Ausgabe 51 - 07 Das Stadtmagazin . BLOG
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Juli/August November 2012 2013<br />
| geschichte |<br />
<strong>Das</strong> Land, in dem<br />
Milliarden verblühen<br />
Eine von mehr als 2.800 Geldscheinsorten im deutschen<br />
Inflationsherbst 1923: Notgeldscheine von Carl Zeiss Jena.<br />
Abbildungen: Carl Zeiss Archiv, Wikipedia, BArch, Bild 102-00104 / Georg Pahl<br />
Unglaublich, aber wahr: Vor 90 Jahren im November 1923 belief sich der Wechselkurs für einen US-Dollar auf<br />
4,2 Billionen Mark. Deutschland war in eine der größten Hyperinflationen der Menschheitsgeschichte geraten, in<br />
der die eigene Währung sprichwörtlich zu Spielgeld verkam.<br />
Ginge heutzutage jemand mit einem<br />
Wäschekorb oder Koffer voller Geldscheine<br />
zum Bäcker, Fleischer oder<br />
auf den Wochenmarkt, würde dies mit aller<br />
Wahrscheinlichkeit erhebliches Aufsehen erregen.<br />
Im November 1923 hingegen war dies<br />
ein Alltagsbild: Wer einkaufen gehen wollte,<br />
schleppte Abermillionen an Mark in großen<br />
Geldbündeln mit sich, getrieben von der Hoffnung,<br />
dass diese für den Erwerb der notwendigsten<br />
Lebensmittel noch ausreichen würden,<br />
bevor der unaufhaltsame Wertverfall<br />
der Währung die Preise in noch utopischere<br />
Bereiche führen würde. Kostete so etwa eine<br />
Bratwurst am 10. November auf dem Jenaer<br />
Wochenmarkt ›gerade einmal‹ 70 Milliarden<br />
Mark, hätte man für diese Summe keine<br />
Woche später wohl nur einen Wurstzipfel<br />
erhalten — der Preis belief sich mittlerweile<br />
auf stattliche 300 Milliarden Mark. Ein Brot<br />
kostete da bereits zwischen 460 und 480<br />
Milliarden, ein Pfund Äpfel 100 bis 130 Milliarden,<br />
ein Stück Butter 600 Milliarden und<br />
ein Pfund Speck 1,6 Billionen Mark. Einen Tag<br />
später waren auch diese Preise längst nicht<br />
mehr aktuell.<br />
Wie in vielen anderen Städten im Lande<br />
zogen auch in Jena jeden Morgen Frauen zu<br />
den Werktoren von Zeiss und Schott, um dort<br />
den mittlerweile täglich ausgezahlten Lohn<br />
ihrer Ehegatten entgegenzunehmen und anschließend<br />
sofort in Waren umzusetzen — bevor<br />
auch diese Geldbündel nichts mehr wert<br />
waren. Der Pfarrer ließ mittlerweile Wäschekörbe<br />
für die Kollekte nach den Gottesdiensten<br />
herumgehen, in so mancher Arztpraxis<br />
brauchte man überdies gar nicht mehr ohne<br />
eine Wurst, ein paar Eier oder<br />
Briketts erscheinen, da Honorare<br />
dort vielfach nur noch in<br />
Form von Naturalien akzeptiert<br />
wurden und anstelle von<br />
millionenteurer Tapete griff<br />
so manch einer auch auf seine<br />
Stapel wertloser Geldbündel<br />
zurück, wenn’s ans Tapezieren<br />
ging. Da Feuerbestattungen<br />
aufgrund der exorbitanten<br />
Kokspreise überdies für viele<br />
Bürger kaum noch finanziell<br />
zu stemmen waren, blieb<br />
vielen häufig nichts anderes<br />
übrig, als ihre Angehörigen in<br />
Holzsärgen schlichtester Ausführung<br />
bestatten zu lassen —<br />
die so niedrig waren, dass sie<br />
im Volksmund auch »Nasenquetscher«<br />
genannt wurden …<br />
Aufruf zur Zeichnung<br />
von Kriegsanleihen auf<br />
einer Postkarte 1917.<br />
Weltkrieg bringt Schuldenberg<br />
Ihren Auslöser und Ausgangspunkt fanden<br />
diese nur wenig lebenswerten Zustände<br />
im Jahre 1914, als Deutschland sich in einen<br />
Krieg ziehen ließ, den es sich im Grunde nicht<br />
leisten konnte.<br />
Eigentlich hatte da auch alles anders<br />
kommen sollen, war doch der ursprüngliche<br />
Plan gewesen: Krieg erklären,<br />
Krieg gewinnen und dann die<br />
unterlegenen Kriegsgegner zur<br />
Begleichung der Kriegskosten<br />
›bitten‹. Punkt eins hatte man<br />
Anfang August 1914 noch als<br />
›erledigt‹ von der Liste streichen<br />
können, danach war<br />
für das Deutsche Reich über<br />
kurz oder lang jedoch alles<br />
aus dem Ruder gelaufen. Weder<br />
an der West- noch an der<br />
Ostfront ließen sich bis Jahresende<br />
finale Durchbrüche<br />
verkünden, insbesondere in<br />
Nordfrankreich und Belgien<br />
waren die Stellungen in endlosen<br />
Grabenkriegen und Materialschlachten<br />
festgefahren,<br />
die nicht nur mit extrem hohen<br />
Verlusten an Menschen-