Einstellung des Verfahrens (nach § 206a auÃerhalb bzw. § 260 III ...
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erlanger examenskurs • Strafprozessrecht<br />
Februar2008 • Prof. Dr. Hans Kudlich<br />
Fall 6 (<strong>nach</strong> Examen 2005/I)<br />
A wird durch rechtskräftiges Urteil <strong>des</strong> AG wegen einer am Nachmittag <strong>des</strong> 14. Juni begangenen<br />
Urkundenfälschung verurteilt. Erst später wird A auch als Täterin eines Raubes am<br />
Abend <strong>des</strong> 14. Juni überführt. Am 10. November erhebt die Staatsanwaltschaft wegen dieser<br />
Vorfälle Anklage zum örtlich zuständigen AG – Schöffengericht. In der Hauptverhandlung<br />
beantragt der Verteidiger der A, das Verfahren einzustellen, da A wegen der angeklagten<br />
Tat schon durch das rechtskräftige Urteil <strong>des</strong> AG vom 7. September verurteilt worden<br />
sei. Außerdem sei die Sache vor dem Strafrichter zu verhandeln.<br />
Wird das AG – Schöffengericht – das Verfahren einstellen? Wird es das Verfahren an den<br />
Strafrichter verweisen?<br />
a) <strong>Einstellung</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong>?<br />
<br />
<br />
<strong>Einstellung</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> (<strong>nach</strong> § <strong>206a</strong> außerhalb <strong>bzw</strong>. § <strong>260</strong> <strong>III</strong> StPO in der<br />
Hauptverhandlung) bei <strong>Verfahrens</strong>hindernis<br />
hier möglicherweise Strafklageverbrauch durch rechtskräftiges Urteil?<br />
Rechtskraft <strong>des</strong> Urteils aber nur, soweit Tat im prozessualen Sinn (§ 264 StPO)<br />
vorliegt<br />
• Definition: Gesamtes Verhalten <strong>des</strong> Beschuldigten, soweit es mit dem durch die<br />
Strafverfolgung bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis <strong>nach</strong> der Auffassung<br />
<strong>des</strong> Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet;<br />
getrennte Aburteilung müsste als unnatürliche Aufspaltung empfunden werden<br />
• Kriterien: Tatort, Tatzeit, Tatobjekt, Angriffsrichtung (str.)<br />
* bei Idealkonkurrenz regelmäßig eine Tat i.S.d. § 264 StPO<br />
* Realkonkurrenz Indiz für mehrere Taten (Ausnahme z.B. bei Trunkenheitsfahrt<br />
mit Unfall und anschließende Fahrerflucht)<br />
• Voraussetzungen im konkreten Fall:<br />
* räumlich und zeitlich getrennte Vorgänge<br />
* auch sonst kein innerer Zusammenhang<br />
* bei wertender Betrachtung kein einheitlicher Zusammenhang; getrennte Aburteilung<br />
würde nicht „zufällig“ wirken<br />
<br />
keine identische Tat im prozessualen Sinne, kein Strafklageverbrauch, keine<br />
<strong>Einstellung</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong><br />
b) Verweisung?<br />
Verweisung an Strafrichter, wenn<br />
(1.) Schöffengericht unzuständig und<br />
(2.) Verweisung an Gericht niederer Ordnung überhaupt möglich<br />
<br />
<br />
<br />
Zuständigkeit <strong>des</strong> Strafrichters: <strong>nach</strong> § 25 GVG von vornherein nur bei Vergehen<br />
(§ 12 StGB) möglich<br />
hier wegen Raubes (-)<br />
darüber hinaus auch <strong>nach</strong> § 269 StPO grundsätzlich (Ausnahme <strong>nach</strong> h.M.: willkürliche<br />
Annahme der Zuständigkeit) keine Verweisung an Gericht niederer<br />
Ordnung<br />
keinesfalls Verweisung an Strafrichter
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Fall 7 (<strong>nach</strong> Examen 1995/II)<br />
S hatte in einem Hotel die Prostituierte M auf sein Zimmer mitgenommen. In der Nacht flößte<br />
ihm M ein Pulver ein, das sie für ein Schlafmittel hielt, welches in Wirklichkeit aber ein<br />
Gift war. Der Arzt hatte zunächst bei S eine natürliche To<strong>des</strong>ursache in Gestalt eines Herzschlages<br />
diagnostiziert. M wurde daher von der Polizei nur als Zeugin vernommen, ohne<br />
dass jemand daran dachte, dass sie selbst zum Tode <strong>des</strong> S beigetragen haben könnte. Bei<br />
dieser Vernehmung schilderte sie den Sachverhalt wie oben beschrieben. Daraufhin veranlasste<br />
die Staatsanwaltschaft eine Obduktion, die zur Entdeckung der Vergiftung führte. In<br />
der Hauptverhandlung leugnete die Angeklagte M die Verabreichung <strong>des</strong> Pulvers.<br />
Wie kann die frühere Aussage der M in die Hauptverhandlung eingeführt werden? Darf das<br />
Gericht sein Urteil auf diese Aussage stützen?<br />
Abwandlung: Wie wäre die Rechtslage, wenn der vernehmende Polizist P schon von Anfang<br />
an die M in Verdacht gehabt hätte, sie aber in der Hoffnung zunächst als Zeugin vernommen<br />
hätte, dass M in diesem Fall mehr zur Sache aussagen würde?<br />
Ausgangsfall<br />
a) Einführung in die Hauptverhandlung trotz heutigen Schweigens möglich?<br />
Aussage selbst in Hauptverhandlung (–)<br />
<br />
Protokollverlesung<br />
• § 254 StPO:<br />
grds. thematisch einschlägig, da M in diesem Verfahren nun Angeklagte ist, aber:<br />
* passt nicht direkt, da kein Geständnis<br />
* keinesfalls richterliches Protokoll<br />
* Gegenschluss: nicht in Hauptverhandlung verlesbar<br />
• § 251 StPO<br />
* betrifft Zeugen, M ist Angeklagte<br />
* ferner: Anwendungsfall <strong>des</strong> § 251 I StPO liegt hier nicht vor, § 251 II StPO<br />
ohnehin nicht, da kein richterliches Protokoll<br />
(-)<br />
<br />
Vernehmung <strong>des</strong> Beamten: grds. möglich,<br />
insb. stehen §§ 250, 252, 254 StPO nicht entgegen<br />
b) Verwertung zulässig oder<br />
Verwertungsverbot wegen mangelnder Belehrung durch Polizei?<br />
<br />
Belehrungspflicht <strong>nach</strong> § 136 I 2 StPO:<br />
• Verstoß kann <strong>nach</strong> mittlerweile h.M. (seit BGHSt 38, 214) zu Verwertungsverbot<br />
führen (aber beachte: Widerspruchserfordernis)<br />
• aber fraglich, ob § 136 I 2 StPO überhaupt anwendbar:<br />
* Gegen M bestand noch keinerlei Anfangsverdacht<br />
M war noch keine Beschuldigte, sondern Zeugin<br />
M wurde nicht als Beschuldigte vernommen<br />
* Auch objektive Umstände drängten keinen Verdacht auf<br />
Beschuldigtenstellung nicht zu fingieren<br />
auch insoweit keine Belehrungspflicht
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<br />
<br />
nicht bloß Spontanäußerung, sondern informatorische Befragung<br />
h.M., stRspr.: auch deren Ergebnisse können verwertet werden (str.)<br />
Belehrungspflicht <strong>nach</strong> § 55 StPO:<br />
• Verstoß führt zur Unverwertbarkeit in späterem Verfahren gegen früheren Zeugen<br />
als Beschuldigtem (wie gegen M hier)<br />
• aber: Anhaltspunkte für Gefahr einer Selbstbelastung höchstens wg. Anwesenheit<br />
am Tatort vor oder während Tatzeit; stark abgeschwächt, da natürliche To<strong>des</strong>ursache<br />
bereits festgestellt<br />
wohl kein Verstoß<br />
Abwandlung:<br />
<br />
<br />
<br />
hier: Anfangsverdacht tatsächlich (+), auch wenn äußere Umstände dieselben<br />
Inkulpationsakt nicht vorgenommen: M wurde nicht als Beschuldigte behandelt,<br />
Beschuldigtenrechte nicht geachtet<br />
bewusstes, missbräuchliches Vorenthalten der Beschuldigtenstellung<br />
Formale Frage der Einleitung <strong>des</strong> Ermittlungsverfahrens muss hinter Schutz der<br />
(Grund-)Rechtsposition der Betroffenen zurücktreten<br />
§ 136 StPO anwendbar, Behandlung wie bei Beschuldigtenvernehmung<br />
wegen Verstoßes Beweisverwertungsverbot, wenn M Verwertung in Hauptverhandlung<br />
widerspricht<br />
(daneben sogar § 136a StPO denkbar, hier aber zu wenig Tatsachen mitgeteilt)
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Fall 8 (<strong>nach</strong> BGHSt 42, 15 und 170; vgl. auch Examen 1998/II)<br />
Der Angeklagte A wurde kurze Zeit, <strong>nach</strong>dem ein Mord passiert war, aufgrund von Hinweisen<br />
in der Bevölkerung festgenommen und noch in derselben Nacht von der Polizei vernommen:<br />
Variante a): Der A, ein aus dem Ausland eingeflogener Killer, der kein Deutsch sprach, äußerte<br />
<strong>nach</strong> ordnungsgemäßer Belehrung mittels eines Dolmetschers, dass er einen<br />
Rechtsbeistand wünsche. Daraufhin wurde ihm das örtliche Branchentelefonbuch vorgelegt,<br />
in dem auch die zugelassenen Rechtsanwälte verzeichnet waren. A machte davon<br />
aber keinen Gebrauch; eine weitergehende Hilfestellung (insbesondere ein Hinweis auf<br />
den örtlichen Anwaltsnotdienst) wurde dem A nicht erteilt, da der vernehmende Polizist<br />
P es „im Sinne der Ermittlung für die erfolgversprechendere Maßnahme“ hielt, die Vernehmung<br />
ohne Verteidiger fortzusetzen.<br />
Variante b): A, der der deutschen Sprache unproblematisch mächtig war, wies <strong>nach</strong> seiner<br />
Belehrung insgesamt dreimal darauf hin, ohne Rechtsanwalt keine Aussagen machen zu<br />
wollen. P wies (wahrheitsgemäß) darauf hin, dass ein Anwalt wohl erst am nächsten<br />
Morgen erreichbar sein würde und setzte die Vernehmung fort. Schließlich fand sich A<br />
doch bereit auszusagen.<br />
Im Laufe der Vernehmung gab A ein Geständnis ab, das er in der Hauptverhandlung widerrief.<br />
Kann es gleichwohl in irgendeiner Weise verwertet werden?<br />
Geständnis selbst in HV (–)<br />
<br />
<br />
Verlesung: wg. § 254 StPO (–), keine richterliche Verhörsperson<br />
Vernehmung der Verhörsperson:<br />
• Grds. <strong>nach</strong> h.M. Vernehmung der (auch nicht-richterlichen) Verhörsperson trotz<br />
§ 254 StPO möglich (anders als bei § 252 StPO)<br />
• Unverwertbarkeit (der Aussage, über die Verhörsperson berichten würde) wegen<br />
Verstoßes gg. § 136 StPO?<br />
* Verstoß wäre <strong>Verfahrens</strong>fehler (allerdings <strong>nach</strong> Rechtsprechung nur revisibel,<br />
wenn bis zum in § 257 StPO genannten Zeitpunkt gerügt)<br />
* Generelles Spannungsverhältnis: einerseits effektive Gewährung <strong>des</strong> Rechts<br />
auf Verteidiger (Konsultation und Vertretung), andererseits Eigenverantwortung<br />
<strong>des</strong> Angeklagten<br />
* Anwendung im konkreten Einzelfall:<br />
* a) <strong>nach</strong> BGHSt 42, ,15 (5. Strafsenat) <strong>Verfahrens</strong>verstoß (+), gewisse<br />
„Mitwirkung“ geboten (Ausländer besonders schutzwürdig; hier war auch<br />
Hilfe möglich, Notdienst)<br />
* b) <strong>nach</strong> BGHSt 42, 170 (1. Strafsenat) <strong>Verfahrens</strong>verstoß (–), da<br />
letztlich freiwillige Äußerung (problematisch: immerhin dreimalige Äußerung;<br />
vgl. zur Abgrenzung etwa auch BGH NStZ 2006, 236 m. Anm.<br />
Bosch, JA 2006, 412), wo aus bloßer Äußerung <strong>des</strong> Beschuldigten, „er<br />
habe keinen Verteidiger“ konkludenter Wunsch abgeleitet wird, einen<br />
solchen zu mandatieren, weshalb Beschuldigter auf Möglichkeit der<br />
Pflichtverteidigung hingewiesen werden müsse)<br />
* c) Beachte allgemein: Wichtig ist insoweit nicht Kenntnis der (ohnehin<br />
schwankenden und auch zwischen den Strafsenaten im Detail umstrittenen)<br />
Kasuistik, sondern die Einordnung <strong>des</strong> Problems der Mitwirkungspflicht<br />
als Teil der Ermöglichung einer Verteidigerkonsultation und<br />
die darauf aufbauende Argumentation im Einzelfall.
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Exkurs: Im Termin 98/II wurde die Frage der Leitentscheidung BGHSt 38, 372 <strong>nach</strong>gebildet.<br />
Da<strong>nach</strong> tritt ein Verwertungsverbot ein, wenn die erwünschte Verteidigerkonsultation<br />
dadurch vereitelt wird, dass der Vernehmungsbeamte dem Beschuldigten<br />
gegenüber auf <strong>des</strong>sen Bitte hin äußert, ein Verteidiger werde nun erst einmal nicht<br />
geholt, ob er aussagen wolle oder nicht, müsse er schon selbst wissen.
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Fall 9 (<strong>nach</strong> BGHSt 44, 129)<br />
Gegen A wurde wegen Mordverdachts ein Haftbefehl erlassen. In der Untersuchungshaft<br />
lernte sie die Mitgefangene M kennen, die eine mehrjährige Haftstrafe zu verbüßen hatte. M<br />
bezeichnete sich als Wahrsagerin und gab A gegenüber vor, aus dem Kaffeesatz und aus<br />
Zigarettenasche lesen zu können. Außerdem könne sie durch ihre übersinnlichen Kräfte und<br />
unter Verwendung der Beschwörungsformel „Mund zu“ die Strafverfolgungsbehörden so<br />
beeinflussen, dass ihre Kunden ein mil<strong>des</strong> Urteil erhalten oder sogar freigesprochen würden.<br />
Allerdings sei dies nur möglich, wenn ihre Gesprächspartner sich ihr rückhaltlos anvertrauen<br />
und den Tathergang detailliert niederlegen würden. Wer sich ihr dagegen nicht anvertraue,<br />
werde verwunschen und von bösen Mächten bestraft. Auch mit A führte M mehrere „Sitzungen“<br />
durch, innerhalb derer es ihr schließlich mit vielen Beschwörungsformeln und durch die<br />
Verabreichung von Haschischzigaretten an die nicht drogengewöhnte A gelang, eine genaue<br />
Schilderung <strong>des</strong> Tathergangs zu erlangen. Die Angaben der A gab M an die Polizei weiter, da<br />
sie sich – obwohl die Polizei sie dazu nicht ermutigt und insbesondere nicht „auf A angesetzt“<br />
hatte – davon versprach, durch solche „Ermittlungshilfen“ Vergünstigungen im weiteren<br />
Verlauf ihrer Strafhaft zu erhalten.<br />
Sind die Angaben, die A der M gegenüber gemacht hat, in der Hauptverhandlung verwertbar?<br />
<br />
A selbst muss in der Hauptverhandlung nicht aussagen, wenn sie sich auf ihr<br />
Aussageverweigerungsrecht beruft<br />
<br />
Aber Vernehmung der M über Äußerungen der A grds. möglich:<br />
• gewissermaßen als Zeuge vom Hörensagen<br />
(kein Verstoß gegen Unmittelbarkeitsgrundsatz; jedoch in Beweiswürdigung zu berücksichtigen;<br />
auch kein Verstoß gegen Aufklärungspflicht <strong>nach</strong> § 244 II StPO, denn<br />
von A selbst wäre ja keine Aussage zu erwarten)<br />
• auch aus der Wertung <strong>des</strong> – mangels Vernehmung i.e.S. ohnehin nicht unmittelbar<br />
anwendbaren – § 254 StPO ergibt sich nichts anderes, da dieser auch bei nichtrichterlicher<br />
Vernehmung in der Hauptverhandlung eine Vernehmung der Verhörsperson<br />
zuließe.<br />
• Unverwertbarkeit wg. Umständen <strong>des</strong> Bewirkens der Aussage (Vorgehen der M)?<br />
Insbes.: § 136a StPO:<br />
∗<br />
zwar wohl nicht durch Verwünschungen/abergläubische Rituale, jedenfalls aber<br />
durch Verabreichung von Rauschmitteln entsteht schwerwiegende Zwangswirkung,<br />
die Strafverfolgungsorgane nicht hätten anwenden dürfen<br />
∗ „Präjudizien“ betreffen Vorgehen der Ermittlungsbehörden:<br />
BGHSt 34, 262 (Zellenspitzel):<br />
Beweisverwertungsverbot <strong>nach</strong> § 136a <strong>III</strong> StPO bei Aushorchen eines U-<br />
Häftlings durch Polizeispitzel, da dann Drucksituation der U-Haft missbraucht<br />
wird; „vernehmungsähnliche Lage“, in der unzulässiger Zwang<br />
ausgeübt wird<br />
↔ hier kein Einsatz durch Verfolgungsbehörden<br />
BGH(GS)St 42, 139 (Mit-Hörfalle):<br />
Einsatz von Privatpersonen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, auch kein<br />
generelles Verbot „nicht-offener“ Ermittlungsmethoden;<br />
allerdings rechtsstaatliche Grenzen (insbesondere Abwägung mit Schwere<br />
der Straftat), d.h. keine uneingeschränkter Verwertbarkeit von Erkenntnissen<br />
von Privatpersonen<br />
Anmerkung: Zur Hörfallen-Entscheidung vgl. die Problemskizze im Skript sowie die Besprechung<br />
der Entscheidung bei Kudlich, JuS 1997, 696 ff.; zu BGHSt 43, 129 ausführlich auch Jahn,<br />
JuS 2000, 441.
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∗<br />
∗<br />
∗<br />
() Vorgehen Privater grds. nicht an § 136a StPO zu messen<br />
ohne Veranlassung <strong>des</strong> Verhaltens durch Ermittlungsbehörden kein Grund für<br />
Zurechnung von „§ 136a-widrigem Vorgehen“<br />
grds. keine Einschränkung der Verwertbarkeit privat weitergegebener Information<br />
aber: U-Haft als „besonderes Gewaltverhältnis“:<br />
besondere staatliche Schutzpflicht, wenn zur Sicherung der Strafverfolgungsinteressen<br />
Person, die noch als unschuldig gilt, eingesperrt wird<br />
Bei Verletzung dieser Pflicht müssen sich Strafverfolgungsbehörden ggf. so behandeln<br />
lassen, als hätten sie selbst Verstoß gegen § 136a StPO begangen<br />
hier: Einwirkung der M auf A mit Rauschmitteln wurde nicht unterbunden<br />
pro/contra Verstoß gegen Schutzpflichten:<br />
Haschischbesitz verboten, in Haft zu verhindern<br />
praktisch aber nur begrenzt möglich; wohl freiwillige Einnahme der<br />
Rauschmittel<br />
Unverwertbarkeit (+/-), <strong>nach</strong> Ansicht <strong>des</strong> BGH unverwertbar
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Fall 10 (<strong>nach</strong> OLG Celle NStZ 1989, 385; OLG Zweibrücken NJW 1994, 810 sowie Examen<br />
97/II)<br />
T fuhr betrunken in seinem Wagen <strong>nach</strong> Hause. Kurz bevor T zu Hause ankam, verlor er die<br />
Kontrolle über das Fahrzeug und überschlug sich mehrmals. Schwerverletzt wurde er ins<br />
Krankenhaus eingeliefert.<br />
Variante a): Dort ordnete der Polizist P die Entnahme einer Blutprobe an. Da sich gerade<br />
kein Arzt in der Nähe befand, beauftragte er die Krankenschwester K, die er aus einem<br />
eigenen Krankenhausaufenthalt kannte und von der er wusste, dass sie immer vorsichtig<br />
mit den Patienten umging, mit der Blutentnahme. Als T die K sah, wurde er angesichts<br />
der Tatsache, dass K noch sehr jung war, misstrauisch. Auf seine Nachfrage hin<br />
erklärte P bewusst wahrheitswidrig, dass K zwar noch sehr jung, jedoch schon zugelassene<br />
Ärztin sei. T ließ daraufhin die Blutentnahme zu. Die festgestellte Blutalkoholkonzentration<br />
betrug zum Tatzeitpunkt 1,6 Promille.<br />
Variante b): Als wenige Stunden später die Polizei im Krankenhaus eintraf, bat sie um die<br />
Abnahme einer Blutprobe. Dabei wurde ihr wahrheitsgemäß erklärt, dass eine solche<br />
wegen T’s instabilen Gesundheitszustands nicht ratsam, jedenfalls aber wegen der zwischenzeitlich<br />
vorgenommenen Transfusionen nicht mehr aussagekräftig sei. Daraufhin<br />
beschlagnahmte der herbeigerufene Staatsanwalt die Spritze, mit der dem T vor der<br />
Transfusion Blut zur Bestimmung der Blutgruppe abgenommen worden war und in der<br />
sich noch ein Rest Blut befindet. Dieses wurde getestet.<br />
Ist die Blutprobe jeweils verwertbar?<br />
<br />
<br />
Einführung als Augenscheinsobjekt i.V.m. Sachverständigem <strong>bzw</strong>. mit Protokoll<br />
als Urkunde (vgl. § 256 I Nr. 4 StPO)<br />
Verwertbarkeit, wenn schon Beweiserhebung ordnungsgemäß oder zumin<strong>des</strong>t<br />
kein Verwertungsverbot:<br />
a) Grundlage <strong>des</strong> Eingriffs: § 81a StPO<br />
• Voraussetzungen grds. (+), aber<br />
• kein Arzt Fehler bei Beweiserhebung<br />
* allerdings: Normzweck ist Schonung der körperlichen Unversehrtheit, nicht<br />
Subjektstellung <strong>des</strong> Beschuldigtem im Verfahren<br />
„bloße Ordnungsvorschrift“; außerdem: Zweck hat sich schon erledigt<br />
<strong>nach</strong> h.M grds. kein Verwertungsverbot<br />
* anders aber dann, wenn Polizei bewusst über Eigenschaft als Arzt täuschte<br />
(Rechtsstaat, Gedanke <strong>des</strong> § 136a StPO)<br />
hier doch unverwertbar<br />
b) Grundlage <strong>des</strong> Eingriffs: § 94 II StPO<br />
• Voraussetzungen grds. (+), insb. Anordnung <strong>nach</strong> § 98 StPO<br />
• aber: Beschlagnahmeverbot <strong>nach</strong> § 97 StPO?<br />
* Teile der Rspr.: unbeachtlich, da Maßnahme <strong>nach</strong> § 81a StPO grundsätzlich<br />
möglich gewesen wäre und Unzulässigkeit sich gerade nur aus Bemühen um<br />
Gesundheitsschutz ergibt; hier aber hier Möglichkeit gefunden, die gesundheitlich<br />
unbedenklich<br />
* aber: Maßnahme wäre im konkreten Fall <strong>nach</strong> § 81a StPO eben tatsächlich<br />
nicht möglich gewesen; § 97 StPO würde umgangen<br />
(+/-), beide Ansichten mit entsprechender Begründung vertretbar
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Fall 11 (<strong>nach</strong> BGH NJW 2007, 930 m. Anm. Kudlich JA 2007, 391)<br />
Der Generalbun<strong>des</strong>anwalt führte gegen den Beschuldigten B ein Ermittlungsverfahren u.a.<br />
wegen <strong>des</strong> Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung. Er beantragte beim<br />
Ermittlungsrichter <strong>des</strong> BGH, „gem. § 102, § 105 I, § 94, § 98, § 169 I 2 StPO die Durchsuchung<br />
<strong>des</strong> von dem Beschuldigten benutzten Personalcomputers/Laptops, insbesondere der<br />
auf der Festplatte und im Arbeitsspeicher abgelegten Dateien (…), und deren Beschlagnahme<br />
anzuordnen“. Zur verdeckten Ausführung dieser Maßnahme sollte gestattet werden,<br />
dem Beschuldigten ein hierfür konzipiertes Computerprogramm (sog. Trojaner) zur Installation<br />
zuzuspielen, das die auf dem Computer abgelegten Dateien kopieren und zum Zwecke<br />
der Durchsicht an die Ermittlungsbehörden übertragen sollte, wenn der Beschuldigte jeweils<br />
mit dem Internet verbunden war. Darf der Ermittlungsrichter die beantragte „Online-<br />
Durchsuchung“ anordnen?<br />
*<br />
<br />
Zuständigkeit zur Anordnung einer Maßnahme <strong>nach</strong> § 102 StPO:<br />
• Ermittlungsrichter (+), vgl. grds. §§ 105, 162 StPO<br />
• bei Ermittlungen <strong>des</strong> GBA <strong>nach</strong> § 169 I StPO Ermittlungsrichter <strong>des</strong> BGH<br />
Verdacht der Beteiligung <strong>des</strong> M offenbar (+)<br />
Wohnung <strong>bzw</strong>. zumin<strong>des</strong>t Sache <strong>des</strong> M (+)<br />
<br />
„Durchsuchung“? (-), § 102 StPO hat nur „offene“ Durchsuchungen vor Augen,<br />
arg e<br />
• §§ 106, 107 StPO (unabhängig davon, ob dies bloße Ordnungsvorschriften sind!)<br />
• § 110c StPO<br />
<br />
<br />
entsprechende Anwendung?<br />
(-), jedenfalls bei vorliegendem massivem Grundrechtseingriff wegen allgemeinen<br />
Gesetzesvorbehalts (unabhängig von Art. 103 II GG, der <strong>nach</strong> h.M. im<br />
Strafprozessrecht nicht gilt) keine belastende Analogie zulässig<br />
Rückgriff auf andere Befugnisnormen:<br />
• § 100a StPO (-), keine Überwachung der (laufenden) Telekommunikation beantragt;<br />
außerdem<br />
* ohnehin (-) bei Dokumenten<br />
* aber auch bei bereits gesendeten oder aber zuhause empfangenen e-mails kein<br />
laufender Kommunikationsvorgang mehr (vgl. auch BVerfG NJW 2006, 976 m.<br />
Anm. Jahn, JuS 2006)<br />
• Ermittlungsgeneralklausel <strong>des</strong> § 163 I 2 StPO legitimiert jedenfalls auch nicht so<br />
schwerwiegende Eingriffe
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Fall 12 (<strong>nach</strong> Examen BGH NJW 2007, 3138 m .Anm .Bosch JA 2007, 903)<br />
A stand im Verdacht, die 15-jährige M getötet zu haben. A, der sich zu dieser Zeit in anderer<br />
Sache in Strafhaft befand, hatte durch Presseberichte von dem gegen ihn bestehenden<br />
Verdacht erfahren, bestritt gegenüber einem Kriminalbeamten die Tat und teilte mit, er<br />
werde auf Anraten seines Verteidigers von seinem Schweigerecht Gebrauch machen und<br />
erst <strong>nach</strong> Akteneinsicht umfassend aussagen. Zu einer förmlichen Vernehmung <strong>des</strong> A kam<br />
es zunächst nicht. Nachdem sich der gegen A bestehende Verdacht trotz umfangreicher polizeilicher<br />
Ermittlungen nicht hatte erhärten lassen, genehmigte das AG auf Antrag der StA<br />
mit Beschluss den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers (V). Ein erster Gesprächskontakt zwischen<br />
V und A fand im Rahmen eines arrangierten Gefangenentransports statt. In der Folgezeit<br />
besuchte der V den A mehrfach in der Justizvollzugsanstalt und begleitete ihn auf<br />
Ausgängen und Hafturlauben. Im Laufe der Zeit fasste der A Vertrauen zu V. Er erzählte V<br />
von den gegen ihn geführten Ermittlungen und überließ ihm Kopien der Ermittlungsakten<br />
zur Einsichtnahme. Dabei bestritt er, die Tat begangen zu haben. Anfang 2005 wurde A ein<br />
einwöchiger Hafturlaub bewilligt. In diesem Urlaub, den er in einer ihm von V zur Verfügung<br />
gestellten Wohnung verbrachte, sprach dieser ihn am gezielt auf den Tatvorwurf an<br />
und bedrängte ihn unter Hinweis auf das zwischen ihnen bestehende Vertrauensverhältnis,<br />
wahrheitsgemäße Angaben zu machen. A räumte schließlich seine Täterschaft ein. Die Gespräche<br />
wurden auf der Grundlage von Beschlüssen <strong>des</strong> AG abgehört und auf Tonträgern<br />
aufgezeichnet. Nachdem A über den Einsatz <strong>des</strong> Verdeckten Ermittlers und die Gesprächsaufzeichnungen<br />
informiert worden war, machte er <strong>nach</strong> Belehrung über seine Rechte<br />
als Beschuldigter in einer förmlichen Vernehmung im Wesentlichen dieselben Angaben wie<br />
gegenüber V. Vor der Vernehmung hatte ein Kriminalbeamter <strong>des</strong>sen Vorgehen als rechtlich<br />
einwandfrei und die dabei erlangten selbst belastenden Äußerungen als gerichtsverwertbar<br />
bezeichnet. Können die Angaben <strong>des</strong> A gegenüber dem V und bei der Vernehmung gegen<br />
A’s Willen verwertet werden?<br />
Vernehmung <strong>des</strong> V über Angaben <strong>des</strong> A:<br />
• In Hauptverhandlung gewissermaßen als Zeuge vom Hörensagen vernehmbar<br />
(kein Verstoß gegen Unmittelbarkeitsgrundsatz)<br />
• auch aus der Wertung <strong>des</strong> – mangels Vernehmung im Sinne <strong>des</strong> formellen Vernehmungsbegriffs<br />
ohnehin nicht unmittelbar anwendbaren – § 254 StPO ergibt sich<br />
nichts anderes, da dieser auch bei nichtrichterlicher Vernehmung in der Hauptverhandlung<br />
eine Vernehmung der Verhörsperson zuließe.<br />
• Unverwertbarkeit wg. Umständen <strong>des</strong> Bewirkens der Aussage?<br />
Vorliegend Einsatz eines Verdeckten Ermittlers, §§ 110a ff StPO:<br />
* Einsatzvoraussetzungen grds. (+)<br />
Verbrechen von besonderer Bedeutung und Unmöglichkeit anderweitiger<br />
Aufklärung, § 110a I 4 StPO (+)<br />
Anordnung durch Gericht, § 110b II 1 Nr. 1 StPO (Einsatz gegen bestimmten<br />
Beschuldigten) (+)<br />
selbstverständlich auch keine „Aufklärungspflicht“ <strong>des</strong> VE, wenn Beschuldigter<br />
beginnt von Tat zu berichten<br />
* aber: hier <strong>nach</strong> Geltendmachung <strong>des</strong> Aussageverweigerungsrechtes Einsatz <strong>des</strong><br />
VE zur Umgehung dieses Rechtes und gezieltes Bedrängen <strong>des</strong> Beschuldigten<br />
zwar kein Verstoß gegen §§ 136, 136a, da keine Vernehmung<br />
aber in dieser Konstellation Verstoß gegen nemo-tenetur-Grundsatz („gezielte<br />
vernehmungsähnliche Situation“)<br />
* damit Aussage <strong>nach</strong> BGH unverwertbar (gewisse Abweichung von BGH[GS]<br />
in Hörfallen-Entscheidung, engere Orientierung an EGMR [zu Art. 6 EMRK,<br />
etwa Allan/Großbritannien, StV 2003, 257])<br />
<br />
Angaben in der förmlichen Vernehmung:
erlanger examenskurs • Strafprozessrecht<br />
Februar2008 • Prof. Dr. Hans Kudlich<br />
• Verlesung: wg. § 254 StPO (–), keine richterliche Verhörsperson<br />
• Vernehmung der Verhörsperson:<br />
* grds. <strong>nach</strong> h.M. möglich, da nur Verlesung, nicht jede Verwertung verboten<br />
* aber anderes Ergebnis, wenn auch insoweit Beweisverwertungsverbot<br />
vorliegend zwar formal zutreffende Belehrung<br />
aber: Fortwirkung <strong>des</strong> vorhergehenden Verwertungsverbotes wegen engen<br />
Zusammenhangs und Bezeichnung der ersten Äußerung als verwertbar<br />
( wohl zumin<strong>des</strong>t qualifizierte Belehrung erforderlich)
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Februar2008 • Prof. Dr. Hans Kudlich<br />
Fall 13 (<strong>nach</strong> Examen 1992/I sowie BGHSt 1, 34; BGH MDR 1957, 16; BGH 5 StR 278/05<br />
vom 13. Oktober 2005)<br />
a) Als der Vorsitzende <strong>des</strong> Schwurgerichts zu Beginn der Hauptverhandlung die Besetzung<br />
<strong>des</strong> Gerichts mitteilt, erkennt der A, gegen den wegen eines Brandanschlages mit To<strong>des</strong>folge<br />
auf ein Asylbewerberheim verhandelt wird, in einem der Beisitzer den Richter<br />
wieder, der vor einigen Monaten den Haftbefehl gegen ihn erlassen hat. Daraufhin wendet<br />
er sich an seinen neben ihm sitzenden Verteidiger und sagt, dass er nicht glaube,<br />
von diesem Richter ein faires Urteil erwarten zu können. Der Richter habe nämlich sein<br />
Urteil schon gesprochen, da er ihn im Haftbefehl <strong>des</strong> Mor<strong>des</strong> dringend verdächtigt habe.<br />
Ferner habe der Richter ihn im Haftbefehl als einen kaltblütigen Killer bezeichnet, der<br />
hinter Gitter gehöre. Der weiteren habe sich der Richter, der auch Mitglied <strong>des</strong> örtlichen<br />
Arbeitskreises „pro Asyl“ sei, in einer juristischen Fachzeitschrift vor wenigen Wochen<br />
dahingehend geäußert, dass der Rechtsstaat gegenüber den „Radikalen und Feuerteufeln<br />
keine Nachsicht walten lassen“ dürfe. Schließlich habe ihm seine Ehefrau erzählt,<br />
dass der Richter ihr gegenüber anlässlich eines Gespräches, in dem sie andeutete, von<br />
ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen zu wollen geäußert habe: „Der<br />
Weg, den Sie da gehen, ist falsch.“ A fragt seinen Verteidiger, ob er sich von diesem<br />
Richter aburteilen lassen müsse.<br />
b) Nachdem A’s Verteidiger fünf Beweisanträge gestellt hat, ordnet der Vorsitzende die<br />
Unterbrechung der Hauptverhandlung für eine Stunde an. Als der Verteidiger bemerkt,<br />
die Dauer der Unterbrechung reiche nicht aus, um seine Kanzlei aufzusuchen, fragt der<br />
Vorsitzende: „Meinen Sie, dass wir die Anträge noch schneller ablehnen können?“<br />
Was kann der Verteidiger unternehmen, um die Mitwirkung <strong>des</strong> Richters an der Hauptverhandlung<br />
zu verhindern? Wird der Verteidiger Erfolg haben? Wie ist die Rechtslage, wenn<br />
der Vorsitzende in einer dienstlichen Erklärung zum Ausdruck bringt, die Äußerung zur Ablehnung<br />
der Beweisanträge sei nur scherzhaft gemeint gewesen?<br />
(Hinweis: Die Angaben <strong>des</strong> A treffen inhaltlich zu.)<br />
a) Grds. denkbar: Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, §§ 24, 25 StPO<br />
<br />
Ablehnungsgründe allg. (§ 24 I, II StPO):<br />
Ausschluss kraft Gesetzes (§§ 22, 23 StPO) sowie Besorgnis der Befangenheit<br />
BGHSt 1, 34 (2. Leitsatz):<br />
„Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist<br />
begründet, wenn im Angeklagten bei verständiger Würdigung der ihm<br />
bekannten Umstände die Auffassung aufkommen kann, der Richter werde<br />
ihm gegenüber möglicherweise eine innere Haltung einnehmen, die <strong>des</strong>sen<br />
Unparteilichkeit störend beeinflussen könne.“<br />
Hier kommen in Betracht:<br />
• Erlass <strong>des</strong> Haftbefehls<br />
* § 22 Nr.4 StPO (–), nicht StA oder Polizist<br />
* § 23 StPO (–), Hauptverhandlung ist kein „Rechtsmittel“ gegen Haftbefehl<br />
* Befangenheit: <strong>nach</strong> h.M. (–):<br />
* einerseits Wertung der §§ 22 Nr.4, 23 StPO<br />
* andererseits dort gerade nicht erwähnt ( abschließende Regelung?),<br />
arg e contrario zu im Gesetz genannten Formen der Vorbefassung<br />
* (+/-) [Ambivalenz der systematischen Auslegung – eher analogisches oder<br />
eher gegenschlüssiges Argument]
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• Bezeichnung als „kaltblütiger Killer“<br />
* Befangenheit, wenn in früherer Entscheidung eindeutig abwerten<strong>des</strong> Urteil<br />
über Person <strong>des</strong> Angeklagten<br />
* hier (+), zumal nicht erforderlich für Haftbefehl<br />
• Engagement in „pro Asyl“<br />
* Mitgliedschaft in Partei/Vereinigung etc. genügt nicht ohne weiteres<br />
* anders evt. bei ungewöhnlich starkem Engagement (hier nicht ersichtlich)<br />
* (-)<br />
• Beitrag in Fachzeitschrift<br />
* i.d.R. kein Ablehnungsgrund (insb. nicht bei reiner Rechtsmeinung)<br />
* aber im Einzelfall möglich, wenn dadurch Vertrauen in Unparteilichkeit gestört<br />
wird (vgl. auch BVerwG NJW 96, 3333); hier auch „weltanschauliche“ Äußerung<br />
* (+/-)<br />
• Äußerung ggü. As Frau<br />
* Äußerung zeigt, dass Richter offensichtlich von Schuld ausgeht<br />
Zweifel an Unvoreingenommenheit<br />
* Versuch, As Frau von Ausübung ihres prozessualen Rechtes abzubringen<br />
Zweifel an Unparteilichkeit<br />
* (+)<br />
b) Vorsitzender erweckt Eindruck, er sei schon vor Befassung mit Sache zur Ablehnung<br />
entschlossen Besorgnis der Befangenheit grds. (+)<br />
<br />
Auswirkung der dienstlichen Äußerung:<br />
• <strong>nach</strong> h.M. grds. Möglichkeit, durch dienstliche Äußerung (vgl. § 26 <strong>III</strong> StPO) Besorgnis<br />
der Befangenheit zu zerstreuen<br />
• allerdings nicht, wenn Gefahr bloßer „Schutzbehauptungen“, an deren Richtigkeit<br />
Ablehnender objektiv zweifeln muss<br />
hier wohl (-), da Scherz keineswegs fernliegend<br />
• aber: Besorgnis der Befangenheit, wenn Richter – insb. in Verfahren mit enormer<br />
Strafdrohung – „Witze zu Lasten <strong>des</strong> Angeklagten“ macht; Vorliegen eines Ablehnungsgrun<strong>des</strong><br />
im Sinne von § 24 II StPO ist grundsätzlich vom Standpunkt <strong>des</strong><br />
Angeklagten zu beurteilen<br />
<strong>nach</strong> BGH: (+)
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Fall 14 (<strong>nach</strong> BGH NJW 2005, 3436 m. Anm. Kudlich JA 2006, 253)<br />
In einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren erkannte A im Vorsitzenden der Strafkammer<br />
einen Richter, der in einem vorangegangenen Verfahren gegen einen anderen Angeklagten<br />
u.a. wegen Straftaten gegen dasselbe Opfer mitgewirkt hatte. Da A der Ansicht ist,<br />
der Richter habe in diesem Verfahren zu Angaben der Opferzeugin auch Feststellungen zu<br />
dem Vorwurf <strong>des</strong> jetzigen <strong>Verfahrens</strong> getroffen, die im ersten Verfahren nicht zwingend erforderlich<br />
gewesen wären, bezweifelt er die Unparteilichkeit <strong>des</strong> Richters. Die Strafkammer<br />
verwirft das Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung <strong>des</strong> abgelehnten Richters gem. § 26a I<br />
Nr. 2 StPO als unzulässig verworfen. Die angegebene Begründung sei aus zwingenden<br />
rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet, was<br />
dem Fehlen einer Begründung i.S.v. § 26a I Nr. 2 StPO gleichstehe. Wäre eine Revision <strong>des</strong><br />
A begründet?<br />
<br />
Begründetheit der Revision <strong>nach</strong> § 337 StPO, wenn<br />
• Rechtsfehler vorliegt und<br />
• Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht oder absoluter Revisionsgrund <strong>nach</strong><br />
§ 338 StPO vorliegt<br />
<br />
Rechtsfehlerhafte Zurückweisung <strong>des</strong> Ablehnungsgesuchs <strong>nach</strong> § 26a StPO?<br />
• Vorliegen eines „nur“ (mehr oder weniger offensichtlich) unbegründeten ( formale<br />
Behandlung <strong>nach</strong> § 27 StPO ohne abgelehnten Richter erforderlich!) oder eines<br />
unzulässigen Beweisantrags <strong>nach</strong> § 26a StPO erforderlich?<br />
• § 26a I Nr. 2 StPO bei Fehlen einer Begründung<br />
* Fehlen einer Begründung <strong>nach</strong> Rechtsprechung zwar evident vollkommen ungeeignete<br />
Begründung gleichgestellt<br />
* diese kann auch in Berufung auf Vorbefassung liegen, da diese in vielen Fällen<br />
(etwa Mitwirkung am Eröffnungsbeschluss) evident ungeeignet ist<br />
* hier aber nicht Berufung auf formale Vorbefassung, sondern auf konkretes<br />
Verhalten im Vorprozess<br />
• hier somit keine Entscheidung ohne inhaltliche Befassung mit Begründung möglich<br />
kein <strong>nach</strong> § 26a I Nr. 2 StPO zu behandelnder Fall<br />
<br />
Beruhen auf dem Fehler?<br />
• Mitwirkung eines Richter, <strong>des</strong>sen Ablehnung zu Unrecht zurückgewiesen wurde,<br />
<strong>nach</strong> § 338 Nr. 3 StPO absoluter Revisionsgrund<br />
• <strong>nach</strong> Ansicht <strong>des</strong> BGH unter Berufung auf Art. 101 I 2 GG (gesetzlicher Richter –<br />
Besetzung bei Entscheidung über Ablehnungsgesuch!) und auf BVerfG (NJW<br />
2005, 3410 = StV 2005, 478) daher (in Abkehr von früherer Rechtsprechung, vgl.<br />
nur BGHSt 18, 200, 203; 23, 265) keine Beruhensprüfung erforderlich<br />
• a.A. gut vertretbar: Beruhen auf Vorgehen <strong>nach</strong> § 26a StPO nicht nur schwer <strong>nach</strong>weisbar,<br />
sondern sogar denkgesetzlich ausgeschlossen, soweit in Sache tatsächlich<br />
keine Befangenheit vorliegt, was Revisionsgericht i.R.d. Entscheidung über § 338<br />
Nr. 3 StPO ohnehin prüfen kann und muss
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Fall 15 (<strong>nach</strong> BGHSt 5, 75; 21, 72; 23, 82; OLG Zweibrücken StV 1996, 138; Examen<br />
2002/II)<br />
Gegen den stadtbekannten A wurde in einem spektakulären Prozess wegen versuchten<br />
Mor<strong>des</strong> verhandelt:<br />
a) Im Schwurgerichtssaal fanden von rund 200 Interessierten nur 75 Personen Platz. Die<br />
von einem Zuschauer vorgeschlagene Verlegung der Verhandlung ins nahe gelegene<br />
Stadttheater oder eine Live-Übertragung auf den Marktplatz lehnte der Vorsitzende ab.<br />
b) Um sich über den Tatort zu informieren, führte das Gericht die Einnahme eines Augenscheins<br />
im Hause <strong>des</strong> Zeugen Z durch, in dem die Tat begangen worden war. Z, der<br />
sich über den Menschenauflauf ärgerte, verbot den Zuhörern den Zutritt zum Korridor<br />
und ließ nur die Prozessbeteiligten herein. Nach der Einnahme <strong>des</strong> Augenscheins wurde<br />
der Prozess im Gerichtssaal weitergeführt. Die Vorsitzende gab dabei die Ergebnisse <strong>des</strong><br />
Augenscheins nicht bekannt.<br />
c) Als die Hauptverhandlung 3 Tage später fortgesetzt wurde, fiel <strong>nach</strong> einer Stunde durch<br />
ein Versehen <strong>des</strong> Wachtmeisters Außentür <strong>des</strong> Gerichtsgebäu<strong>des</strong> ins Schloss, so dass<br />
für 35 Minuten keine neuen Zuschauer mehr das Gericht betreten konnten. Das Gericht<br />
merkte davon nichts.<br />
d) Die Hauptverhandlung wurde schließlich noch an einem Freitag von 13.30 Uhr bis ca.<br />
14.15 fortgesetzt. An der – diesmal unverschlossenen – Tür <strong>des</strong> Gerichts befand sich<br />
ein Schild: „Bitte beachten Sie die Öffnungszeiten <strong>des</strong> Landgerichts. Das Landgericht ist<br />
Freitags ab 13.00 geschlossen.“<br />
Kann A im Falle einer Verurteilung eine Revision auf die Verletzung der Vorschriften über die<br />
Öffentlichkeit stützen?<br />
Ausgangspunkt:<br />
Inhalt:<br />
§ 169 S. 1 GVG: Öffentlichkeitsgrundsatz<br />
Verstoß würde zu absolutem Revisionsgrund <strong>nach</strong> § 338 Nr.6 StPO führen<br />
jedermann kann sich Kenntnis von Ort und Zeit der Verhandlung verschaffen<br />
und grds. an ihr teilnehmen<br />
a) Hier zwar keine Teilnahmemöglichkeit für alle Interessierten; aber nur Recht i.R.d. tatsächlichen<br />
Gegebenheiten<br />
• zwar ausreichender Sitzungssaal erforderlich, aber hier jedenfalls (+)<br />
• Erweiterung kann grds. nicht gefordert werden; vgl. auch Wertung <strong>des</strong><br />
§ 169 S. 2 GVG!<br />
(Exkurs: Unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit <strong>nach</strong> h.M. kein Fall <strong>des</strong><br />
§ 338 Nr.6 StPO)<br />
b) Augenscheinseinnahme<br />
• grds. Verhandlung außerhalb <strong>des</strong> Gerichtssaals zur Augenscheinseinnahme möglich,<br />
soweit darauf entsprechend deutlich hingewiesen wird<br />
• mögliche Teilnehmerzahl hängt wieder von Räumlichkeiten ab,<br />
hier zwar vielleicht größere Anzahl von Zuschauern vorstellbar<br />
• aber Einschränkung der Öffentlichkeit durch zu respektieren<strong>des</strong> Interesse <strong>des</strong> Z an<br />
Privatheit:<br />
§ 169 GVG keine Art. 13 II, <strong>III</strong> GG gerecht werdende Befugnisnorm zum Eingriff<br />
in Hausrecht <strong>des</strong> Z;<br />
rechtliche Beschränkung letztlich nicht anders zu bewerten als faktische Beschränkung<br />
• fehlende Mitteilung <strong>des</strong> Inhalts unschädlich, da Vorgehen <strong>des</strong> Gerichts als solches<br />
nicht zu beanstanden war und <strong>des</strong>halb auch keine <strong>nach</strong>träglichen Mitteilungspflich-
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ten bestehen (so, wie solche Pflichten sich etwa auch nicht gegenüber den Besuchern<br />
an einem Folgeverhandlungstag ergeben, weil diese am Vortag keinen Platz<br />
mehr hatten)<br />
Exkurs:<br />
Unzulässig wäre es dagegen, wenn der Vorsitzende in Z’s Wohnung zugleich noch<br />
einmal den Angeklagten befragt hätte (hinsichtlich anderer Dinge als solche, die unmittelbar<br />
für den Augenschein wesentlich sind), da dies regelmäßig auch im Gerichtssaal<br />
möglich wäre; d.h. bei faktischen oder rechtlichen Grenzen der Öffentlichkeit ist das<br />
Verhandeln an diesen Orten auf den Umfang zu beschränken, an dem das Verweilen an<br />
diesem Ort unumgänglich ist<br />
c) verschlossene Tür<br />
• zwar tatsächliche Beschränkung der Öffentlichkeit, die auch zu vermeiden gewesen<br />
wäre (+)<br />
• aber Beschränkung muss – zumin<strong>des</strong>t bei kurzfristiger Störung – <strong>nach</strong> wohl h.M.<br />
auf Verschulden <strong>des</strong> Gerichts beruhen<br />
hierbei zwar gewisse Aufsichtspflicht <strong>des</strong> Vorsitzenden, aber im konkreten Fall<br />
keine Verletzung ersichtlich<br />
d) Schild: „13.00 Uhr geschlossen“<br />
• zwar keine tatsächliche Beschränkung; aber keine ungehinderte Zugangsmöglichkeit,<br />
da potentielle Zuschauer vom Versuch der Teilnahme abgeschreckt werden<br />
könnten<br />
Exkurs:<br />
Eine solche „Abschreckung“ ist allerdings unschädlich, wenn sie unvermeidliche Nebenfolge<br />
etwa eines berechtigen Sicherungsinteresses ist (so z.B. die Durchsuchung der<br />
Besucher <strong>nach</strong> Waffen bei entsprechend gefahrträchtigen Prozessen, u.U. auch das Verlangen,<br />
sich auszuweisen).<br />
• hier auch (anders als bei c) Verschulden <strong>des</strong> Gerichts, wenn (naheliegend!) davon<br />
ausgegangen werden kann, dass der Vorsitzende das Schild (das ja dauerhaft angebracht<br />
sein wird!) kennt
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Fall 16 (<strong>nach</strong> Examen 1994/II)<br />
P steht im Verdacht, mit seinem Mithäftling S zusammen einen Wärter überfallen zu haben.<br />
Im Verfahren gegen P sagt S als Zeuge aus und belastet P im Sinne der Anklage. Der Verteidiger<br />
<strong>des</strong> P rügt, dass der S nicht über ein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt worden<br />
sei und auch nicht hätte vereidigt werden dürfen. Zu Recht? Was folgt gegebenenfalls prozessual<br />
daraus?<br />
<br />
<br />
Fehlende Belehrung über Auskunftsverweigerungsrecht<br />
• Auskunftsverweigerungsrecht <strong>des</strong> S aus § 55 StPO (+)<br />
• Folgen eines Verstoßes<br />
* h.M.: kein Verwertungsverbot, § 55 StPO soll Zeugen, nicht Angeklagten schützen<br />
* a.A.: Verwertungsverbot (+), § 55 StPO dient auch dem Schutz <strong>des</strong> Angeklagten<br />
vor Falschaussagen von Zeugen, die in einem Interessenkonflikt stehen<br />
Vereidigung <strong>des</strong> S<br />
• Vereidigungsverbot hinsichtlich S aus § 60 Nr. 2 StPO (+)<br />
• Folgen eines Verstoßes: <strong>nach</strong> h.M. darf Aussage <strong>des</strong> S bei Beweiswürdigung nur als<br />
uneidliche behandelt werden [sonst i.d.R. Revision begründet]
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Fall 17 (<strong>nach</strong> Examen 1995/I)<br />
Als L in der Hauptverhandlung gegen ihren nichtehelichen Lebensgefährten A als Zeugin<br />
aufgerufen wurde, erklärte sie, dass sie keine Aussage machen wolle. Sie habe gehört, dass<br />
eine Ehefrau im Prozess gegen ihren Mann nicht aussagen müsse. Wenn dies der Fall sei,<br />
dann müsse auch ihr ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehen, denn die Interessen der<br />
Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft seien nicht anders zu bewerten als die von<br />
Ehegatten. Allein auf den Trauschein könne es insoweit nicht ankommen.<br />
Steht L ein Zeugnisverweigerungsrecht zu?<br />
<br />
§ 52 I StPO: grds. <strong>nach</strong> Wortlaut (–), da<br />
• keine Ehefrau<br />
• neLGin auch nicht ohne weiteres Verlobte<br />
• neLGin auch keine Lebenspartnerin (nur eingetragene Partner i.S.d. Lebenspartnerschaftsgesetzes)<br />
<br />
analoge Anwendung?<br />
• Im Strafprozessrecht zwar <strong>nach</strong> h.M. keine Anwendbarkeit von Art. 103 II GG,<br />
aber Analogieverbot <strong>nach</strong> aus allgemeinem Gesetzesvorbehalt möglich; allerdings<br />
Analogie zu Gunsten grds. möglich<br />
• Regelungslücke vertretbar, da zumin<strong>des</strong>t historischer Gesetzgeber nicht an neLG<br />
gedacht haben mag (andererseits: bei späteren Reformen <strong>des</strong> Zeugenrechts nicht<br />
aufgegriffen)<br />
• arg. e Art. 6 GG nicht zwingend dagegen ( rechtfertigt nur umgekehrt Verstoß<br />
gg. Art. 3 GG)<br />
• Interessenlage auf ersten Blick ähnlich<br />
• aber Unbestimmtheit (Welche Kriterien: Dauer? gemeinsame Kinder? gemeinsamer<br />
Hausstand? Andererseits auch Kriterium der Verlobung unsicher)<br />
insoweit dann doch keine vollständig vergleichbare Lage (nicht nur subjektiver<br />
Interessenkonflikt, sondern auch objektiv formale Bindung erforderlich)<br />
• Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG (zum Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter):<br />
Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege verbietet grds. Ausdehnung <strong>des</strong> Katalogs<br />
der §§ 52, 53 StPO<br />
<strong>nach</strong> h.M. Zeugnisverweigerungsrecht (-)<br />
<br />
§ 55 StPO?<br />
je <strong>nach</strong> näheren Umständen denkbar; wäre aber jedenfalls kein Zeugnisverweigerungs-<br />
(sondern nur ein thematisch beschränktes Auskunftsverweigerungs-)<br />
Recht
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Fall 18 (<strong>nach</strong> BGH NJW 2007, 230 m. Anm. Bosch JA 2007, 312)<br />
In einer gegen M geführten Hauptverhandlung wegen eines Sprengstoffanschlags wurde der<br />
Zeuge Z geladen. Gegen Z war zunächst wegen <strong>des</strong> Vorwurfs der Beteiligung an dem Anschlag<br />
ein Verfahren eingeleitet worden, das jedoch mit einem rechtskräftigen Freispruch<br />
<strong>des</strong> Z endete. In der Hauptverhandlung berief er sich aber über die ihm als Zeugenbeistand<br />
bestellte Rechtsanwältin auf ein umfassen<strong>des</strong> Auskunftsverweigerungsrecht <strong>nach</strong> § 55 I<br />
StPO und begründete dieses damit, dass er durch die Beantwortung jeglicher Frage zur Sache<br />
die Gefahr einer Wiederaufnahme <strong>des</strong> gegen ihn geführten Strafverfahrens auslösen<br />
würde. Er beantwortete lediglich eine nicht belastende Frage zu seiner Körpergröße und<br />
wurde dann im allseitigen Einverständnis vom Vorsitzenden entlassen. Kann M eine Verurteilung<br />
erforderlich mit der Revision angreifen?<br />
<br />
Zur Zulässigkeit der Revision keine näheren Angaben im Sachverhalt, daher bei<br />
Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen von Zulässigkeit auszugehen, insbesondere<br />
• gegen erstinstanzliches Urteil <strong>nach</strong> § 333 StPO (nahe liegend) oder jedenfalls als<br />
Sprungrevision <strong>nach</strong> § 335 StPO statthaft<br />
• M als Angeklagter rechtsmittelberechtigt, vgl. § 296 StPO<br />
• bei Verurteilung auch erforderliche Beschwer<br />
<br />
Begründetheit der Revision <strong>nach</strong> § 337 StPO, wenn<br />
• Rechtsfehler vorliegt und<br />
• Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht oder absoluter Revisionsgrund <strong>nach</strong><br />
§ 338 StPO vorliegt<br />
<br />
Hier möglicherweise durch schnelle Entlassung <strong>des</strong> Z aus Zeugenstan<strong>des</strong> keine<br />
hinreichend Sachaufklärung (§ 244 II StPO), die mit [in Praxis oft erhobener,<br />
aber zumeist erfolgloser] sog. Aufklärungsrüge angegriffen werden kann<br />
• Voraussetzung: wissentliche, rechtsirrige oder auf Mangel an Sorgfalt beruhende<br />
unvollständige Sachverhaltsaufklärung<br />
• grds. <strong>nach</strong> § 244 II StPO alle zur Wahrheitsfindung geeigneten Beweismittel heranzuziehen;<br />
hier aber „Verzicht“ auf Zeugen zutreffend, soweit Berufung auf Auskunftsverweigerungsrecht<br />
berechtigt<br />
• vorliegend durchaus zweifelhaft, da<br />
* Auskunftsverweigerungsrecht <strong>nach</strong> § 55 StPO zwar trotz rechtskräftigen Freispruchs<br />
wegen Möglichkeit der Wiederaufnahme (vgl. § 362 Nr. 4 StPO) denkbar,<br />
aber<br />
* Auskunftsverweigerungsrecht grds. nicht umfassend, sondern nur themenbezogen<br />
und<br />
* <strong>nach</strong> Ermessen <strong>des</strong> Gerichts Aufforderung an Zeugen, Gefährdung i.S.d.<br />
§ 55 StPO <strong>nach</strong> § 56 StPO glaubhaft zu machen<br />
• aber: möglicherweise Geltendmachung wegen einvernehmlicher Zeugenentlassung<br />
ausgeschlossen?<br />
* gegen Entlassung <strong>des</strong> Zeugen als Maßnahme der Verhandlungsleitung Rechtsbehelf<br />
<strong>nach</strong> § 238 II StPO möglich
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* Rspr.: Unterlassen <strong>des</strong> Zwischenrechtsbehelfs führt zu Unzulässigkeit entsprechender<br />
Rügen (Begründung str.: Verwirkung? Verzichtsfiktion?), wenn nicht<br />
Angeklagter nicht verteidigt<br />
( hier keine ausdrücklich Angabe im Sachverhalt, aber jedenfalls bei<br />
erstinstanzlicher Zuständigkeit <strong>des</strong> LG notwendige Verteidigung <strong>nach</strong><br />
§ 140 I Nr. 1StPO)<br />
zwingende Entscheidung ohne Beurteilungsspielraum oder Ermessen<br />
( hier Ermessen <strong>des</strong> Vorsitzenden, ob Erklärung <strong>nach</strong> § 56 StPO gefordert<br />
wird)<br />
* <strong>des</strong>halb <strong>nach</strong> BGH Rüge erfolglos; a.A. vertretbar, da Begründung einer solchen<br />
Mitwirkungsobliegenheit <strong>des</strong> Verteidigers zur Verhinderung gerichtlicher<br />
Fehler durchaus zweifelhaft ist (dabei aber gefestigter Rechtsprechung entspricht)
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Februar2008 • Prof. Dr. Hans Kudlich<br />
Fall 19 (<strong>nach</strong> Examen 1997/I)<br />
V’s Verlobter A wird zusammen mit B und C vor dem AG wegen Diebstahls verurteilt, das<br />
Urteil gegen A und B wird rechtskräftig. C legt Berufung ein.<br />
Steht V im Berufungsverfahren gegen C ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, wenn sie darüber<br />
vernommen werden soll, was A ihr über die Taten erzählt hat?<br />
<br />
<br />
<br />
Zeugnisverweigerung grds. nur hinsichtlich A als Vs Verlobtem<br />
Aussage aber nicht „teilbar“ (und auch geteilte Berücksichtigung nicht als<br />
durchführbar erachtet wird),<br />
vollumfängliches Zeugnisverweigerungsrecht auch zu Mitbeschuldigten (hier<br />
weit: gemeinsames Verfahren in irgendeinem, auch früheren <strong>Verfahrens</strong>stadium<br />
genügt) <strong>des</strong> Angehörigen;<br />
für Mitbeschuldigten ist dies aber kein eigenes Recht, sondern nur „Rechtsreflex“<br />
<strong>nach</strong> rechtskräftigem Abschluss <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> gegen Angehörigen <strong>des</strong> Zeugen<br />
kein Interessenkonflikt <strong>des</strong> Zeugen mehr<br />
h.M.: kein Zeugnisverweigerungsrecht (problematisch insbesondere bei beschränkter<br />
Rechtskraft <strong>des</strong> Strafbefehls)<br />
Fall 20 (<strong>nach</strong> Examen 1997/I)<br />
A wird vor dem Amtsgericht – erweitertem Schöffengericht – verurteilt. Er legt ordnungsgemäß<br />
Berufung ein. Vor welchem Gericht findet die Berufungsverhandlung statt? Wie ist<br />
dieses besetzt?<br />
<br />
<br />
Berufungsverhandlung vor (kleiner) Strafkammer <strong>des</strong> LG, vgl. § 74 <strong>III</strong> GVG<br />
Besetzung: da erstinstanzlich vor erweitertem SchöffenG verhandelt wurde, hier<br />
zwei Berufsrichter und zwei Schöffen, vgl. §§ 76 I 1, <strong>III</strong>, 29 II GVG
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Fall 21 (<strong>nach</strong> BGH StV 2006, 627 = NJW 2006, 3579 [m. Anm. Kudlich JA 2007, 154] und<br />
NJW 2007, 2419 [m. Anm. Kudlich JA 2007, 822])<br />
A wurde wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und wegen Mitgliedschaft in einer<br />
terroristischen Vereinigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten<br />
verurteilt. Mit ihrer Revision rügt die Verteidigung u.a., A sei am 126. Sitzungstag ab<br />
11.14 Uhr nicht verteidigt gewesen (vgl. §§ 338 Nr. 5, 140 I Nr. 1 StPO), da im Hauptverhandlungsprotokoll<br />
dieses Tages vermerkt ist, dass um 11.10 und um 11.14 beide Verteidigerinnen<br />
<strong>des</strong> A <strong>nach</strong>einander den Sitzungssaal verlassen hätten. Das Protokoll wurde später<br />
berichtigt und auch die Sitzungsmitschriften verschiedener Richter und eines Staatsanwalts<br />
wiesen deutlich auf die Anwesenheit einer der beiden Verteidigerinnen während einer zu<br />
dieser Zeit stattfindenden Zeugenvernehmung hin. Der BGH ist <strong>des</strong>halb davon überzeugt,<br />
dass eine der beiden Verteidigerinnen entgegen dem ursprünglichen Protokoll zum fraglichen<br />
Zeitraum anwesend gewesen ist und dass auch die revisionsführende Anwältin sich<br />
dieser Tatsache bewusst war. Wie wird der BGH über die Revision entscheiden?<br />
<br />
<br />
<br />
Zur Zulässigkeit der Revision keine näheren Angaben im Sachverhalt, daher bei<br />
Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen von Zulässigkeit auszugehen, insbesondere<br />
• gegen erstinstanzliches Urteil <strong>nach</strong> § 333 StPO ( BGH als Revisionsgericht <br />
daher mangels anderer Angaben von tatgerichtlicher Verhandlung vor LG [oder<br />
vor OLG, jedenfalls nicht vor AG] auszugehen) statthaft<br />
• A als Angeklagter rechtsmittelberechtigt, vgl. § 296 StPO<br />
• bei Verurteilung auch erforderliche Beschwer<br />
Begründetheit der Revision <strong>nach</strong> § 337 StPO, wenn<br />
• Rechtsfehler vorliegt und<br />
• Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht oder absoluter Revisionsgrund <strong>nach</strong><br />
§ 338 StPO vorliegt<br />
Hier erfolgreiche Rüge der Abwesenheit der Verteidigung möglich?<br />
• Abwesenheit der Verteidigung während Verhandlung wäre<br />
* vor LG oder OLG Fehler, vgl. § 140 I Nr. 1 StPO<br />
* absoluter Revisionsgrund <strong>nach</strong> § 338 Nr. 5 StPO<br />
• Ist von Abwesenheit der Verteidigung auszugehen?<br />
* entsprechende Eintragung im HV-Protokoll, dem hinsichtlich Anwesenheit der<br />
(notwendigen) Verteidigung als wesentlicher Förmlichkeit <strong>nach</strong> § 274 StPO an<br />
sich negative Beweiskraft zukommt<br />
* Auswirkung der Protokollberichtigung<br />
<strong>nach</strong> bis vor Kurzem ganz h.M. keine Auswirkung der Berichtigung auf<br />
zulässig eingelegte Revision (keine „Rügeverkümmerung“), der nicht „Boden<br />
entzogen werden soll“<br />
nunmehr <strong>nach</strong> BGH (GS NJW 2007, 2419) grds. auch Wirkung der Berichtigung<br />
für eingelegte Revisionen;<br />
arg.: „geänderte Berufsethik der Anwaltschaft“; keine Schaffung einer „eigenen<br />
prozessualen Wahrheit“ durch Protokoll<br />
a.A.: Gefahr eines „Umerinnerns“ der Urkundspersonen; „prozessuale<br />
Wahrheit“ entspricht formaler Beweiskraft und ist auch sonst Prozessrecht<br />
nicht fremd (vgl. etwa Rechtsmittelbeschränkung); letztlich droht kein „ungerechtfertigter<br />
Freispruch“, sondern „nur“ Neuverhandlung
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bessere Gründe sprechen für bislang h.M. und damit gegen Möglichkeit<br />
der Rügeverkümmerung<br />
• aber: möglicherweise Geltendmachung wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen<br />
(so BGH StV 2006, 627)?<br />
* <strong>nach</strong> Ansicht <strong>des</strong> BGH grds. auch Geltung eines allgemeinen Missbrauchsverbots<br />
im Strafprozessrecht (str., aber wohl i.Erg. überzeugend)<br />
* vorliegend Missbrauch, wenn bewusst unwahre Berufung auf Hauptverhandlungsprotokoll<br />
erfolgt, da keine eigene „prozessuale“ Wahrheit beabsichtigt isst<br />
zwar zweifelhaft, da Berufung auf formale Beweiskraft gerade gewollt und<br />
damit einhergehende potentielle <strong>Verfahrens</strong>verzögerung gerade in Kauf<br />
genommen; zur Möglichkeit einer „prozessualen Wahrheit“ vgl. o.<br />
aber jedenfalls weniger einschneidende Maßnahme als generelle Zulässigkeit<br />
einer Rügeverkümmerung bei Berichtigung und damit evtl. als Ausweg<br />
für Extremfälle (positive Kenntnis der Unrichtigkeit durch alle Beteiligte)<br />
noch akzeptabel
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Zusatzfälle<br />
Fall a (<strong>nach</strong> Examen 2002/I)<br />
A hatte einen Unfall verursacht und war vom Unfallort geflüchtet. Als kurz darauf seine<br />
Freundin F am Unfallort vorbeikommt, ahnt sie, dass A etwas mit dem Unfall zu tun haben<br />
könnte und fährt hektisch <strong>nach</strong> Hause. Polizeiobermeister P schöpft Verdacht und fährt F bis<br />
zu ihrer Wohnung hinterher, um sie zu befragen. Als P klingelt, verliert F die Beherrschung<br />
und bricht in Tränen aus. Ohne dass P etwas zu sagen vermag, erzählt F, dass sie vermute,<br />
Ihr Freund könne etwas mit dem Unfall zu tun haben. A sei im Wohnzimmer, P könne ihn ja<br />
selbst befragen. Daraufhin betritt P die Wohnung und fragt A, ob er am Tatort gewesen sei.<br />
Da A davon ausgeht, dass F alles durchschaut und es P bereits erzählt hat, legt er ein Geständnis<br />
ab.<br />
1. Welche Belehrungspflichten trafen den P? Welche Belehrungspflichten treffen den Richter<br />
im Strafverfahren gegen A, wenn A und F, die zwischenzeitlich geheiratet haben, in<br />
der Hauptverhandlung vernommen werden sollten? Welche Konsequenzen hat ein Verstoß<br />
gegen eine der Belehrungspflichten?<br />
2. P wird in der Hauptverhandlung gegen A als Zeuge über die Äußerungen der F und <strong>des</strong><br />
A vernommen. Kann diese Aussage verwertet werden, wenn A und F, die inzwischen<br />
miteinander verheiratet sind, keine Angaben zur Sache machen und A der Verwertung<br />
der Aussage <strong>des</strong> P rechtzeitig widerspricht?<br />
1. Belehrungspflichten<br />
<br />
Pflichten <strong>des</strong> P<br />
• gegenüber F:<br />
* nicht Beschuldigte kein Status <strong>nach</strong> § 136 I 2 StPO<br />
* damals nur Freundin kein Status <strong>nach</strong> § 52 StPO<br />
* außerdem Spontanäußerung<br />
* keine Pflichten<br />
• gegenüber A: Anfangsverdacht spätestens <strong>nach</strong> Aussage der F § 136 I 2 i.V.m.<br />
§ 163a IV 2 StPO<br />
<br />
Pflichten <strong>des</strong> Richters in der Hauptverhandlung<br />
• gegenüber A: Belehrung <strong>nach</strong> § 243 IV StPO in der Hauptverhandlung;<br />
wenn A unverteidigt ist <strong>nach</strong> verbreiteter Auffassung vorliegend qualifizierte Belehrung<br />
auch über Unverwertbarkeit (<strong>bzw</strong>. Mgl. zu Widerspruch gegen Verwertung)<br />
der Aussage im Ermittlungsverfahren erforderlich, bei der nicht ordnungsgemäß<br />
belehrt wurde<br />
• gegenüber F: Belehrungspflicht <strong>nach</strong> § 52 I Nr. 2, <strong>III</strong> StPO<br />
<br />
Folge eines Verstoßes gegen Belehrungspflichten<br />
• Belehrung <strong>nach</strong> § 136 I 2 StPO: <strong>nach</strong> mittlerweile h.M. grds. Beweisverwertungsverbot,<br />
wenn nicht A Schweigerecht kannte <strong>bzw</strong>. im Falle seiner Verteidigung Widerspruch<br />
versäumt wird<br />
Aussage darf weder durch Verlesung noch durch Vernehmung <strong>des</strong> P (noch mittels<br />
Vorhalts) in die Hauptverhandlung eingebracht werden<br />
• Belehrung <strong>nach</strong> § 243 IV StPO: ebenfalls Beweisverwertungsverbot
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• Belehrung der F in der Hauptverhandlung: <strong>nach</strong> h.M. Beweisverwertungsverbot<br />
(Schutz der familiären Beziehung als Ausformung der Rechtsstellung <strong>des</strong> Beschuldigten/<br />
Angeklagten)<br />
2. Vernehmung <strong>des</strong> P im Verfahren gegen A<br />
über Aussage der F:<br />
• kein Verstoß gegen Unmittelbarkeitsgrundsatz, da <strong>nach</strong> § 250 S. 2 StPO nur Vorrang<br />
<strong>des</strong> Personal- vor dem Urkundsbeweis<br />
• Unverwertbarkeit <strong>nach</strong> § 252 StPO?<br />
* Angehörigenstellung, § 52 I Nr. 2 StPO<br />
* auch ausreichend, dass Stellung erst <strong>nach</strong> früherer Aussage begann<br />
* für nicht-richterliche Vernehmungen <strong>nach</strong> h.M. auch umfassen<strong>des</strong> Verwertungs-<br />
(und nicht nur Verlesungs-) Verbot<br />
* aber: keine Vernehmung der F vor Hauptverhandlung, sondern Spontanäußerung<br />
(a.A. vertretbar, da § 252 StPO gerade selbständiges Beweisverwertungsverbot<br />
und Interessenlage teilweise vergleichbar)<br />
Verwertbarkeit <strong>nach</strong> h.M. (+)<br />
über Aussage <strong>des</strong> A:<br />
• § 252 StPO nicht einschlägig<br />
• § 254 I StPO steht <strong>nach</strong> h.M. Vernehmung <strong>des</strong> P nicht entgegen (nur Verlesungsverbot)<br />
• aber Beweisverwertungsverbot wegen mangelnder Belehrung <strong>nach</strong> § 136 I 2 StPO<br />
(soweit nicht Kenntnis <strong>des</strong> A von Schweigerecht angenommen werden kann);<br />
Widerspruch gegen Verwertung erforderlich, wenn A Verteidiger hat
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Fall b (<strong>nach</strong> Examen 1994/1)<br />
C wird von der zuständigen großen Strafkammer <strong>des</strong> Landgerichts zu einer langjährigen<br />
Freiheitsstrafe verurteilt. In der Hauptverhandlung hatte sein Verteidiger, Rechtsanwalt D,<br />
<strong>nach</strong> Vernehmung von C über seine persönlichen Verhältnisse den Sitzungssaal verlassen,<br />
um sich mit einem Kollegen von auswärts kurz in einer anderen Sache zu besprechen. Die<br />
Abwesenheit wurde im Protokoll vermerkt, die Sitzung jedoch nicht unterbrochen. Vielmehr<br />
ließ das Gericht in dieser Zeit durch den Staatsanwalt den Anklagesatz verlesen. Als C im<br />
Anschluss daran gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auf seine Aussagefreiheit hingewiesen<br />
wurde, war sein Verteidiger bereits wieder zurück. C möchte gegen das Urteil ein Rechtsmittel<br />
einlegen.<br />
1. Welches Rechtsmittel kann C gegen das Urteil einlegen? Welches Gericht ist für die Entscheidung<br />
darüber zuständig? In welchem Umfang findet eine Überprüfung statt?<br />
2. Kann C mit diesem Rechtsmittel erfolgreich die zeitweise Abwesenheit seines Verteidigers<br />
rügen?<br />
1. 1. Instanz: Große Strafkammer <strong>des</strong> LG<br />
statthaftes Rechtsmittel: Revision, § 333 StPO<br />
(hingegen keine Berufung, § 312 StPO)<br />
<br />
<br />
Zuständig gem. § 135 I i.Vm. § 121 I Nr.1 GVG: BGH<br />
Keine völlige Neuverhandlung, sondern nur begrenzte Prüfung <strong>des</strong> Urteils:<br />
• Überprüfung nur im Hinblick auf Rechtsfehler (§ 337 StPO), hingegen grds. keine<br />
Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen, keine eigene Neuverhandlung<br />
• Umfang wird durch Revisionsanträge (§ 344 I StPO) bestimmt:<br />
* auf die <strong>Verfahrens</strong>rüge hin wird auf die im einzelnen vorzutragenden <strong>Verfahrens</strong>fehler<br />
geprüft<br />
* auf die Sachrüge hin wird eine vollständige Überprüfung <strong>des</strong> Urteils in sachlicher<br />
(materiellrechtlicher) Hinsicht durchgeführt (Fehler müssen nicht näher angegeben<br />
werden; liegen Fehler vor, ist eine entsprechend aussagekräftige Rüge<br />
aber taktisch stets ratsam, da BGH letzte Instanz)<br />
2. Zulässigkeit:<br />
• Revision ist form- und fristgerecht einzulegen und zu begründen (§ 341 ff. StPO)<br />
• C ist durch Urteil beschwert<br />
<br />
Begründetheit (Revisionsgrund):<br />
• formeller/ materieller Fehler: hier allenfalls formell<br />
Sachrüge wäre nicht erfolgreich (Einlegung schadet aber auch nicht);<br />
nur <strong>Verfahrens</strong>rüge hat Aussichten auf Erfolg<br />
• Keine Verletzung <strong>des</strong> § 226 StPO: Verteidiger dort nicht aufgeführt<br />
• Verstoß gegen § 145 I 1 i.V.m. § 140 I Nr.1 StPO?<br />
* Verhandlung vor LG: § 140 I Nr. 1 StPO (und weitere Nr. der Norm)<br />
notwendige Verteidigung<br />
Anwesenheitserfordernis im Rückschluss aus § 145 I 1 StPO, Verlesung <strong>des</strong><br />
Anklagesatzes ist wesentlicher Teil der Hauptverh.<br />
Verletzung (+)<br />
• absoluter Revisionsgrd. <strong>nach</strong> § 338 Nr.5 StPO „Beruhen“ nicht zu prüfen
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Fall c (<strong>nach</strong> BGH NStZ 2005, 160, vgl. auch Examen 2006/II)<br />
In einem komplizierten Wirtschaftsstrafverfahren gegen A wurden bei der Beweisaufnahme<br />
über die finanzielle Situation einer Firma <strong>des</strong> A mehrere Aktenordner vorgelegt, in denen<br />
sich Belege für komplizierte und letztlich erhebliche Verluste verursachende Transaktionen<br />
befanden. Der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer ordnete daher die Durchführung <strong>des</strong><br />
Selbstleseverfahrens für eine Vielzahl von Urkunden an und händigte den <strong>Verfahrens</strong>beteiligten<br />
jeweils Kopien der Schriftstücke aus. Dies wurde ebenso wie der Hinweis <strong>des</strong> Vorsitzenden,<br />
dass die Berufsrichter die Schriftstücke gelesen hätten, jeweils im Protokoll vermerkt.<br />
Bis zum Abschluss der Hauptverhandlung findet sich dagegen auf Grund eines Versehens<br />
<strong>des</strong> Vorsitzenden irrtümlich kein Eintrag im Protokoll, dass auch die Schöffen vom<br />
Wortlaut der Schriftstücke Kenntnis genommen haben. Gleichwohl stützte die Strafkammer<br />
ihre Beweisführung maßgeblich auf verschiedene Beträge, welche sie aus den Urkunden<br />
entnahm, und verurteilte A. Wäre eine darauf gestützte Revision <strong>des</strong> A mit der <strong>Verfahrens</strong>rüge<br />
erfolgreich?<br />
Erfolgreiche Revision, wenn diese zulässig und begründet ist:<br />
Zulässigkeit<br />
<br />
Statthaftigkeit: § 333 StPO<br />
Einlegung und Begründung erforderlich, Form und Frist: §§ 341, 345,<br />
344 II StPO<br />
<br />
Rechtsmittelberechtigung <strong>des</strong> T: § 296 I StPO<br />
Beschwer durch Verurteilung<br />
Begründetheit: Verstoß gegen § 249 II 1 StPO?<br />
<br />
tatsächliche Grundlage der Beurteilung<br />
• <strong>nach</strong> Protokoll keine Kenntnisnahme vom Wortlaut <strong>des</strong> Schriftstücks durch Schöffen,<br />
tatsächlich aber offenbar Kenntnisnahme<br />
• hier: negative Beweiskraft <strong>des</strong> Hauptverhandlungsprotokolls, § 274<br />
* Voraussetzungen:<br />
* Feststellungen über Kenntnisnahme wesentliche Förmlichkeit,<br />
§ 273 StPO; außerdem Protokollierungspflicht sogar explizit in<br />
§ 249 II 3 StPO<br />
* kein Hinweis auf Fälschung <strong>des</strong> Protokolls<br />
* Einschränkung der Beweiskraft wegen Lückenhaftigkeit?<br />
* grds. nur bei logischen Unvollständigkeiten /Widersprüchlichkeiten<br />
hier ersichtlich (-)<br />
* Erweiterung auch auf Fälle unwahrscheinlicher <strong>Verfahrens</strong>abläufe würde<br />
Beweiskraft mehr oder weniger aushebeln; außerdem nicht außerhalb<br />
der Lebenserfahrung, dass Schöffen ein Dokument nicht lesen<br />
• bewiesener Inhalt: tatsächlich fehlende Kenntnisnahme oder nur fehlende Feststellung<br />
davon, vgl. § 249 II 3 StPO?<br />
* Sinn <strong>des</strong> § 249 II 3 StPO ist gerade Festhalten <strong>des</strong> Geschehenen<br />
* Sinn würde ad absurdum geführt durch Einschränkung der Beweiskraft, die regelmäßig<br />
Beruhens<strong>nach</strong>weis ausschließen würde
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Februar2008 • Prof. Dr. Hans Kudlich<br />
• Rügeverkümmerung möglich?<br />
* <strong>nach</strong> bis vor kurzem h.M. und stRspr: (-), eventuelle Protokollberichtigung<br />
darf zulässiger Revision nicht „Boden entziehen“<br />
* anders nun BGHGS, allerdings zweifelhaft, vgl. näher Fall 21<br />
je <strong>nach</strong> Bedeutung <strong>des</strong> Protokolls Rechtsverletzung i.S.d. § 337 StPO (+/-): Verstoß<br />
gegen § 249 II 1 StPO<br />
<br />
Beruhen (+), da maßgeblich auf Inhalt abgestellt wurde