Rede von Prof. Dr. Susanne Baer als PDF-Datei - Stiftung Denkmal ...
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manifestiert sich auf unterschiedliche Weise, Entwürdigung nimmt sehr viele<br />
Gestalten an. Doch auch die Form <strong>von</strong> Unrecht macht einen Unterschied. Denn<br />
physisch unmittelbare Übergriffe, Misshandlungen am Körper – sie wirken<br />
erkennbar. Psychische Qual, Misshandlungen der Seele – sie sind zwar<br />
schwieriger zu erkennen, aber vorstellbar. Und dann gibt es Formen des<br />
Unrechts, die sich nur schwer erkennen lassen.<br />
Die Form, an die hier auch erinnert wird, und die Form, die uns wohl auch <strong>als</strong><br />
Mahnung bleiben muss, ist die Form des Rechts. Im Nation<strong>als</strong>ozialismus hüllte<br />
sich die Verfolgung schwuler Männer in ein Kleid, in die Roben des<br />
Juristischen. Es ist diese Form des Unrechts – Unrecht im Gewand des Rechts<br />
-, über die wir viel wissen, weil sie so gut dokumentiert ist. Wir wissen viel, weil<br />
sich die Handelnden im Recht fühlten, weil es mit rechten Dingen zuging –<br />
Strafnorm, Verhaftung, Urteil, Haft, ganz ordentlich. Aber genau das ist auch<br />
besonders perfide.<br />
Eine Verurteilung ist an sich kein Unrecht. Ein Urteil stellt Recht her. Gerichte<br />
sichern den Anspruch des Rechts auf Geltung, garantieren Rechtsstaatlichkeit,<br />
die Sicherheit verspricht. Die Strafverfolgung im NS erinnert uns daran, dass<br />
das eben nicht immer stimmt. Die strafrechtliche Verfolgung schwuler Sexualität<br />
zeigt überdeutlich, dass Recht nicht nur <strong>von</strong> der Form lebt. Dieses <strong>Denkmal</strong><br />
fordert <strong>als</strong>o auch dazu auf, das nicht zu vergessen: Recht kann nur Geltung<br />
beanspruchen, wenn es jenseits der Form des Juristischen auch substanzielle<br />
Grundlagen achtet. Recht muss nicht immer gut sein, nie perfekt. Aber es darf<br />
nicht Unrecht verkörpern, der Verletzung eine Form geben, im Schutz der Robe<br />
verletzen.<br />
Nach 1945 ist dies Teil der deutschen Verfassung geworden, des<br />
Grundgesetzes: Die Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde aller gilt, so<br />
sagt es Artikel 79 Absatz 3 GG, auf ewig – das kann keine Mehrheit ändern –,<br />
und die Rechtsprechung ist nach Artikel 20 Abssatz 3 GG an Gesetz und Recht<br />
gebunden. Dieses <strong>Denkmal</strong> erinnert daran, wie oft und auf wessen Kosten das<br />
in Deutschland nicht der Fall war. Es fordert daher auch dazu auf, den<br />
substanziellen Gehalt des Rechts immer wieder zu erkämpfen, zu sichern, zu<br />
verteidigen.<br />
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