Ausgabe 51 - 07 Das Stadtmagazin . BLOG
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10 November 2013<br />
| mein liebstes ding |<br />
Reise nach<br />
Absurdistan<br />
In jedem Winkel unserer nicht mehr ganz jungen Stadt verstecken sich<br />
Geschichten. Die meisten dieser Geschichten kennen wir nicht mehr. Der<br />
gebürtigen Jenenserin Angela Zöllner entgeht kaum eine Jenaer Anekdote.<br />
Wahres und Erfundenes tummelt sich in ihrem reichhaltigen Erzählkatalog.<br />
Mit dem Erzählen von Geschichten hat sie ihre größte Leidenschaft zum<br />
Beruf gemacht und macht Jenaer Geschichte erlebbar.<br />
Eine Gruppe aufgeregter Kinder versammelt<br />
sich am Jenaer Tourismustag<br />
in den Räumen des Stadtspeichers<br />
und wartet gespannt darauf, dass Ihnen die<br />
Pforte in das Märchenland aufgeschlossen<br />
wird. Denn für diesen Tag ist eine Reise ins<br />
Märchenland versprochen worden, genauer<br />
gesagt in das Märchen vom Rotkäppchen.<br />
Die Frau, die dann als Wegweiserin ins Märchenland<br />
erscheint, trägt<br />
einen langen Mantel, liebevoll<br />
geschmückt mit<br />
allerlei Szenen aus bekannten<br />
Märchen. Was<br />
sie sagt, überrascht die<br />
Kinder nicht wirklich:<br />
Der Einstieg ins Reich<br />
der Märchen soll über<br />
den Brunnen des alten<br />
Hauses gelingen. <strong>Das</strong> kennen wir ja aus Frau<br />
Holle. Die Gruppe begibt sich also auf die Suche.<br />
Endlich ist der Brunnen gefunden. Doch,<br />
welche Enttäuschung, er ist zugemauert. Was<br />
nun? Verzweiflung steht in den Gesichtern der<br />
Kinder. Die Erwachsenen schmunzeln. Mit<br />
Kreide wird der Name des gewünschten Märchens<br />
an eine große, alte Holztür geschrieben,<br />
die sich prompt öffnet. Und schon sind<br />
die Kinder, ihre Eltern im Schlepptau, mittendrin<br />
in der Märchenwelt. Hier treffen sie den<br />
Wolf, der den Schuh von Aschenbrödel dabei<br />
hat und den Einen, der auszog, das Fürchten<br />
zu lernen. Noch viele andere Märchenfiguren<br />
kreuzen den Weg der kleinen Gruppe, bevor<br />
sie den Ausgang zurück in die reale Jenaer<br />
Welt findet. Den Wolf und das Rotkäppchen<br />
nehmen die Kinder mit auf den Jenaer Marktplatz.<br />
Rotkäppchen spendiert Kuchen und<br />
Wein (Saft) aus seinem<br />
Körbchen und der Wolf<br />
wird ausgewildert, damit<br />
es in Thüringen endlich<br />
wieder Wölfe gibt. Was<br />
für ein Erlebnis.<br />
<strong>Das</strong> WWWW der Liebhaberin:<br />
Wer: Angela Zöllner (geb. 1972)<br />
Was: Geschichten erzählen<br />
Wann: schon immer /<br />
öffentlich seit 2009<br />
Woher: aus aller Welt und<br />
aus aller Munde<br />
Die Frau, die Kinder<br />
und Erwachsene so meisterhaft<br />
unbemerkt in Geschichten<br />
hineinzieht, heißt Angela Zöllner.<br />
Als Kind liebte sie wie die meisten anderen<br />
Kinder Geschichten — fröhliche, gruselige,<br />
traurige, lustige, spannende. Die Indianergeschichten<br />
von Karl May hatten es ihr besonders<br />
angetan. Aber auch bekannte Märchen<br />
wie die kleine Meerjungfrau von Hans<br />
Christian Andersen trafen ihren Geschmack.<br />
Damit unterschied sie sich nicht von anderen<br />
Kindern. Doch ihre Leidenschaft für Geschichten<br />
und Geschichte erwies sich als beständiger.<br />
Ihre Großmutter berichtete ihr vom<br />
alten Jena als einen Ort, in dem der Urgroßvater<br />
noch eigenhändig Pferdekutschen repariert<br />
hatte. Zu jedem Plätzchen wusste sie<br />
mindestens eine Anekdote zu erzählen. »Ich<br />
gehe durch die Stadt und sehe überall Dinge,<br />
die nicht mehr da sind, die ich aber aus<br />
diesen Geschichten kenne. Die verschwundenen<br />
Dinge und vergessenen Geschichten<br />
möchte ich gern mit den Menschen teilen«,<br />
sagt Angela Zöllner. Nicht zuletzt deshalb ist<br />
sie Stadtführerin geworden. Ihr Repertoire<br />
ist groß und phantasievoll. Die klassische<br />
Führung »von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit«<br />
erlebt man mit ihr aber eher<br />
nicht. Schließlich ist sie, wie sie selbst sagt,<br />
ein »Ein-Mann-spontan-Theater« mit erlebnispädagogischem<br />
Hintergrund. Und davon soll<br />
auch etwas zu merken sein. So gibt es auf<br />
einer Tour mit ihr beispielsweise nicht nur<br />
wahre, sondern auch Geschichten, die glatt<br />
gelogen sind. Episoden aus der Geschichte<br />
Jenas werden spontan nachgespielt, Fragen<br />
der Gruppe aufgegriffen. <strong>Das</strong> oft verwunderte<br />
Publikum wird mit Hilfe vorhandener Requisiten<br />
aus dem Märchenkoffer in Statisten<br />
und Hauptdarsteller verwandelt und findet<br />
sich mehr oder weniger schnell in seine Rolle<br />
Fotos: Marko Schmidt / André Helbig