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Ausgabe 51 - 07 Das Stadtmagazin . BLOG

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November 2013<br />

21<br />

36 Menschen das Leben kostete. An einen<br />

Reiter, der sich 1717 von der Brücke in die Fluten<br />

gestürzt hatte. An die Dienstmagd Marie<br />

Hüttich, die ein übervoller Graskorb im Juni<br />

1823 beim Ausruhen auf der Brückenmauer<br />

in die Tiefe zog.<br />

Auf der anderen Seite stand mehr und<br />

mehr Bewohnern alltäglich vor Augen, dass<br />

die alte Brücke, die lediglich eine Fahrbreite<br />

von 5,60 Metern aufwies, den zunehmenden<br />

Verkehrsbelastungen nur noch mit Mühe<br />

standhielt. Außerdem stand das alte Gemäuer<br />

nach den Hochwassern von 1890 und 1909<br />

in Verruf, durch seine vergleichsweise engen<br />

Bögen ein ›Stauwerk‹ zu sein und für den<br />

Abfluss größerer Wassermassen nicht ausreichend<br />

Gewähr zu bieten. Auch der preußischen<br />

Eisenbahnverwaltung war an einer<br />

Veränderung gelegen: Um den nahe gelegenen<br />

Bahnkörper der Saal-Eisenbahn gegen<br />

künftige Überflutungen zu wappnen, lagen<br />

Pläne für deren Verlegung auf einen Damm<br />

in der Schublade, die 1911 schließlich auch in<br />

Angriff genommen worden.<br />

Für die städtischen Behörden waren dies<br />

der Gründe genug: Ein neuer Brückenbau mit<br />

zwei bis drei Bögen müsse her, der das Wasser<br />

gut durchlasse, dem starken Verkehr und<br />

dem vorgesehenen Bau eines Gleises für die<br />

elektrische Straßenbahn zur Anbindung des<br />

auf 5.000 Einwohner angewachsenen Wenigenjenas<br />

genüge.<br />

Emotionaler Brückenstreit<br />

Über Monate war das Für und Wider in<br />

der Causa Camsdorfer Brücke Stadtgespräch.<br />

»Ein Disku- und ein Disputieren entfachte<br />

starken Zeitungsstreit, ob man das Wunder<br />

soll verlieren, weil es zu klein, zu schmal,<br />

nicht breit«, persiflierte ein Gedicht den Jenaer<br />

Brückenstreit. Der örtliche Heimatschutzverein<br />

machte gegen die Neubaupläne mobil,<br />

dem Weimarer Landtag ging noch Anfang<br />

März 1909 eine von 2.088 Jenaer Bürgern unterschriebene<br />

Petition zu, die eine Ablehnung<br />

des geplanten »Zerstörungswerks« forderte.<br />

Im Kampf um das historische Brückenerbe<br />

tat sich dabei besonders der Maurermeister,<br />

Ziegeleibesitzer und ehemalige Eisenbahningenieur<br />

Hermann Weber sen. hervor, der<br />

Gemeinderat und -vorstand nicht weniger<br />

als drei Broschüren zukommen ließ, um »in<br />

letzter Stunde« dem aus seiner Sicht unnötigen<br />

und teuren Abriss der alten Camsdorfer<br />

Brücke Einhalt zu gebieten. »Nicht nur, daß<br />

man das äußerst solide Bauwerk, welches<br />

mindestens noch Jahrhunderte in seinen alten<br />

soliden Ausführungen den größten Wassermengen<br />

und Eisgängen Widerstand zu<br />

leisten vermag, zum größten Leidwesen eines<br />

jeden Menschen aus dem Naturbild zu entfernen<br />

strebt, sondern man bringt auch noch<br />

schwerste Opfer um diese Möglichkeit herbeizuführen«,<br />

schrieb Weber an die Behörden.<br />

Eine »nicht sehr teure« Verbreiterung der Brücke<br />

durch Auskragung von beiderseitig 2,50<br />

Meter breiten Fußsteigen sei ohne Weiteres zu<br />

realisieren, auch die Breite des Fahrdamms,<br />

wiewohl noch verschiedene Menschenalter<br />

ausreichend, ließe sich problemlos auf bis zu<br />

acht Meter erweitern. „Es ist dies eine Breite,<br />

wo im Fahrdamm die elektrische Straßenbahn<br />

und zwei größere Scholler- und Möbelwagen<br />

gleichzeitig fahren können, ohne zu<br />

karambolieren.« <strong>Das</strong> A und O aber sei eine<br />

Erweiterung und Verlegung des Saalebettes<br />

ab dem Wenigenjenaer Bad und damit die<br />

Beseitigung der dortigen, 30 Meter schmalen<br />

Stromenge, die Weber als den eigentlichen<br />

Verursacher früherer Überschwemmungen<br />

ausmachte. Eine Umgestaltung der bisherigen<br />

Brücke sei im Unterschied zu den Neubauplänen<br />

in einem Drittel oder Viertel der Zeit zu<br />

schaffen. Gegenüber einer Luxussanierung<br />

ließen sich Mehrkosten von zirka 500.000<br />

Mark sparen, wobei Weber für seine Variante<br />

samt Saalekorrektion 330.000 Mark, für die<br />

reine Brückenverbreiterung lediglich 80.000<br />

Mark veranschlagte.<br />

Winteridylle an der alten Camsdorfer Brücke um<br />

1900. Die Saalebahn fuhr damals noch ebenerdig.<br />

Politik gibt grünes Licht<br />

Der Gemeindevorstand unter Oberbürgermeister<br />

Heinrich Singer sah sich ob Webers<br />

Einlassungen zu einer 20seitigen »Gegenbroschüre«<br />

mit dem Titel »Die Beseitigung der<br />

alten Saalebrücke — eine Notwendigkeit« gemüßigt.<br />

Bliebe die Brücke angesichts der weiteren<br />

Einengung der Saale durch Bebauung<br />

wie sie ist und käme es zu einem Hochwasser<br />

wie 1890 samt Eisgang, dann stehe zu befürchten,<br />

dass die »in die Stadt strömenden,<br />

gewaltigen Wassermassen einen unübersehbaren<br />

Schaden an Hab und Gut, an Leben<br />

und Gesundheit eines Teiles unserer Bewohnerschaft<br />

anrichten werden.« Zudem solle die<br />

neue Brücke auf Jahrhunderte gebaut werden:<br />

»Wenn jetzt schon, bei einer Bevölkerung von<br />

35.000 Seelen der Verkehr auf der Camsdorfer<br />

Brücke zu manchen Stunden des Tages<br />

geradezu etwas Beängstigendes hat, so wird<br />

sich das Missverhältnis zwischen dem Verkehrsbedürfnis<br />

und Brückenbreite zukünftig<br />

noch ungünstiger gestalten.« Diesen Erfordernissen<br />

sei nicht mit »Flickwerk« beizukommen.<br />

Und zu den Kosten: Voranschläge von<br />

Fachleuten gingen von 500.000 — 600.000<br />

Mark aus, von kommunaler Seite davon zu<br />

leisten wäre nur die Hälfte. Nach einem zuvor<br />

geschnürten Finanzierungspaket sollten sich<br />

der Weimarer Staat und die preußische Eisenbahnverwaltung<br />

mit je 125.000 Mark am<br />

Brückenprojekt beteiligen, das Jenaer Elektrizitätswerk<br />

eine Betrag von 40.000 Mark<br />

beibringen.<br />

Am Ende setzten sich die Befürworter<br />

durch. Zunächst gab der Gemeinderat am<br />

17. Dezember 1908 bei fünf Nein-Stimmen<br />

grünes Licht für das Bauvorhaben. Am<br />

19. März 1909 folgte das Plazet des Weimarer<br />

Landtags, nur zwei Abgeordnete stimmten<br />

dagegen.<br />

Ein ›Wunder‹ verschwindet: Abriss der<br />

alten Camsdorfer Brücke im Jahre 1912<br />

»

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