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Dresdner Verkehrsgeschichten

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Thomas Mösche<br />

<strong>Dresdner</strong> <strong>Verkehrsgeschichten</strong><br />

Auflage 2014<br />

Von Bus und Obus<br />

Von „Hecht“ und Tatra- Bahn


Thomas Mösche<br />

<strong>Dresdner</strong> <strong>Verkehrsgeschichten</strong><br />

2<br />

Von Bus und Obus<br />

Von „Hecht“ und Tatra- Bahn<br />

Herausgegeben 2007 (überarbeitet 2014)<br />

- anlässlich der Einrichtung des Busbahnhofes Blasewitz vor 70<br />

Jahren und des 60. Jahrestages der Obus- Einführung in<br />

Dresden<br />

- anlässlich der Hechtwagen- Einführung vor 75 Jahren und des<br />

Jubiläums „40 Jahre Tatra- Straßenbahn in Deutschland“<br />

7. Auflage ISBN 978-3-940224-02-6<br />

Der erste Tatra T4D in der DDR (hier 2009) Foto: Thomas Mösche<br />

T4D Nr. 2000 des Straßenbahnmuseum Dresden e.V.<br />

Titelfoto: Der „große Hechtwagen“ am Fürstenzug in Dresden<br />

vor dem zweiten Weltkrieg<br />

Foto: Archiv DVB, auch Sammlungen Gerhard Grundmann<br />

und Rolf Schindler† (daraus Kopie an Sammlung Thomas Mösche 1977)


Thomas Mösche<br />

<strong>Dresdner</strong> <strong>Verkehrsgeschichten</strong><br />

3<br />

Von Bus und Obus<br />

Von „Hecht“ und Tatra- Bahn<br />

1 Der Obus in Dresden – Beginn vor 60 Jahren<br />

2 Erinnerungen an den Busbahnhof Blasewitz in seiner<br />

Blütezeit<br />

3 Die Anfänge der computergestützten Fahr- und<br />

Dienstplangestaltung<br />

4 Der Gelenk- Doppelstock- Omnibus<br />

5 Nebenberuflich von Johannstadt nach Goppeln<br />

6 Mit Europas modernster Straßenbahn über Bad Weißer<br />

Hirsch nach Bühlau<br />

7 Ludwig Richter, die 11, das Parkhotel Weißer Hirsch und der<br />

Rote Kakadu<br />

8 Die Bühlauer Wäschebahn<br />

9 Die Pendel- 11<br />

10 Der Jodler aus Oberbühlau<br />

11 Der Schaffner Schubert- Paul<br />

12 40 Jahre Tatrastraßenbahn in Dresden<br />

13 In der Wendezeit<br />

14 Die kurze Geschichte vom Rangierleiter Hoffmann<br />

15 Das Fahrplanbüro in den 60er Jahren<br />

16 Modellfotos und etwas zum „Modelleisenbahner“


1 Der Obus in Dresden - Beginn vor 60 Jahren<br />

4<br />

In Memoriam: Der Busbahnhof Blasewitz – die Heimat der Obusse und<br />

Kraftomnibusse<br />

Durch das starke Anwachsen des Kraftomnibusverkehrs in Dresden<br />

zwischen den Weltkriegen reichte die erste und einzige Abstellhalle für<br />

städtische Kraftomnibusse an der Schandauer Straße, gleich links nach<br />

der Borsbergstraße, nicht mehr aus. Daher wurden ab 1936<br />

Stadtomnibusse auch im zuvor stillgelegten Straßenbahnhof Neugruna<br />

an der Tolkewitzer Straße abgestellt. Dieses 1872 ursprünglich für die<br />

erste <strong>Dresdner</strong> von Pferden gezogene Straßenbahn gegründete Objekt<br />

in Blasewitz, Flur Neugruna, wurde mehrfach umgebaut und 1925 mit<br />

einer Halle für die elektrische Straßenbahn erweitert. Während ab 1936<br />

die Kraftomnibusse in diese moderne Spannbeton- Wagenhalle Einzug<br />

hielten, erfolgte bis 1939 der weitere Umbau zum Busbahnhof Blasewitz<br />

mit einer großen Omnibuswerkstatt im Hintergrund. Während des 2.<br />

Weltkrieges wurden auch die Omnibusse „zum Wehrdienst eingezogen“.<br />

Frontansicht der Bushalle Blasewitz,<br />

links das Pferdebahngebäude von 1872 Foto um 1974: Archiv DVB


Die Omnibusse der Nachkriegszeit als farbiges Modell:<br />

5<br />

Bus 7 und 8 ehemals Hamburger Doppeldecker<br />

Büssing 4 heute Museumsbus, zuletzt Linie D Hbf. – Luga<br />

Opel Blitz<br />

IFA H6 B


6<br />

Obus Henschel-Schumann<br />

Obus LOWA<br />

Obus Škoda


Die Einrichtung der <strong>Dresdner</strong> Obuslinie nach dem Kriege<br />

7<br />

Als nach Kriegsende das von der Roten Armee besetzte Objekt<br />

Blasewitz Anfang 1946 freigegeben wurde und wieder ein paar wenige<br />

vom Krieg unversehrte und vorerst noch als Lastkraftwagen eingesetzte<br />

Omnibusse beherbergte, liefen bereits die Vorbereitungen für die erste<br />

und dann einzige <strong>Dresdner</strong> Obuslinie. Der erste dieser mit Strom aus<br />

einer Oberleitung mit zwei Fahrdrähten je Richtung gespeisten<br />

elektrischen Omnibusse (Obus) wurde im April 1947 in die Blasewitzer<br />

Wagenhalle gebracht, während die Fahrleitungen noch installiert<br />

wurden. Am 8. November 1947 um 11 Uhr wurde am Körnerplatz in<br />

Loschwitz die Obuslinie C (ohne Anhänger) von Loschwitz/ Körnerplatz<br />

nach Südvorstadt/ Münchner Platz (Wendedreieck) eingeweiht. Da die<br />

Strecke zum Müncher Platz von der Besatzungsmacht mit einer Mauer<br />

versperrt wurde, erfolgte schon nach drei Wochen die Rücknahme des<br />

Endpunktes zum Fritz- Förster-Platz. Bald wurden auch Beiwagen<br />

eingesetzt. Die drei Schaffner (!) je Obuszug riefen anfänglich noch<br />

häufig aus: „Zurücktreten! Der Wagen ist besetzt, es sind nur zwei Busse<br />

auf der Strecke!“. Bald wuchs der Fahrzeugpark auf zunächst 13 Obusse<br />

an.<br />

Fahrleitungsarbeiten um 1950 am Körnerplatz<br />

Foto: Archiv DVB


8<br />

Zwischen Dornblüthstraße und Zwinglistraße führte die Obusfahrleitung<br />

anfangs kurzzeitig über unterschiedlich wechselnde Straßen, wobei die<br />

Fahrleitungsspanndrähte in der westlichen Hepkestraße nicht an Masten<br />

oder Häusern befestigt waren, sondern ganz einfach an den dort<br />

stehenden stabilen Pappeln.<br />

Ab 1. November 1949 wurde die Obuslinie C erweitert in Betrieb<br />

genommen. Mit den Obussen Nr. 158 (erster planmäßiger Obus in<br />

Weißig) und Nr. 157 wurde nun die Pendellinie Bühlau - Weißig<br />

befahren.<br />

am Eröffnungstag der Obuslinie in Weißig,<br />

Foto: 1.11.1949 (KWU-Stempel) von DVB an Sammlung Thomas Mösche 1961<br />

Die Grundstraße war straßenmäßig noch im Bau, aber für aus- und<br />

einrückende Obusse bereits befahrbar. Die damaligen Obustypen waren<br />

von Henschel mit elektrischen Ausrüstungen von Ansaldo (Italien) mit<br />

druckluftgesteuerter Schalttechnik (Wagen 151 bis 161), von Siemens<br />

(Wagen 162 und 163) bzw. später alle von LEW Hennigsdorf.<br />

Beim Henschel- Obus hatte auch die Vorderachse Doppelreifen (2X2<br />

Räder). Das erforderte eine automatische Lenkhilfe, die pneumatisch<br />

(mittels Druckluft) funktionierte. Wenn ein defekter Obus von einer<br />

Zugmaschine abgeschleppt wurde, gab es meist keine ersatzweise<br />

Druckluftzuführung mittels Luftschlauch von der Zugmaschine zum Obus


9<br />

und der Schaffner (Fahrgeldkassierer) musste wegen der ausgefallenen<br />

Lenkhilfe dem Obusfahrer beim Drehen des Lenkrades helfen.<br />

Die schrittweise Erweiterung des Obusverkehrs in den 50er und 60er<br />

Jahren<br />

Ab 1950 wurde die durchgehende Linie Weißig – Südvorstadt/Fritz-<br />

Förster- Platz in Betrieb genommen. Das ab Juni 1951 dazu gültige<br />

Zielschild zeigte TECHNISCHE HOCHSCHULE an, abweichend von den<br />

anderen nur in Großbuchstaben geschrieben (meiner Erinnerung gemäß<br />

anfänglich sogar in roter Schrift). Langzeitig gab es einspurige<br />

Fahrleitungsabschnitte zwischen Bühlau und Weißig (siehe Tabelle zur<br />

Obuschronik). Einer der beiden sich begegnenden Obusse musste<br />

stehen bleiben und dessen Schaffner musste die Stromabnahmestangen<br />

einholen bzw. die „Ruten ziehen“; manchmal wurde das Anhalten<br />

vergessen und zur Schadenfreude der das vorausahnenden Kinder<br />

flogen dann die Stromabnahmestangen lichtbogenziehend und<br />

funkenstiebend auseinander und beide Obusse kamen zwangsweise<br />

zum Halt.<br />

Mitte der 60er Jahre wurde die wieder erbaute Nossener Brücke über die<br />

Reichsbahnanlagen am Bw Altstadt mit Obusfahrleitungen versehen. Als<br />

gleichzeitig anstelle der Linienbezeichnungen für Busse mit Buchstaben<br />

ebenfalls Liniennummern eingeführt wurden, verkehrte der Obus<br />

zwischen Schleife Schrammsteinstraße und Löbtau/Willi- Ermer- Platz<br />

mit der Nr. 61 und zwischen Weißig und TU mit der Nr.62. Diese<br />

Linienteilung bewährte sich für durchfahren wollende Fahrgäste nicht, so<br />

dass die durchgehende Obuslinie 61 Weißig- Löbtau eingerichtet wurde.<br />

Da die Obusse vor allem für den Studentenverkehr von/zur TU<br />

gebraucht wurden, setzte man bereits um 1970 im Frühberufsverkehr<br />

zwischen Bühlau und Weißig Dieselbusse Ikarus 66 vom Betriebshof<br />

Kom.- Naußlitz ein.<br />

Seit Anfang der 50er wurden Obusse vom Werdauer Typ (ab Nr.164)<br />

und seit 1958 vom Typ Skoda (ab Nr.174) eingesetzt, die schrittweise<br />

die älteren Henschel- Obusse ersetzten.<br />

Das Ende von Obus und Obushalle Blasewitz<br />

Auf Grund des Fahrleitungsaufwandes und des gesondert neben dem<br />

für Kraftomnibusse bereitzuhaltenden Ersatzteilbestandes wurde der<br />

Obusbetrieb schrittweise zurückgefahren. Zuerst wurde am 4.<br />

September 1971 um 4 Uhr der Streckenteil Bühlau- Weißig still gelegt.<br />

Bereits 10 Uhr war die Fahrleitung von Weißig beginnend bis zur


10<br />

Stadtgrenze am Taubenberg zerschnitten, damit niemand auf die Idee<br />

kommen könne, jemals dort wieder einen Obus fahren zulassen. Die<br />

Streckenführung der Obusse wurde dann beim Ausbau des Knotens<br />

Zellescher Weg/ CDF- Straße (Caspar-David-Friedrichstr.) ohne<br />

Fahrleitungsmasten zunächst auf Bühlau- Schleife Winterbergstraße<br />

verkürzt. Dabei wurden schrittweise die Obuskurse durch Ikarus 180<br />

ersetzt, bis 1975 der letzte Obuszug vom Typ Skoda mit Jelc- Anhänger<br />

einrückte. Die übrig gebliebenen Obusse waren vor ihrem Weiterverkauf<br />

oder der Verschrottung viele Monate im Straßenbahnhof Bühlau im<br />

Innenraum der Gleisschleife abgestellt.<br />

Die Obusse waren vordem in der Blasewitzer Wagenhalle<br />

wettergeschützt untergebracht. Bei Dauerregen erwies sich die Halle zur<br />

Trocknung der Isolationen der Fahrzeuge als sehr nützlich. Bei Rauhreif<br />

und Glatteis an den Fahrdrähten auf der Strecke wurde die<br />

Stromeinspeisung zwecks Aufheizung der Drähte einige Sekunden<br />

kurzgeschlossen. Die Obusflotte umfasste einstmals maximal ca. 35<br />

Obuszüge mit Anhänger im Bestand. Das Areal des Busbahnhofes<br />

Blasewitz wurde von 1966 bis 1994 durch eine Freiluftabstellfläche für<br />

Kraftomnibusse an der Tolkewitzer/ Ecke Avenariusstraße ergänzt. Als<br />

1992 bis 1997 der Omnibusbetriebshof am Ende der Tiergartenstraße in<br />

Gruna im ehemaligen Objekt des VEB Kraftverkehr eingerichtet wurde,<br />

hat man Bushalle und Werkstatt in Blasewitz Anfang 1997 stillgelegt.<br />

Nachtrag zum Obus aus der Kindheit<br />

Als Weißiger Kinder haben wir natürlich jede Obus- Wagen- Nummer<br />

gekannt und bei Glatteis oder Schneeglätte mit unserer Schaufel Sand<br />

an die Haltestelleneinfahrt gestreut. Denn zum Schrecken der<br />

Obusfahrerin und der Fahrgäste schob der schwere Anhänger bei Glätte<br />

bzw. beim Bremsen den ganzen Obuszug quer über die Straße.<br />

Abschließend noch ein kleines Erlebnis zum ersten Obus mit<br />

Schaffnersitz, dem Werdauer Nr. 164:<br />

Der Obus wollte an der Haltestelle Heidestraße nicht weiterfahren.<br />

Aufgeregt rannte die Schaffnerin aus dem Bus und jammerte, dass ihre<br />

Fahrscheinblocks aus dem Blockhalter gefallen und nicht mehr<br />

auffindbar waren. Vielleicht habe ich sie auf dem Klo am Endpunkt<br />

verloren, sagte sie. Eine liebe Weißigerin lieh der Schaffnerin ihr Fahrrad<br />

und diese radelte zurück zum Klo am Dorfteich. Doch sie kam enttäuscht<br />

und ergebnislos zurück. Da interessierte sich nun doch auch der<br />

Obusfahrer ernsthaft für dieses Problem, suchte im Obus...... und fand<br />

alle Fahrscheinblocks, die hinter den noch ungewohnten Schaffnersitz<br />

gerutscht waren.


11<br />

Der Werdauer Obus 272 (ehemals 172) und der Hecht 1713 müssen bei vielem Schnee<br />

auf den Fahrbahnen ohne Anhänger ab Bühlau verkehren.<br />

Foto: Manfred E. Zabel<br />

Modellfoto der Weißiger Verkehrsmittel seit 1908<br />

Fotostudio Klemm Weißer Hirsch


13<br />

Chronik der <strong>Dresdner</strong> Obuslinie – Erläuterungen zur Linien- Grafik<br />

Linie / Strecke<br />

Zeitangaben<br />

Linie C Loschwitz/Körnerplatz – Münchner Platz ab 8.11.1947<br />

bis 27.11.1947<br />

Linie C Loschwitz /Körnerplatz– Fritz-Förster-Platz ab 27.11.1947<br />

Linie O Loschwitz/Steglichstraße („Eule“) –<br />

Südvorstadt / Fritz- Förster-Platz ab 1.05.1949<br />

(landwärts über Dammstraße am Körnerplatz)<br />

Linie C Weißig – Bühlau ab 1.11.1949<br />

Linie C Weißig/Bühlau – Südvorstadt / F.-Förster-Platz bzw. ab Juni 1951 als<br />

TECHNISCHE HOCHSCHULE benannt ab 16.05.1950<br />

Linie C Weißig/Bühlau – Südvorstadt („Nürnberger Ei“) ab 2.01.1958<br />

Linie 61 Schrammsteinstraße/Falkensteinplatz – Willi-Ermer-Platz ab 28.06.1964<br />

bis 1.05.1966<br />

Linie C Weißig/Bühlau – TH bzw. TU ab 28.06.1964 / als Linie62 ab 1.1.1965<br />

bis 1.05.1966<br />

Linie 61 Weißig/Bühlau – Willi-Ermer-Platz ab 1.05.1966<br />

bis 4.9.1971/4Uhr<br />

Linie 61 Bühlau – Willi-Ermer-Platz ab 4.09.1971<br />

bis 15.08.1974<br />

Linie 61 Bühlau – Winterbergstraße ab 15.08.1974<br />

bis 28.11.1975<br />

einspurige Fahrleitungsabschnitte:<br />

• ab 1949 Weißig/Schleife Dorfteich – Bühlau/Kolberger Str. heute<br />

Rossendorfer Straße<br />

• ab 1952 Weißig/Bahnhof/Steinkreuz – Bühlau/Kolberger Str.<br />

• ab 1954 Taubenberg/Stadtgrenze – Bühlau/Kolberger Str. bis<br />

etwa 1955/56 (damit war die verbliebene einspurige Strecke<br />

geradlinig einsehbar)<br />

Einstmals im Perspektivplan enthalten:<br />

„<strong>Dresdner</strong> Obusring“:<br />

Linie 61 ergänzt ab Löbtau – Cotta – Flügelwegbrücke – Mickten –<br />

Trachenberge – Dr.- Kurt- Fischer-Allee/heute Stauffenbergallee –<br />

Waldschlösschenbrücke ! – Striesen/Gruna


14<br />

Bilder von der Obus-Eröffnung in Weißig am 1. November 1949 mit den<br />

Obussen Nummer 158 und 157 , Fotos aus dem Ortsarchiv Weißig


15<br />

2 Erinnerungen an den Busbahnhof Blasewitz in seiner<br />

Blütezeit<br />

Die Obusschaffner<br />

Sie gehen nach Bü, Sie nach To, nach Wa, nach Tra, nach Nau.........<br />

sagte 1958 die Kadertante des VEB(K) Verkehrsbetriebe der Stadt<br />

Dresden zu den bei ihr zwecks eines Ferieneinsatzes als Schaffner ( das<br />

war früher der, der das Fahrgeld auf Bahn oder Bus kassierte und zur<br />

Abfahrt klingelte) Schlange stehenden 16jährigen Schülern. Als ich an<br />

der Reihe war und sie meine Wohnadresse mit der des nächstgelegenen<br />

Betriebshofes verglich, sagte sie: Sie gehen nach Bla ! Das hieß<br />

Busbahnhof Blasewitz!<br />

Mein erster Schaffnerdienst erfolgte auf der Obuslinie C (später 61)<br />

unter Anleitung eines Lehrschaffners, der mich am Ende seiner<br />

einführenden Erläuterungen ab Haltestelle Steglichstraße bergabwärts<br />

selbstständig das Aus- und Einsteigen mit Zeitkartenkontrolle über den<br />

am Obus ohne Schaffner mitgeführten Anhänger überwachen, zur<br />

Abfahrt klingeln, Türen druckluftbetätigt schließen und Fahrscheine für<br />

20 Pfennig verkaufen ließ. Außerdem hatte der Schaffner/die Schaffnerin<br />

die nächstfolgende Haltestelle mit lauter Stimme auszurufen ("Die<br />

Nächste Schillerplatz Blasewitz!") und Auskünfte über Fahrplan und über<br />

Umsteigeverbindungen zu geben. Dafür führte er auch ein <strong>Dresdner</strong><br />

Haltestellen- und Straßenverzeichnis mit.<br />

Der Schaffner half den Einsteigenden die Stufen in den Bus hinauf und<br />

hob und sortierte Kinderwagen und Gepäckstücke der Fahrgäste. Das<br />

war ein umfangreicher individueller Service! Auch wenn der Obus, wie<br />

damals üblich, völlig überfüllt war, musste der Schaffner das alles<br />

zwischen zwei Haltestellen gewissenhaft und schnell abwickeln. Darüber<br />

wachten der plötzlich zusteigende Fahrscheinkontrolleur und der<br />

Obusfahrer, der natürlich den Fahrgästen Pünktlichkeit geben wollte,<br />

aber auch seine Pause an der nächsten Endstation gesichert haben<br />

wollte. Sie sind der Schnellste! sagte Obusfahrerin Ursula Krah zu mir,<br />

und da dürfen Sie die Urlaubsvertretung für meine Schaffnerin machen.<br />

Das war ein Erfolgserlebnis für mich. Ich hatte damals aber noch keine<br />

echte Verkaufsschulung hinter mir und war nur auf Schnelligkeit<br />

bedacht.<br />

Da musste ich leider an der Haltestelle Niederwaldstraße mit anhören,<br />

wie Zusteigende sagten: Komm, wir gehen in den Anhänger, vorn ist der<br />

böse Schaffner! Ich musste also, und später und auch heute noch,<br />

schrittweise dazulernen.<br />

Der Obusschaffner musste aber auch Anhänger ab- und ankuppeln<br />

können, Bremsproben überwachen, Radmuttern nachziehen und vor


16<br />

allem die auf der kurvenreichen Grundstraße häufig entgleisenden<br />

Stromabnahmestangen, die Ruten, mit Hilfe einer dreifach<br />

zusammenzusteckenden Stange schnell wieder an die Fahrleitung<br />

fädeln können. Da war natürlich ein kleiner Trick dabei.<br />

Ein bei den Obusfahrern besonders beliebter Schaffner war der, der<br />

früh weit vor dem Fahrer in der Obushalle Blasewitz eintraf und im Obus<br />

das Licht, die Heizung und den Kompressor einschaltete, das<br />

Fahrersitzkissen zurechtrückte und den Luftdruck der Reifen mittels<br />

Reifenhammer prüfte; Da brauchte der Obusfahrer nur noch loszufahren!<br />

Foto oben: Foto- Schumann Loschwitz<br />

Henschel- Obuszug am Körnerplatz auf<br />

dem Weg zur „Eule“ noch über<br />

Dammstraße – Friedrich-Wieck-Straße<br />

Von der Kasse geblitzt<br />

Nun zu den Personen, die in der baulichen Anlage des Busbahnhofes<br />

Blasewitz tätig waren . Im Luftraum der ehemaligen Pferdebahnhalle war<br />

die Kasse, die den Schaffnern die Fahrscheine ausgab und dafür das<br />

mühevoll im schaukelnden Bus kassierte Geld haben wollte. Auch<br />

damals wurde man schon geblitzt; so hieß die Überprüfung des<br />

Schaffnerkontos durch die Kassen-Diensthabende. Das Geld wurde<br />

sorgfältig auf einem Zahlbrett aufgetürmt, und ein Manko von 40<br />

Pfennigen durch falsch ausgegebenes Wechselgeld war schon ein<br />

harter Schlag, denn ein Busschaffner erhielt nur einen Stundenlohn von<br />

1,16 Mark, der Obusschaffner wegen des zu überwachenden Anhängers<br />

ca. 50 Pfennig mehr. Da reichten 14 Tage Ferieneinsatz gerade für die


17<br />

Schuhe zu 72,- Mark, die ich mir geleistet habe, weil ich bis dahin<br />

abgelegte Schuhe von meinem Vater an den Füßen hatte.<br />

Der Zahnarzt<br />

Im Gebäude der ehemaligen Pferdebahn neben der Bushalle Blasewitz<br />

hatte aber auch der Betriebszahnarzt der Verkehrsbetriebe seinen<br />

Hauptsitz. Herr Schmidt war Empfänger eines Niedriggehaltes und hatte<br />

außerdem noch die in einem Straßenbahnanhänger installierte fahrbare<br />

Zahnstation zu betreuen. Diese wurde täglich zu einem anderen<br />

Betriebshof gefahren. Herr Schmidt hatte Freifahrt und musste als<br />

normaler Fahrgast mit der Straßenbahn ( kein Dienstauto, das hatte der<br />

Parteisekretär) zu den auch im Tagesverlauf wechselnden Einsatzorten<br />

fahren. Meinen Zähnen hat er viel Gutes getan, und wenn da<br />

zwischendurch ein Gespräch rübergekommen ist, hat er mir u.a. erklärt,<br />

warum seine Sprechstunde bereits um fünf Uhr früh beginnt.<br />

Frau Thümmel und Papa Pönisch<br />

Von den vielen Blasewitzer Schaffnern und Busfahrern sind mir<br />

besonders Max Thümmel und seine Frau, natürlich auch die Familie<br />

Jost, in Erinnerung geblieben. Frau Thümmel wurde nämlich später die<br />

letzte in Dresden auf einem Bus und auch auf einer Bahn tätige<br />

Schaffnerin. Das waren bereits als Rentnerin ausgeführte<br />

Schaffnerdienste am Wochenende auf dem Heidemühlbus.<br />

Frau Thümmel und der Heidemühlbus warten hinter dem Platz der<br />

Einheit, heute Albertplatz, auf Ausflügler Foto: Norbert Kuschinski<br />

Als ich damals meinen letzten Dienst mit ihr auf dem Heidemühlbus als<br />

Busfahrer ausführte, haben wir das rechte Vorderrad verloren. Das hätte<br />

schief ausgehen können, aber ich habe das durch den Bruch eines


18<br />

Bauteiles hervorgerufene Rumpeln bemerkt und noch abbremsen<br />

können.<br />

So ist es auch zu Pfingsten 1958 dem Obusfahrer Fritz Pönisch<br />

ergangen, als er in seiner ihm als Papa Pönisch nachgesagten<br />

gemächlichen Fahrweise die Haltestelle Körnerplatz in Richtung Blaues<br />

Wunder verließ und plötzlich die gekröpfte Vorderachse des Henschel-<br />

Obusses Nr. 151 auf Grund eines Dauerbruches (dagegen sind auch<br />

die für das ICE-Unglück in Eschede verantwortlich gemachten<br />

Eisenbahningenieure nicht gefeit!) brach. Der Obus überfuhr den<br />

Fußweg zwischen einem Kinderwagen und einem Baum und stürzte den<br />

Abhang an der Brückenrampe herab; Doch über einem Hühnerstall blieb<br />

Dank Papa Pönischs Bremsmanöver ( Lenken ging nicht mehr) und der<br />

Last des oben stehen gebliebenen Anhängers der Obus hängen. Alle<br />

wurden unverletzt herausgebracht und der Schaffner, nicht etwa Papa<br />

Pönisch, erlitt einen Schock, so hat er sich für die ganze Sache<br />

verantwortlich gefühlt. Ich kann das so genau berichten, weil ich in<br />

diesem Anhänger gesessen habe, und als ich dann mein Praktikum in<br />

der Buswerkstatt Blasewitz gemacht habe, mussten wir bei jeder<br />

Obusdurchsicht mit dem Schraubenzieher den Dreck von der gekröpften<br />

(d.h. sie hat einen Bogen unter dem Wagenboden) Vorderachse<br />

abkratzen, um evtl. einen Riss zu einem drohenden Dauerbruch zu<br />

entdecken. Das war sicher nicht die richtige Methode dafür. Doch heute<br />

beherrscht man den Dauerbruch (z.B. Achsbruch nach Millionen von<br />

Lastfällen auf Grund einer Kerbe oder einer Blase im Material) weit aus<br />

besser durch Verwendung hochwertiger Stähle beim Fahrzeugbau und<br />

Anwendung qualifizierter Prüfmethoden.<br />

Obus 164 am Blauen Wunder<br />

Archiv DVB / Prof. G. Rehbein, hier Sammlung Thomas Mösche


19<br />

Foto: Archiv DVB, auch Sammlung Peter Miersch<br />

Erläuterung zum Foto: Schneeglätte hat 1953 den Obus 159 nicht bis nach Weißig<br />

kommen lassen. Vermutlich haben festgefahrene "Schneehuckel" auf der Fahrbahn die<br />

pneumatische Lenkhilfe der vierfach bereiften Vorderachse irritiert. Bei den heute üblichen<br />

Lenkhilfen und Bremssystemen ist ein derartiger Unfall nicht mehr denkbar.<br />

Die Fahr- und Dienstplanexperten<br />

Bevor nun zum hinteren Teil des Busobjektes Blasewitz mit der<br />

Werkstatt weiteres gesagt wird, muss noch erwähnt werden, dass im<br />

mittleren Teil des Objektes der Dienstplanmacher oder besser -Experte<br />

Herr Werner aufzufinden war. Dieser beherrschte die Dienstplanbildung<br />

mit Wagenbindung des Fahrpersonals perfekt. Da waren schon einige<br />

handwerkliche Fertigkeiten dabei, die sogar Professor Rüger†, ein<br />

Blasewitzer aus der Wägnerstraße, begutachtete, als er ein<br />

mathematisches Modell für seine Lehre und seine Studenten, die<br />

späteren Verkehrsingenieure, entwickelte. Der Blasewitzer Professor hat<br />

seine Fahr- und Dienstplanwissenschaft auch den auszubildenden<br />

Verkehrsmeistern im Busbahnhof Blasewitz vermittelt und mit den<br />

Busfahrern der Linie 85 über kürzest mögliche Fahrzeiten auf der Linie<br />

gestritten.<br />

Die sogenannte Wagenbindung des Fahrpersonals hat erzielt, das<br />

immer das gleiche Personal mit dem gleichen Bus fuhr. Das hatte z.B.<br />

bei den ein Qualitätsprodukt darstellenden IFA-H6B- Omnibussen vom<br />

Bushof Blasewitz das Ergebnis, dass Fahrer und Schaffner ihr eigenes<br />

Objekt äußerst sauber hielten, pfleglich damit umgingen, im Advent<br />

schmückten und freitags die zusätzlichen Sitze für den<br />

Reisebüroverkehr am Wochenende einbauten.<br />

†Prof. Dr. Dr.h.c. Siegfried Rüger, siehe Nachruf in „Der Jodler aus Oberbühlau“ 2.Auflage


20<br />

Das war schon was; und alles freiwillig und bewusst. Das gehört<br />

eigentlich schon zu Lenins Artikel „Die große Initiative“; aber das hat<br />

doch nichts gebracht.<br />

IFA H6B<br />

Die Hauptwerkstatt Blasewitz<br />

(Der Federschmied)<br />

Nun wird endlich verraten, was im hinteren Teil des Busobjektes<br />

Blasewitz war. Da war die Hauptwerkstatt Blasewitz mit Kfz.- und<br />

Obuselektrikern, Schlossern, Stellmachern, Polsterern/Sattlern ,<br />

Motorenbauern, Lackierern und dem Federschmied. Letzterer hatte die<br />

beeindruckendste Tätigkeit. Er hatte zwar Hebezeuge, um die riesigen<br />

und schweren Federblätter ins und aus dem Schmiedefeuer zu heben,<br />

aber musste diese auch halten und kurz anheben, wenn er sie auf dem<br />

Amboss richtete oder im Wasserbad härten wollte. Das war<br />

Schwerstarbeit und Präzision zugleich, denn so eine Feder durfte ja<br />

auch nicht brechen.<br />

Hoppla, doch gebrochen! Archiv DVB, hier Sammlung Thomas Mösche


21<br />

(Die Atombrigade)<br />

In der Hauptwerkstatt Blasewitz wurden die regelmäßig<br />

vorgeschriebenen Durchsichten und täglich angefallene Reparaturen<br />

vorgenommen, aber auch Obusse und Kraftomnibusse grundüberholt;<br />

Das heißt eigentlich, diese wurden völlig abgewrackt und neu wieder<br />

aufgebaut. Das machte die vielfach ausgezeichnete, mit dem<br />

Spitznamen Atombrigade bedachte Gruppe von Herrn Lewandowski.<br />

Und wenn im November alle Busse des für Dresden vorgesehenen<br />

Planes generalüberholt waren, baute diese Brigade zusätzlich bis<br />

Jahresende weitere Busse aus anderen Verkehrsbetrieben neu auf.<br />

Siehe oben: freiwillig und bewusst; leider hat dieses Prinzip nicht<br />

allumfassend funktioniert. Auch ich war von diesem Arbeitsfieber<br />

angesteckt und habe dem Schlosser Herrn Bartko zur Seite stehend<br />

oder hebend bis in die Nacht hinein zusätzlich den Motor an einem<br />

Ikarus 60 -Bus gewechselt, damit er am nächsten Tag wieder im<br />

Berufsverkehr rollen kann und es zu keinem Fahrplanausfall kommt.<br />

Foto Ikarus 60<br />

Archiv DVB<br />

(Die Ingenieure)<br />

Es gab da im Hinterteil des Blasewitzer Busobjektes natürlich nicht nur<br />

praktisch Tätige, sondern auch Leiter und Ingenieure, die das alles<br />

vorbereiteten und steuerten. Da möchte ich nennen: den späteren<br />

Professor der Verkehrshochschule Heider, seinen Mitwirkenden Dr.<br />

Torges, Herrn Wollmann, der mir zu Silvester 1960 eine gute Rede und<br />

eine Mettwurst bescherte, Herrn Giesel und seinen Sohn und Nachfolger<br />

Thomas Giesel (heute Verkehrsmuseum). Die haben ja nicht nur für die<br />

Omnibusreparatur gesorgt, sondern auch die erste, noch vom Busfahrer<br />

bediente Zahlbox, die erste Zahlbox für die Selbstbedienung der


22<br />

Fahrgäste und den ersten sogenannten Entwerter der DDR (Vorbild<br />

Budapest) für nur im Vorverkauf zu erwerbende Fahrscheine entwickelt.<br />

Der Busbahnhof Blasewitz und seine Hauptwerkstatt haben also<br />

demnach ein umfangreiches Arbeitsplatzreservoir angeboten. Nachtrag<br />

2010: Die Bushalle wurde zu einem Markt umgebaut.<br />

(Die Krone)<br />

Und nun kommt die Krone vom Ganzen: Direkt neben der hinteren<br />

Obushallen- und Werkstatteinfahrt des Blasewitzer Objektes befindet<br />

sich die Kneipe Zur Krone. Dort haben Dienstschluss habende Fahrer<br />

und regelmäßig Fahrlehrer Streich ihr Feierabendbier genossen.<br />

Fahrlehrer Streich hat das besonders ausgeglichen getan, denn er hatte<br />

im Tagesverlauf seinen Fahrschülern haargenau beigebracht, dass das<br />

Kuppeln und Gas- und Zwischengasgeben beim Schalten auf so einem<br />

Büssing- Omnibus des Baujahres 1938 ganz genau so funktioniert, wie<br />

auf einer Waage. Er hat sich aber mit uns, seinen Fahrschülern vom Juli<br />

1964, dann doch vor dem damals modernen Ikarusbus mit Heckantrieb<br />

fotografieren lassen (Foto privat):<br />

In der Mitte Fahrlehrer Streich, der Lange neben ihm ist der Verfasser,<br />

der bei der Fahrschulprüfung auf dem Büssing der Schnellste war, denn<br />

der Polizei war der Büssing mit maximal 40 km/h viel zu langsam.<br />

Deshalb kam der Büssing nach unserer Fahrschule in den Museumsstand


23<br />

Unser Fahrschulbus von 1964<br />

Zwischengas und Zwischenkuppeln! Foto: Archiv DVB<br />

3 Die Anfänge der computergestützten Fahr- und<br />

Dienstplanung<br />

Fahrpläne, Dienstpläne und Wagenlaufpläne wurden bis Ende der 70er<br />

Jahre in Schönschrift von Hand aufgemalt oder geschrieben. Die<br />

Fahrplanbücher wurden in der Druckerei von Hand im Bleisatz gesetzt<br />

und dann gedruckt. Das ging so, bis das Büromaschinenwerk<br />

Sömmerda und auch Robotron Dresden die ersten Bürocomputer, später<br />

Personalcomputer (PC) genannt, zur Verfügung stellten. Ich habe für<br />

deren Nutzung bei einem dann effektiveren Fahrplansatz in den<br />

Arbeitskreisen der Kraftverkehrsbetriebe agitiert (Werbung auf<br />

ostdeutsche Weise). Unsere Programmierer haben dafür die Programme<br />

erarbeitet, und alles schien dadurch leichter und schneller zu werden. So<br />

meine agitatorische Theorie. Aber es dauerte, bis ein Programm fertig<br />

wurde und immer wieder wurde nachgebessert, bis es allen<br />

unterschiedlichen Nutzerbetrieben gerecht war. Einen Zeitplan gab es<br />

aber auch, und wir trauten uns nicht bekannt zu geben, dass wir<br />

eigentlich das Dienstplanprogramm doch noch nicht perfekt fertig hatten.<br />

Da es ein Staatsplanvorhaben für die gesamte DDR war, fand die


24<br />

Vorstellung des Projektes unter Tagungsleitung des Stellvertretenden<br />

Ministers als „Verteidigung des Projektes“ vor ihm und den künftigen<br />

Nutzern statt. Der PC flimmerte und mehrere Abschnitte waren bereits<br />

vorgeführt. Da hörte ich die Vertreter von Halle und Leipzig flüstern: „Na,<br />

die sind doch noch gar nicht richtig fertig mit dem Projekt!“ Das Flüstern<br />

vermehrte sich. Schließlich ergriff der Stellvertretende Minister das Wort<br />

und sagte: „Aber Genossen, wenn ihr noch Probleme habt, könnt Ihr das<br />

doch sagen!“<br />

Der sozialistische Plan hatte also doch noch eine Pufferzeit zum<br />

Aufbessern. Im knallharten kapitalistischen Wettbewerb hätten wir da<br />

doch schneller sein müssen,....oder der Plan war nicht richtig geplant?<br />

4 Der Gelenk-Doppelstock-Omnibus<br />

In der DDR gab es durchaus positive Zielstellungen. So sollte auch die<br />

Beförderungsqualität angehoben werden, indem der Sitzplatzanteil in<br />

Bussen und Bahnen erhöht wird, damit möglichst fast jeder sitzend<br />

mitfahren kann! Da ich mit Arbeiten für die „Prognosen“ des Ministeriums<br />

und der VVB Automobilbau beauftragt war, fiel mir zur Verwirklichung<br />

des hohen Sitzplatzanteiles nur ein, dass wir da einen Gelenk-<br />

Doppelstock- Omnibus (GDO) brauchen. Ich habe diesen bereits 1969<br />

skizziert und im Prinzip entworfen (in der Freizeit am Wochenende).<br />

Zuerst habe ich den Entwurf bei der Kammer der Technik ins Gespräch<br />

gebracht. Dann wurde er in die Prognose des Ministeriums für den<br />

Zeitraum von 1970 bis 2000 aufgenommen. Die Skizze ist auch an die<br />

die DDR mit Omnibussen beliefernden Ikarus- Werke in Budapest<br />

gegangen. Gebaut hat einen Gelenk- Doppelstock- Omnibus dann aber<br />

die westdeutsche Firma Auwärter (Neoplan).<br />

Na gut, wir haben es versucht. Aber die Möglichkeiten im Sozialismus<br />

hatten ja nicht einmal für den Niederflur- Omnibus gereicht. Aber Ideen<br />

hatten wir schon! Auch die bereits 1969 eingeforderten technischen<br />

Details wie Klimaanlage, elektrodynamische Bremse und Laufräder von<br />

minimalem Durchmesser sind später im LKW- und Bus- Sektor des<br />

Westens Wirklichkeit geworden. Auch die Brennstoffzelle, den<br />

Radnaben- Elektroantrieb, die (eigentlich historische)<br />

Wirbelstrombremse, eine Federspeicher- Feststellbremse und<br />

großflächige Fahrtzielanzeigen hatten wir bereits 1969 bedacht.<br />

Allerdings schätzte ich damals ein, dass 360 KW Motorleistung<br />

ausreichend seien. Das wäre heute wahrscheinlich zu gering angesetzt.


25<br />

Kopie des Entwurfes des GDO (Gelenk- Doppelstockomnibus) von 1969 (hier<br />

unmaßstäblich) Entwurfszeichnung:Thomas Mösche,<br />

Technische Zeichnung: Angela Stiller


26<br />

Und hier ist der Gelenkdoppelstockomnibus von Auwärter / Neoplan, den<br />

es heute noch in einem Exemplar in Dresden gibt :<br />

Es hätte auch ein Gelenkdoppelstock - Obus sein können für die<br />

Realisierung der Forderung nach „mehr Sitzplätzen“ unter der früheren<br />

einschränkenden Zulassung der maximalen Fahrzeuglänge. Allerdings<br />

hätten gerade die Sitzplatzbedürftigen nicht die Stufen ins Oberdeck zu<br />

den zahlreichen Sitzplätzen hoch steigen und vor allem nicht rechtzeitig<br />

wieder herunter steigen können. Auch Haltewunsch- und<br />

Türvorwahlknöpfe gab es damals noch nicht.


27<br />

5 Nebenberuflich von Johannstadt nach Goppeln<br />

Die Buslinie 75 ist ursprünglich aus der Linie G Leubnitz/Edelweiß bis<br />

Leubnitzer Höhe hervorgegangen. Und wenn die katholischen<br />

Schwestern vom Kinderheim dem Busfahrer des Ikarus 30 ein paar<br />

Birnen eigener Ernte geschenkt hatten, ging es außerhalb des<br />

planmäßigen Stundentaktes anstelle der Pause auf der LH zusätzlich mit<br />

der dankbaren Kinderschar nach Goppeln!<br />

Die später zur 75 stoßende 94 fuhr 1973 nur zwischen Schießgasse und<br />

dem erst im Wiederaufbau befindlichen Johannstadt mit IFA-H6B-<br />

Bussen.<br />

Als Johannstadt dann aufgebaut war und eine hohe Fahrgastzahl<br />

erzeugte, und gleichzeitig die Kuppel- und Umsetzstelle der 13 am<br />

Edelweiß aufgegeben wurde, gab es eine durchgehende Linie 94<br />

Johannstadt - Edelweiß Leubnitz und die 75 fuhr von Goppeln bis<br />

Wasaplatz/Oskarstrasse. Das war aber unrationell und es wurden<br />

eingerichtet:<br />

75 Johannstadt - Goppeln und<br />

94 Johannstadt - Leubnitz/Klosterteichplatz.<br />

Die Busse dieser Linien waren nicht mehr in Blasewitz, sondern auf der<br />

Böcklinstrasse in Übigau in der Elbe-Flutrinne stationiert.<br />

In meiner 34jährigen Aushilfstätigkeit als Straßenbahn- und Busfahrer<br />

habe ich fast auf allen <strong>Dresdner</strong> Linien gedient, und als seit1974 in<br />

Johannstadt Wohnender habe ich geradezu gejubelt, als Anfang der<br />

80er Jahre die 75 am Elbufer vor der Albertbrücke in Johannstadt<br />

stationiert wurde.<br />

Die für die 75 vorgesehene Busflotte umfasste etwa 22 Wagen;<br />

Abzüglich der in Reparatur befindlichen Busse vom Typ Ikarus 280<br />

waren auf dem gemeinsamen Umlauf von 75 und 94 etwa 14 Busse<br />

eingesetzt. Annelies Trixa, vordem Obusfahrerin und meine Kollegin bei<br />

der Straßenbahnfahrschule 1961, arbeitete auf dem Bushof am Elbufer,<br />

in einem Bauwagenbüro, d.h. eigentlich in KoJo (Kraftomnibushof<br />

Johannstadt).<br />

Sie rief mich wöchentlich an, ob ich nicht einen sonst ausfallenden<br />

Dienst am Wochenende, in der Nacht ab Freitag oder auch im<br />

Spitzenverkehr am Mittwoch übernehmen könne. Da so etwas eigentlich<br />

mein Hobby war und ich deshalb nicht wegen des Arbeitslohnes den<br />

Dienst gefahren bin, habe ich alle, auch schwierige 14-Stunden-<br />

Nachtdienste im Schienenersatzverkehr gefahren.<br />

Nur eines hat mich aber bei den Diensten auf der kombinierten Linie<br />

75/94 mächtig gestört: Bei der Beschaffung der Beschilderungen konnte<br />

nie erreicht werden, dass das Zusatzschild „über Klosterteichplatz“ auf


28<br />

lackierter Presspappe hergestellt wurde, nein es bestand aus<br />

bedrucktem Kartonpapier und vergammelte deshalb in der Feuchtigkeit<br />

nach vier Wochen und wurde jahrelang derart vergammelt den<br />

Fahrgästen zugemutet. Da habe ich Verkehrsmeister Heinz Schütze<br />

gefragt, wie er sich ein solches Schild wünscht. Dann habe ich Plast-<br />

Tafeln beschafft, diese mit der Blechschere zum üblichen Schilderformat<br />

geschnitten und je Abend ein Schild<br />

75/94 über Klosterteichplatz<br />

in einem eigens dafür ausgedachten Druckverfahren mit einer aus<br />

Pappe geschnittenen Buchstaben- Matrize, Farbe und Schwamm<br />

hergestellt. Als 22 Schilder, für jeden Bus eins, fertig waren, habe<br />

ich diese Heinz Schütze übergeben, und seit Nikolaus 1982 fuhren die<br />

Fahrer der 75/94 mit ordentlichen Schildern. Von den Fahrgästen gab es<br />

erleichterte wohlwollende Bemerkungen.<br />

Wenn ich dann Dienst hatte, brachte ich jeweils ein neues Schild mit auf<br />

den Bus und habe das bereits etwas verschmutzte ältere Schild zu<br />

Hause gewaschen und nachgemalt. Beim Bereitschaftsdienst in KoJo<br />

habe ich dann auch gleich mehrere Schilder in dieser Art behandelt.<br />

Da denke ich, Heinz Schütze und Annelies haben mich auch deshalb zur<br />

Auszeichnung als einer der besten 2.Avs durch Verkehrdirektor Haase<br />

vorgeschlagen, und nicht nur, weil ich, wie sie sagten, jeden noch so<br />

schwierigen Fahrdienst angenommen habe.<br />

Bei der Auszeichnung in der alten TU-Mensa hat auch Dr. Wende vom<br />

Institut für Verkehrssicherheit der HfV, ein begeisterter Naußlitzer<br />

nebenberuflicher Tatra-Fahrer neben mir gestanden. Es war schon viel<br />

Idealismus bei den Nebenberuflichen dabei !<br />

Wenn ich heute die zahlreichen jungen Strassenbahn- und Bus-Fans<br />

beobachte, denke ich, schade, dass sie sich nur aufs Fotografieren von<br />

Bus und Bahn beschränken können und müssen und nicht selbst<br />

(nebenberuflich) fahren können!<br />

Foto durch N. Kuschinski


29<br />

Vor 75 Jahren: Großer Hecht neu in Dresden!<br />

Abziehbild/Schiebebild 1977, Zeichnung: Thomas Mösche<br />

6 Mit Europas modernster Straßenbahn über Bad Weißer<br />

Hirsch nach Bühlau<br />

Ab 20. Oktober 1931 wurde in Dresden ein völlig neuer<br />

Straßenbahnwagentyp auf den Linien 11 (Bühlau- Südvorstadt) und 15<br />

(Niedersedlitz- Weinböhla) eingesetzt, nachdem vorher zwei dieser<br />

Wagen im Pendelverkehr ohne Anhänger zwischen Coswig und<br />

Weinböhla sowie auf einer eigens für den Hecht eingerichteten Eillinie<br />

Coswig – Hauptbahnhof getestet worden waren. Im Volksmund wurde<br />

dieser vierachsige Wagen wegen der Wagenspitze mit dem einem<br />

Fischmaul ähnlichen Scheinwerfer „Hecht“ getauft. Als später noch<br />

kleinere Zweiachser gleicher Form in den Dienst gestellt wurden, wurde<br />

zwischen „großem“ und „kleinem“ Hechtwagen unterschieden. So<br />

verkehrte seit dem die Linie 11 nach „Bühlau über Bad Weißer Hirsch“<br />

(so die ordnungsgemäße Ziel-Beschilderung der Vorkriegszeit) bis zum<br />

Spätsommer 1969 (ab 30.04. 1969 gemischt mit Tatra-Wagen Bühlau -<br />

Plauen) mit dem großen Hecht. Dazu gab es auch einen speziell


30<br />

geeigneten Anhänger, den „Stahlbeiwagen“; Vordem hatten<br />

die Wagen einen Holzaufbau unter der Blechverkleidung.<br />

Der damalige Oberingenieur und Vorstand der <strong>Dresdner</strong><br />

Verkehrsbetriebe AG, Herr Prof. Alfred Bockemühl ( wohnhaft in<br />

Oberloschwitz auf der Malerstraße) und sein Elektro-Oberwerkmeister,<br />

Herr Finger aus Bühlau/ Ullersdorfer Straße, hatten wesentlichen<br />

Einfluss auf die Entwicklung (1929) und den Bau der insgesamt 33<br />

großen Hechtwagen in den Waggongbauwerken Bautzen und Niesky<br />

von 1930 bis 1932. Die spitz konstruierte Form der Wagen ergab sich<br />

aus dem maximal möglich angestrebten Überhang des Wagens vor und<br />

nach den Achsen in Gleisbögen. Der Starkstrom- Fahrschalter war unter<br />

dem Wagenboden angebracht und wurde von einer Fahrerkabine aus<br />

über Hilfsstromkreise mittels Druckknopfbettätigung des Fahrers fern<br />

gesteuert. Die elektrodynamische Motorbremsung wurde vom Fahrer<br />

mechanisch über ein Fußpedal ausgelöst (in der Bedienweise ähnlich<br />

wie bei den Tatra-Straßenbahnen). Nach dem Kriegsverlust von 8<br />

Wagen wurden 1954 im Waggonbau Görlitz zwei Wagen neu aufgebaut.<br />

Für die 11 Bühlau- Coschütz waren in der Nachkriegszeit bis 1969 aus<br />

einem Bestand von 27 großen Hechtwagen pro Werktag maximal 20<br />

Wagen einsatzbereit. Bei einem Fahrplansoll von 22 Zügen für die Linie<br />

11 war deshalb im Spitzenverkehr der zusätzliche Einsatz von zwei<br />

Zügen des Typs kleiner Hechtwagen bzw. LOWA ET 50 erforderlich;<br />

Das habe ich für speziell interessierte Leser eingefügt. Aber für alle, die<br />

die Bühlauer 11 ins Herz geschlossen haben, kommt jetzt Teil 2 mit:<br />

Von der Liebe zur 11<br />

Die Straßenbahnlinie 11 mit den Hechtwagen nach Bühlau scheint eine<br />

Legende zu sein. Von ihr schwärmen die Großväter (die früheren<br />

Kinder), damalige Fahrgäste, Fachleute und auch viele junge Leute, die<br />

Fans! Nie hat diese Linie eine andere Liniennummer als die 11 gehabt!<br />

(Hellerau hatte man schon einmal an Stelle der ebenfalls legendären 8<br />

die 7 aufgezwungen.) Die 1948 eingesetzte Hecht- 10 nach Bühlau war<br />

nur eine zusätzliche Verstärkungslinie, die frühere 111...<br />

10 Bühlau-Südvorstadt


31<br />

Als Kind habe ich, wie viele andere auch, gern in der linken Ecke neben<br />

der Fahrerkabine der Tätigkeit des Fahrers zugeschaut. Ich konnte<br />

sogar die Geräusche der in Abhängigkeit von Anfahren, Leerlauf und<br />

Bremsen unterschiedlich singenden, summenden oder knurrenden<br />

Motoren imitieren.<br />

Der Hirschberg mit 7,7% Gefälle (!) war für damalige Straßenbahnen<br />

(ohne Zahnstangen-Antrieb wie in der Schweiz oder in Südfrankreich)<br />

schon eine schwierig zu bewältigende Leistung. Aus Sicherheitsgründen<br />

wurde bergauf nur mit halber Geschwindigkeit bzw. Motorspannung<br />

(Serienschaltung) gefahren, und bergab durfte von Plattleite bis<br />

Mordgrundbrücke nicht schneller, als in drei Minuten gefahren werden.<br />

Der Herbst brachte mit dem Laubfall auf der Strecke zwischen Saloppe<br />

und Plattleite rutschige Schienenverhältnisse, die der Fahrer mit dem<br />

Treten des Sandstreuerpedals, ggf. auch des Schienenbremspedales,<br />

beim Anfahren oder Bremsen bewältigen musste. Für die Fahrgäste<br />

ergab das aber eigentlich einen aromatischen Geruch des von den<br />

durchdrehenden oder blockierenden Rädern fast verbrannten Laubes.<br />

Das war 11- Romantik.<br />

Nach dem Kriege (und teilweise auch heute noch) war die 11 im<br />

Spitzenverkehr stets überfüllt. Die letzten Einsteiger mussten, sich am<br />

äußeren Türgriff festhaltend, auf dem äußeren Trittbrett mitfahren; Der<br />

Schaffner drückte, noch auf der Straße stehend, eine außen am Wagen<br />

befindliche Abfahrtsklingel und zwängte sich dann auch noch auf dieses<br />

Trittbrett! Beim Abspringen, weil man sich doch nicht halten konnte oder<br />

die Haltestelle nahte, musste man vom innen an der Tür angebrachten<br />

Schild „linke Hand am linken Griff!“ wissen und sich auch danach richten.<br />

Verliebt in die Hecht-11 habe ich mich letztendlich eigentlich erst so<br />

richtig, weil eine hübsche Mitschülerin regelmäßig an der Haltestelle<br />

Grundstraße am hinteren Doppeleinstieg des Hechtes zustieg, worauf<br />

ich dort schon gewartet habe. Aber ich habe sie natürlich nicht gekriegt ,<br />

weil ich noch „viel zu grün hinter den Ohren“ war. Aber diese „stille<br />

Liebe“ hat mich doch mit dem Hecht verbunden.<br />

Neben solchen „hübschen“ Erinnerungen gab es aber auch noch andere<br />

legendäre Fahrgäste auf der 11. Da sind zumindest zu nennen – die<br />

stets mit großem, hellem Hut und einem Kleid aus den 30er Jahren<br />

bekleidete und nie alternde Sängerin, die immer am Bühlauer „Ringel“<br />

zustieg; Und unvergessen und populär: Der Jodler aus Neubühlau<br />

(Oberbühlau)! (zum Jodler bitte Elbhangkurier 11/2003 und viele<br />

Folgehefte mit Leserzuschriften dazu einsehen!)<br />

Zum legendären Fahrpersonal der Hecht-11 zählen nach meinen<br />

Beobachtungen: die Herren Fahrer Enderlein (meist Pendel-11 nach<br />

Weißig) und Mörbe aus Weißig, Herr Göbel aus Blasewitz ( mit 74


32<br />

Jahren anerkannt „schnellster Fahrer auf der 11“), Herr Trinks mit<br />

Beziehung zum Bühlauer Forsthaus, privat stets in Förster- Kleidung,<br />

Herr Müller-Güntzel sowie die Schaffner „Gamaschen-Schubert“(privat<br />

stets mit Zigarre über den Weißen Hirsch!) und Schubert-Paul (siehe<br />

Abschnitt zu diesem). Schaffner Fritz von Semmenow, den Bruder eines<br />

Vorkriegs-Polizeipräsidenten, der mich immer „mein lieber Freund“<br />

nannte, will ich abschließend zur Legende der 11 besonders würdigen.<br />

Er ist, ich glaube schon weit nach dem Renteneintrittsalter (vielleicht<br />

bekam er gar keine Rente) als Schaffner auf der in den Straßenbahnhof<br />

Bühlau einrückenden 11 verstorben. Er hat die 11, so wie viele, so<br />

geliebt, dass er bis zum Einrücken aufs Gleisende durchgehalten hat.<br />

Foto zum Straßenbahnhof Bühlau :<br />

Die Verstärkungslinie 111 steht 1942 zum Ausrücken im<br />

Straßenbahnhof Bühlau bereit<br />

Foto: privat (65 Jahre haben das Äußere des Fotos gezeichnet)


33<br />

Ein schwarzer Tag für die 11<br />

Scheibenheizungen in der Fahrerkabine wurden erst in den 60er Jahren<br />

schrittweise eingeführt. Deshalb waren vordem die Sichtscheiben bei nasskaltem<br />

Wetter beschlagen oder froren bei Frost unter minus 5 Grad mit Eisblumen zu.<br />

Die Fahrerin musste da mit einem Lappen oder dem Handschuh laufend die<br />

Scheiben zur Gewährleistung der Sicht abwischen. Bei Frost half da ein kleiner<br />

mit Glycerin getränkter Schwamm ein „Guckloch“ in den Eisblumen frei zu<br />

halten. Das ist die Ausgangssituation für den 9. Dezember 1959 – dem<br />

schwarzen Tag für die 11: Fahrerin Martina B. (Name geändert) muss an der<br />

Haltestelle Kotteweg (bergabwärts) im Frühberufsverkehr die Frontscheibe<br />

abwischen. Sie trug ihre für den Hecht- Fahrer im Winter typische Pelzjoppe (zur<br />

Winter- Dienstkleidung gehörten damals Filzstiefel und mit Pelz gefütterte Mäntel<br />

und Kurzmäntel, die „Joppen“ für sitzende Hecht- und Busfahrer). Der Pelz an<br />

der Joppe hat das ganze Unheil ausgelöst. Martina erhebt sich etwas vom<br />

Fahrersitz, beugt sich vor, wischt die Scheibe ab .... und der Pelz drückt<br />

unbemerkt und unbeabsichtigt auf den Rückwärts- Schaltknopf unterhalb der<br />

Frontscheibe. Die Fahrtrichtungs- Schaltwalze bleibt aber, weil der Stromstoß<br />

nur kurz war, zwischen den Kontakten stehen. Damit waren die Fahr- und<br />

Bremsstromkreise unterbrochen. Martina konnte das auch beim Abfahren ab<br />

Kotteweg gar nicht bemerken, denn es war vorgeschrieben, vor Gefällestrecken<br />

den Wagenzug stromlos abrollen zu lassen und dann bei schnellerem Abrollen<br />

erst zu bremsen. Als Martina dann das Bremspedal betätigte .... tat sich nichts!<br />

Hecht Nr. 1711 und Beiwagen 1326 rollten immer schneller bergab! Die<br />

Fahrgäste raunten sich gemäß Augenzeugenberichten zu: „Na, wenn die so<br />

weiter fährt...!“ Und als die Haltestelle Fußweg nach Kaitz, heute<br />

Cämmerswalder Str., kurz vor der Haarnadelkurve am Westendring mit<br />

„Kippgeschwindigkeit“ (man kann das ausrechnen, ich hatte damals eine<br />

Faustformel dafür) durchfahren war, fiel Martina nun endlich ein, doch Hand- und<br />

Schienenbremse bei Ausfall der elektrodynamischen Motorbremse einzusetzen.<br />

Bis dahin hatte sie Panik und konnte es deshalb einfach gar nicht; Jeder<br />

Psychologe kann das bestätigen.<br />

In der Haarnadelkurve aber war das plötzliche Bremsen Gift für den Anhänger,<br />

denn er hat einen höheren Schwerpunkt als der Hecht und kippt deshalb eher!<br />

Er kippte mit einem Drehmoment wegen des nur bremsenden Triebwagens<br />

gegen den Betonmast am Straßenrand und wurde ab Vorderperron in Kopfhöhe<br />

der Insassen „abrasiert“. Viele Fahrgäste wurden herausgeschleudert, auch die<br />

Beiwagen- Schaffnerin, die das, weich gefallen, überlebte. Aber 11 Personen<br />

waren tödlich und ca. 48 weitere schwer verletzt verunglückt.<br />

Die Hechte wurden dann mit einer Schutzklappe über dem Rückwärts-<br />

Schaltknopf ausgerüstet. Schade, dass der Konstrukteur nicht gleich darauf<br />

gekommen war. Aber das ist wie mit der Frage an den Erfinder der<br />

Dampflokomotive: „Na, und warum haben Sie nicht gleich die Elektro- Lok<br />

erfunden?“


34<br />

Ab Kotteweg bergab zur Haarnadelkurve<br />

(Fotos: Ingolf Menzel und Archiv DVB)<br />

Der Malermeister durfte seinen Einachsanhänger hinten anhängen


35<br />

Marcello Mastroiani laut SZ Am Sonntag sinngemäß: Wenn man in eine schöne Frau<br />

verliebt ist, kann man mit ihr alles machen, was sie will! Und was man alles anstellt, um<br />

dahin zu kommen, soll u.a. mit dem Folgenden aufgedeckt werden:<br />

7 Ludwig Richter, die "11", das Parkhotel Weißer Hirsch<br />

und der Rote Kakadu<br />

Zeichnung (Thomas Mösche) zum legendären Parkhotel Weißer Hirsch mit dem „Roten<br />

Kakadu“ im Keller und der ebenfalls legendären Hechtwagen-11<br />

Ludwig Richter habe ich persönlich gekannt. Der war nach dem Kriege<br />

Fahrer auf dem Hechtwagen der 11, wohnte an der Schillerstraße in<br />

Loschwitz, und ich habe nie gewagt, ihn zu fragen, ob er ein Nachfahre<br />

des gleichnamigen Malers aus Loschwitz ist.<br />

Aber ich habe ihn, wenn er den Nachtwagen der 11 gefahren hatte, ab<br />

Mordgründbrücke abgelöst, obwohl ich das erst 3.33 Uhr am<br />

Straßenbahnhof Bühlau hätte tun müssen. Da konnte er schnell die<br />

Schillerstraße hinunterhuschen und nach Hause gehen.<br />

Viel interessanter als ein Fahrerdienst auf der 11 (in der viele hübsche<br />

Bühlauerinnen mitfuhren) war aber der Komplex des Parkhotels Bad<br />

Weißer Hirsch. Dort, in diesem von Kritikern auch als Feudalmuseum<br />

bezeichneten Objekt, gingen interessante Menschen und vor allem<br />

interessante junge Frauen ein und aus. Aber ich bekenne, ich wollte kein


36<br />

Schürzenjäger sein, sondern mir in diesen Hallen die Frau fürs Leben<br />

aussuchen.<br />

Meine Ausbildung als Hechtwagenfahrer der 11 nutzte ich aus, um<br />

sonnabends von Striesen schnell und mit gesichertem Sitzplatz nach<br />

dem Parkhotel zu gelangen. Da habe ich Rangierleiterin Ilse Lukaß im<br />

Straßenbahnhof Bühlau angerufen, ob nicht ein frisch reparierter Hecht<br />

aus der Hauptwerkstatt Tolkewitz nach Bühlau zu überführen sei. Das<br />

war meist so, und schwupps huschte ich mit dem Hecht nach Bühlau.<br />

Da war ich dann auch gleich beim Parkhotel. Aber auf Grund der in der<br />

DDR mangelnden Jugendtanzmöglichkeiten war das "Tanzobjekt"<br />

überfüllt, und es gab keine Eintrittskarten mehr. Da habe ich den<br />

nebenberuflich tätigen Mann vom Einlassdienst erkannt. Es war unser<br />

Bus-Schlosser aus der Werkstatt Mickten. Der hat mich trotzdem<br />

eingelassen, und ich habe ihm dafür ein Zweimarkstück geschenkt. War<br />

das unmoralisch? Oder gibt es da viel schlimmere Parallelen?<br />

Drinnen im Parkhotel war da zunächst das feudale Café, mit<br />

Caféhausmusik auf Klavier und Geige. Das Musikduo spielte den<br />

Goldenen Pavillion von Hans-Hendrik Weding (siehe "Künstler am<br />

<strong>Dresdner</strong> Elbhang"), und diesen konnte man höchstpersönlich mit seiner<br />

relativ jungen Frau und seiner schönen Tochter in der für ihn<br />

reservierten Ecke des Cafés sitzen sehen. Wenn er aber die Empore in<br />

der im Keller befindlichen Bar "Roter Kakadu" reserviert hatte, hat jeder<br />

der ihn begeistert umringenden jungen Bar-Gäste ein Glas von seiner<br />

Sektrunde abbekommen.<br />

Da habe ich fast vergessen, dass ich eigentlich auf der Suche nach einer<br />

schwarzhaarigen Frau mit gutmütigem Augenausdruck war.<br />

Da es nie ausreichend Eintrittskarten gab, musste man weitere<br />

Möglichkeiten erkunden, um in den Tanzsaal und den Kakadu zu<br />

gelangen. Da konnte man vortäuschen, begeisterter Anhänger der BSG<br />

Billard zu sein.... und durch eine Nebentür ging es dann zum Saal. Man<br />

konnte im Bräustübl bei Lotte (später Andenkenladen in Moritzburg)<br />

Bockwurst und Bier zu sich nehmen und heimlich durch eine schmale<br />

Schiebetür zur Bar gelangen. Aber auch der äußere Kücheneingang<br />

konnte an den arglosen Köchen vorbei benutzt werden, um in den Saal<br />

zu gelangen.<br />

Und wenn ich dann die ausgemalte Schwarzhaarige nicht gefunden<br />

habe, bin ich sonntags, anstatt mit einer solchen spazieren zu gehen,<br />

einen (sonst unbesetzten) Fahrerdienst auf der 11 gefahren, als<br />

Frustausgleich. Da habe ich wieder Ludwig Richter, die Stepptänzerin<br />

Frau X. und Angelika Y. (die hätte eigentlich meiner Vision entsprochen)<br />

als Fahrer auf der entgegenkommenden 11 getroffen und hatte Fritz von<br />

Semmenow, den Bruder des früheren Polizeipräsidenten, als Schaffner


37<br />

auf meinem Zug oder auch einmal am Heiligabend als Zugbegleiter<br />

auf dem Streusalzanhänger.<br />

Dienst am Heiligabend und zu Silvester auf der 11 war immer etwas<br />

Besonderes. An mehreren Streckenpunkten verteilte die Junge<br />

Gemeinde kleine Weihnachtsgeschenke an das Fahrpersonal, der<br />

Verkehrsbetrieb spendierte ein Päckchen von Ilse Bähnerts "Rondo",<br />

und zum Jahreswechsel exakt 24 Uhr wurde an der Haltestelle<br />

Pionierpalast/Schloss Albrechtsberg die Glocke am Hecht betätigt und<br />

dem Schaffner ganz trocken Glückliches Neues Jahr zugerufen. Das war<br />

ungemein romantisch, und heute schäme ich mich fast, dass ich so viel<br />

Geld für das Silvesterfeuerwerk ausgegeben und nicht aufgegessen<br />

habe.<br />

Foto: Frank Mösche<br />

Foto: Steffen Mösche<br />

8 Die Bühlauer Wäschebahn<br />

Foto : Die Bühlauer Wäschebahn auf ihrem besonderen Gleis am Waldschlößchen<br />

Archiv DVB, hier Kopie Sammlung Thomas Mösche 1961


38<br />

Es war einmal. In der Zeit vor und nach dem ersten Weltkrieg haben die<br />

Villen in der Albertstadt/Gebiet Bautzner Str./Nordstr./ Waldschlösschen<br />

nicht, wie später, zahlreiche Ingenieurbüros und ähnliche Institutionen<br />

beherbergt, sondern diese waren oft auch Wohnsitz der Fabrikanten,<br />

Kaufleute und Bankiers.<br />

In den dazugehörigen großen Haushalten war aber, wie das auch heute<br />

noch überall ist, viele schmutzige Wäsche zu waschen. Die Ehefrauen<br />

der Villenbewohner wollten und brauchten aber ihre Wäsche nicht selbst<br />

waschen. Es gab nicht mal eine WM66 und auch keinen TOPLADER<br />

von Quelle/Privileg. Da ist das aus heutiger Sicht schon verständlich.<br />

Aber die sogenannten Bühlauer Wäscheweiber haben diese Last zum<br />

Broterwerb auf sich genommen und in ihren Waschküchen die Wäsche<br />

aus der Albertstadt gereinigt und auf Ihren Bleichplanen die Wäsche<br />

weiß gemacht.<br />

Sie haben diese Wäsche aber außerdem noch von der Albertsstadt nach<br />

Bühlau und dann sauber, gebügelt bzw. mit der großen hölzernen<br />

Wäschemangel geglättet wieder zurück mit Hilfe ihrer Handwagen<br />

transportiert. Heute macht das ein Wäsche-Logistik-Unternehmen.<br />

Und damit es den Wäschefrauen nicht zu schwer wird den Berg hinauf,<br />

hat die Dresdener Straßenbahn eine spezielle Wäschebahn vom<br />

Waldschlösschen bis nach Bühlau eingesetzt.<br />

Auf dem Foto von damals sind alle Handwagen nach Wäscheablieferung<br />

auf dem Gepäckkorb des Triebwagens der 11 und vor allem auf dem<br />

mitgeführten Güterbeiwagen verstaut. Die „Wäscheweiber“ gucken froh<br />

über die geleistete Arbeit und erzielten, vermutlich kargem, Verdienst<br />

aus den Fenstern der Straßenbahn.<br />

Für diese Verladeaktion gab es am Waldschlösschen extra ein<br />

besonderes Gleis mit den dazugehörigen von Hand zu verstellenden<br />

Weichen. (Da das damals sogenannte Drehstuhlweichen gewesen sein<br />

könnten, waren diese nicht nur mit dem Weichenstellhebel verstellbar,<br />

sondern dem Erzählen nach haben geschickte Schaffner damals diese<br />

leichtgängige Weiche auch mit der eigentlich für das Fahrscheinlochen<br />

vorgesehenen Schaffnerzange umstellen können.)<br />

Wichtiger als die Schaffnerzange ist aber die Hempel-Marie, die Letzte<br />

der Bühlauer „Wäscheweiber“! Da es keine Wäschebahn mehr gab und<br />

Handwagen um 1958 bereits im allgemeinen Verkehr schwer zu führen<br />

waren, trug sie die Wäsche nach und von Bühlau auf dem Rücken in<br />

einem großen Tragekorb. An der Haltestelle Kolberger Str., heute<br />

Rossendorfer Str., sagte sie zum Obusschaffner: „helfen Sie mir mal<br />

hoch!“ , stieg am Bühlauer „Ringl“ in den Hechtwagen der 11, ja und wie<br />

sie am Waldschlösschen mit ihrem riesengroßen Korb wieder raus<br />

gekommen ist, habe ich leider nicht beobachten können. Aber sie kannte


39<br />

mich, weil sie meine Großmutter kannte und ich hatte das Vergnügen mit<br />

ihrer Enkeltochter bei Frau Hilde Wehner in Bühlau in die Klavierstunde<br />

gehen zu dürfen!<br />

Da zeigt sich, da es heute Waschautomaten gibt, hat man Zeit zum<br />

Klavierspielen, oder Internet surfen.<br />

Schauen Sie abschließend noch einmal auf das Foto: Hempel-Marie<br />

hatte ca. 25kg auf dem Rücken. Aber welche Lasten hat man da auf die<br />

Bühlauer Wäschebahn hieven müssen ?! Also, alle Achtung vor unseren<br />

Vorfahren, die die Basis für unser heutiges modernes Leben geschaffen<br />

haben!<br />

9 Die Pendel- 11<br />

Modellfoto: Frank Mösche . Foto rechts von Christian Kauer (Beschilderung geändert)<br />

Die Hechtwagenlinie11 hatte ab Bühlau eine Verlängerung unter gleicher<br />

Nummer „11“ in Tarifeinheit bis zum Bahnhof Weißig. Ursprünglich<br />

gehörte diese eingleisige Linie (1,6 Km) mit drei Ausweichen zur Drüveg<br />

(<strong>Dresdner</strong> Überlandverkehrsgesellschaft). Sie wurde am 1. Juli 1908<br />

zusammen mit der Eisenbahnstrecke Weißig – Dürrröhrsdorf eröffnet.<br />

Die „Pendel“- Straßenbahn fuhr bis 19. Februar 1949 (seit 1924 als „11“)<br />

zwischen Bühlau/Schmiedeschänke (später ab Kurhaus Bühlau) und<br />

Bahnhof „Weißig - Bühlau“ mit Einzeltriebwagen vom Typ UNION (mit<br />

Fallklotzbremse). Berichte besagen, dass vor Einführung der<br />

Hechtwagen (1931) und der Gleisschleife Bühlau zeitweise durchgehend<br />

Zschertnitz - Weißig gefahren worden sein soll. Dieser Triebwagen<br />

UNION fuhr auch noch bis 1969 die Strecke Bühlau - Coschütz<br />

ohneAnhänger, wenn zu viele Hechtwagen defekt waren (Der Verfasser<br />

hat das selbst als Fahrer bis Ende Gleisstumpf Coschütz, einem selten<br />

möglichen Ausstieg fast in Gittersee, getan). Auch wurde berichtet, dass


40<br />

in den 30er Jahren täglich eine Fahrt im Berufsverkehr mit dem<br />

Hechtzug über Bühlau hinaus durchgehend bis Weißig erfolgt sein soll.<br />

Belegt sind Berichte, dass nach Weißig bei besonderen Anlässen<br />

Anhänger sowie sonntags mit dem Linienzeichen „S“ gekennzeichnete<br />

Hechtwagen eingesetzt wurden. Ein zweites Gleis blieb in der Planung.<br />

Fotogrundlagen<br />

von<br />

Christian<br />

Kauer<br />

Während des Fahrleitungsumbaues für die Obuslinie nach Weißig<br />

verkehrten von 19. Februar bis 1. November 1949 als Ersatz für die<br />

Pendel-11 meist die kleinen Dieselbusse Nr. 10 und 11, manchmal der<br />

große Büssing-Dreiachser (heute z. B. Museumsbus Nr. 4), und<br />

manchmal die Nr. 14 oder gar die Nr. 15 mit nur insgesamt 15 Sitz- und<br />

Stehplätzen! „Zurücktreten! Der Wagen ist besetzt!“ rief da der<br />

Schaffner. Endstation war der Vorplatz am Gasthof Weißig.<br />

Nr. 10 / aus Archiv DVB :


41<br />

10 Der Jodler aus Oberbühlau<br />

"Holladrio-oho.............!" schallte es von Oberbühlau den Taubenberg<br />

herunter, durch Weißig bis nach Rossendorf in den Harthe-Wald, so wie<br />

es heute aus Radio Bayern I klingt.<br />

Der Bühlauer Jodler fuhr wieder auf dem Fahrrad, von seinem Eheweib<br />

begleitet, in die Heidelbeeren. Das war sonntags frühzeitig; Da sind wir<br />

gerade und auch dadurch aufgewacht. Aber abends, als die beiden mit<br />

vielen vollen Heidelbeerkörben zurückkamen, sind wir Kinder ihm und<br />

seinem Jodeln hautnah begegnet. Wir haben ihn den Weg zum<br />

Taubenberg hinauf, da musste er das Rad schieben, begleitet. Er hatte<br />

immer etwas zu erzählen. Dabei sagte er plötzlich: "Halt mal mein Rad,<br />

ich muss erst mal eine Arie singen !" " Holladrio-oho..........!" klang es da<br />

wieder über die Rapsfelder des Schönfeld-Weißiger Hochlandes von der<br />

Bühlauer Stadtgrenze am Taubenberg aus.<br />

Während dessen konnten wir seine Frau fragen, was denn aus den<br />

vielen Heidelbeeren wird, die sie gesammelt hatten. "Die kochen wir ein<br />

und verschenken sie nach und nach. Er isst sie ja gar nicht einmal, denn<br />

sie bleiben ihm im Halse stecken !" Ergo: Jodeln und Heidelbeeren im<br />

Hals verträgt sich nicht. Aber er trug den im Vergleich zu seinen<br />

Kriegserlebnissen geringfügigen Spott dazu mit Jodler-Humor.<br />

Und seinen Humor schildern wir jetzt noch etwas näher:<br />

Ich will am Albertplatz, der zu dieser Zeit evtl. auch schon<br />

(vorübergehend) Platz der Einheit heißt ( es war damit aber leider nicht<br />

die deutsche Einheit gemeint, sondern die zwischen Sowjetunion,<br />

Staatspartei und Arbeitervolk erwünschte) in die 11 einsteigen, da<br />

erklingt aus den damals noch offenen Freilufteinstiegen des Anhängers<br />

am großen Hecht-Triebwagen Musik! Das war ein Novum, denn tragbare<br />

Radios oder CD-Player oder eine Lautsprecheranlage an Bord gab es<br />

noch nicht. Da musste ich schnell auf diesen offenen hinteren Perron<br />

aufsteigen! Und was war?: Unser Jodler spielte zum Vergnügen der<br />

Mitfahrenden Mundharmonika in akustischer Perfektion. Gejodelt hat er<br />

aber nicht; da hätte der Straßenbahnfahrer weiter vorn gedacht, er solle<br />

die Notbremse betätigen. Aber der Jodler hat zwischen den<br />

Musikstücken Witze erzählt. Darin ging es auch um die Staatsführung.<br />

Und niemand traute sich zu lachen, denn die Bahn hielt gerade an der<br />

Haltestelle Klarastraße (heute Haltestelle Angelikastr.), und dort waren<br />

die Gebäude der Staatssicherheit. Die Haltestelle wurde dann<br />

jahrzehntelang gar nicht bedient, damit sich vor diesen Gebäuden nicht<br />

etwa Menschenmassen ansammeln konnten.<br />

Aber dann bei der weiteren Fahrt mit unserem Jodler den Berg hinauf<br />

über Bad Weißer Hirsch nach Bühlau wurden die Gesichter um den


42<br />

Jodler im Straßenbahnanhänger immer fröhlicher. Am Bühlauer Ringl<br />

wurde Tschüss gesagt; Der Jodler wollte noch weiter den Berg hinauf<br />

nach Quohren. Da musste er wieder mit dem Fahrrad fahren und es<br />

teilweise schieben, denn den Bus zum Fernsehturm gab es noch lange<br />

nicht. Das Rad hatte er morgens, wie viele andere Fahrgäste von 11 und<br />

Obus aus dem Bühlauer Umland auch, in der Fahrradabstellanlage<br />

abgestellt, die ein privater Grundstücksbesitzer in der Ullersdorfer Str.<br />

unterhielt. Das war Parken und Pendeln ( bike and ride) in seiner<br />

Frühform.<br />

Die Mitreisenden freuten sich schon wieder auf die nächste Feierabend -<br />

Heimfahrt mit dem Jodler, so wie das auch der das alles miterlebende<br />

Schaffner der 11 Paul Schubert tat.<br />

Und zu diesem "Schubert - Paul" gibt es noch eine weitere, andere<br />

Geschichte.<br />

Auf der Anhänger-<br />

Plattform der<br />

Hechtwagen-11 fanden<br />

die Auftritte des Bühlauer<br />

Jodlers,<br />

Mundharmonikaspielers<br />

und Witzemachers statt .<br />

Foto: Dieter Röber<br />

Nachsätze zum „Jodler“<br />

Oberbühlau wird auch dem älteren Ortsteil Quohren zugeordnet. Die Weißiger<br />

Einwohner sprachen in der Nachkriegszeit dagegen von Neubühlau, wenn sie<br />

das am Taubenberg in Richtung Weißig gelegene, von Weißig aus sichtbare,<br />

und zwischen den Weltkriegen entstandene Oberbühlau meinten.<br />

Zu diesem Aufsatz, der unter dem Titel "Der Jodler aus Neubühlau" im<br />

Elbhangkurier vom November 2003 veröffentlicht wurde, gab es mehrere<br />

Leserzuschriften und Ergänzungen:<br />

So weist Herr Walter Gruël darauf hin, doch besser von Oberbühlau zu<br />

sprechen, wenn man es auch meint und berichtet von weiteren Episoden mit<br />

dem Jodler bei den Fahrten mit der Straßenbahnlinie 11(Elbhangkurier Februar<br />

2004).<br />

Herr Heinz Grohmann hat den Neffen des Originals gesprochen und dabei<br />

seinen Namen Friedrich (Fritz) Wilhelm Michalk und einige Lebensdaten<br />

erkundet (Elbhangkurier Mai 2004).<br />

In der Wortmeldung von Herrn Dieter Zatzkowski wird ein anderer Name des<br />

Jodlers (Fritz Michaelis) genannt, was aber der lustigen Geschichte nicht<br />

schadet, und es wird von Erlebnissen mit dem Jodler im Berufsleben berichtet<br />

(Elbhangkurier Dezember 2003).


43<br />

11 Der Schaffner Schubert – Paul<br />

Wenn über die Weißiger Pendel- 11 und die Hecht-11 in Bühlau<br />

berichtet wird, muss nun unbedingt noch vom Schubert-Paul erzählt<br />

werden. Dieser betrieb im Sommerhalbjahr auf der Vogelwiese und auf<br />

den Volksfesten im Um- und Hochland vor und nach dem Kriege eine<br />

Amerikanische Luftschaukel.<br />

Das ist zwar kein Verkehrsmittel, aber jetzt kommt der Bezug zu diesen.<br />

Paul Schubert war im Winterhalbjahr, wenn die Luftschaukel keine<br />

Einnahmen erbringen konnte, als Schaffner auf dem großen<br />

Hechtwagen der Straßenbahnlinie 11 tätig. Und nun kommt das Weißig-<br />

Spezifische: Seine Luftschaukelanlage war im Winter in zerlegtem<br />

Zustand im (auf dem Niveau der <strong>Dresdner</strong> Str. liegenden)<br />

Nebengebäude des Bahnhofes Weißig-Bühlau untergestellt!<br />

Die jeweiligen Ein- und Ausräumarbeiten waren natürlich<br />

Anziehungspunkt für die Weißiger Kinder, die tatkräftig beim Tragen der<br />

zahlreichen Stangen, Bretter und anderer Bauteile der Schaukelanlage<br />

halfen. Schubert-Paul, der stets eine kalte Tabakspfeife zwischen den<br />

Zähnen hatte, belohnte die Kinder dann dafür mit jeweils einigen<br />

Freifahrkarten für seine Schaukel, die man dann beim nächsten Dorffest<br />

zum unentgeltlichen Schaukeln nach den aufdringlichen Klängen der auf<br />

der Anlage montierten riesigen Drehorgel einlösen durfte.<br />

Schubert-Paul soll übrigens bereits als Kind den Wagen der Schausteller<br />

interessiert nachgelaufen sein. Er hatte sich und uns mit seiner<br />

Amerikanischen Luftschaukel einen Kindertraum erfüllt.<br />

12 40 Jahre Tatra- Straßenbahn in Dresden<br />

Die Vorbereitungen des Tatraeinsatzes<br />

Als ich 1966/67 bei den <strong>Dresdner</strong> Verkehrsbetrieben als<br />

Perspektivplaner/Verkehrsplaner eingesetzt wurde und tätig war, liefen<br />

die Vorbereitungen zur Lieferung von Tatrastraßenbahnen in die DDR,<br />

bzw. zuerst zum Initiativ- und Erprobungsbetrieb <strong>Dresdner</strong><br />

Verkehrsbetriebe (dann Binnenhandelspartner für die Lieferung von<br />

Tatrawagen in die DDR) bereits an. Die Versuchsfahrten mit drei Original<br />

T3 mit 2,50 Meter Wagenkastenbreite aus Prag waren abgeschlossen,<br />

das Gleisnetz wurde, auch mit Hilfe des ersten T4D Nr. 2000 („D“ für<br />

DDR/Deutschland in nur 2,20 Meter Wagenkastenbreite), hinsichtlich


44<br />

erforderlicher Erweiterung der Gleismittenabstände in Bögen<br />

vermessen. Diese baulichen Regulierungsarbeiten zogen sich aber über<br />

mehrere Jahre hin, so dass für den umgehenden Einsatz von T4D<br />

Begegnungsverbote für und mit T4D ausgeschildert wurden. Die<br />

Beschaffung der Wagen musste beim Rat des Bezirkes und dem<br />

Ministerium in Berlin mit einer TÖZ /Technisch-Ökonomische Zielstellung<br />

trotz der auf Grund der <strong>Dresdner</strong> Tatra- Initiative bereits gefassten<br />

RGW- Beschlüsse zur Einführung der Wagen von CKD Prag noch mal<br />

genau begründet werden. Beim Vergleich mit dem Großraumwagen T4<br />

vom Waggonbau Gotha schnitt dieser bezüglich der Kosten für<br />

Gleisumbauten, Verstärkung der Stromversorgung, und des<br />

Stromverbrauches im Fahrbetrieb etwas besser ab. Aber das noch<br />

bessere Beschleunigungs- und Bremsvermögen (höher mögliche<br />

Reisegeschwindigkeit) und die Zugsteuerung beim T4D (aus der man<br />

sich Vorteile z.B. bei der Linienverzweigung der Linien 7 und 8 durch<br />

Trennung des Zuges am Abzweig Hellerau versprach) sprachen<br />

letztendlich für den T4D und bestätigten die <strong>Dresdner</strong> Initiative zur<br />

Fassung der RGW- Beschlüsse nochmals.<br />

Später zeigte sich, das das Ab- und Ankuppeln von T4D doch<br />

zeitaufwendig und oft nur mit Hilfsmitteln erfolgte (zwei Hilfskräfte hoben<br />

die Kupplung über dem Kanal mit einem Balken an).<br />

Das höhere Beschleunigungsvermögen der T4D hatte seinen Preis:<br />

höhere Stromkosten und Aufwände zur Stromversorgung. Die<br />

Zugsteuerung von Straßenbahnen konnte damals, als es noch keine<br />

Thyristortechnik gab, ( mit Ausnahme von Budapest) nur zufrieden<br />

stellend gelöst werden, in dem auf die 30% Energie sparende Serienund<br />

Parallelschaltung der Fahrmotoren beim Anfahren, die bei<br />

herkömmlichen Straßenbahnen üblich war, verzichtet wurde. Der Tatra<br />

schaltete also die Fahrmotoren nur parallel.<br />

Anfang 1967 wurden wir zum Berliner Stadtrat für Verkehr bestellt, um<br />

über unsere Aktivitäten für den Einsatz der Tatras mit geplanten<br />

Stromversorgungsaufwendungen und Werkstattumbauten (seitliche<br />

Arbeitskanäle wurden erforderlich) zu berichten. Der Berliner Stadtrat<br />

entschied spontan für Berlin: „Nein, so etwas machen wir nicht!“.<br />

Deshalb gibt und gab es in Berlin keine T4D, sondern später als in<br />

Dresden (als der Stadtrat Minister geworden war) die von Prof. Rüger<br />

eigentlich nur für Klein- und Mittelstädte konzipierten<br />

Kurzgelenktriebwagen KT4D nach Bremer Vorbild.<br />

Wir in Dresden setzten die Vorbereitungen fort, so auch zur Verstärkung<br />

des Stromversorgungsquerschnittes der Strecken und zum Bau von<br />

Gleisschleifen für die roten Einrichtungs- Tatrawagen. Der<br />

Stromquerschnitt wurde nicht durch stärkere Fahrdrähte, sondern durch<br />

parallel zur Strecke zu verlegende Erdkabel verstärkt. Unter


45<br />

organisatorischer Führung von Dr. Gerhard Bauer (HfV und WTZK,<br />

Autor des Straßenbahnarchivs) wurden die Kabelgräben durch<br />

Studentenbrigaden von Hand ausgehoben. Und wir Verkehrsplaner<br />

haben ebenfalls von Hand am Wochenende die Baugrundproben im<br />

Gelände der künftigen Gleisschleifen ausgehoben (Leutewitz, Pillnitz).<br />

Zunächst waren noch keine Tatra- Beiwagen konstruiert und avisiert,<br />

aber Dresden hielt diese für eine Großzugbildung aus drei Wagen<br />

unbedingt für erforderlich. So fuhr der erste Probe- T4D Nr. 2000 mit<br />

einem aus einem Prager T1 gebildeten „Phantom“- Beiwagen Nr. 3000<br />

durchs Streckennetz, und wir führten zusammen mit Dr. Hellige von der<br />

HfV Testfahrten mit einem aus zwei Gothaer Großraumtriebwagen und<br />

einem in Zugmitte mitgeführten Großraumbeiwagen gebildeten<br />

„Großzug“ durch. Die Zugsteuerung wurde über zwei Handfunkgeräte<br />

zur Abstimmung der Bedienungshandlungen von je einem Fahrer auf<br />

jedem der zwei Triebwagen simuliert. Aufgenommene Stromstärke,<br />

Beschleunigungs- und Verzögerungsvermögen, Fahrzeiten und<br />

Räumzeiten von Knotenpunkten wurden gemessen.<br />

Es gab nur einen Gegner des geplanten Tatra- Großzugeinsatzes, der<br />

das „niemals zulassen“ wollte; das war eine einzige Dienststelle, die<br />

auch nach der Wende mit tatütata immer noch wichtig ist, aber damals in<br />

der DDR den Fortschritt gebremst hatte.<br />

Tatra- T4D- Großzug auf der Brücke am Industriegelände. Erstmals in<br />

Dresden durch neu entwickelte Beiwagen realisiert. Foto: Archiv DVB


46<br />

Ein neues Liniennetz für die Tatras wird geplant<br />

Der geplante Tatraeinsatz erforderte gleichzeitig ab 1967 die<br />

Vorbereitung einer neuen Linienführung. Das ab 1969 gelten sollende<br />

neue Liniennetz musste mit dem nur schrittweise möglichen Gleis- und<br />

Stromversorgungsausbau koordiniert werden. Dort wo zuerst Tatras<br />

fahren sollten, mussten auch zuerst neue Bahnstromunterwerke errichtet<br />

werden etc. Dabei gab es auch politische Vorgaben. So sollten die<br />

modernen roten Tatras zuerst in den Arbeitergebieten (Löbtau,<br />

Industriegelände) und bald auch über die bereits in Bau befindliche neue<br />

Carolabrücke („Dr.- Rudolf-Friedrichs- Brücke ) verkehren. Über diese<br />

Brücke durften nur rote Tatras geplant werden, und keine<br />

herkömmlichen Wagen durften dieses sozialistische Siegesbild stören.<br />

Das neue Liniennetz sollte außerdem ökonomisch zweckmäßig<br />

betrieben werden. Das ist auch heute so erforderlich. Wir bei den DVB<br />

versuchten dabei , allen von uns erfassten Direktverbindungswünschen<br />

gerecht zu werden, was auch von der HfV (Dr. Rüger) durch geschickte<br />

Verästelungsnetzentwürfe gestützt wurde. Dipl.-Ing. Kauer vom Rat der<br />

Stadt sprach sich dagegen für ein letztendlich doch effektiver zu<br />

betreibendes Achsennetz aus. Dieses Achsenprinzip wurde dann auch<br />

der Bevölkerung zur Diskussion vorgelegt. Die vordem recht vielfältigen<br />

Diskussionen in den Fachkreisen hatten zur Folge, dass Oberingenieur<br />

Beck, ein liebenswürdiger und stets freundlicher Bayer bei den DVB,<br />

mehrmals die Planung seiner Bahnwerke ändern musste. „Schlager“ des<br />

neuen Liniennetzes war die neue Führung der 11 Bühlau – Plauen , nun<br />

endlich wieder mit Zentrumsbedienung über die seit Jahren ungenutzten<br />

Gleise der Ostraallee und mit Verbindung von Hauptbahnhof und<br />

Neustädter Bahnhof. Da diese 11 ab 1967 Bestandteil in allen<br />

Diskussionsvarianten war, habe ich bereits rechtzeitig die Sanierung der<br />

maroden Ostraallee im Gleisbauplan erwirkt.<br />

Die ersten Tatras im Linienverkehr<br />

Nach dem Prototyp Nr. 2000 (seit 1967 im Einsatz) waren im<br />

Januar/Februar 1969 die Wagen 1999 und 1998 die ersten in Dresden<br />

auf der Linie 7 eingesetzten Tatras. Ich war noch nicht gleich in den T4D<br />

„eingefahren“, konnte deshalb in Ruhe im Kurhaus Klotzsche sitzen, als<br />

mich ein mächtiges Schienenbrems- „Rungsen“ und unaufhörlich lautes<br />

Gebimmel erschreckt. Das war mein erster mit erlebter „Selbstbremser“<br />

eines Tatras. Später habe ich diesen als Fahrer oft hinnehmen müssen<br />

(schlimmstes von dieser Krankheit befallenes Objekt: die 1921/ 921).<br />

Wenn man nach zügiger Fahrt das Fahrpedal los lies, gab es, ohne dass


47<br />

man das Bremspedal berührt hatte, einen mächtigen Bremsruck.<br />

Die dann an der Haltestelle aussteigenden Fahrgäste zeigten dem<br />

unfähigen Fahrer den Vogel, dieser fühlte sich blamiert und wechselte<br />

den Zug aus. Ganz konkret: die Werkstatt Bühlau machte dann mit der<br />

921 auf Gleis 9 eine 45 Meter lange Probefahrt, doch zufällig wiederholt<br />

die Elektronik den Selbstbremser nicht. Also: Fahrer spinnt, 921 wieder<br />

raus auf die Strecke! ... bis zum nächsten Selbstbremser. Es war wie<br />

beim Arzt.<br />

Mit dem neuen Liniennetz ab 4. Mai 1969 wurde der Einsatz der Tatras<br />

auch auf der (vordem in Coschütz umsetzenden) Linie 11 möglich<br />

(außer S11 Bahnhof Neustadt). Zunächst verkehrten noch gemischt mit<br />

T4D etwa bis August1969 die großen Hechtwagenzüge auf der 11<br />

Bühlau- Plauen. Nach und nach wurden die Hechte auf die Linien 1, E1,<br />

E7 (bis Weixdorf!) und 8 „verdrängt“, bis ihr letzter Einsatz am 8. Mai<br />

1972 auf der Linie E1 (E1 auch nach Tolkewitz!) den Linienbetrieb der<br />

großen Hechtwagen beendete. Mit den Hechtwagen und der<br />

Verstärkung der Stromversorgung nach Bühlau verschwand auch die<br />

Nachfolge- Signalanlage an der Mordgrundbrücke vorm Hirschberg.<br />

Ich habe damals ein vom Verkehrsmuseum vertriebenes Abziehbild<br />

(Schiebebild) mit dem Hecht 1707 mit Tusche und Feder entworfen (Bild<br />

siehe vorn Abschnitt zum großen Hecht), herstellen lassen, und in<br />

meiner Dienstaufgabe als „Versuchsbild Nr. 92“ abgerechnet.<br />

Erlebnisse mit der Tatra- 11<br />

Schaltstörungen<br />

Den Selbstbremser habe ich ja schon behandelt. Aber eine weitere<br />

Überraschung der Tatras unter den noch alten, einfachen Fahrleitungen<br />

war, dass man aber auch wirklich nicht mit Fahrstrom durch ein<br />

Fahrleitungstrennstück fahren durfte. Gleich Anfang Mai 1969 guckte der<br />

Fahrer der roten neuen 11 an der Bautzner/ Rothenburger Str.<br />

stadtwärts betroffen, weil ihm der „Trenner“ samt Fahrleitung<br />

lichtbogenziehend beim Vorrücken nach den Linksabbiegern aufs Dach<br />

gefallen war.<br />

Da gab es aber ein von Dipl.-Ing. Ulf Zimmermann, dem technisch<br />

Verantwortlichen für den Tatra- Einsatz, verfasstes Büchlein, dem die<br />

Fahrer entnehmen konnten, wie man bei Störungen am Tatra noch bis<br />

zum nächsten Betriebshof gelangt. Ich hatte einen Zettel mit einer<br />

Kurzfassung davon in meiner Tasche und habe mir damit oft<br />

(„Bügeleisen“ ziehen) , und auch als mein zweiter Triebwagen unter der<br />

Obuskreuzung Nürnberger Platz nicht mehr weiter wollte, schnell helfen<br />

können. „Wie hast Du das denn gestern gemacht, dass Du so schnell<br />

wieder weiter konntest?“ war da die Frage eines langjährigen


48<br />

Hechtfahrers, der sich nun vor dem T4D nur fürchtete („Da entdeckt man<br />

doch jeden Tag neue Gefahren!“).<br />

Also, wir sind gut gefahren. So wie für mich der alte Hecht, ist für die<br />

Jüngeren der TATRA ein Stück gute und romantische<br />

Straßenbahngeschichte.<br />

kleine<br />

Fotos:<br />

Frank<br />

Mösche<br />

Romantische Tatra- Abendstimmung<br />

Foto: Archiv DVB<br />

Noch vier Erinnerungen mit meiner roten Tatra- 11 möchte ich anfügen.<br />

Bitte festhalten!<br />

In strengen Wintern sank die technische Einsatzbereitschaft der Tatras,<br />

genau wie früher bei den Hechten (Ersatz Unioner solo! bis Coschütz<br />

Ende Gleisstumpf) auf unter 72%.


49<br />

Die Kurse der 11 fuhren vielfach solo, teils fielen sie wegen<br />

Wagenmangels ganz aus. Mit einer Solo- Tatra-11 ereilt mich am<br />

Ringcafé der Selbstbremser, ziemlich heftig, und er bleibt<br />

trotz Ausschaltmanöver. Am Postplatz müsste ich alle aussteigen<br />

lassen, wegen Sturzgefahr beim Selbstbremser. „Das kannst Du doch<br />

den Fahrgästen und den noch Einsteigenden nicht antun!“ dachte ich,<br />

denn zwei „Vordermänner“ vor mir waren auch schon ausgefallen und ob<br />

und wann die nächste 11 kommt, wusste man nicht (kein RBL, keine<br />

DFI). Also habe ich ab Postplatz an jeder Haltestelle vorm Anfahren<br />

meinen Kopf über den Kabinenrand gestreckt und laut ausgerufen (es<br />

gab noch keine Sprechanlagen): „Bitte festhalten, der Wagen hat eine<br />

Schaltstörung.“ Das haben sie dann alle so gemacht und keiner hat mir<br />

den Vogel gezeigt.<br />

Die 11 zum Wilden Mann<br />

Nach einer unfallbedingten Verkehrsstörung, rechne (kein RBL!) ich<br />

aus, dass ich am Neustädter Bahnhof „kürze“ (wende), um wieder in den<br />

Fahrplan zu kommen. Doch auf der Antonstraße fahren drei Züge 11<br />

hintereinander Richtung Bühlau. Da wäre hinterher fahren nutzlos. Und:<br />

Obwohl meine 11 leer ist, wartet am Bahnhof Neustadt eine<br />

Menschentraube. Ich laufe, bevor ich die „elektrische Handstellweiche“<br />

zur Schleife stelle, zu dieser Menschenmasse und frage, wo sie denn hin<br />

wollen. “Na zum Wilden Mann, es kommt keine 6!“ „Na gut, da fahren wir<br />

mit der 11 zum Wilden Mann !“ Am Wilden Mann hab ich dann alles<br />

übers Endpunkttelefon der Dispatcherzentrale gemeldet. Am nächsten<br />

Tag berichtet die Zeitung über mehrfache Verkehrsstörungen am Vortag<br />

und dass die Dispatcher umsichtig die 11 zum Wilden Mann geleitet<br />

haben. Also, weil kein RBL, war mit Denken und laufend mit Rechnen<br />

die Devise für einen ordentlichen Fahrer. ( Von meinen Kollegen<br />

Busfahrern, die die Tür 1 nicht für den Fahrgastwechsel geöffnet haben,<br />

möchte ich hier nicht anfangen.)<br />

Die Linie16 aus Bühlau<br />

Auch die Linie 16 Zschertnitz – Radebeul-Ost wurde von Bühlauer<br />

Tatras bedient. Da sie eine Decklinie zur 26 nach Zschertnitz und zu 4<br />

und 5 nach Radebeul war, wurde die 16 bei Personalmangel vorrangig<br />

ausfallen gelassen. Eines Tages fuhr ich den einzigen Zug auf der<br />

ganzen Linie 16. Da konnte ich am Endpunkt meine Wendezeit<br />

verkürzen und auf der Abfahrtszeit des Vordermannes weiter fahren.<br />

So ist für einen Zug doch eine höhere Kilometerleistung,<br />

als geplant, erbracht worden.


50<br />

Vorsicht, Weichen!<br />

Verkehrsmeister Groh warf mir immer vor, dass ich zu schnell über die<br />

Weichen fuhr. Na gut, verriegelte Hanning und Kahl- Weichen waren es<br />

noch nicht. Aber ich war im Umgang mit Weichen geschult. Dipl.-Ing.<br />

Mario Schatz war mein Fahrschul- Prüfer. Ich stelle die Weiche mit<br />

Strom nach rechts. In Ordnung, Weiche springt auf rechts, und weiter<br />

fahren. „ Halt, halt“, ruft Herr Schatz, „ die Weiche steht nach links, oder<br />

schnell Blinken!“ Er hatte den Fahrschulwagen, während ich den<br />

Weichenstellknopf noch drückte, manipuliert und nach meinem<br />

Stellvorgang sprang die Weiche doch noch mal nach Links. Er hat mich<br />

aber nicht durchfallen lassen. Deshalb weis ich so genau, was Weichen<br />

alles können und wann man der Weiche etwas vertrauen kann.........auf<br />

alle Fälle mit der heutigen Weichen-Verriegelung!<br />

Fahrerpult des Tatra T4D<br />

Foto: Frank Mösche


51<br />

Der Tatra ist doch kein „Stromfresser“ mehr!<br />

Noch beginnend in der DDR Ende der 80er Jahre wurden die Tatra-<br />

Straßenbahnen in Ostdeutschland äußerlich modernisiert und vor allem<br />

mit einer (durch die fortschreitende Entwicklung der Mikroelektronik<br />

möglich gewordenen) energieoptimalen Halbleiter- Thyristor - Steuerung<br />

ausgerüstet. Der hohe Einstieg musste aber (zumindest bei den<br />

motorisierten Wagen) belassen werden. Moderne Niederflur- Stadtbahn-<br />

Gelenkwagenzüge haben nun schon fast alle Tatras ersetzt. Aber der<br />

Tatra behält seine Liebhaber, die ihn wegen seiner im Gegensatz zu<br />

früheren herkömmlichen Straßenbahnen weit aus besseren<br />

Beschleunigungskraft und seiner für die Verhältnisse der 60er Jahre<br />

damals attraktiven Gestaltung schätzen.<br />

Die neue stromsparende Steuerung der Tatras ermöglicht es heute<br />

sogar, drei Tatratriebwagen im Zugverband einzusetzen:


52<br />

Eine klassische Tatra - „11“ rauscht in den 70er Jahren<br />

(nach dem großen Hecht) nach Bühlau. Foto: Uldo Juursalu<br />

Der heutige Nachfolger von großem Hecht und Tatra -T4D:<br />

Niederflur-Gelenktriebwagen NGTD12DD


53<br />

„Ablösung“ für den ersten Tatra der DDR in Bühlau, Foto: Frank Mösche<br />

13 In der Wendezeit<br />

Als ich nachts die Straßenbahn der Linie 19 nach Cossebaude mit dem<br />

MAN- Triebwagen 1656 fuhr (noch mit Siemens- Fahrschalter und einem<br />

Motorengeräusch, das der Berliner S- Bahn gleich war), erzählte ein<br />

vorn am Fahrerstand mit fahrender Lokführer vom Bw Friedrichstadt:<br />

„Den Lokwechsel am Zug schaffen wir in 8 Minuten!“ So war das auch<br />

bei der Straßenbahn. Mit der Hecht-11 standen an der Umsetzendstelle<br />

Coschütz laut Fahrplan nur 8 Minuten Wendezeit zu Verfügung. Die<br />

Schaffnerin klopfte mit dem herausgezogenen Kupplungsbolzen zwei<br />

mal an den Prellbügel am Hecht. Das hieß: fertig mit abhängen, bitte<br />

vorrücken! Da blieb dann noch eine Minute fürs Klo oder um in die<br />

„Bemme“ zu beißen. Da ist verständlich, dass ich meine Brotbüchse<br />

auch bei der Langsamfahrt auf den Gefällestrecken ab Kotteweg oder<br />

Plattleite heimlich geöffnet habe. Einmal bin ich durch die Umsetzhektik<br />

in Coschütz mit dem Hintern der Diensthose am Lösehebel der<br />

Handbremse hängen geblieben. Die Hosennaht war auf großer Länge<br />

aufgerissen. Die liebe Fahrerin vom nachfolgenden Zug hat mir mit<br />

ihrem Nähzeug die Hose wieder zugenäht. Und das alles auch innerhalb<br />

meiner 8 Minuten Wendezeit!


54<br />

14 Die kurze Geschichte vom Rangierleiter Hoffmann<br />

Rangierleiter Hoffmann hat in den 60er Jahren vom Strassenbahnhof<br />

Tolkewitz aus den Strassenbahnverkehr durch Blasewitz und<br />

insbesondere mit den damaligen Linien 3 (Tolkewitz-Schillerplatz-Freital)<br />

und 16 (NiederSEDlitz – Schillerplatz - Wilder Mann) über den<br />

Schillerplatz gesteuert. Und weil dessen stets erfolgreiches Management<br />

ein plötzliches trauriges Ende fand, will ich ihn hiermit würdigen und ein<br />

kleines Denkmal setzen:<br />

Rangierleiter Hoffmann hat schon in der DDR engagiert und<br />

hochmotiviert wie in einer Marktwirtschaft gearbeitet. Die<br />

Problemstellung war, dass in der DDR Arbeitskräftemangel herrschte,<br />

weil die Arbeitskräfte alle in staatlichen Verwaltungen und<br />

Organisationen beschäftigt wurden, und da hatte Rangierleiter Hoffmann<br />

auf seiner Einsatzliste stets weniger Fahrer bereit, als Züge im<br />

Fahrdienst laut Fahrplan eingesetzt werden sollten. Aber Hoffmann und<br />

auch seine Mitstreiter hatten das Ziel, die Fahrer und auch uns<br />

Aushilfsfahrer, die wir eigentlich einen anderen Beruf ausübten, zu<br />

einem zusätzlichen Fahrdienst zu überreden. Und wenn das geklappt<br />

hat, der Bahnhof alle Züge besetzt hatte, wurde an diesem Tag am<br />

Rangierleiterhäuschen eine grüne Fahne gehisst. Und das war fast<br />

täglich so, und auch Herrn Hoffmanns Einsatz zu verdanken.<br />

Wenn uns in der Mittagspause Herr Hoffman anrief, ob wir nicht eine 3<br />

im Berufsverkehr über den Schillerplatz nach Freital steuern können,<br />

passierte Folgendes: Unsere Kader-Elly wachte darüber, dass wir nicht<br />

vor 16 Uhr/Feierabend auf den Führerstand stiegen. Also hat Herr<br />

Hoffmann kurzentschlossen die Betriebshofsgewalt für 40 Minuten an<br />

den Weichenstelldienst übergeben, hat die im Berufsverkehr unbedingt<br />

erforderliche 3 selbst aus dem Bahnhof gefahren und ist uns bis in die<br />

Nähe unserer Arbeitstelle entgegengekommen; Dort haben wir ihn<br />

abgelöst, die Freitaler und die <strong>Dresdner</strong> nach Hause und die<br />

Blasewitzer zum Schillerplatz gefahren. Und warum ist bei all solchem<br />

Arrangement nichts mehr aus der DDR geworden? Das soll nun hier<br />

nicht behandelt werden. Aber Rangierleiter Hoffmann und wir hatten<br />

wieder eine gute Tat für Dresden, Blasewitz und Freital vollbracht. Das<br />

war so von 1961 bis 1969. Doch plötzlich, es muss kurz nach1970<br />

gewesen sein, hieß es: Hoffmann aus Tolkewitz ist verunglückt!<br />

In seiner unbeschreiblichen Einsatzwilligkeit hatte er im Straßenbahnhof<br />

die Schneekratze (Straßenbahntriebwagen mit Schneepflug und<br />

Streusalzanhänger) reparieren wollen. Das hätten die dafür zuständigen<br />

Schlosser erst bei ihrem Dienstantritt tun müssen; Doch das hätte zu<br />

spät sein können, weil es bereits schneite !


55<br />

F.Mö.<br />

Deshalb hat Rangierleiter Hoffmann selbst zugegriffen!<br />

Da hat sich sein Arrangement aber nicht ausgezahlt. Eine rückwärts auf<br />

das benachbarte Gleis in den Straßenbahnhof einrückende rote Tatra-<br />

Bahn entgleiste an der Weiche und zerquetschte unseren ob seiner<br />

Einsatzfreude so geachteten Herrn Hoffmann zwischen Tatrabahn und<br />

Schneekratze. Aus, Schluss, denn die heute üblichen, durch<br />

Verriegelung gesicherten Weichen gab es damals noch nicht.<br />

Mit Rangierleiter Hoffmanns kurzer Geschichte soll nun nicht gesagt<br />

werden: Leute, tut möglichst wenig, dann passiert auch nichts. Aber ich<br />

denke, solch ein in Tolkewitz tätiger Blasewitzer hat es verdient, noch<br />

heute gewürdigt zu werden!<br />

15 Das Fahrplanbüro in den 60er Jahren<br />

Seit Kriegsende bis Mitte der 90er Jahre, als der Umzug der <strong>Dresdner</strong><br />

Verkehrsbetriebe ins neue Verwaltungsgebäude nach Trachenberge<br />

erfolgte, hatte die Verkehrsdirektion, und damit auch das Fahrplanbüro,<br />

den Sitz in der zweiten Etage des Hochhauses am Albertplatz/Platz der<br />

Einheit. Und dort aus dem Fahrplanbüro drang durch zwei dieses Büro<br />

abschirmende Glastüren in den 60er Jahren dicker Tabaksqualm. Den<br />

erzeugten Paul Opitz und Walter Fritzsche mit ihren Zigarren. Gerda<br />

Pabst, später verheiratete Nacke (ursprünglich erste <strong>Dresdner</strong><br />

Obusfahrerin) und ein weiterer Kollege, der ganz allein die<br />

Umleitungspläne ausarbeitete (heute macht das die Operativtechnologie<br />

mit mehreren Fachleuten) und der zur Beruhigung ständig kleine<br />

Kohlrabis zerkaute, mussten diesen Qualm ertragen.<br />

Die Erlösung vom Qualm kam, wenn Walter Fritzsche pünktlich neun<br />

Uhr ein altes Tablett mit vier unterschiedlich bunten Kaffetöpfen griff, mit<br />

dem rechten Fahrstuhl (exakt: Aufzug) in die Küche in den achten Stock<br />

fuhr (der linke genauso nostalgische Fahrstuhl führte nur bis zur 6.) und<br />

mit duftender Bohne zurückkam. Paul: „ Aber Walter, das musst doch<br />

nicht immer Du machen!“ Walter: ........ „ Doch Paul, das steht mir<br />

dienstgradmäßig zu!“


56<br />

Die Mannschaft des Fahrplanbüros: 2.v.l. „Fahrplanmaler“ Walter Fritzsche<br />

3.v.l. Gerda Pabst, erste <strong>Dresdner</strong> Obusfahrerin (verh. Nacke)<br />

Ganz groß oben Paul Opitz, der Chef<br />

ganz rechts der Kohlrabi-Kollege<br />

Foto: Sammlung Gerda Nacke<br />

Und wie waren die Dienstgrade verteilt?:<br />

Paul war der Chef, der das Sagen haben musste. Er und Gerda haben<br />

alle Fahrpläne ausgearbeitet. Die Aufgabe des Kohlrabi-Kollegen wurde<br />

bereits gestreift, und Walter Fritzsche als ehemaliger Zittauer<br />

Einzelhändler, der seine Ware früher in Schönschrift mit Kreide auf<br />

schwarzen Tafeln angepriesen hatte, war nicht nur Kaffeeholer vom<br />

Dienst, sondern insbesondere Fahrplan- und Aushangschreiber, nicht<br />

auf dem PC, nein mit Tusche und Feder auf Alu- Matrizen, die die<br />

Druckerei im siebenten Stock dann verarbeitet hat. Sämtliche<br />

Personalfahrpläne, Aushangfahrpläne und Umleitungsbekanntmachungen<br />

stammten buchstäblich aus seiner sauber und<br />

exakt geführten Feder! Die Initialen WF auf jedem dieser Stücke haben<br />

das bezeugt.<br />

Nun noch etwas zur damals angewandten Technologie der<br />

Fahrplanerarbeitung:<br />

Für die wichtigsten mit mehreren Linien belegten Strecken wurden auf<br />

einem DIN A4-Millimeterblatt, dem sogenannten Musterblatt, die<br />

Fahrplanverknüpfungen der Linien hinsichtlich gleichmäßigem<br />

Zugabstand, Umsteigeanschlussgewährung und Vermeidung von<br />

Fahrplankreuzungen in eingleisigen Strecken ausprobiert, bis die<br />

endgültigen Musterblätter gefunden waren. Ausgangspunkt dafür war<br />

stets die meterspurige Linie 31 Niedersedlitz - Kreischa mit durchweg<br />

eingleisigen Abschnitten.


57<br />

Ausgehend von den Musterblättern wurde dann auf einem für jeweils<br />

eine Linie geltenden „Schal“ der Linienumlaufplan graphisch mit Bleistift<br />

und Zeichendreieck ausgearbeitet. Die ganze Grafik mit einer Zeit- und<br />

einer Wegachse (aber genau umgekehrt wie bei der Reichsbahn) auf<br />

einem etwa 150 cm langen Millimeterblatt sah auch aus wie ein Schal;<br />

Und für die Vielzahl derer gab es extra breit gezimmerte Ablagefächer.<br />

Mit Paul und Walter sind wir aber damals in den 60ern bereits den ersten<br />

Schritt in die damals noch weit entfernte computergestützte<br />

Fahrplanerarbeitung gegangen. Wir (Dr. Kautzschmann und der<br />

Verfasser ) hatten Verkehrsdirektor Haase mit einem innerdienstlichen<br />

Fachvortrag überzeugt , viel enger mit Dr. Rüger (später Professur), dem<br />

ÖPNV-Experten der DDR zusammenzuarbeiten. Für den Fahrplan ab<br />

1.11.1967 war es dann so weit. Durch Fahrermangel bedingt musste<br />

erstmals ab 20 Uhr der 20- Minutenverkehr eingeführt werden. Das war<br />

nicht all zu hart für die Bevölkerung, da damals abends ohnehin der<br />

Fernseher den Vorrang hatte und abends nur Wenige unterwegs waren.<br />

Trotzdem hatte durch diese Zugfolgedehnung bedingt die<br />

Anschlussgewährung bei der Fahrplanverknüpfung oberste Priorität<br />

gewonnen. Mit Professors Unterstützung haben wir damals seine<br />

mathematischen Verknüpfungsrechnungen, die eigentlich schon die<br />

Grundlage für spätere Computerprogramme waren, „zu Fuß oder per<br />

Hand“ durchgeführt. Paul und Walter haben dann nach den<br />

entsprechenden Abfahrtszeit-Vorgaben ab Endpunkt ihre Schals gemalt.<br />

Am Rande: Auch elektronische Taschenrechner gab es noch nicht, und<br />

wir haben uns bei der statistischen Abteilung die mechanische<br />

handkurbelbetriebene Rechenmaschine ausgeliehen.<br />

Paul Opitz und Walter Fritzsche waren auch im „Praktikum“ auf der 57<br />

mit Unioner und Beiwagen im Frühberufsverkehr oder am Wochenende<br />

nach und von der Weihnachtsmesse in der Stadthalle ein Paar. Paul war<br />

der Fahrer und Walter der die Fahrgäste liebevoll betreuende Schaffner !<br />

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58<br />

Einsatzlinien - oft von Verwaltungs- und Aushilfspersonal gefahren<br />

Oben: „Unioner“ mit Fallklotzbremse, für Linie 11 geeignet,<br />

unbekannter Fotograf, Archiv DVB<br />

Unten: Foto von Walter Küttner, Archiv DVB 1967, hier Kopie<br />

an Sammlung Thomas Mösche 1967


59<br />

Modellfoto Frank Mösche<br />

Wenn die 11 wegen Schnee am Neujahrsmorgen nicht beim Parkhotel vorbei kommt,<br />

rutscht man die Plattleite hinunter und fährt mit der Solo-4 !<br />

Postkarte : Uldo Juursalu


60<br />

Freie Presse in Bühlau, und das in der DDR!<br />

Eine vergessene Facette der Modelleisenbahn-Elbhanglandschaft:<br />

Der clevere Zeitungsmann in Bühlau<br />

Eigentlich kannte man es nur von den Berlin-Fahrten (vor dem<br />

Mauerbau), dass ambulante Zeitungsverkäufer ihre Schriften durch<br />

lautes Ausrufen anpriesen; Auch sogar in Ostberlin schallte es da auch<br />

noch nach dem Mauerbau durch die Hallen der S-Bahnhöfe „BZ am<br />

Abend !!“ Doch das hatten wir in Bühlau ebenfalls und schon längst: In<br />

den 50er Jahren hatte ein Zeitungshändler unter den Linden vorm<br />

Kurhaus Bühlau einen mit einer Plane geschützten Zeitungstand<br />

aufgebaut und seine Ware angepriesen:. Sächsische Zeitung,<br />

Sächsisches Tageblatt, <strong>Dresdner</strong> Neueste Nachrichten, Die Union, vom<br />

Neuen Deutschland weis ich nichts mehr, Modezeitungen ,<br />

Abenteuerbroschüren und - völlig frei - den sonst nur schwer erhältlichen<br />

„Modelleisenbahner“! Es war wie im Westen, wenn man an diesem<br />

Zeitungsstand an der Obushaltestelle C in Richtung Weißig wartete. Und<br />

da es damals noch keine Fahrgastunterstände von Jac Decaux gab,<br />

durfte man sich bei Regen ganz dicht beim Zeitungsmann unter dessen<br />

Planendach stellen.<br />

Dieser Kurzbeitrag soll nur mal zeigen, dass die einfachen Leute in der<br />

DDR sich schon bemüht hatten, Leben in die Landschaft zu bringen. Mit<br />

zunehmender Jahreszahl wurde die private Initiative bekanntlich immer<br />

weiter abgebremst – und das Papier immer knapper.<br />

„Der Modelleisenbahner, ganz frisch!“ Das war schon was – später gab<br />

es die Hobbyzeitung nur noch aus einem Kontingent für Abonnenten.


61<br />

Thomas Mösche<br />

<strong>Dresdner</strong> <strong>Verkehrsgeschichten</strong> - Auflage 2014<br />

Layout und Verlag:<br />

Thomas Mösche<br />

Tel. 0351/4418030<br />

Digitaldruck<br />

Rücktitelbild:<br />

Foto:<br />

Modellfotos:<br />

Die letzte 11 verlässt den Straßenbahnhof Bühlau<br />

Siegfried Hansel<br />

Frank Mösche<br />

Jedoch Weißiger Verkehrsmittel: Fotostudio Klemm


Thomas Mösche<br />

63<br />

<strong>Dresdner</strong> <strong>Verkehrsgeschichten</strong> Auflage 2014<br />

Von Bus und Obus<br />

Von „Hecht“ und Tatra- Bahn<br />

Der Autor vermittelt seine Erlebnisberichte und Geschichten um die<br />

<strong>Dresdner</strong> Omnibusse und Straßenbahnen vor 60 und 40 Jahren.<br />

Nicht nur ausgesprochene Kenner des öffentlichen Personennahverkehrs,<br />

sondern alle an Dresdens Vergangenheit Interessierten<br />

können nach diesem Heft greifen. Auch eigene Kindheitserinnerungen<br />

lassen sich in Wort und Bild wieder entdecken.<br />

ISBN:<br />

978-3-940224-02-6

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