Valley<br />
Silicon Valley, das heute <strong>als</strong> das<br />
Herz der technischen Innovation<br />
der Welt gilt, wurde in den 50er<br />
Jahren des letzten Jahrhunderts von<br />
Frederick Terman, dem Dekan der ingenieurwissenschaftlichen<br />
Fakultät und<br />
Vizepräsident der Stanford Universität<br />
<strong>als</strong> ein “kleiner” Technologiepark gegründet.<br />
In einem evolutorischen Prozess<br />
hat sich der ehemalige Technologiepark<br />
in der Nähe von San Francisco<br />
zu einer Region mit der höchsten Technologiedichte<br />
der Welt entwickelt. In<br />
den letzten 60 Jahren hat die Stanford<br />
Universität mehr <strong>als</strong> 38000 Unternehmen<br />
hervorgebracht, die zusammen<br />
2700 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr<br />
generieren. Diese Unternehmen haben<br />
5,4 Millionen Arbeitsplätze geschaffen.<br />
Unternehmen wie Google, ebay, Intel,<br />
Yahoo und Cisco zählen zu den erfolgreichsten<br />
Spin-offs. Neben der Stanford<br />
Universität tragen die anderen nordkalifornischen<br />
Universitäten wie Berkeley<br />
und San Jose dazu bei, dass sich immer<br />
mehr High-Potenti<strong>als</strong> für die Gründung<br />
von eigenen Unternehmen entscheiden.<br />
Zugleich stellen diese Universitäten<br />
die dringend benötigten hochqualifizierten<br />
Mitarbeiter für das Silicon<br />
Valley zur Verfügung. Aufgrund großer<br />
Nachfrage nach Hochschulabsolventen<br />
sind die Gehälter für Akademiker<br />
sehr hoch. In keiner anderen Region<br />
der Welt können die Wohlfahrtseffekte<br />
des Hochschul-Entrepreneurship<br />
so deutlich beobachtet werden. Nicht<br />
nur die exzellenten Universitäten, sondern<br />
auch ein leichter Zugang zum<br />
Venture Capital und eine verbreitete<br />
Kultur des Wagemuts haben aus der<br />
kalifornischen Wüste eine florierende<br />
Innovations- und Wachstumsregion<br />
gemacht. Mit der Gründung der „German<br />
Silicon Valley Accelerator“ (GSVA)<br />
im Jahr 2011 möchte das Bundeswirtschaftsministerium<br />
jungen deutschen<br />
Startups die Möglichkeit geben, den<br />
amerikanischen Markt über das Silicon<br />
Valley zu erschließen. Dort erhalten<br />
Kolumne<br />
Prof. Reza Asghari<br />
gibt an dieser Stelle<br />
Einblicke in die Welt des<br />
Entrepreneurships. Hier<br />
erklärt er, wie in der<br />
kalifornischen Wüste das<br />
Silicon Valley entstand.<br />
Startups aus Deutschland für ein halbes<br />
Jahr ein mietfreies Büro und Mentoren<br />
zur Unterstützung. Das „Venture<br />
Program“ der Universität Stanford ist<br />
ein Gründerzentrum, das die Aufgabe<br />
hat, die Gründungsaktivitäten der Universität<br />
zu fördern. Hier wurde die Webplattform<br />
„eCorner“ errichtet, bei der<br />
die renommierten Stanford Entrepreneuere<br />
ihre Erfahrungen teilen. Im Eingangsbereich<br />
des Centers ist ein Spruch<br />
zu lesen, der das Geheimnis der Stanford<br />
Universität lüftet: „Every problem<br />
is an opportunity. The bigger the problem<br />
the bigger the opportunity.“<br />
Mehr Informationen unter:<br />
→www.entrepreneurship-center.de<br />
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Welche drei Hölzer müssen in eine neue Position gebracht<br />
werden, damit der Fisch nach rechts schwimmt? Das Auge<br />
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Karriere<br />
Foto: Privat<br />
Warten unterm Zeichentisch<br />
Moritz Gramming gewinnt Designwettbewerb für eine Bushaltestelle<br />
Von Holger Isermann<br />
Die Bedeutung von Bushaltestellen<br />
nimmt umgekehrt proportional<br />
zur Bevölkerungszahl eines Ortes zu.<br />
Die hölzernen oder stählernen Minizweckbauten<br />
können in Hintertupfingen<br />
leicht zum Treff- und Mittelpunkt<br />
der Dorfjugend werden. In Städten dagegen<br />
sind Bushaltestellen vor allem<br />
die Orte, an denen man darauf wartet,<br />
dass ein Bus hält. Ein Design-Wettbewerb<br />
an der HBK zeigt jetzt, wie kreativ<br />
sich solch ein Haltepunkt gestalten<br />
lässt. Weil die Bushaltestellen am<br />
Johannes-Selenka-Platz erneuert werden<br />
sollen, haben die Kunsthochschule<br />
und die Stadtverwaltung insgesamt<br />
Warten mit Stil: der Siegerentwurf<br />
3000 Euro Preisgeld ausgelobt. Gewonnen<br />
hat Moritz Gramming mit seinem<br />
Entwurf „AAAA – Alles auf Anfang Annette“,<br />
weil er nach Jurymitglied<br />
Heinz-Georg Leuer „in origineller<br />
Weise die Form der in<br />
den Ateliers und Werkstätten<br />
der HBK verwendeten Arbeitstische<br />
aufnimmt.“ Neben Braunschweigs<br />
Stadtbaurat zeigt sich<br />
auch HBK-Präsident Hubertus<br />
von Amelunxen begeistert: „Die<br />
Arbeit hat Ironie, überzeugt in<br />
ihrer Schlichtheit, verfügt über<br />
einen wunderbaren Wiedererkennungswert.“<br />
Davon können<br />
sich bald wohl alle Braunschweiger<br />
überzeugen, denn Grammings Entwurf<br />
soll tatsächlich realisiert werden. #<br />
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Karriere<br />
Fotos: Sophie Dannenfeld, Nibbler<br />
Tiefenströme erreichen<br />
Volkswagen-Cheflobbyist Thomas Steg über Karriereplanung,<br />
Interessensvertretung und die Bundestagwahl 2013.<br />
Von Lina Behling & Sophie dannenfeld<br />
Der Mann, der uns in einem<br />
Braunschweiger Café gegenüber<br />
sitzt, heißt Thomas Steg.<br />
Wie die meisten vielbeschäftigten Menschen,<br />
kommt auch er zu spät. Wie es<br />
vielbeschäftigte Menschen tun, ordert<br />
er einen Espresso. Doch dort stößt das<br />
Stereotyp des vielbeschäftigten Karrieristen<br />
an seine Grenzen. Denn ab diesem<br />
Moment nimmt er sich Zeit.<br />
Thomas Steg ist 52 Jahre alt, wächst<br />
in Braunschweig auf und studiert zunächst<br />
an der TU Psychologie, später<br />
Sozialwissenschaften in Hannover. Danach<br />
folgt die schnelle Karriere: Angefangen<br />
<strong>als</strong> Pressesprecher des niedersächsischen<br />
DGB und danach der SPD,<br />
arbeitet sich Steg in das politische Zentrum<br />
11011, Berlin vor. Von 2002 bis Juli<br />
2009 ist er Vizeregierungssprecher – zunächst<br />
für die rot-grüne Koalition unter<br />
Kanzler Gerhard Schröder (SPD), dann<br />
für die Große Koalition unter Kanzlerin<br />
Angela Merkel (CDU). Mit dem Regierungswechsel<br />
2009 verlässt Steg die<br />
Politik, um sich sein „Leben wieder neu<br />
anzueignen“. Er wird freier Politik- und<br />
Kommunikationsberater bis ihn 2012<br />
einer der weltweit größten Automobilkonzerne<br />
wieder zurück in die Region<br />
holt. studi38 hat mit dem Generalbevollmächtigten<br />
für Außen- und Regierungsbeziehungen<br />
der Volkswagen AG<br />
einen Kaffee getrunken.<br />
Sie wechselten von der Politik zu einem<br />
Wirtschaftskonzern. Was hat Sie an Ihrer<br />
neuen Position <strong>als</strong> Cheflobbyist für VW besonders<br />
gereizt?<br />
Es war kein direkter Wechsel von der Politik<br />
in die Wirtschaft. In der Phase der Selbstständigkeit<br />
<strong>als</strong> Kommunikations- und Medienberater<br />
habe ich engere Kontakte zur Wirtschaft<br />
geknüpft und festgestellt, dass ich diesen Bereich<br />
der Gesellschaft noch nicht so gut ken-<br />
42
Karriere<br />
ne. Ich habe gemerkt, dass in der Wirtschaft<br />
anders gedacht, anders gehandelt und anders<br />
entschieden wird. Es hat mich sehr gereizt,<br />
noch einmal etwas Neues zu machen.<br />
Von den Inhalten unterscheidet sich diese<br />
Arbeit sehr von ihrer vorherigen: Sie<br />
vertreten direkt die Interessen des Konzerns,<br />
nehmen <strong>als</strong>o Einfluss auf politische<br />
Prozesse …<br />
Das sehe ich positiv, weil ich an der Schnittstelle<br />
arbeite: politische Prozesse und politischen<br />
Entscheidungen sind hier besonders<br />
wichtig und laufen zusammen. Fragen von<br />
der Steuerpolitik über die Klimapolitik über<br />
CO2, Europa, Berlin, Hannover betreffen die<br />
Automobilindustrie. Insofern bin ich jetzt in<br />
einem Wirtschaftsunternehmen, habe aber in<br />
dem Unternehmen mit den politischen Themen<br />
zu tun. Ich bleibe meinem früheren Bereich<br />
treu.<br />
Gibt es trotzdem eine klare Grenze bei der<br />
Interessenvertretung oder sind Sie moralisch<br />
flexibel?<br />
Wenn ich mich für einen Arbeitgeber entschieden<br />
habe, dann weiß ich, worauf ich mich einlasse.<br />
Dann tue ich alles. Das verlangt meine<br />
Loyalität. Das ist eine Frage meines Selbstverständnisses.<br />
Wenn ich für jemanden nur mit<br />
halber Kraft arbeite, muss ich da nicht anfangen.<br />
Ich hab mich vielleicht auch aus Gründen<br />
der Sentimentalität, der Nostalgie und der<br />
kindlichen Wurzeln für Volkswagen entschieden,<br />
aber es wäre für mich auch nie ein anderer<br />
Automobilkonzern in Frage gekommen.<br />
Nach dem Spionage-Skandal im Bundesgesundheitsministerium<br />
fordern Kritiker die<br />
Politik auf, die Aktivitäten von Lobbyisten<br />
einzuschränken …<br />
Grundsätzlich bin ich mir darüber im Klaren,<br />
dass der Begriff Lobbyismus negativ besetzt<br />
ist. Das werde ich nicht ändern können.<br />
Ich sage klipp und klar, dass alle Unternehmen<br />
und Konzerne legitime, spezielle Interessen<br />
haben und gerade große Konzerne können<br />
es sich leisten, dass diese professionell vertreten<br />
werden – gegenüber der Politik, gegenüber<br />
der Öffentlichkeit, gegenüber der Medien.<br />
Deswegen habe ich auch keine Probleme<br />
mit der Bezeichnung Cheflobbyist bei Volkswagen.<br />
Was nicht geht, sind Versuche, das,<br />
was man eigentlich mit guten Argumenten<br />
und Überzeugungsarbeit erreichen will, mit<br />
Geld zu erkaufen.<br />
Ist es ihre Aufgabe dem Vorurteil entgegenzuarbeiten,<br />
dass Lobbyisten ihre Kontakte<br />
aus der Politik für Lobbyarbeit<br />
missbrauchen?<br />
Es gab eine Diskussion darüber, ob man sofort<br />
aus der Politik in einen lobbyähnlichen<br />
Bereich wechseln darf. Ich habe dazu keine<br />
abschließende Meinung. Ich finde, dass der<br />
Wechsel an sich unproblematisch ist. Es kann<br />
aber sein, dass es bestimmte Funktionen in<br />
der Politik gibt, die mit bestimmten Kenntnissen,<br />
Wissen und Kontaktnetzen verbunden<br />
sind. Dort ist es angemessen eine Art Quarantänezeit<br />
einzuführen bevor man in demselben<br />
Bereich wieder arbeitet. Dabei ist der<br />
Fakt, dass jemand in derselben Branche weiterarbeitet<br />
nicht entscheidend, sondern dass<br />
er aus der Regierung, aus einem Ministerium<br />
Informationen mitnimmt, die einen enormen<br />
Wettbewerbsvorteil bedeuten.<br />
Haben Sie ihren Karriereweg aktiv geplant,<br />
gab es da Kriterien, eine Strategie?<br />
Ich hatte das große Glück in meinem Leben,<br />
dass ich die Dinge, die mir großen Spaß machen,<br />
mit meinen beruflichen Tätigkeiten in<br />
den verschiedenen Phasen meines Lebens verbinden<br />
konnte. Am Ende haben aber auch<br />
sehr viele Zufälle hineingespielt. Im Grunde<br />
fing mein Einstig in die Politik mit einer tiefen<br />
Enttäuschung an. Eigentlich wollte ich zu dem<br />
Zeitpunkt promovieren. Dann ist das Promotionsstipendium<br />
auf Grund von Kürzungen<br />
gestrichen worden und ich musste eine Job finden.<br />
So bin ich in die Politik gekommen.<br />
Was würden Sie sagen, ist langfristig wichtig,<br />
um im Arbeitsleben erfolgreich und<br />
auch glücklich erfolgreich zu sein?<br />
Das ist eine schwierige Frage. Man sollte die<br />
Planung während des Studiums und bei der<br />
Wahl des Studienfaches nicht davon abhängig<br />
machen, was man später und wo man<br />
später arbeiten könnte. Die Phasen im Leben<br />
muss man auch nutzen, um das Gefühl zu bekomme:<br />
Jetzt mache ich das, was ich aus inneren<br />
Antrieben heraus machen will und nicht<br />
aus irgendwelchen Nützlichkeitstrieben. Man<br />
bekommt nur einmal im Leben diese Phase<br />
geschenkt.<br />
Und trotzdem aus Ihrer Erfahrung heraus:<br />
worauf kommt es an?<br />
Eines erweist sich immer wieder <strong>als</strong> entscheidendes<br />
Kriterium: der Abschluss muss gut<br />
sein. Das zweite, worauf auch immer mehr<br />
Personalchefs Wert legen, ist die Entwicklung<br />
von Persönlichkeiten. Eigenständigkeit, Problemlösungsfähigkeit,<br />
soziale Kompetenz, das<br />
wird häufig im Studium vernachlässigt, ist<br />
aber auch sehr wichtig.<br />
Letzte Frage: 2013 ist Bundestagswahl. Was<br />
wird das wahlentscheidende Thema?<br />
Man muss die Tiefenströme, die mentale Verfassung<br />
eines Landes erreichen. Da geht es<br />
dann um Frieden, wie 2002 <strong>als</strong> der Irakkrieg<br />
diskutiert wurde oder um Solidarität und Gemeinsamkeit<br />
nach der Flut in Ostdeutschland.<br />
Das zeichnet sich im Moment noch nicht klar<br />
ab. Es wird sehr stark davon abhängen, ob die<br />
Deutschen das Gefühl haben, dass die Krise<br />
um den Euro und in Europa eher überwunden<br />
oder die Situation unverändert dramatisch<br />
ist. Und ob die wirtschaftlichen Schwierigkeiten<br />
zunehmen, die Menschen mehr Angst um<br />
ihren Arbeitsplatz haben. In Amerika war das<br />
Thema Arbeitsplatzsicherheit und damit Einkommenssicherheit<br />
das wichtigste in diesem<br />
Jahr. #
Karriere<br />
Fotos: Stefanie Lipka, Eva Casper<br />
Pünktlicher<br />
<strong>als</strong> die Bahn<br />
„Herr Hesselbach hat einen Chauffeur?“, lautet meistens die ungläubige Frage, wenn man von Emanuel Chmielarski<br />
erzählt. Ja! Und wir haben ihn einen Tag begleitet. Eine Story übers Fahren, Pünktlichkeit und viel Sitzfleisch.<br />
Von Eva Casper<br />
Wer an einen Chauffeur<br />
denkt, hat meistens das Bild<br />
eines tadellos geschniegelten,<br />
gnadenlos loyalen Herrn im Anzug<br />
im Kopf, der sich – sobald sein Arbeitgeber<br />
aus dem Auto steigt – in etwas unterwürfiger<br />
Manier auf die Tür stürzt<br />
und selbige mit kerzengerader Haltung<br />
wortlos aufhält.<br />
Überhaupt ist der gängige Chauffeur<br />
demnach ein wortkarger Mann, der nur<br />
antwortet, wenn er gefragt wird, der<br />
<strong>als</strong>o in gewisser Weise das Prinzip der<br />
Dienstleistung vollkommen verinnerlicht<br />
hat. Doch mit diesem Klischeebild<br />
hat Emanuel Chmielarski, der Chauffeur<br />
von TU-Präsident Professor Jürgen<br />
Hesselbach kaum Schnittmengen.<br />
Als er mich an einem Montagmorgen<br />
abholt, trägt er Jackett und Jeans und<br />
könnte wahrscheinlich auch <strong>als</strong> Lehrer<br />
oder Dozent durchgehen. Es ist Semesterbeginn<br />
und das bedeutet viel Arbeit<br />
für den Mann, der den Präsidenten<br />
mobil macht. Wir begaben uns auf den<br />
Weg nach Wolfenbüttel, um Herrn Hesselbach<br />
zu Hause abzuholen. Er muss<br />
44
Karriere<br />
anschließend im Stadion die Erstsemester<br />
begrüßen. Der Verkehr ist an diesem<br />
Morgen ungewöhnlich dicht. „Zu<br />
spät zu sein geht gar nicht, Ziel ist es<br />
egal wohin pünktlich anzukommen“,<br />
erklärt Chmielarski gelassen <strong>als</strong> er bei<br />
180 Sachen auf der Autobahn die verlorene<br />
Zeit wieder reinfährt.<br />
Eine staatlich anerkannte Ausbildung<br />
hat er nicht absolviert. Die gibt es auch<br />
nicht. Chmielarski rutschte eher zufällig<br />
nach seiner Bundeswehrzeit auf den<br />
Fahrersitz.<br />
Das war 1979 und er war gerade 21<br />
Jahre alt. „Ich hatte die Wahl zwischen<br />
einer handwerklichen Ausbildung, der<br />
Wiederaufnahme<br />
meiner Arbeit bei<br />
der Bahn oder einem<br />
Neuanfang.“<br />
Er entschied<br />
sich fürs Fahren.<br />
„Der Beruf ist schön, wenn man jung<br />
ist. Man kommt viel herum, trifft interessante<br />
Leute.“<br />
Zehn Jahre später nimmt er die Stelle<br />
an der TU Braunschweig an. Seitdem<br />
fährt er Mitglieder des Präsidiums von A<br />
nach B und ist Mitglied im Personalrat.<br />
Meistens ist Chmielarski in Deutschland<br />
unterwegs, aber er war auch schon<br />
in Polen, den Niederlanden, Belgien,<br />
der Schweiz und in Österreich.<br />
„Dieser Beruf ist nichts für Leute,<br />
die um 16 Uhr Feierabend haben wollen.<br />
Oft ist man von halb acht bis spät<br />
abends unterwegs. Mitunter kommen<br />
die Aufträge auch sehr kurzfristig und<br />
ohne absehbaren Feierabend.“<br />
Das macht den Spagat zwischen Job<br />
und Privatleben schwierig.<br />
Er wohnt mit seiner Freundin und ihren<br />
zwei Kindern in einem Dorf in der<br />
Nähe von Braunschweig. In seiner Freizeit<br />
kocht er gerne, fährt Mountainbike<br />
und werkelt an Haus und Garten. Und<br />
er genießt es mal nicht fahren zu müssen.<br />
Meistens sitzt dann seine Freundin<br />
hinter dem Steuer. „Sie fährt sehr gut<br />
und ich kann entspannt danebensitzen“,<br />
sagt er mit einem Grinsen.<br />
Selbst hat er nach 33 Berufsjahren<br />
und vielen hunderttausend Kilometern<br />
nur zwei kleine Blechschäden gehabt.<br />
„Dieser Beruf ist nichts<br />
für Leute, die um 16 Uhr<br />
Feierabend haben wollen.“<br />
Mittlerweile sind wir in Wolfenbüttel<br />
angekommen und Herr Hesselbach<br />
steigt ins Auto – ein VW-Phaeton übrigens,<br />
laut Spiegel Online ein „luxuriöser<br />
Ladenhüter“. Aber er ist zumindest<br />
bequem und das zählt auf langen Fahrten<br />
mehr <strong>als</strong> das Image des Fahrzeuges.<br />
„Für Stadtfahrten könnte ich mir aber<br />
auch gut ein Elektroauto vorstellen“, so<br />
Chmielarski.<br />
Auf der Fahrt geht der Präsident noch<br />
einmal seine Rede durch. Er ist gut aufgelegt<br />
und erzählt, dass seine Sekretärin<br />
ihm gestern aus Versehen die Rede<br />
vom letzten Jahr geschickt hat. „Das<br />
hast du doch schon mal erzählt, habe<br />
ich gedacht.“ Er<br />
lacht. „Wenn ich<br />
sowas nicht mehr<br />
merke, ist es Zeit<br />
aufzuhören.“ Sie<br />
plaudern noch ein<br />
bisschen über Politik, die Räumung der<br />
Asse und den Zahnarzttermin um 11.30<br />
Uhr. Auf längeren Fahrten herrscht<br />
aber auch oft stille Betriebsamkeit. „Ich<br />
muss mich schließlich aufs Fahren konzentrieren“,<br />
so Chmielarski.<br />
Als wir im Stadion ankommen, sind<br />
die Reihen noch etwas gelichtet. Herr<br />
Hesselbach wird vom ZDF interviewt.<br />
Sein Chauffeur und ich stehen etwas<br />
abseits der Bühne. Warten, das heißt<br />
mit Kollegen plaudern, Kaffee trinken,<br />
lesen, rauchen – Zeit totschlagen eben.<br />
Dann wieder Rastlosigkeit und viel Sitzfleisch<br />
auf langen Fahrten. Dazu die<br />
schwankenden Arbeitszeiten und der<br />
ansteigende Verkehr. „Der Job hinterm<br />
Steuer wird mit zunehmendem Alter<br />
auch anstrengender.“<br />
Immerhin macht der technische Fortschritt<br />
in den Fahrzeugen die Arbeit<br />
deutlich einfacher. Navigation, verbesserte<br />
Staumeldungen im Radio und Autotelefon.<br />
„Früher habe ich beim Fahren<br />
mit 160 Sachen nebenbei auf die<br />
Karte geschielt.“<br />
Während wir neben der Tribüne warten,<br />
fragt Chmielarski mich, wie ich<br />
Herrn Hesselbach finde? Sympathisch<br />
und recht locker. „Ja, stimmt er mir<br />
zu. Und die Studenten liegen ihm wirklich<br />
am Herzen.“ Letzten Endes bleibt<br />
es aber bei einer Geschäftsbeziehung.<br />
Es gibt weder ein per Du, noch private<br />
Treffen, nur gemeinsame Fahrten.<br />
Nach dem Ende der Erstsemesterbegrüßung<br />
geht es zurück in die Universität,<br />
um 14 Uhr nach Osnabrück und<br />
am nächsten Tag nach Berlin. Das Auto<br />
ist nicht nur Fortbewegungsmittel, sondern<br />
auch der Arbeitsplatz – Lebenspartner<br />
fast schon. Nicht der Weg ist das<br />
Ziel, das Ziel ist das Ziel. Darum dreht<br />
sich alles. Die Stelle bei der Bahn hat<br />
Chiemlarski dam<strong>als</strong> ausgeschlagen. Eine<br />
Verbindung gibt es trotzdem noch: „Ich<br />
bin meistens pünktlicher <strong>als</strong> meine ehemaligen<br />
Kollegen“, sagt er und lächelt. #<br />
Chef & Chauffeur bei der Erstsemesterbegrüßung<br />
im Stadion<br />
45
Karriere<br />
Was heißt<br />
nachhaltig leben?<br />
Auf dem Heldenmarkt, der Messe für nachhaltigen Konsum, werden nur <strong>als</strong> umwelt- und sozialverträglich geltende<br />
Produkte gehandelt. Über den Durst lässt es sich dort trotzdem konsumieren.<br />
von Kristin Schulze<br />
Zufriedene Menschen schlendern<br />
mit Einkaufsbeuteln, auf denen<br />
„Koofen – Verkoofen – Jutes<br />
tun“ steht, durch die Reihen des Heldenmarktes<br />
am Berliner Ostbahnhof.<br />
Man fühlt sich wohl, denn das Bedürfnis<br />
ethisch zu handeln und dabei gute<br />
Lebensmittel zu erwerben, bringt Besucher<br />
und Verkäufer ins Gespräch.<br />
Nun, die Verkäufer bewegt auch der<br />
Wunsch, ihre Ware zu vermarkten. Die<br />
Bandbreite der Produkte reicht von Biolebensmitteln,<br />
regionaler und überregionaler<br />
Herkunft, über europaweit<br />
vertriebene Textilien bis zu Waldanteilen<br />
in Südamerika. Letztere werden unter<br />
dem Deckmantel der Nachhaltigkeit<br />
auch mit hohen Renditekonditionen beworben.<br />
Es finden Werbevorträge von<br />
und über Firmen statt, darunter auch<br />
eine Bank, die bei einer Geldanlage<br />
ethischen Mehrwert verspricht.<br />
Den Heldenmarkt gibt es seit 2010. Er<br />
kann <strong>als</strong> Paradebeispiel für eine Bewegung<br />
gelten, die sich der Tragweite ihrer<br />
Kaufkraft bewusst ist und sie gezielt<br />
einsetzt. Die meisten Angebote bleiben<br />
konsumorientiert. Wenige Ausnahmen<br />
bilden Vorträge von Umweltorganisationen<br />
und ein Recycling-Workshop.<br />
Können einzelne Kaufentscheidungen<br />
in unserem auf Wohlstand und<br />
Wirtschaftswachstum gepolten System<br />
denn wirklich dazu beitragen, die Umwelt<br />
zu entlasten? Der ökologische Fußabdruck<br />
der Deutschen und anderer
Karriere<br />
Industrienationen liegt ein Vielfaches<br />
über dem dauerhaft beanspruchbaren<br />
Durchschnittswert von 1,9 Hektar pro<br />
Jahr und Kopf, das hat das Global Footprint<br />
Network errechnet. Der Fußabdruck<br />
gibt die Fläche der Erde an, die<br />
nötig ist, um die eigene Lebensweise<br />
dauerhaft zu ermöglichen. Würden wir<br />
so weiter machen, bräuchten wir zur<br />
Versorgung aller Menschen fast drei Erden.<br />
Unser Lebensstil baut auf der Summe<br />
aller unserer Handlungen auf. Wie<br />
viel ändern hierbei <strong>als</strong>o Bioobst und<br />
recycelte Handtaschen, wenn wir im<br />
Sommer in den Urlaub fliegen und dabei<br />
einen horrenden CO²-Ausstoß verursachen?<br />
Oder wenn die recycelte<br />
Handtasche meine dritte Handtasche<br />
im Schrank ist? Mit Hilfe des Heldenmarktes,<br />
der dieses Jahr in fünf Städten<br />
Deutschlands stattfindet, können Interessierte<br />
Wege zu einem nachhaltigeren<br />
Konsum- und Lebensstil einschlagen.<br />
Sie können aber auch einfach über<br />
den Durst konsumieren und die Wirtschaft<br />
ankurbeln. Schwieriger ist es<br />
mit dem kollektiven Fußabdruck. Gesellschaftliche<br />
Anforderungen, kollektive<br />
Wohlstandsansprüche und unsere<br />
Infrastruktur machen ein ökologisch<br />
verantwortbares Leben schwierig. Als<br />
Studierende sind wir zum Beispiel an<br />
Mobilität gewöhnt. So sind Heimat, Universitätsstadt<br />
und der Ort des zukünftigen<br />
Arbeitsplatzes selten dieselben.<br />
Auch die differenzierten Berufsfelder<br />
in unserer auf globaler Arbeitsteilung<br />
basierenden Gesellschaft veranlassen<br />
uns zu hohem Ressourcenverbrauch.<br />
Was <strong>als</strong>o tun? Zunächst mal weiterlesen.<br />
Denn der Nachhaltigkeitsforscher<br />
Dr. André Reichel hat studi38 im Interview<br />
verraten, was eine Postwachstumsgesellschaft<br />
ausmacht und wie der Weg<br />
dahin aussehen könnte. #<br />
„Die Postwachstumsgesellschaft<br />
kommt so oder so“<br />
André Reichel sieht enormes Potenzial zum<br />
Wandel bei den Unternehmen.<br />
Fotos: Architectuul, Privat<br />
Was halten Sie von grünem bzw. qualitativem<br />
Wachstum?<br />
Grundsätzlich ist damit ja gemeint, dass<br />
durch Investitionen in Umweltindustrien und<br />
Themen wie Energieeffizienz und erneuerbare<br />
Energien ein Wirtschaftswachstum ausgelöst<br />
wird, das gleichzeitig mit deutlich weniger<br />
Umweltverbrauch einhergeht. Grünes Wachstum<br />
hilft uns aber nicht wirklich zu einer Entkopplung<br />
von Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch.<br />
Denn auch wenn es gelingt,<br />
Produkte mit weniger Ressourceneinsatz zu<br />
produzieren, gibt es das Problem des sogenannten<br />
Rebound-Effekts.<br />
Das müssen Sie uns jetzt etwas genauer<br />
erläutern!<br />
Ein effizienteres Produkt hilft beim Ressourcenschonen<br />
und setzt damit Einkommen<br />
frei. Das erlaubt es dem Verbraucher, mehr<br />
von diesem oder einem anderen Produkt zu<br />
kaufen – so dass er am Ende paradoxerweise<br />
ebenso viele Ressourcen, wenn nicht noch<br />
mehr <strong>als</strong> ursprünglich, verbraucht. Man<br />
müsste die Entkopplungsvorstellung vielleicht<br />
gänzlich aufgeben.<br />
Sie sprechen sich dafür aus, für eine Postwachstumswirtschaft<br />
bestehende kapitalistische<br />
Mechanismen zu überdenken. Andere<br />
lehnen kapitalistische Perspektiven<br />
grundsätzlich ab.<br />
In der Diskussion um eine Postwachstumsökonomie<br />
fällt der betriebswirtschaftliche Aspekt,<br />
die Sichtweise der Unternehmen, immer hinten<br />
runter, weil viele Vertreter sehr grundsätzlich<br />
in politökonomischen Entwürfen denken.<br />
Genau hier liegt mein Forschungsinteresse:<br />
Was für eine Rolle spielen eigentlich Unternehmen<br />
und was bedeutet Postwachstum aus<br />
unternehmerischer Sicht?<br />
Sie gehen davon aus, dass besonders von<br />
den Unternehmen eine Veränderung ausgehen<br />
kann?<br />
Ein Stück weit ordne ich mich der substanziellen<br />
Postwachstumsrichtung zu, die die Akteure<br />
in den Mittelpunkt rückt und sich von allzu<br />
planerischen und verordnenden Lösungen abgrenzt.<br />
Daher sehe ich auch Unternehmen <strong>als</strong><br />
Teil einer größeren Bewegung von unten, die<br />
ja letztlich in einer Postwachstumswirtschaft<br />
oder -gesellschaft auch agieren müssen. →<br />
Dr. André Reichel ist Research<br />
Fellow für nachhaltiges<br />
Wirtschaften am European<br />
Center for Sustainability<br />
Research an der Zeppelin<br />
Universität am Bodensee. In der<br />
Vergangenheit stand er dem<br />
Forschungscluster `Nachhaltigkeit<br />
in der Produktion` der<br />
durch die Deutsche<br />
Forschungsgemeinschaft (DFG)<br />
geförderten Graduiertenschule<br />
für advanced Manufactoring<br />
Engineering in Stuttgart<br />
vor. Sein Interesse gilt der<br />
Postwachstumsforschung.<br />
47
Karriere<br />
Die Jutetasche <strong>als</strong> Statement:<br />
So gesehen auf dem Berliner Heldenmarkt.<br />
Funktioniert dieser Wandel vom Wachstums-<br />
zum Postwachstumsparadigma denn<br />
auch ohne staatliche Regelungen?<br />
Grundsätzlich bin ich und sind auch andere<br />
der Meinung: Die Postwachstumsgesellschaft<br />
kommt so oder so. Die Aussichten auf mehr<br />
Wachstum sind einfach nicht mehr da. Wann<br />
genau das passiert, das wissen wir noch nicht<br />
und es gibt natürlich viele mögliche Postwachstumsgesellschaften.<br />
Insofern ist immer<br />
die Frage, welche Rahmenbedingungen gelten<br />
müssen und wie man so einen Übergang gestalten<br />
kann, damit wir immer noch eine, aus<br />
unserer Sicht freie, lebenswerte, menschenwürdige<br />
und demokratische Postwachstumsgesellschaft<br />
haben. Da ist zumindest eine Ergänzung<br />
des Bruttosozialproduktes um einen<br />
neuen Wohlstandsindikator sicherlich hilfreich,<br />
der neben ökonomischen Aspekten auch<br />
soziale und ökologische Faktoren mitberücksichtigt.<br />
Aber es wird nicht alles automatisch<br />
besser, wenn wir einen neuen Wohlstandsindikator<br />
haben.<br />
Was muss <strong>als</strong>o passieren,<br />
damit der<br />
Wandel befördert<br />
wird?<br />
Wenn wir<br />
eins wissen,<br />
dann ist es,<br />
dass sich die<br />
Dinge nie von<br />
oben durchsetzen.<br />
Sie werden immer<br />
schon vorgelebt.<br />
Und das meistens<br />
von einer Avantgarde.<br />
Manche Dinge<br />
setzen sich durch<br />
und andere nicht. Es<br />
muss viele soziale Experimente<br />
geben. Sei<br />
es jetzt, dass Menschen<br />
sich entschließen, einen<br />
Schritt aus der kapitalistischen<br />
Verwertungslogik<br />
heraus zu machen<br />
und wieder in Kommunen<br />
leben. Dass Leute auf<br />
einmal in Städten wieder<br />
anfangen ihre Viertel mit<br />
Urban Gardening zu beleben,<br />
was manchmal belächelt wird, aber auch einen<br />
anderen Lebensstil beinhaltet, oder dass<br />
Leute anfangen sehr bewusst über ihre Ernährung<br />
nachzudenken. Es ist im Moment alles<br />
noch im Fluss. Aber da ist so ein wachsendes<br />
Empfinden: so kann’s nicht weitergehen.<br />
Wie bekommen die Menschen, die dieses<br />
Empfinden in neuen Lebensweisen umsetzen,<br />
Einfluss auf die Gesellschaft?<br />
Deswegen plädiere ich dafür die Unternehmen<br />
zu beachten. Weil unser Leben zum großen<br />
Teil durch Unternehmen beeinflusst wird.<br />
Wir konsumieren das, was auch da ist. Unternehmen<br />
haben eine unglaubliche schöpferische<br />
Zerstörungskraft, Altes hinwegzufegen<br />
und Neues an diese Stelle zu setzen. Ohne<br />
Unternehmertum und Unternehmergeist, ob<br />
profitorientiert oder sozialorientiert, das sei<br />
mal ganz dahingestellt, wird es nicht gehen.<br />
Wir brauchen die Unternehmen und mehr<br />
noch – wir brauchen die Unternehmer, die in<br />
diese Richtung gehen.<br />
Kann ein Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft<br />
noch wachsen oder sich<br />
verändern?<br />
Natürlich, meist aber auf Kosten anderer Unternehmen,<br />
indem es einen völlig neuen Markt<br />
aufmacht, der dann wieder dafür sorgt, dass<br />
andere Märkte schrumpfen und absterben.<br />
Denken Sie zum Beispiel daran, was Wikipedia<br />
mit dem Markt für Enzyklopädien gemacht<br />
hat. So etwas passiert laufend.<br />
Haben Sie einen Rat für Startups, die nachhaltig<br />
wirtschaften wollen?<br />
Sich ernsthaft mit dem Thema Nachhaltigkeit<br />
auseinander zu setzen und zu überlegen, inwiefern<br />
die eigene Geschäftsidee um das Thema<br />
herum aufgebaut werden kann. Was kann<br />
das Unternehmen tun, um eine Nichtnachhaltigkeit<br />
in der Gesellschaft zu beseitigen. Und<br />
das muss Kern des Geschäfts sein.<br />
Wie wird die Postwachstumsdebatte in anderen<br />
europäischen Ländern geführt?<br />
Also, sie wird überall geführt. In den romanischen<br />
Ländern vielleicht etwas schärfer. Sie<br />
kommt ja aus Frankreich und hat sehr schnell<br />
in Spanien und Italien Fuß gefasst, aber auch<br />
in Großbritannien. Inzwischen ist es eine gesamteuropäische<br />
Diskussion um die Frage,<br />
wie wir eigentlich leben wollen und wie wir<br />
angesichts der Begrenzungen im ökologischen<br />
Bereich, aber auch angesichts der großen<br />
Spannungen, die wir im sozialen Bereich haben,<br />
wirtschaften sollen.<br />
Sie haben an internationalen Tagungen<br />
zum Thema teilgenommen. Kennen<br />
Sie Ihren persönlichen ökologischen<br />
Fußabdruck?<br />
Ach Gott ja! Wenn ich meine beruflichen Reisen<br />
nicht mit anrechne, dann ist der ganz gut.<br />
Wenn ich dreimal im Jahr einen Interkontinentalflug<br />
hab, dann ist natürlich mit jedem<br />
Flug immer gleich das gesamte Jahresbudget<br />
von drei Tonnen CO² pro Jahr und Kopf weg.<br />
Selbst wenn man sehr bewusst lebt und konsumiert,<br />
ist die Einhaltung des Budgets fast<br />
unmöglich. Da breche ich eine Lanze für Technologien<br />
und Produkte, die uns dabei helfen<br />
können, aber es fehlen natürlich auch ganz<br />
andere Lebens- und Arbeitsentwürfe. #<br />
Foto: Kristin Schulze<br />
48
Schlussakkord<br />
Lieblings …<br />
… Album? Film? Buch?<br />
Ein Blick hinter die Kulissen: Unsere Redakteure verraten euch exklusiv ihre Vorlieben!<br />
Desiree Schober<br />
Ingo Kasseck<br />
Annika Heller<br />
Lieblingsalbum<br />
Das Meisterstück, Vol. I (Mach One)<br />
Das Meisterstück kombiniert ernsthafte Themen<br />
und Tiefgang mit Humor, Witz und Ironie.<br />
Die einzelnen Tracks bilden ein rundes<br />
Gesamtwerk, welches vom Künstler selbstproduziert<br />
wurde. Die durchdachten Texte des<br />
Albums lassen einen immer wieder neue Details<br />
entdecken. Wächst mit jedem mal hören.<br />
LIEBLINGSFILM<br />
Eternal Sunshine of the Spotless Mind<br />
(Michel Gondry)<br />
Der Film zeigt die verworrene Geschichte eines<br />
Paares und die Möglichkeit, Erlebnisse<br />
oder gar Personen aus den eigenen Erinnerungen<br />
löschen zu lassen. Beeindruckend ist<br />
die Art ein subjektives Gefühl wie eine Erinnerung<br />
skurril und doch so echt darzustellen.<br />
LIEBLINGSBUCH<br />
Die Einsamkeit der Krokodile<br />
(Dirk Kurbjuweit)<br />
Die locker geschriebene Geschichte verbindet<br />
die tiefgründige Frage nach Normalität und<br />
Wahnsinn mit einem eher trockenen Humor<br />
und beschreibt Charaktere, die gerade durch<br />
ihre Fehler und ihre seltsamen Eigenarten an<br />
Sympathie gewinnen.<br />
Lieblingsalbum<br />
Illmatic (Nas)<br />
Eines der Top 10 Rap Alben aller Zeiten, das<br />
im nächsten Jahr zwanzigsten Geburtstag feiert.<br />
Der New York Rap Sound der Neunziger<br />
Jahre, großartige Beats, großartige Texte und<br />
wegweisend für unzählige Künstler. Außerdem:<br />
Ein Album, das man seit 12 Jahren immer<br />
wieder gerne hört, gehört genau hier hin.<br />
Lieblingsfilm<br />
Cheyenne – This Must Be the Place<br />
(Paolo Sorrentino)<br />
Ein Roadmovie mit Sean Penn <strong>als</strong> gealterte<br />
Darkwave-Ikone im Ruhestand, der nach dem<br />
Tod seines Vaters beschließt, dessen Peiniger<br />
zu jagen. Der Film ist ruhig, spannend, witzig<br />
und begleitet den 50 jährigen Hauptdarsteller<br />
beim Erwachsen werden.<br />
Lieblingsbuch<br />
A Song of Fire and Ice<br />
(George R. R. Martin)<br />
Das Buch, das ich zum Einschlafen lese und<br />
regelmäßig genau deswegen zu lange wach<br />
bleibe ist eigentlich eine Buchreihe. Die Serie<br />
ist ja bekannter Maßen eine Erfolgsgeschichte,<br />
aber die Bücher sind einfach besser, voller,<br />
spannender.<br />
Lieblingsalbum<br />
Our Earthly Pleasures<br />
(Maximo Park)<br />
Vielseitig, britisch, großartig! Ein All-Time-<br />
Lieblingsalbum, das für jede Stimmung den<br />
richtigen Song bereithält, gute Laune mit<br />
„Books from Boxes“ und melancholisch-entspannt<br />
mit „Sandblasted And Set Free“. Und<br />
natürlich der britische Akzent.<br />
Lieblingsfilm<br />
500 Days of Summer<br />
(Marc Webb)<br />
Eine (gescheiterte) Liebesgeschichte mal aus<br />
der männlichen Sicht und so grandios dargestellt,<br />
mit all seinen Facetten. Ein gefühlvoller,<br />
verträumter, ehrlicher Trennungs- und Beziehungsfilm<br />
und eigentlich immer der perfekte<br />
Film. Auch beim 1000sten mal.<br />
Lieblingsbuch<br />
Eat, Pray, Love<br />
(Elizabeth Gilbert)<br />
Seit ich dieses Buch gelesen habe, habe ich<br />
grundlegende Dinge in meinem Leben geändert,<br />
so sehr hat es mich beeinflusst. Ein beeindruckendes,<br />
inspirierendes und motivierendes<br />
Buch. Wer <strong>als</strong>o neue Denkanstöße oder einen<br />
Leseurlaub braucht: Sehr geeignet.<br />
49
Schlussakkord<br />
Die Sache mit dem Konjunktiv<br />
Wie die Möglichkeitsform unser Denken beherrscht<br />
Von Elena Schade<br />
Wieder beginnt ein neues Semester.<br />
Wieder sitze ich in<br />
der Uni und hab mir Großes<br />
vorgenommen: Diesmal schreibe ich<br />
alles mit. Diesmal strenge ich mich so<br />
richtig an. Diesmal werde ich für meine<br />
Mühe mit einem grandiosen Durchschnitt<br />
belohnt. Diesmal mache ich alles<br />
anders. Auch wenn es letztes Jahr<br />
nicht so gut lief, wenn ich möchte,<br />
dann kann ich das auf jeden Fall. Und<br />
ich möchte wirklich.<br />
Schon in der dritten Woche höre ich<br />
in einem Seminar das erste grandiose<br />
Referat eines Kommilitonen. Diese gewählte<br />
Aussprache, dieses Auftreten,<br />
diese fein säuberlich beschriebenen<br />
Karteikarten und diese unglaubliche<br />
selbstsichere Ausstrahlung. Diese Gelassenheit<br />
während der anschließenden,<br />
bohrenden Fragen einiger besonders<br />
streitlustiger Mitstudenten und<br />
der kritische Blick des Dozenten. Der<br />
Referent bleibt unvorstellbar ruhig. Ich<br />
frage mich kurz wie er das macht und<br />
dann die Erkenntnis: Wenn ich jedes<br />
Mal so gut vorbereitet wäre, würde ich<br />
das genauso schaffen. Ich müsste mich<br />
nur einen Tag früher dran setzten, mich<br />
etwas besser auf die Vorbereitung konzentrieren<br />
und mich gegen hartnäckige<br />
Ablenkungsversuche durch meine Umwelt<br />
vehement wehren. Das kann doch<br />
nicht so schwer sein.<br />
Nachmittags sitze ich an meinem<br />
Schreibtisch und starre Löcher in die<br />
Luft. Vor mir ein Stapel Bücher und ein<br />
paar Dutzend kleine Klebezettel in allen<br />
erdenklichen Farben. Ich denke an meinen<br />
Vorsatz, diesmal fleißiger zu sein.<br />
Würde ich sofort anfangen, könnte ich<br />
es sogar noch relativ stressfrei bis zum<br />
Abgabetermin schaffen. Aber zählt der<br />
Vorsatz überhaupt, wenn die Hausarbeit<br />
noch aus dem letzten Semester ist?<br />
Während ich mir über die Gültigkeit<br />
meines Vorhabens in dieser speziellen<br />
und sehr schwierig zu bewertenden Situation<br />
den Kopf zerbreche, begrüße<br />
ich einen ungebetenen Gast in meinem<br />
Unterbewusstsein. Den inneren Schweinehund.<br />
Jeder kennt ihn, jeder hat ihn,<br />
keiner will ihn. Eng umschlungen trifft<br />
man ihn oft mit seinem guten Freund,<br />
dem Konjunktiv. Besser bekannt <strong>als</strong> die<br />
Möglichkeitsform oder in der zweiten<br />
Form sogar <strong>als</strong> Irrealis. K und S, nennen<br />
wir die beiden so, halten zueinander,<br />
in guten wie in schlechten Zeiten. Sie<br />
sind immer einer Meinung und verstehen<br />
sich auch sonst ausgesprochen gut.<br />
Sie bauen gemeinsam weiße Luftschlösser,<br />
einziehen tun sie allerdings selten.<br />
Viele von uns fühlen sich mit K und S<br />
verbunden. Manche weniger, manche<br />
mehr und manche viel zu oft. Bequeme<br />
Gesellschaft verschmähen wir eben<br />
selten. In Diskussionen verteidigt der K<br />
den S selbstredend, was sich sowohl für<br />
Beteiligte, <strong>als</strong> auch Unbeteiligte durchaus<br />
<strong>als</strong> schwierig gestalten kann. S argumentiert<br />
dann schlau und K hat auf<br />
jeden Fall Verständnis. Natürlich könnte<br />
ich die Hausarbeit mit 1 bestehen,<br />
wenn ich mich richtig anstrenge. Die<br />
Möglichkeit besteht, die Realität aber<br />
sieht anders aus. Da war noch die Bandprobe,<br />
das Gespräch mit dem Bankberater,<br />
der hübsche Junge in der S-Bahn,<br />
die Wäsche, der Abwasch, die gute Serie<br />
im Fernsehen, die spontane WG-Party,<br />
das Abendessen mit D., die neue CD von<br />
L., der Kopfschmerz, der Bauchschmerz,<br />
Alles Gute Gründe, alles nachvollziehbar,<br />
findet K. Er weiß ja, es wäre definitiv<br />
möglich und das beruhigt.<br />
Ich lasse die Bücher und die Hausarbeit<br />
noch eine Weile liegen. Das Wetter<br />
ist schön und die anderen grillen<br />
im Park. Auch an den beiden darauffolgenden<br />
Tagen wartet die Arbeit vergeblich<br />
auf mich, nur ein kleiner sehr<br />
roter Klebezettel hat sich langsam in<br />
mein Gewissen geschlichen. Einen Monat<br />
später stehe ich dann vor dem kleinen,<br />
schwarzen Briefkasten und stecke<br />
einen hektisch zusammengehefteten<br />
Stapel Blätter in den schmalen Schlitz.<br />
Ich habe kein gutes Gefühl und bin<br />
auch nicht erleichtert, obwohl es geschafft<br />
ist. Und während das Papier<br />
langsam ins Dunkel fällt, schwirrt mir<br />
ein wohl bekannter Satz durch meinen<br />
Kopf: Hätte ich nur ein paar Tage länger<br />
Zeit gehabt, wäre das alles gar kein Problem<br />
gewesen. #<br />
Foto: Holger Isermann<br />
50
dedicated to solutions.<br />
l e i d e n s c h a f t f ü r t e c h n i k l e b e n<br />
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Lea Iburg<br />
Anlageberaterin<br />
Finanzen im Kopf. Benzin im Blut.<br />
Der Volkswagen Konzern baut das Auto. Damit es auf die Straße kommt, regeln wir die Finanzen. Mit mehr <strong>als</strong> 10.000 Mitarbeitern<br />
in 38 Ländern weltweit sind wir mehr <strong>als</strong> Europas größter automobiler Finanzdienstleister. Wir sind der Schlüssel zur<br />
Mobilität. Bei uns bewegen Sie etwas – vorausgesetzt, Sie haben den Drive in Finance, Banking, Versicherung, Leasing oder IT.<br />
Sie sind Student (m/w) der Wirtschaftswissenschaft, (Wirtschafts-) Informatik, (Finanz-) Mathematik oder Rechtswissenschaft?<br />
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