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ZAHNÄRZ TEBLATT

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Kritik an der Bürokratie gibt es schon so lange wie diese<br />

selbst. Phrasen wie „Deregulierung“ und „Bürokratieabbau“<br />

gelten heute nicht nur in der Wirtschaftspresse als Zauberformeln<br />

für eine bessere Welt. Auch Bürger reden so über<br />

ihre Kommunalverwaltung, hier haben sie ja die meisten<br />

Berührungspunkte – und den meisten Ärger – mit dem<br />

Staat. Münchens langjähriger Oberbürgermeister Christian<br />

Ude pflegt das Phänomen der Bürokratieschelte gern aus<br />

Erfahrung zu erläutern: Wer sein Haus umbauen will, flucht<br />

über all die Paragrafenreiter, die nichts Besseres zu tun<br />

hätten, als dem ehrlichen Steuerzahler das Leben zu<br />

vergällen. Stockt der Nachbar das Haus auf, ist derselbe<br />

Bürger der Erste, der bei der Stadt anruft – und schimpft,<br />

so gehe es ja wirklich nicht, dass jeder tun und lassen<br />

könne, was er wolle, schließlich gibt es doch Vorschriften.<br />

Während die gefühlte Bürokratie wächst, nimmt die reale<br />

in den Städten sogar ab. EDV, Service-Center und Bürgerbüros<br />

haben das Amtswesen viel effizienter gemacht. Die<br />

Zeiten sind vorbei, als beim Einwohnermeldeamt nur einer<br />

von zehn Schaltern geöffnet war und der Bürger mit dem<br />

Schild begrüßt wurde „Hetzen Sie uns nicht. Wir sind hier<br />

auf der Arbeit und nicht auf der Flucht.“ Auch der vermeintlich<br />

aufgeblähte Personalbestand der Gemeindeverwaltungen<br />

ist ein Mythos: In Wahrheit ist er nach diversen Sparrunden<br />

so klein wie seit Jahrzehnten nicht mehr.<br />

Besonders die Wirtschaft tut sich bei der Dauerkritik an der<br />

Bürokratie hervor, die angeblich den freien Unternehmergeist<br />

gängelt. Bei Umfragen über die Belastung durch staatliche<br />

Regelungen geben vier von fünf Unternehmen „sehr hoch“<br />

an, zu Beginn der Neunziger waren es etwas mehr als die<br />

Hälfte. Gerade erst hat der Bundesverband der Deutschen<br />

Industrie (BDI) barsch erklärt: „Die Wirtschaft verlangt mehr<br />

Engagement der Bundesregierung beim Bürokratieabbau,<br />

denn der Aufwand für die Wirtschaft hat stark zugenommen.“<br />

Letzteres stimmt zwar, es geht um ein Plus von 1,6 Milliarden<br />

im Jahr 2013. Das ist aber vor allem eine Folge der<br />

allgemein gewollten Energiewende, nicht der Tyrannei von<br />

Amtsstubenhockern. Neue Häuser müssen gedämmt, ja nach<br />

ganz anderen Normen gebaut werden, Windkrafträder sind<br />

zu genehmigen, stromfressende Altanlagen abzureißen.<br />

Nun hieß es schon bei den Altvorderen: Die Klage ist der<br />

Gruß des Kaufmanns. Aber hier geht es um mehr. Hinter<br />

hehren Prinzipien wie „Entbürokratisierung“ steht in Wahrheit<br />

Interessenpolitik, der Wunsch, Lasten von den Firmen<br />

auf die Bürger abzuwälzen. Hans Peter Bull hat dafür ein<br />

schönes Beispiel. Vor zehn Jahren noch war es mächtig en<br />

vogue, eine Deregulierung der Finanzmärkte zu fordern.<br />

„Und was ist passiert?“, fragt Bull, natürlich rhetorisch:<br />

„Das Risiko schien sich plötzlich zu lohnen, und Banken<br />

machten Geschäfte, als seien sie ein Wettbüro – die Politiker<br />

haben die Finanzwirtschaft fördern wollen, das Ergebnis<br />

war die internationale Finanzkrise.“ Staaten und Steuerzahler<br />

leiden darunter noch heute.<br />

Als besonders bürokratisch gilt die Gewerbesteuer, mit mehr<br />

als 30 Milliarden Euro jährlich Haupteinkommensquelle<br />

der Städte. Freiheit und Selbstverantwortung sind hier die<br />

Schlachtrufe, mit der Wirtschaftspäpste und Unternehmensverbände<br />

bis heute die Steuer loswerden wollen, auch<br />

wenn die Kommunen die Schlacht fürs Erste gewonnen<br />

haben. Weniger Staat? Klingt immer gut, nur: Warum<br />

sollten die Firmen nicht mit aufkommen für die Infrastruktur<br />

der Gemeinde, die sie nutzen? Und wer sonst soll<br />

das bezahlen? Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des<br />

Deutschen Städtetages, gesteht zu: „Die Veranlagung der<br />

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