Rede von Staatsminister Bernd Neumann - Stiftung Denkmal für die ...
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<strong>Rede</strong> des <strong>Staatsminister</strong>s für Kultur und Me<strong>die</strong>n,<br />
<strong>Bernd</strong> <strong>Neumann</strong>, MdB, anlässlich des Baubeginns für den Gedenk- und Informationsort<br />
für <strong>die</strong> Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde am Ort der<br />
Planungszentrale Tiergartenstraße 4 in Berlin (T 4-<strong>Denkmal</strong>)<br />
Montag, 8. Juli, 14.00 Uhr, Berlin, Kulturforum<br />
Anrede,<br />
ich begrüße Sie sehr herzlich zum heutigen Bauauftakt. In den kommenden Monaten entsteht<br />
hier, am Kulturforum, das zu den stark frequentierten kulturellen Zentren unserer Hauptstadt<br />
gehört, ein besonderer Gedenk- und Informationsort. Er wird an eines der grauenvollsten<br />
Verbrechen des NS-Regimes erinnern: Die so genannte “Aktion T 4“ – den Mord an wehrlosen<br />
Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung, an psychisch oder chronisch Kranken<br />
sowie an so genannten “Asozialen“.<br />
Nach den Denkmälern für <strong>die</strong> in der Nazizeit verfolgten und vernichteten Sinti und Roma sowie<br />
den Homosexuellen wird <strong>die</strong>s das dritte <strong>Denkmal</strong> sein, das sich einer Opfergruppe zuwendet<br />
und das in meiner Amtszeit verwirklicht wird. Das Besondere an <strong>die</strong>sem Gedenkort ist, dass er<br />
– im Gegensatz zu genannten Denkmälern und dem Holocaust-Mahnmal – an einem<br />
authentischen Täterort errichtet wird.<br />
Hier, an der Adresse “Tiergartenstraße 4“, befand sich <strong>die</strong> Planungszentrale, <strong>von</strong> der aus das<br />
nationalsozialistische Regime <strong>die</strong> Morde plante, <strong>die</strong> bewusst verharmlosend als “Euthanasie“<br />
dargestellt wurden.<br />
In sechs eigens eingerichteten Gasmordanstalten (fünf in Deutschland / eine in Österreich)<br />
wurden <strong>von</strong> Januar 1940 bis August 1941 mehr als 70.000 Menschen systematisch und zentral<br />
geplant ermordet. 1941 wurde <strong>die</strong> “Aktion T 4“ wegen Unruhen in der Bevölkerung und der<br />
Proteste einzelner prominenter Kirchenvertreter – allen voran Clemens August Kardinal <strong>von</strong><br />
Galen – offiziell beendet.<br />
Dieser hatte in seiner Predigt vom 3. August 1941 <strong>die</strong> “Euthanasie“-Morde auf das Schärfste<br />
verurteilt: „Hast du, habe ich nur so lange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind?“,<br />
fragte er.<br />
„Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man den ‚unproduktiven‘ Mitmenschen<br />
töten darf, dann wehe uns allen, wenn wir alt und altersschwach werden!“
Die “Aktion T4“ wurde eingestellt; nicht jedoch das Morden. Dieses wurde nun dezentral mit<br />
Hilfe <strong>von</strong> Medikamenten und durch systematische Unterernährung in zahlreichen Pflege- und<br />
Heilanstalten fortgeführt.<br />
Was besonders erschreckt, ist <strong>die</strong> Teilnahme so vieler, <strong>die</strong> sich eigentlich der Heilung, der Hilfe<br />
und Fürsorge verschrieben hatten wie Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern.<br />
In dem eindrucksvollen Buch <strong>von</strong> Götz Aly “Euthanasie 1939-1945“ mit dem Titel “Die<br />
Belasteten“ heißt es: „Den Euthanasiemorden fielen zwischen 1939 und 1945 etwa 200.000<br />
Deutsche zum Opfer. Die vielen Beteiligten sprachen beschönigend <strong>von</strong> Erlösung,<br />
Lebensunterbrechung, Gnadentod, Sterbehilfe oder eben <strong>von</strong> Euthanasie. Sie agierten halb<br />
geheim, doch inmitten der Gesellschaft. Viele Deutsche befürworteten den gewaltsamen Tod<br />
der “nutzlosen Esser“, zumal im Krieg; nur wenige verurteilten das Morden deutlich, <strong>die</strong> meisten<br />
schwiegen schamhaft, wollten es nicht allzu genau wissen. Das setzte sich nach 1945 fort.<br />
Nur ausnahmsweise erinnerten sich Familien ihrer ermordeten Tanten, Kleinkinder,<br />
Geschwister oder Großväter. Erste heute, nach rund 70 Jahren, löst sich der Bann.“<br />
Die Stigmatisierung der “Euthanasie“-Opfer setzte sich nach 1945 fort. Sie waren zunächst<br />
jahrzehntelang vom öffentlichen Gedenken ausgeschlossen, denn <strong>die</strong> so genannten<br />
“Euthanasie“-Morde galten als “nicht typisches NS-Unrecht“. Erst seit dem Ende der 1980er<br />
Jahre wird den Opfern am historischen Ort Tiergartenstraße 4, an dem wir uns heute<br />
zusammengefunden haben, durch eine in den Boden eingelassene Gedenktafel sowie eine den<br />
Opfern gewidmete Plastik <strong>von</strong> Richard Serra gedacht.<br />
Allerdings stand <strong>die</strong> Tiergartenstraße 4 weiterhin nicht im Fokus der öffentlichen<br />
Aufmerksamkeit, so dass eine Aufwertung des bestehenden <strong>Denkmal</strong>s vor allem <strong>von</strong><br />
bürgerschaftlichen Initiativen angemahnt und gefordert wurde.<br />
Es war insbesondere der Runde Tisch “Überlegungen zur Umgestaltung des T4-Gedenkortes“,<br />
der seit seiner Gründung im Jahr 2007 tatkräftig dafür eingetreten ist, den historischen Ort<br />
wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Besonders nennen möchte ich an<br />
<strong>die</strong>ser Stelle Frau Sigrid Falkenstein, als Initiatorin des Runden Tischs: Sie haben aufgerüttelt<br />
und viel bewegt!<br />
Als eine der wenigen haben Sie das verschämte Schweigen im Jahr 2012 gebrochen und in<br />
ihrem beeindruckenden Buch “Annas Spuren. Ein Opfer der NS-‚Euthanasie‘“ das Schicksal<br />
ihrer Tante Anna Lehnkering beschrieben, <strong>die</strong> am 7. März 1940 in der Gaskammer Grafeneck<br />
sterben musste. Wir danken Ihnen dafür <strong>von</strong> Herzen.<br />
Im November 2011 fasste der Deutsche Bundestag den Beschluss zur Realisierung eines<br />
“Gedenkortes für <strong>die</strong> Opfer der NS-“Euthanasie“-Morde“. Darin stellte er ausdrücklich fest – ich
zitiere: „Die nationalsozialistischen Morde an behinderten Menschen beziehungsweise<br />
Patienten gehören in das kollektive Gedächtnis unserer Nation. Die Erinnerung daran ist eine<br />
Aufgabe <strong>von</strong> nationaler Bedeutung und gesamtstaatlicher Verantwortung.“<br />
Mit dem heutigen Baubeginn sind wir einen entscheidenden Schritt zur Realisierung <strong>die</strong>ses<br />
bedeutsamen Vorhabens voran gekommen. Damit wird nun endlich auch in der<br />
Bundeshauptstadt Berlin ein angemessener Ort zur Erinnerung an <strong>die</strong> Opfer der Euthanasie-<br />
Morde geschaffen, nachdem <strong>die</strong> Bundesregierung bereits seit etlichen Jahren <strong>die</strong> Gedenkstätte<br />
Pirna-Sonnenstein dauerhaft fördert sowie Projekte der Gedenkstätte Grafeneck, der<br />
Gedenkstätte Hadamar und der Dokumentationsstelle Brandenburg an der Havel unterstützt.<br />
Der Bund stellt für das <strong>Denkmal</strong> hier in Berlin eine halbe Million Euro bereit, das Land Berlin<br />
steuert das Grundstück bei. Für <strong>die</strong>ses Engagement des Landes Berlin möchte ich Ihnen, liebe<br />
Frau Senatorin Kolat, Dank sagen.<br />
Die <strong>von</strong> meinem Haus finanzierten Einrichtungen <strong>Stiftung</strong> <strong>Denkmal</strong> für <strong>die</strong> ermordeten Juden<br />
Europas und <strong>Stiftung</strong> Topographie des Terrors sind gemeinsam für <strong>die</strong> Umsetzung und <strong>die</strong><br />
künftige Betreuung des Erinnerungsorts verantwortlich. Die Verantwortlichen beider<br />
Einrichtungen, Ulrich Baumann und Andreas Nachama, begrüße ich hier.<br />
Die Informationsinhalte werden in dem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
“Erinnern heißt gedenken und informieren“ durch das Institut für Geschichte und Ethik der<br />
Medizin der Technischen Universität München erarbeitet. Für <strong>die</strong> Ermöglichung des Projekts<br />
danke ich dem Vizepräsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Herrn Professor Ferdi<br />
Schüth; ferner begrüße ich den Projektleiter, Dr. Gerrit Hohendorf.<br />
Ich danke der Jury, <strong>die</strong> am 22./23. November 2012 unter Vorsitz der Landschaftsarchitektin<br />
Prof. Donata Valentien getagt hat. Mit dem 1. Preis ausgezeichnet wurde der Entwurf der<br />
Architektin Ursula Wilms, des Künstlers Nikolaus Koliusis sowie des Landschaftsarchitekten<br />
Heinz W. Hallmann.<br />
Wir hoffen, dass <strong>die</strong>ses <strong>Denkmal</strong> zum Nachdenken anregt und vor allem auch <strong>die</strong><br />
Aufmerksamkeit auf <strong>die</strong> Informationsme<strong>die</strong>n lenkt, <strong>die</strong> Teil des Konzeptes sind.<br />
Für <strong>die</strong> Bundesrepublik Deutschland bleiben <strong>die</strong> Aufarbeitung der Verbrechen des<br />
nationalsozialistischen Regimes, das Gedenken an <strong>die</strong> Opfer und <strong>die</strong> Aufklärung und<br />
Information der nachfolgenden Generationen dauerhafte Aufgabe und Verpflichtung.<br />
Ich danke allen Beteiligten und bin zuversichtlich, dass hier ein Gedenkort entstehen wird, der in<br />
unserer Hauptstadt einmal mehr Zeichen setzen wird – gegen Hass, Verblendung und<br />
Kaltherzigkeit und für Toleranz, Mitgefühl und Achtung vor dem Leben.