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972.700 Euro - Deutsches Theater

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dt-Magazin - Ausgabe 4<br />

Ausgabe 4 - Spielzeit 2010/11<br />

„Die meisten Regisseure,<br />

die ich kenne, sind asozial.“<br />

Ein Interview mit Andreas Kriegenburg<br />

Mit dem Kopf fühlen und dem Herzen denken<br />

Jette Steckel inszeniert Maxim Gorkis ,Kleinbürger‘<br />

Autorentheatertage Berlin<br />

15. – 25. Juni 2011<br />

Die Jurorin Elke Schmitter im Gespräch<br />

dt<br />

Magazin


95,8<br />

NUR FÜR ERWACHSENE<br />

radioeins.<br />

Wie ein Blick unter<br />

die Oberfläche.<br />

Inhalt<br />

4<br />

Die meisten Regisseure, die ich kenne, sind asozial<br />

Ein Gespräch mit Andreas Kriegenburg<br />

8<br />

Mit Nadel und Faden am Bühnenrand<br />

Ortstermin von Annett Gröschner<br />

14<br />

Über Leben<br />

18<br />

Kleinbürger<br />

20<br />

Die Ängstlichen und die Brutalen<br />

22<br />

Magic Fonds<br />

24<br />

Autorentheatertage Berlin 2011<br />

Fünf Fragen an Elke Schmitter<br />

28<br />

Die verbotene Frage<br />

29<br />

Szenen im DT<br />

30<br />

Zugabe<br />

Auf dem Titel:<br />

Katharina Marie Schubert in ,Judith‘<br />

3<br />

Spielzeit 2010/11<br />

© Arno Declair


dt-Magazin - Ausgabe 4<br />

4<br />

Spielzeit 2010/11<br />

© Arno Declair<br />

Interview<br />

„Die meisten Regisseure,<br />

die ich kenne, sind asozial.“<br />

Andreas Kriegenburg, 47, ist nicht nur Hausregisseur am Deutschen <strong>Theater</strong>,<br />

sondern wurde 2010 auch zum Bühnenbildner des Jahres gekürt. Trotzdem sagt er,<br />

„von 20 Jahren wurde ich 15 beschimpft“. Ein Gespräch über das Thema Talent.<br />

Herr Kriegenburg, wir würden mit Ihnen gerne über Talent sprechen.<br />

Können Sie mit diesem Begriff überhaupt irgendetwas anfangen?<br />

Ich arbeite immer wieder und sehr gerne mit Studenten – unterrichte,<br />

wenn man so will. Denen gegenüber fühle ich mich<br />

in einer Verantwortung, sie in den Beruf zu begleiten – und ich<br />

merke, dass ich, ohne es zu wollen, Projektionen über ihr Talent<br />

entwerfe. Und instinktiv unterteile, wem ich Talent in Form von<br />

Eigenständigkeit, Originalität oder Dringlichkeit unterstelle.<br />

Und bei wem ich eher sage: Das ist ein durchschnittlich begabter<br />

Handwerker.<br />

Es gibt also Talent, das man erkennen kann?<br />

Das Schwierige am Talent ist, dass es ein kaum zu beschreibender<br />

Begriff ist. Er meint eigentlich eine Disposition: etwas, das<br />

schon vorher da ist und das sich entweder weiter entwickelt<br />

oder verschüttet wird. Manche sagen, dass es so eine Disposition<br />

nicht gibt – und führen Versuche mit schachspielenden Kindern<br />

an, die das lernten, bevor sich eine Neigung zeigen konnte,<br />

und die am Ende trotzdem Weltklasse spielten. Da soll die Veranlagung<br />

also geschaffen worden sein.<br />

Was stimmt Ihrer Meinung nach?<br />

Ich merke immer wieder, dass es Menschen gibt, die mit einer<br />

anderen Dringlichkeit ausgestattet sind, erzählen zu wollen.<br />

Vielleicht auch mit einer anderen Fantasie, aber die kann man<br />

notfalls noch trainieren. Diese Unbedingtheit, etwas erzählen zu<br />

müssen, kann man aber nicht trainieren. Man kann Talent also in<br />

diesem Fall mit einer Kommunikationsstörung gleichsetzen: Ein<br />

Mensch versucht, ein Handicap, das er im Sozialen hat, auszugleichen<br />

mit einem Talent, das er entwickelt.<br />

Sie können also Talent bei anderen beobachten und erkennen –<br />

bei sich selbst auch?<br />

Ich kann es nur schwer beschreiben – höchstens ein paar biografische<br />

Ereignisse nacherzählen. Als ich mit 21 meine erste<br />

Inszenierung machte, hatte ich damals schon die Fähigkeit,<br />

Menschen dazu zu bringen, sich in den Dienst meiner Sache zu<br />

stellen. Das war nicht trainiert, das war nicht geübt – trotzdem<br />

ist es mir gelungen, dass diese Leute auch ein zweites und ein<br />

drittes Mal mit mir arbeiten wollten.<br />

Ist dieses Talent Ihnen damals zum ersten Mal aufgefallen oder<br />

schon vorher?<br />

Interview: Matthias Kalle und Christoph Koch<br />

5<br />

Spielzeit 2010/11<br />

Es ging in der Schule los und ich weiß, dass es viel mit Kompensation<br />

zu tun hatte. Nach der zweiten Klasse kam ich durch einen<br />

Umzug auf eine neue Schule und verlor so den vertrauten<br />

Klassenverband. Nach einem Jahr in starker Isolation habe ich<br />

dann beschlossen, meine Scheu zu überwinden und die Unterhaltungsposition<br />

in der Klasse zu besetzen – den Klassenclown<br />

zu geben.<br />

Weil diese Rolle noch frei war?<br />

Genau. Und innerhalb dieser Rolle konnte ich dann auch sozial<br />

wieder funktionieren. Mit Regie ist das ganz ähnlich: Es ist –<br />

wie vorhin schon erwähnt – ein Versuch, eine Kommunikationsstörung<br />

zu kompensieren. Ein Versuch, innerhalb dieses abgegrenzten<br />

<strong>Theater</strong>feldes und der Situation von Proben und<br />

Produktion, eine soziale Kompetenz zu entwickeln oder zumindest<br />

vorzugaukeln, die einem sonst fehlt.<br />

Das klingt jetzt, als wären alle Regisseure mittelschwere Autisten<br />

...<br />

Die meisten Regisseure, die ich kenne, sind tatsächlich ziemlich<br />

asozial. Das meine ich gar nicht im destruktiven Sinne, sondern<br />

als Defizit, als Unvermögen. Die meisten Regisseure sind absolute<br />

Partykiller. Die stehen in der Ecke, machen sich selbst überflüssig<br />

und funktionieren eigentlich nur, wenn sich eine Traube<br />

um sie bildet und sie über ihre Arbeit oder die Arbeit von anderen<br />

reden können.<br />

Haben Sie die Rolle des Klassenclowns irgendwann wieder abgelegt?<br />

Nein, man bleibt dann in so einer Rolle – und verfeinert sie höchstens.<br />

Es gibt aber durchaus die Möglichkeit, dass Freundschaften<br />

entstehen, weil man der unterhaltsame Klassenclown ist,<br />

sich diese Freundschaften weiterentwickeln und man das Vertrauen,<br />

das in ihnen entsteht, auch auf ernsthafte Bereiche ausdehnt.<br />

Man kann es also, um im Jargon zu bleiben, vom Klassenclown<br />

zum Klassensprecher schaffen.<br />

Viele Jungs werden ja auch zum Klassenclown, um an die Mädchen<br />

ranzukommen ...<br />

... das hat bei mir nicht funktioniert.<br />

Gleichzeitig stellt man sich unter einem Klassenclown auch eher<br />

jemanden vor, der später Schauspieler wird. Gab es diesen Plan<br />

mal bei Ihnen?


Den gab es eine Zeitlang, zum Glück habe ich mich aber mit einem<br />

Schauspieler auf mein erstes Vorsprechen vorbereitet – und<br />

der sagte mir, dass das keinen Zweck hat. Das liegt bei mir wohl<br />

an einer stabilen Schüchternheit, die ein Schauspieler einfach<br />

nicht haben darf. Meine erste Begegnung mit der Bühne war jedoch,<br />

als ich Pantomime lernte. Es gab also schon den Wunsch,<br />

vor Leute zu treten, aber mit einer doppelten Absicherung: Einerseits<br />

musste ich nichts sagen. Und andererseits erzählte ich<br />

meine Geschichten durch Technik und Kunstfertigkeit. Aber die<br />

Pantomime ist ja auch eine Form der Maskierung, letztlich eine<br />

Variante des Clowns.<br />

Kommt daher auch Ihre vielbeschriebene Begeisterung für<br />

Buster Keaton?<br />

Buster Keaton ist für mich einer der wesentlichsten Künstler,<br />

aber auch philosophischen Weltbeschreiber des vergangenen<br />

Jahrhunderts. Es gibt natürlich auch noch viele andere Einflüsse,<br />

aber er ist der früheste und emotionalste, der mich am längsten<br />

begleitet hat.<br />

Wie würden Sie jemandem, der ihn gar nicht kennt, von Buster<br />

Keaton vorschwärmen?<br />

Ich würde sagen, Buster Keaton ist der erste populäre Existentialist,<br />

der es geschafft hat, das schmerzhafte Getrenntsein des<br />

Menschen von seiner Umwelt und Gesellschaft zu beschreiben.<br />

Dem es gelang, auf unglaublich klarsichtige und gleichzeitig<br />

amüsante Weise zu beschreiben, was mit dem Menschen passiert,<br />

der mit der Beschleunigung um ihn herum nicht mehr<br />

Schritt halten kann. Anderen würde ich beschreiben, dass er ein<br />

schöner, eleganter, höchst virtuoser Clown und Darsteller war,<br />

der es schaffte, durch die Verweigerung von Mimik sowohl amüsant<br />

als auch tieftraurig zu sein.<br />

Lag das Talent von Buster Keaton darin, die Körperlichkeit seines<br />

Spiels so leicht wirken zu lassen?<br />

Ja, wobei auch sehr frühes Training dazukam. Keatons Kindheit<br />

bestand darin, dass er mit seinem Vater auf englischen Varietébühnen<br />

stand und ihn sein Vater ab seinem fünften Geburtstag<br />

als Teil der Nummer in den Orchestergraben warf. Er erlebte also<br />

zum einen das Fliegen sowie die gleichzeitige Machtlosigkeit<br />

dagegen. Zum anderen trainierte er einfach, sich dabei nicht zu<br />

verletzen.<br />

Wie wirkt sich die Verehrung für Buster Keaton und Ihre Vergangenheit<br />

als Klassenclown darauf aus, wie sie Proben leiten?<br />

Ich versuche in der Probe den Schauspielern das Gefühl zu geben,<br />

dass sie im Zentrum stehen. Ich versuche meistens, den Erwartungs-<br />

und Produktivitätsdruck aus den Proben rauszunehmen,<br />

indem ich sie extrem entschleunige und viel Zeit mutwillig<br />

verplempere oder vernichte.<br />

Interview<br />

6<br />

Spielzeit 2010/11<br />

„Ich erlebe mich<br />

als jemanden,<br />

der an einen Punkt<br />

gekommen ist,<br />

an dem Talente<br />

tatsächlich<br />

Handicaps werden.<br />

Ich bin ein<br />

Regisseur, der<br />

darin gefangen<br />

ist, harmonisch zu<br />

arbeiten.“<br />

Wie sieht das konkret aus?<br />

Ich trivialisiere die Arbeit – zum Beispiel indem ich schlechte<br />

Witze erzähle. Oder gute Witze schlecht erzähle. Indem ich einfach<br />

versuche, klarzumachen: Hier drin ist alles möglich – auch<br />

was das Niveau betrifft. Jeder Kalauer muss genauso erlaubt<br />

sein wie das philosophische Gespräch.<br />

Ist das das wichtigste Talent, das ein Regisseur braucht: Ein<br />

Maximum an Möglichkeiten zu schaffen?<br />

Viele der starken Eigenwilligkeiten und Talente von Regisseuren<br />

entstehen über ihr Unvermögen. Es wäre ja ein Dilemma,<br />

wenn ich als Regisseur erlebe, dass ich mich in jede Richtung<br />

bewegen kann. Dass ich alles kann und mir nichts misslingt.<br />

Spannend wird es doch, wenn ein Regisseur durch das, was er<br />

nicht kann, Formen entwickeln muss, die dann plötzlich sehr berührend<br />

sind.<br />

Ein Beispiel, bitte!<br />

Ich denke nicht, dass Christoph Marthaler ein Virtuose der Dialogregie<br />

ist. Das kann er nicht. Muss er auch gar nicht. Dafür<br />

hat er eine unglaubliche Musikalität. Sowohl was die Komposition<br />

der Sprache und Musik, aber auch, was die Komposition<br />

der Körper im Raum betrifft. Es ist also nicht die Frage, wie viele<br />

verschiedene Talente man haben muss – sondern in welche Talente<br />

man eingesperrt ist. Wir stecken alle in dem Gefängnis unserer<br />

Möglichkeiten.<br />

Jetzt muss natürlich die Frage kommen: In welches Talent sind<br />

Sie eingesperrt?<br />

Ich erlebe mich als jemanden, der an einen Punkt gekommen ist,<br />

an dem Talente tatsächlich Handicaps werden. Ich bin ein Regisseur,<br />

der darin gefangen ist, harmonisch zu arbeiten. Nicht was<br />

die Probensituation betrifft, sondern was die Szenerie betrifft.<br />

Ich kann kaum über Dissonanzen arbeiten. Alles, was ich mache,<br />

versucht auch visuell wohlklingend zu sein. Selbst wenn ich<br />

versuche, wirklich hässliche Szenerien zu bauen, sind darin Motive<br />

der Schönheit verborgen. Ich bin gefangen in der Sehnsucht<br />

nach Harmonie.<br />

Sind Sie eigentlich ein Regisseur, der sich selbst das Bühnenbild<br />

macht – oder sind Sie ein Bühnenbildner, der lieber auch gleich<br />

Regie führt?<br />

Weder noch. Das trennt sich. Ich mache als Bühnenbildner kein<br />

Bühnenbild für mich als Regisseur, sondern für mich als Bühnenbildner.<br />

Ich möchte Räume auf der Bühne haben, in denen sich<br />

Schauspieler wohl fühlen. Als Bühnenbildner kann ich auf mich<br />

als Regisseur keine Rücksicht nehmen.<br />

Ist es schon vorgekommen, dass der Regisseur Kriegenburg zum<br />

Bühnenbildner Kriegenburg sagt: Was ist das denn jetzt?<br />

Das passiert ständig. Ich schimpfe auch über mich als Bühnenbildner,<br />

so wie der Bühnenbildner zum Regisseur sagt: Mach mir<br />

bloß keine Blutflecken auf die Bühne!<br />

Zurück zum Talent: Einige Kritiker meinen beobachten zu können,<br />

dass Ihr Talent in den vergangenen Jahren nachgelassen<br />

hätte. Sie seien nicht mehr der Regisseur, der sie mal waren,<br />

liest man immer mal wieder, vor allem in Internetforen.<br />

Die Selbstbefragung ist immer bedrängender als das, was in<br />

diesen Foren geschrieben wird. Ich bin jemand, der relativ genau<br />

beschreiben kann, was ihm misslungen ist. Deshalb fühle<br />

ich mich sehr verbunden mit jedem, der das auch wahrnehmen<br />

Interview<br />

7<br />

Spielzeit 2010/11<br />

kann. Und ich bin jedem dankbar, der dieses Nichtgelingen dann<br />

auch noch exakt beschreiben kann. Passiert halt relativ selten.<br />

Kritik lässt sie demnach kalt.<br />

Ich weiß, dass ich das, was ich mache, relativ gut kann. Ich weiß<br />

aber auch, dass mir das Besondere vielleicht alle zwei, drei Jahre<br />

gelingt. Mit ,Ein Sommernachtstraum‘ bin ich nicht glücklich.<br />

Aber nicht wegen der Aufführung, wie sie ist, sondern wegen<br />

dem, was ich wollte und was dann daraus geworden ist.<br />

Sie haben einmal gesagt, Sie seien der erfolgreichste erfolglose<br />

Regisseur Ihrer Generation ...<br />

Von 20 Jahren wurde ich 15 Jahre beschimpft. Die Presse und<br />

das Publikum konnten lange nichts mit mir anfangen. Auch heute<br />

noch sprechen mir manche Kritiker alles Können ab.<br />

Sie scheinen damit aber ganz entspannt umzugehen.<br />

Ach, es gab mal eine Zeit, da habe ich jeden Verriss inhaliert.<br />

Dann habe ich aus Selbstschutz nichts mehr gelesen. Jetzt lasse<br />

ich mir nur noch erzählen, was geschrieben wird.<br />

Können Sie eigentlich einem Kriegenburg-Neuling Empfehlungen<br />

geben? Welche Ihrer Arbeiten sollte man sich als Einstieg<br />

anschauen?<br />

Am wenigsten Sorge hätte ich, wenn jemand in München in den<br />

,Prozess‘ ginge, danach dann aber bitte unbedingt hier im Deutschen<br />

<strong>Theater</strong> in den ,Prinz Friedrich von Homburg‘. Vor kurzem<br />

sagte jemand zu mir, der noch nichts von mir kannte: „Ich schaue<br />

mir morgen ‚Das letzte Feuer‘ an.“ Da dachte ich: Mhmm, das ist<br />

vielleicht ein bisschen irreführend.<br />

Als Letztes möchten wir gerne von Ihnen wissen, wie sich das<br />

Talent von Kleist von dem Shakespeares unterscheidet?<br />

Shakespeare ist Spielberg! Shakespeare ist der Autor, der einen<br />

Regisseur am meisten fordert, denn seine Stücke sind irrwitzig<br />

gut gebaut. Kleist schreibt grauenhafte Stücke, die keine Ökonomie<br />

haben, dem kommt man mit Handwerk nicht bei, das sind<br />

Monster, es ist entsetzlich! Und dennoch gibt es auf der Welt<br />

nichts Schöneres als Kleist zu inszenieren.<br />

Zuletzt inszenierte Andreas Kriegenburg ,Judith‘ von<br />

Friedrich Hebbel in den Kammerspielen. Am 4. Juni hat<br />

seine Inszenierung von Heinrich von Kleists ,Das Käthchen<br />

von Heilbronn‘ Premiere im Deutschen <strong>Theater</strong>.


Ortstermin<br />

Mit Nadel<br />

und Faden am<br />

Bühnenrand<br />

Bei den Ankleiderinnen des Deutschen <strong>Theater</strong>s<br />

„,Diebe‘? Das Stück eignet sich nicht, da legen wir die Sachen<br />

nur hin und räumen sie nach der Vorstellung wieder ein und ansonsten<br />

ziehen sich die Schauspieler selber an. Da gibts andere<br />

Stücke, wo mehr passiert“, sagt Sabine Reinfeldt, die Abteilungsleiterin<br />

Kostüm am Deutschen <strong>Theater</strong>, mir am Telefon.<br />

Der Grund, weswegen ich es gut gefunden hätte, ausgerechnet<br />

bei ,Diebe‘ mit den Ankleiderinnen mitzulaufen und über ihre<br />

Arbeit zu schreiben, liegt tief in meiner Vergangenheit. Anfang<br />

Oktober 1982 wurde ich von den Bühnen der Stadt Magdeburg<br />

als Ankleiderin angestellt. Ich war 18, hatte das Abitur in der Tasche<br />

und keinen Studienplatz. Ich war mir noch nicht so ganz sicher,<br />

ob ich schreiben oder Kostümbildnerin werden wollte. Im<br />

<strong>Theater</strong> gab es beides, es gab die Sprache und es gab die Kostüme.<br />

Der Job war schlecht bezahlt und die geteilten Dienste,<br />

morgens und abends mit vier Stunden Pause dazwischen, führten<br />

dazu, dass man nie abschalten konnte. Zwischen dem Ende<br />

des Arbeitstages und dem Beginn des nächsten lagen meistens<br />

nicht mehr als neun Stunden. Der Intendant war ein Stalinist,<br />

der Abteilungsleiter Kostüm ein Ekel. Wer als Ankleiderin bei<br />

den Proben im Zuschauerraum erwischt wurde, hatte nichts zu<br />

lachen. Der Platz einer Ankleiderin war hinter der Bühne und<br />

von Annett Gröschner<br />

„1972 war ich Ankleider im Deutschen <strong>Theater</strong>. Eigentlich hatte ich mich mit einem Freund<br />

als Kulissenschieber beworben, aber da sagte man uns, Bühnenarbeiter brauchen wir nicht,<br />

was wir suchen, sind Garderobieren. Da haben wir geantwortet, das können wir auch,<br />

was soll daran schwer sein? Dann haben sie uns eingestellt. Ich wusste vorher gar nicht, dass es<br />

so was gibt, ich dachte bis dahin, Schauspieler ziehen sich immer alleine an.“<br />

Bernd Holtfreter (1951–2003) in Felsmann/Gröschner: ,Durchgangszimmer Prenzlauer Berg‘, 1999.<br />

8<br />

Spielzeit 2010/11<br />

am Bügelbrett. Fehler wurden nicht verziehen. Aber es gab<br />

Nischen, und es gab Gleichgesinnte. Einer hieß Andreas Kriegenburg<br />

und lernte am <strong>Theater</strong> Tischler. Wir begegneten uns<br />

manchmal im Keller, wo Tischlerwerkstatt und Waschküche waren.<br />

Wir gaben uns gegenseitig unsere Gedichte zu lesen. Später<br />

verloren wir uns aus den Augen. Ich ging nach Berlin und blieb<br />

dort. – ,Diebe‘ hat Andreas Kriegenburg inszeniert.<br />

„Kommen Sie doch zum ,Sommernachtstraum‘, da haben die Ankleider<br />

mehr zu tun und Sie langweilen sich nicht. Ist auch von<br />

Andreas Kriegenburg inszeniert“, schlägt Sabine Reinfeldt mir<br />

vor. Mir fällt auf, dass sie, wie früher, die männliche Bezeichnung<br />

„Ankleider“ benutzt, obwohl nur Frauen in ihrer Abteilung<br />

arbeiten. Es gibt sechs Ankleiderinnen für die Damen und<br />

sechs für die Herren.<br />

Sabine Reinfeldt hat nach der Schneiderlehre in den Werkstätten<br />

der Staatsoper 1981 im Deutschen Thea ter als Ankleiderin<br />

angefangen, noch als ganz junge Frau wurde sie 1986<br />

Abteilungsleiterin. „Man hat mich da einfach ins kalte Wasser<br />

geschmissen.“ Die Zusammensetzung der Abteilung hat sich<br />

bis auf die, die in Rente gegangen sind, in den letzten Jahren<br />

kaum verändert. „Bist ja noch vom alten Zopf“, heißt es im Haus,<br />

wenn jemand länger als zwanzig Jahre dabei ist.<br />

Ich war nur zehn Monate Ankleiderin. Aber ich habe noch<br />

lange von in der Waschmaschine verfärbten Frackhemden und<br />

verschwundenen Hüten geträumt. Und ich drücke mich bis heute<br />

so gut es geht vor dem Bügeln. Trotzdem habe ich die Zeit<br />

als Ankleiderin als eine ganz prägende in Erinnerung. Auch weil<br />

ich fast zwei Jahre brauchte, ehe ich bei <strong>Theater</strong>besuchen nicht<br />

mehr von schnellen Umzügen abgelenkt wurde. Damals war<br />

das Deutsche <strong>Theater</strong> meine Lieblingsbühne und die Ankleiderin,<br />

mit der ich mehr mitfieberte als mit dem Geschehen auf der<br />

Bühne, wahrscheinlich Sabine Reinfeldt. Oder Bärbel Krepp, ihre<br />

Stellvertreterin, die auch schon 26 Jahre dabei ist. Die Ankleiderinnen<br />

haben Rolf Rohmer, Dieter Mann, Thomas Langhoff,<br />

Bernd Wilms, Oliver Reese und jetzt Ulrich Khuon als Intendanten<br />

über sich gehabt. Einschneidender für ihre Arbeit aber ist,<br />

dass mit jedem neuen Intendanten auch die Bühnen- und Kostümbildner<br />

und ihre Assistenten wechseln. „Intendanten kommen<br />

nur mal zum Spucken vorbei“, sagt eine der Ankleiderinnen<br />

leicht spöttisch, als wir während der Pause vom ,Sommernachtstraum‘<br />

auf die Hierarchien zu sprechen kommen.<br />

9<br />

Spielzeit 2010/11<br />

Wenn man Sabine Reinfeldt fragt, was für sie die aufregendste<br />

Zeit in ihrer Karriere war, fällt sofort der Name Heiner<br />

Müller: „,Lohndrücker‘, ,Hamlet/Hamletmaschine‘, auch ,Dantons<br />

Tod‘ in der Inszenierung von Alexander Lang, da hatte jeder<br />

von uns, egal, wo er arbeitete, ob vor oder hinter der Bühne,<br />

das Gefühl, dass <strong>Theater</strong> etwas mit unserem Leben zu tun<br />

hat.“ Bis heute ist es so, dass jede Ankleiderin das Stück, das sie<br />

betreut, mal im Zuschauerraum gesehen haben sollte. „Da versteht<br />

man dann auch viele Abläufe besser.“ Inszenierungen anderer<br />

Häuser zu sehen oder auch mal in eine Oper zu gehen, dazu<br />

kommen sie wegen der vielen Abenddienste selten. Obwohl<br />

es unter den Ankleiderinnen kaum eine gibt, die sich nicht für<br />

Kultur interessiert.<br />

Nach Moabit<br />

Sabine Reinfeldt führt mich ins Reich der Kostüme. Der Fundus<br />

des Deutschen <strong>Theater</strong>s ist in den letzten Jahren mehrmals umgezogen.<br />

Ursprünglich befand sich ein Großteil der Kostüme außer<br />

Haus, dann wurde der Fundus in der Französischen Straße<br />

aufgelöst und es musste Platz geschaffen werden auf dem<br />

Gelände des Deutschen <strong>Theater</strong>s. Dort sind die Kostüme nun<br />

© Arno Declair


überall verteilt. Unser Rundgang geht treppauf, treppab, aus<br />

dem Haupthaus hinüber in die Kammerspiele, über den Hof und<br />

in Nebengebäude. Der wichtigste Raum ist den laufenden Inszenierungen<br />

vorbehalten. Da hängen die Kostüme nach Stücken<br />

geordnet und dann noch mal in Damen und Herren geteilt. Für jedes<br />

Stück reicht heutzutage meist ein Kostümwagen, der bei Bedarf<br />

über den Lastenaufzug in die Garderoben oder auf die Bühne<br />

gebracht wird. „Früher gab’s viel mehr Kostüme, auch viel mehr<br />

Requisiten und wechselnde Kulissen. Schnelle Umzüge sind selten<br />

geworden. Es wurde dann Mode, mehr Wert aufs Spiel als auf<br />

die Verkleidung zu legen. Das hat sich wirklich im Laufe der Jahre<br />

geändert.“ Die Zeit der Wilms-Intendanz ging als Hemd-und-<br />

Hose-Epoche ins Gedächtnis der Kostümabteilung ein.<br />

Wir besuchen Blusenfundus, Röckefundus, Mantelfundus.<br />

Die Damenblusen sind nach Farben geordnet, es gibt solche<br />

mit Kragen, ohne Kragen, mit Paspeln, mit und ohne Knopfleiste,<br />

tailliert und untailliert, lang und kurz. In einigen Roben des<br />

Kleiderfundus stehen noch die Namen von Schauspielern, die<br />

längst nicht mehr im Ensemble sind. Ich frage mich, wie die Ankleiderinnen<br />

sich da durchfinden. Sabine Reinfeldt meint, alle<br />

Versuche, System in die Fundusentnahmen zu bekommen, hätten<br />

sich als unpraktikabel erwiesen. Aber irgendwie fände man<br />

immer, was man suche. Der Mantelfundus ist ein Sammelsurium<br />

sämtlicher Formen und Schnitte, die sich unter dem Oberbegriff<br />

Mantel versammeln lassen, jede Schnittform ist fein säuberlich<br />

ausgeschildert: Oben: Fräcke, Gehröcke, Pagenjacken, Smoking<br />

weiß; Unten: Bademäntel, Morgenmäntel/Hausmäntel, Smokings<br />

Spitzrevers, Smokings Schalkragen, Smokings hell, Smokings<br />

bunt, Smokings Lurex. Motten? „Haben wir, toitoitoi, noch<br />

nie hier gehabt.“<br />

Zuletzt führt mich Sabine Reinfeldt nach Moabit, ein unscheinbares<br />

Haus auf dem hinteren Gelände des <strong>Theater</strong>s. Die<br />

Halle heißt so, weil die Innenarchitektur stark an das Gefängnis<br />

Moabit erinnert, der Fußboden besteht nur aus Gitterrosten, die<br />

die eine Etage von der anderen trennen. Hier hängen noch die<br />

Kostüme abgespielter Inszenierungen, die ältesten sind vom legendären<br />

Stück ,Der Drache‘ von Jewgenij Schwarz, das 1965,<br />

inszeniert von Benno Besson, am DT Premiere hatte und 500<br />

Vorstellungen lang lief. „Diese Kostüme werden nicht mehr ausgeliehen.<br />

Auch die Plastiken von Eddie Fischer verlassen diesen<br />

Raum nicht mehr. Da passe ich auf, in den letzten Jahren ist<br />

vieles, was bei Proben ausgeliehen wurde, aus Unachtsamkeit<br />

kaputt gegangen.“ Sabine Reinfeldt streicht über die Kostüme<br />

mit den aufwendigen Paspeln, Noppen, stoffbezogenen Knöpfen,<br />

Malereien und Stickereien. „Damals hat man dafür noch viel<br />

Geld und Zeit investiert. Das geht heute gar nicht mehr.“ Von<br />

der Seite schaut uns ein Riesentier aus Pappmaschee an. Die<br />

Schritte hallen auf dem Gitterfußboden. Fünf Meter unter unseren<br />

Füßen sieht man Requisiten und Kulissen stehen.<br />

Als Abteilungsleiterin jongliert Sabine Reinfeld jeden Tag<br />

mit dem Dienstplan. Die zwölf Ankleiderinnen sind für das Deut-<br />

Ortstermin Ortstermin<br />

10<br />

Spielzeit 2010/11<br />

sche <strong>Theater</strong>, die Kammerspiele, die Box und die Bar und sonstige<br />

Außenspielstätten einschließlich der Gastspiele zuständig,<br />

dazu kommen noch der Fundus und die Proben. Das ist manchmal<br />

eine Quadratur des Kreises, vor allem, wenn jemand wegen<br />

Krankheit ausfällt. Für die Dienstpläne gibt es heute Computer.<br />

Wie auch die Kostümbücher heute nur noch mit Sicherheitsnadeln<br />

zusammengehaltene, lose, meist computergeschriebene<br />

Blätter sind. Ich habe damals die Kostümbücher mit ihren vielen<br />

unterschiedlichen Bezeichnungen für Anziehsachen geliebt, da<br />

gab es Kalabreser, Frackhemden mit Chemisette, Bolero, Krinoline,<br />

Gamaschen oder den Satz: „Bei Jugendvorstellungen lässt<br />

Frau Meyer das Negligé an.“<br />

Ankleiderin sein heißt neben Stück- und Probenbetreuung,<br />

Fundusarbeit, Wäsche und Reinigung manchmal Trost, Zuspruch<br />

und viel Spucke vor der Premiere. Es gibt ältere Schauspieler,<br />

die sich nur von bestimmten Kolleginnen anziehen<br />

lassen. Wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Ich erzähle von<br />

meiner ersten Begegnung mit einem Staatsschauspieler, der seine<br />

Hand im Krieg gelassen hatte und behauptete, er könne seine<br />

Hose mit einer Hand nicht zumachen und jeder, aber auch jeder<br />

Ankleider sei ihm bisher behilflich gewesen. Aus Rache habe<br />

ich ihn ein paar Monate später mit einem Schokoladenosterei im<br />

rechten Schuh auf die Bühne geschickt.<br />

„Es hat sich schon ziemlich viel verändert im Verhältnis Ankleider<br />

– Schauspieler. Es gibt ja heute kaum noch Diven. Zu<br />

DDR-Zeiten konnte es dir passieren, dass einer der Stars dir wegen<br />

Nichtigkeiten die Requisitenpistole oder die Hosenträger<br />

hinterhergeworfen hat. Aber damals war auch noch mehr Alko-<br />

Sabine Reinfeldt zeigt den Kostümfundus<br />

hol im Spiel, eigentlich streng verboten, aber ein paar meiner älteren<br />

Kollegen waren in der Beziehung Servicekräfte“, erzählt<br />

Sabine Reinfeldt und ihre Kollegin Bärbel Krepp, die seit 1984 dabei<br />

ist, ergänzt, dass manche Schauspieler einen schon zum Heulen<br />

bringen konnten. „Bei Eberhard Esche habe ich mich anfangs<br />

nicht in die Garderobe getraut. Mein Einstand war bei ,Gothland‘<br />

von Grabbe. Ich dachte damals, länger als 14 Tage halte ich<br />

das nicht aus. Jetzt sind es schon 27 Jahre.“ Dafür gab es vor der<br />

Wende ein größeres Miteinander. Man ging nach der Vorstellung<br />

noch gemeinsam in den Trichter oder die Möwe, heute gehen alle<br />

nach Hause. Die Stars von damals, die noch am Haus sind, sind<br />

heute altersmilde oder waren ohnehin immer verträglich.<br />

Als Ankleiderin braucht man Nerven und Übersicht. Natürlich<br />

passiert es mal, dass einem Schauspieler bei zu heftigem<br />

Einsatz die Hose reißt und schnell genäht werden muss. Da ist<br />

Können, Umsicht und Ruhe gefragt. Und in der Dunkelheit einen<br />

Faden durchs Nadelöhr kriegen können, muss man auch.<br />

Ich erzähle, dass wir Ankleiderinnen immer in Kitteln herumlaufen<br />

mussten, Sabine Reinfeldt lacht: „Das hatten wir auch<br />

mal, Jahre her, da hatte eine Schauspielerin sich beschwert,<br />

dass die Ankleiderinnen zu schick seien. Wir haben dann aus<br />

Gnatz mal eine Woche Dederonkittel getragen. Da haben sich<br />

dann alle beschwert. Seitdem ist Ruhe, was das angeht.“<br />

Im Deutschen <strong>Theater</strong> gibt es keine geteilten Dienste. „Das<br />

würde keiner aushalten“, sagt Sabine Reinfeldt. Es gibt Früh-<br />

und Zwischendienst und es gibt Spätdienst. Zwischen Spät- und<br />

Frühdienst müssen elf Stunden Ruhezeit liegen. Und im Gegensatz<br />

zu damals kommt man mit dem Gehalt gut über die Runden.<br />

© Arno Declair<br />

11<br />

Spielzeit 2010/11<br />

In Magdeburg musste ich mit der Straßenbahn die Kleider<br />

vier Haltestellen zur Reinigung fahren. Manchmal waren es Reifröcke<br />

oder Barockkostüme, die nicht in Folie verpackt waren. Mit<br />

Eis oder Ketchup verkleckert, und ich konnte gleich wieder umkehren.<br />

Heute gibt es Autos für den Transport oder die beliebten<br />

Stofftaschen mit Reißverschluss, politisch inkorrekt wahlweise<br />

Russenkoffer oder Polentaschen genannt. Sie sind billig<br />

und praktisch. Denn die Probenkostüme müssen über den Vorplatz<br />

des <strong>Theater</strong>s bis in die Probebühne an der Reinhardtstraße<br />

transportiert werden. Besonders aufwändig sind die Gastspiele.<br />

Egal, wo man ist, ob in Mexiko, Tokio oder München, die Kreide<br />

muss aus den Homburgkostümen, das Blut aus denen der ,Orestie‘<br />

und die blaue Farbe bei den ,Webern‘ ist auch in Moskau am<br />

nächsten Tag noch blau.<br />

Sommernachtstraum von hinten<br />

,Ein Sommernachtstraum‘, das alte Shakespearesche Spiel von<br />

nüchterner und rauschhafter Liebe, von Verwandlung und Rückverwandlung,<br />

fließenden Grenzen zwischen Sinnlichem und<br />

Übersinnlichem ist schon oft und in den verschiedensten Varianten<br />

am Deutschen <strong>Theater</strong> gespielt worden, zuletzt 2007, von<br />

Jürgen Gosch inszeniert. Seit September 2010 gibt es eine neue<br />

Inszenierung von Andreas Kriegenburg. Vier Ankleiderinnen<br />

begleiten 13 Schauspieler und 16 Statisten durch den Abend,<br />

zwei für Herren und zwei für Damen.<br />

Das Kostümbuch der Herrengarderobe hält fest, was an<br />

Kleidung in der jeweiligen Garderobe zu liegen hat, bevor die<br />

Vorstellung beginnt. „Lagerpusch, Ole, Garderobe 204, kommt<br />

ca. 60 Minuten vor Beginn der Vorstellung. Sakko, Zweireiher,<br />

schwarz; Hose schwarz, Bügelfalte; Shorts, schwarz; Badeschlappen;<br />

Pose, Jörg, Garderobe 205, kommt ca. 30 Minuten<br />

vor Beginn der Vorstellung. Anzug, sandfarben; Hemd, hellblau,<br />

gemustert; Socken, hellgrau; Schuhe hellbraun; Hoevels, Daniel,<br />

Garderobe 208, kommt ca. 45 Minuten vor Beginn der Vorstellung.<br />

Sakko, Zweireiher, schwarz; Hose, schwarz, Bügelfalte;<br />

Shorts, schwarz; Badeschlappen; Moss, Bernd, Garderobe<br />

209, kommt ca. 30 Minuten vor Beginn der Vorstellung. Anzug,<br />

cremeweiß; Hemd, cognacfarben; Schlüpfer, weiß; Socken, wollweiß;<br />

Schuhe, hellbraun; zwei Augenbinden; hell, Organza; Müller-Elmau,<br />

Markwart, Garderobe 212, kommt ca. 30 Minuten vor<br />

Beginn der Vorstellung. Arbeiter: Blaumann mit Ledergürtel<br />

und Tasche; Arbeitsstiefel, schwarz, alt, Schlüpfer, hautfarben.<br />

Privat: Karosakko, rotbraun; H. v. Eden; Pullunder, braun-beige,<br />

gemustert; Hemd, schwarz, Karohose, beigebraun. Statisten,<br />

Garderobe 206, kommen ca. 30 Minuten vor Beginn der Vorstellung.<br />

4x Anzug, hell; Hemd, weiß; Socken, hell; Schlüpfer, weiß;<br />

Schuhe hellbraun.“<br />

Bärbel Krepp und Zindree Luber sind in diesem Stück für die<br />

Herren zuständig. Vor der Vorstellung richten sie die Kostüme<br />

auf der Bühne ein. Die Gehstöcke von Oberon und Puck (die zum<br />

Kostüm und nicht zur Requisite gehören) werden neben Requi-


dt-Magazin - Ausgabe 4<br />

„Moabit“ wird der Teil des Kostümfundus genannt,<br />

Declair<br />

in dem die Kostüme abgespielter Stücke aufbewahrt werden.<br />

Arno<br />

Durch ein Gitter schaut man auf die darunterliegende Etage. ©<br />

12<br />

Spielzeit 2010/11<br />

© Arno Declair<br />

siteneingang und Glasgang abgelegt, auf die Seitenbühne der<br />

Inspizientenseite wird der schwarze Bademantel von Müller-Elmau<br />

an den Paravent bei der Requisiten-Bühne gehängt, an die<br />

Seitenbühne hinten am Klavierzimmer kommen die Sachen, die<br />

er als Pyramus trägt. Im Kostümbuch heißt es: „Pyramus: Leinenhemd,<br />

historisch, hell, bearbeitet; Hanf-Brusthaar, Strumpfhosen,<br />

Hemdchen (Bastelanleitung siehe Foto), Strumpfhose<br />

mit Pimmel, Bademantel (Wärme).“ Ebenfalls an der Seitenbühne<br />

werden auf vier Stühlen die Kostüme abgelegt, in die die Statisten<br />

später schlüpfen werden, um Bäume zu spielen: „4x Anzug,<br />

schwarz; Hemd, hell, präpariert für den schnellen Umzug<br />

mit angeknüpfter Krawatte; Schuhe, schwarz.“<br />

Das Stück beginnt, die Inspizientin weist mit ruhiger Stimme<br />

Spieler und Gewerke ein. Die Ankleiderinnen warten in ihrem<br />

Aufenthaltsraum auf den ersten schnellen Umzug. Von dort<br />

kann man in den Glaswürfel der Heinrich-Böll-Stiftung auf der<br />

anderen Straßenseite schauen. Eben hat dort im großen Saal ein<br />

stummes Powerpoint-<strong>Theater</strong> angefangen. Eine Frau stellt Tortengrafiken<br />

vor. Der Saal ist voll. Oft dauert die Vorstellung dort<br />

so lange wie die Aufführung im eigenen Haus. „Letzte Woche<br />

haben wir Gehirne gesehen“, sagt Zindree Luber und kocht einen<br />

Tee. Nach zehn Minuten werden Luber und Krepp an die<br />

Bühne gerufen, wird aus dem Arbeiter Zettel der Pyramus. Ich<br />

erinnere mich, dass ich es immer mehr gemocht habe, wenn etwas<br />

los war hinter der Bühne, denn die Zeit vergeht nur langsam<br />

in den Aufenthaltsräumen, in dieser halben Anspannung, dass<br />

man auch ja keinen Einsatz vergisst. Wir klönen. Für kurze Zeit<br />

gesellt sich die Herrenankleiderin der Kammer hinzu. Zwischendrin<br />

kommt Oberon und fragt nach einem Pfefferminzbonbon<br />

und bekommt es. Kopfschmerztabletten zu verteilen, ist streng<br />

verboten. Dafür gibt es den <strong>Theater</strong>arzt. Ich frage nach den Vorstellungen,<br />

wo am meisten herumgematscht wird, und die Frauen<br />

stellen eine Top seven der Ankleiderschrecken zusammen: 1.<br />

,Die Nibelungen‘: Blut und schwarzer Schnee, 2. ,Orestie‘: noch<br />

mehr Blut, 3. ,Die Weber‘: indigofarbene Heilerde, 4. ,Prinz Friedrich<br />

von Homburg‘: viel Wasser und viel weiße Schminke, 5. ,Ein<br />

Sommernachtstraum‘: schwarze Plastefetzen und Creme, 6.<br />

,Othello‘: Mohrenköpfe, 7. ,Alle meine Söhne‘: Grasflecken. Das<br />

heißt, dass nach der Vorstellung die Kostüme noch eingeweicht<br />

werden müssen. Nicht alles geht wieder raus. „,Die Nibelungen‘<br />

werden immer rosaner“, sagt Zindree Luber, und das, finde ich,<br />

ist ein schöner Satz.<br />

Kompliziert wird es noch mal, als Titania fliegen muss. Die<br />

gehört als Schauspielerin zwar der Damenabteilung, aber sie<br />

Ortstermin<br />

13<br />

Spielzeit 2010/11<br />

wird an vielen durchsichtigen Schnüren aufgehängt, die nicht<br />

durcheinandergeraten dürfen. Da müssen alle mithelfen. So<br />

hängt sie dann wie in die Luft gepustet, viele Minuten lang. In<br />

der Pause werden aus den jungen Partygästen Bäume. Obwohl<br />

die Baummasken ihre Augen verdecken, können sie sich selbst<br />

die Hosen anziehen, bei den Hemden wird ihnen geholfen. Für<br />

zehn Minuten später ist ein sehr schneller Umzug im Kostümbuch<br />

vermerkt. Aus Pyramus wird ein Esel. Es ist ein kompliziertes<br />

Kostüm, das mit Gummis verschnürt wird. Zwei Ankleiderinnen<br />

und zwei Requisiteure haben zu tun. Bald werden aus<br />

den Bäumen wieder Partygäste und die Ankleiderinnen müssen<br />

jetzt öfter die zwei Etagen zwischen Aufenthaltsraum und Bühne<br />

hin- und hereilen, denn auch Titania hört auf zu fliegen: Geradeaus,<br />

den Gang entlang, scharf rechts, scharf links, scharf<br />

rechts, Treppe rechts, links, Feuertür, Bühne. An der Seite sitzt<br />

Müller-Elmau in seinem schwarzen Bademantel, der das Gemächt<br />

des Esels verdeckt. Bis nach 30 Minuten in einem schnellen<br />

Umzug aus dem Esel wieder ein Arbeiter wird. Vorher gibt<br />

es einen kleinen Zwischenfall. Bei seinem Monolog atmet Markwart<br />

Müller-Elmau ein Fitzelchen der grauen Plasteflocken ein,<br />

die auf Körpern und Bühne verteilt sind. Er droht zu ersticken.<br />

Ohne Hektik wird Wasser geholt und der Schauspieler hustet<br />

sich am Bühnenrand die Requisite aus der Lunge. Dann ist<br />

die Vorstellung auch schon vorbei. Der Beifall ist ein gedämpftes<br />

Geräusch. Die Bühne wird abgeräumt, die Garderoben aufgeräumt,<br />

die Kleider auf den Kostümwagen gehängt, auf Vollzähligkeit<br />

überprüft, die weißen Hemden in die Wäsche getan.<br />

„Anzug mit Spüli vorbehandeln, Kragen mit destilliertem Wasser<br />

ausbürsten, Sakkos mit destilliertem Wasser reinigen + evtl.<br />

Kurzprogramm + kalt waschen“ steht im Kostümbuch als letzte<br />

Anweisung. Dann hat auch der letzte Schauspieler geduscht.<br />

Im Monitor ist eine leere Bühne zu sehen. Die Vorstellung<br />

ist beendet, sagt die Inspizientin, und Bärbel Krepp erzählt mir<br />

ihren immer wiederkehrenden Traum: „Ich bin im Lastenfahrstuhl<br />

des <strong>Theater</strong>s und fahre nach unten. Landschaften ziehen<br />

an mir vorbei. Aber ich komme nie an. Die Tür des Fahrstuhls öffnet<br />

sich nicht und ich verpasse den schnellen Umzug.“<br />

Annett Gröschner ist Schriftstellerin, <strong>Theater</strong>autorin und Journalistin. Der<br />

Titel ihres Buches ,Parzelle Paradies. Berliner Geschichten‘ gab dem Auftaktspektakel<br />

der Spielzeit 2010/2011 den Titel. Im Sommer erscheint der<br />

Berlin-Roman ,Walpurgistag‘ bei der Deutschen Verlagsanstalt in München.


Über Leben<br />

Setz’ mich als Segel<br />

auf dein Herz<br />

Judith Herzberg erzählt in ihrem Familienepos ‚Über Leben‘ von 1972 bis 1998<br />

über drei Generationen von einer jüdischen Familie in Holland,<br />

die mit der Erinnerung an den Holocaust lebt. Zum ersten Mal werden<br />

die drei <strong>Theater</strong>stücke ,Leas Hochzeit‘, ,Heftgarn‘ und ,Simon‘ an einem Abend gezeigt<br />

und die Autorin damit in Berlin vorgestellt. Regie führt Stephan Kimmig.<br />

Die Vergangenheit ist immer neu. Sie verändert sich dauernd,<br />

wie das Leben fortschreitet. Teile von ihr, die in Vergessenheit<br />

gesunken schienen, tauchen wieder auf, andere wiederum versinken,<br />

weil sie weniger wichtig sind. Die Gegenwart dirigiert die<br />

Vergangenheit wie die Mitglieder eines Orchesters. Italo Svevo<br />

Vergangenheit – Erinnerung<br />

Irgendwann, als das Wort „Dunkelheit“ fällt, erzählt Riet, eine<br />

Figur aus ‚Über Leben‘, von einem französischen Film, der<br />

sie tief beeindruckt hat und an den sie bei diesem Wort denken<br />

muss. Es ist ein Film über eine Verwechslung: Ein Mann wird<br />

für einen Juden gehalten, verfolgt und schließlich abtransportiert.<br />

„Und er war überhaupt kein Jude, er war völlig unschuldig“,<br />

schließt Riet ihre Rede. Ihr Gegenüber Simon kommentiert<br />

diesen Fauxpas mit dem Satz: „Riet hat ein Herz aus Gold.“ Jemand<br />

tritt in einen Fettnapf und merkt es noch nicht einmal. Die<br />

Nicht-Jüdin Riet war während des Krieges die Ziehmutter für Simons<br />

Tochter Lea, hat sie vor der Deportation gerettet und kann<br />

fortan von „ihrem“ Kind nicht mehr lassen. Simon ist dieser Frau<br />

viel schuldig, nennt sie eine Heldin und leidet unter Leas Vorwurf,<br />

er und seine Frau Ada hätten sie als kleines Kind allein gelassen,<br />

einer Fremden übergeben, statt sie mitzunehmen nach<br />

Auschwitz. Lea liebt Riet, sie liebt Ada und Simon und kann es<br />

doch nicht lassen, in deren Wunden zu bohren, die Vergangenheit<br />

zu beschwören und ihre Eltern immer wieder an die fürchterliche<br />

Geschichte zu erinnern.<br />

14<br />

Spielzeit 2010/11<br />

Die kleine Episode um den „unschuldig verschleppten Juden“,<br />

die sich auf Joseph Loseys Film ,Monsieur Klein‘ bezieht,<br />

ist kennzeichnend für Judith Herzbergs Schreibstil. Die Autorin,<br />

deren Stück ‚Leas Hochzeit‘ – der erste Teil der Trilogie – allein<br />

rund 100 Szenen zählt, eröffnet mit wenigen Repliken, die<br />

manchmal harmlos und alltäglich, manchmal überraschend<br />

und provokativ daherkommen, einen Bedeutungshorizont,<br />

der schwer zu überblicken ist. Jemand erinnert sich an etwas,<br />

bruchstückhaft, erzählt davon, missverständlich – und trotzdem<br />

versteht das Gegenüber mehr als nur die Oberfläche, deutet das<br />

Gesagte und antwortet mit einem Kommentar, der wiederum etwas<br />

über ihn erzählt.<br />

Es sind Bruchstücke aus dem Leben und der Geschichte einer<br />

traumatisierten Gesellschaft, die in den drei Stücken zu einer<br />

erstaunlichen Familiengeschichte zusammengesetzt werden.<br />

Judith Herzberg spielt dabei mit dem Thema „Erinnerung“.<br />

Wir können in ihren Stücken erleben, wie die Erinnerungen sich<br />

in den unmöglichsten Momenten in die Leben der Menschen<br />

drängen, ungewollt und unpassend, aber auch, wie sie sich<br />

nicht einstellen, wenn man sie gerne vor Augen hätte.<br />

Es entsteht das Bild einer Gemeinschaft, deren Mitglieder<br />

durch das Unfassbare des Holocaust miteinander verbunden<br />

sind. Herzberg spaltet dieses „Wir“ für das <strong>Theater</strong> klug in viele<br />

Individuen auf. Deren Erinnerungen kommunizieren miteinander<br />

und beeinflussen sich gegenseitig. Wenn Simon mit Dory<br />

über seine Begegnung mit ihrem Vater im KZ spricht, verändern<br />

© Arno Declair<br />

sich seine Erinnerungen, sie werden geweckt, korrigiert und<br />

auch getilgt. Auch Dory entwickelt ein neues Bild ihres Vaters,<br />

an den sie sich kaum mehr erinnern kann. Durch das Aussprechen,<br />

durch das Verschweigen, dadurch, dass sich ein Mensch<br />

an bestimmte Dinge erinnern will und an andere nicht, wird für<br />

die Beteiligten und die Nachfolgenden die Vergangenheit andauernd<br />

neu gebildet. Erinnerungen werden durch das Miteinander-Sprechen<br />

vielleicht öfter als man denkt in dem Moment<br />

erfunden, in dem sie gebraucht werden. So wird die Vergangenheit<br />

durch das Gespräch veränderbar.<br />

Die Veränderbarkeit von Erinnerung zeigt Judith Herzberg<br />

als einen Prozess, der niemals abgeschlossen sein wird und der<br />

auch auf die nachfolgenden Generationen, die sich direkt gar<br />

nicht erinnern können, einwirkt. Was sich theoretisch anhört,<br />

findet bei ihr charmant und leicht statt: Gesprächsfetzen werden<br />

aneinandergeheftet, alltägliche, manchmal erschreckende<br />

Sätze fallen, Figuren werden in wechselnden Konstellationen<br />

in unterschiedlichen Stimmungen gezeigt, so dass ein Bild einer<br />

Gesellschaft entsteht, zu dessen Entschlüsselung jeder Zuschauer<br />

selbst aufgerufen ist.<br />

„Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja, trotz allem. Aber sie musste<br />

nun hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten,<br />

hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen<br />

durch die tausend Finsternisse todbringender Rede. Sie ging<br />

Judith Herzberg<br />

15<br />

Spielzeit 2010/11<br />

hindurch und gab keine Worte her für das, was geschah, aber sie<br />

ging hindurch. Ging hindurch und durfte wieder zutage treten,<br />

‚angereichert‘ von all dem.“ Wolfgang Emmerich<br />

Gegenwart – Leben<br />

Judith Herzbergs Stücke spielen alle im Hier und Jetzt. Ihre Figuren<br />

sind heutig und voller Leben. Die 1934 in Amsterdam geborene<br />

Autorin, die während der deutschen Besatzung der Niederlande<br />

in Verstecken bei verschiedenen Familien lebte und<br />

deren Eltern die Deportation nach Bergen-Belsen überlebten,<br />

gehört nicht zu denen, die versuchen den Holocaust zu beschreiben.<br />

Er ist für sie nicht „verstehbar“, nicht „darstellbar“ oder<br />

gar „nachvollziehbar“. Sie interessieren die Narben, die er bis<br />

heute hinterlässt, und so bildet er in ihren Stücken die unsichtbare<br />

Folie, auf der sich alle Figuren bewegen. Akribisch zeigt Judith<br />

Herzberg seine Spuren in den Menschen auf: Labilität, Aggressivität,<br />

Unsicherheit gehören ebenso dazu wie Lebenslust<br />

und Freiheitsstreben. Ihre Figuren wehren sich, jede auf ihre<br />

Art, gegen einen andauernden Opferstatus, sie wollen sich davon<br />

befreien und die Grenzen, die sie von anderen trennen, verwischen<br />

und unwichtig werden lassen. In einem Interview anlässlich<br />

der Inszenierung von ‚Leas Hochzeit‘ und ‚Heftgarn‘ am<br />

Stuttgarter Staatstheater sagte sie auf die Frage, welche Bedeutung<br />

es hätte, dass es in ihren Stücken um Juden ginge: „Erst<br />

einmal sind es <strong>Theater</strong>stücke über Holländer. Manche sind Juden,<br />

manche nicht, aber für alle gilt, dass die Geschichte noch


Christian Grashof, Maren Eggert, Susanne Wolff<br />

und Paul Schröder in ,Über Leben‘<br />

© Arno Declair<br />

nicht ganz vorbei ist. Wenn man immer betont, dass es jüdische<br />

Stücke sind, dann reduziert man sie auf diesen Aspekt. … Ich<br />

denke, wenn das nicht aufhört, dann hat Hitler irgendwie doch<br />

noch gewonnen.“<br />

Wenn Leas Mutter Ada nach ihrem Tod weiterhin die Bühne<br />

betritt, erzählt uns das auf eine denkbar leichte und fast befreiende<br />

Weise: Der Tod kann dieser bewundernswert gutmütigen<br />

Frau nichts anhaben, wer das KZ überlebt hat, dem kann<br />

nichts mehr etwas anhaben. „Ich habe immer gesagt, dass ich<br />

eines natürlichen Todes gestorben bin – Herzklappe“ sagt Ada<br />

zu ihrer Tochter. Ein später Triumph über die Nazis. Judith Herzberg<br />

verleiht ihren Figuren Lebenskraft und Autonomie und die<br />

Tatsache, dass sie über ihre Familiengeschichte sagt, sie könnte<br />

sie immer weiter und weiter schreiben, verströmt Optimismus.<br />

So spielen Kinder und Kindeskinder eine wichtige Rolle in<br />

‚Über Leben‘. Und mit dem dritten Teil betritt eine Generation<br />

die Bühne, die den Holocaust nur noch aus Erzählungen kennt,<br />

ihn aber trotzdem wie ihre Großeltern und Eltern als Trauma erfährt.<br />

Laut Aleida Assmann besteht eine Erinnerungsgemeinschaft<br />

meist aus drei Generationen und umfasst 80 –100 Jahre.<br />

Innerhalb dieses Zeitraums lassen sich Erinnerungen noch persönlich<br />

weitergeben. In ‚Über Leben‘ ist es aber gerade die älteste<br />

Generation, die sich gar nicht erinnern will, zu sehr ist ihre<br />

schreckliche Vergangenheit ihnen gegenwärtig. Die folgende<br />

Generation, deren Mitglieder zu Zeiten des Holocaust noch Kinder<br />

waren, will dagegen fast zwanghaft über das Erinnerte und<br />

Vergessene sprechen. Deren Kinder schließlich, die um 1970/80<br />

Geborenen, haben keine persönliche Erinnerung mehr an das<br />

die Familie prägende Geschehen – sie fühlen sich ausgeschlossen,<br />

wie amputiert, können nicht mitreden. Auch wenn das kollektive<br />

und kulturelle Gedächtnis funktioniert, haben sie den<br />

Eindruck fremd zu sein. Ihre Identität wird durch etwas geprägt,<br />

das nicht zum Erlebten, nicht zur persönlichen Erinnerung gehört<br />

und sie sind angewiesen auf das Gespräch mit den „Alten“.<br />

Und wenn gegen Schluss der Trilogie deutlich wird, dass die<br />

„Alten“ irgendwann sterben werden, stellt sich endgültig die<br />

Frage, wie es weitergeht, wenn die direkten Zeugen nicht mehr<br />

leben. Wie sieht die Erinnerung in Zukunft aus? Welche Qualität<br />

erhält sie? Was ist mit der Gefahr der Verflachung, der Trivialisierung?<br />

Es ist schließlich die Darstellung des Nicht-Darstellbaren<br />

– und nicht dessen reale Gestalt, auf die wir heute reagieren.<br />

Wie also wird in Zukunft das Nicht-Darstellbare dargestellt?<br />

Der Vorwurf der Geschmacklosigkeit liegt schnell in der<br />

Luft, wenn es um den Holocaust geht. 2009 wurde ein Video auf<br />

YouTube, das in Auschwitz spielt, innerhalb weniger Tage eine<br />

halbe Million Mal angeklickt. Jane Korman, eine australische Aktionskünstlerin,<br />

tanzt mit ihrem Vater Adolek und ihren Kindern<br />

Judith Herzberg<br />

17<br />

Spielzeit 2010/11<br />

im Konzentrationslager zu Gloria Gaynors ,I Will Survive‘. Dort,<br />

wo ihre Eltern schon einmal waren: als deportierte Juden. Adolek<br />

trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Survivor“, er steht vor<br />

einem der Öfen, in denen die Leichen verbrannt wurden, und<br />

macht das Victory-Zeichen. Ganz zum Schluss sagt er: „Wenn<br />

mir damals jemand gesagt hätte, dass ich 63 Jahre später mit<br />

meinen Enkeln herkommen würde, hätte ich geantwortet: Worüber<br />

redest du? Und da sind wir. Das ist ein historischer Moment.“<br />

Mit seinen Enkeln dort zu tanzen, wo seine Mutter ermordet<br />

wurde, ist der größte Triumph seines Lebens. „Seitdem<br />

bin ich kein Opfer mehr, ich habe überlebt, ich habe gewonnen.“<br />

Dem Video wurde der Vorwurf des Tabubruchs, der Provokation<br />

gemacht, was in gewisser Weise sicher auch gewollt war. Es<br />

ist aber ein streitbarer Beitrag zur Holocaust-Diskussion, der gemeinsam<br />

mit einem der letzten „Survivors“ entstanden ist.<br />

Die Dramen Judith Herzbergs sind geprägt durch Humor<br />

und Leichtigkeit – bei dem Thema überrascht und provoziert<br />

auch das manche Zuschauer. Man sucht in ihnen vergebens<br />

nach kitschigen oder klischierten Momenten, viel zu sehr hält<br />

die Autorin Distanz zu den gängigen Bildern, die den Gegenstand<br />

des Holocaust prägen. Sie glaubt nicht an die Vermittelbarkeit<br />

dessen, was damals geschah, – dafür aber um so mehr an<br />

die Utopie der Sprache. Und wenn sie gegen Schluss der Trilogie<br />

den 25-jährigen Chaim der 26-jährigen Xandra seine Liebe gestehen<br />

lässt und er dies mithilfe des ‚Hohelieds‘ tut:<br />

Setz mich als ein Segel auf dein Herz<br />

Als ein Segel auf deinen Arm<br />

denn die Liebe ist stärker als der Tod<br />

und der Neid härter als das Grab.<br />

… so ist dies mehr als ein zarter optimistischer Blick in die Zukunft.<br />

Es ist einfach nur schön. Sonja Anders<br />

Über Leben<br />

Trilogie von Judith Herzberg<br />

Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Anja Rabes,<br />

Musik: Michael Verhovec, Dramaturgie: Sonja Anders<br />

Es spielen: Meike Droste, Maren Eggert, Claudia Eisinger,<br />

Michael Gerber, Christian Grashof, Johanna Griebel,<br />

Moritz Grove, Daniel Hoevels, Peter Moltzen, Markwart<br />

Müller-Elmau, Jörg Pose, Christine Schorn, Paul Schröder, Simone<br />

von Zglinicki, Anita Vulesica, Susanne Wolff, Almut Zilcher<br />

Premiere: 8. April 2011, <strong>Deutsches</strong> <strong>Theater</strong>


Kleinbürger<br />

Mit dem Kopf fühlen und dem Herzen denken<br />

Das erste Mal begegnete ich Jette Steckel in<br />

Hamburg, irgendwann im Frühsommer 2006.<br />

Im Rahmen ihres Regiestudiums an der Hamburger<br />

<strong>Theater</strong>akademie hatte sie die Aufgabe,<br />

eine Tschechow-Szene zu inszenieren,<br />

und das Ergebnis mit dem Titel ‚Das<br />

Leben ist das Leben, wie eine Mohrrübe eine<br />

Mohrrübe ist’ feierte an diesem Abend Premiere.<br />

Eine Gruppe von Schauspielstudenten<br />

kam auf die Bühne – kein Bühnenbild,<br />

keine Kostüme – und es folgte ein Parforceritt<br />

durch Tschechows Stücke. Wütend, ratlos<br />

und voller Energie fegten die Schauspieler<br />

über die nackte Bühne und die Bedenken<br />

beiseite, dass aus einem potentiell langweiligen<br />

Tschechow-Szenenstudium nicht ein<br />

mitreißender, kluger Tschechow-Diskurs<br />

werden könnte. Diese Textcollage durchlief<br />

alle Höhen und Tiefen einer verzweifelt-komischen<br />

Sinnsuche, in der ich mich mehr wiederfand,<br />

als in vielen <strong>Theater</strong>abenden, die<br />

ich bis dahin gesehen hatte. Am Ende dieses<br />

Abends stürmte eine hoch gewachsene<br />

junge Frau mit kurzen Haaren auf die Bühne,<br />

um am Schlussbild mitzuarbeiten, dem „gemeinsamen<br />

Arbeiten am Verständnis der eigenen<br />

Existenz“: Aus Buchstaben, die auf<br />

einem Projektor lagen, formten sich an die<br />

Wand geworfene Fragen und Sätze, die mit<br />

gesellschaftlicher An- und Überforderung zu<br />

tun haben. „Was für ein Selbstbewusstsein“,<br />

flüsterte mir meine Kollegin Sonja Anders zu<br />

– ohne zu wissen, dass diesem ganzen Tschechow-Unterfangen<br />

größte Zweifel vorausgegangen<br />

waren.<br />

Jette Steckel ist ein <strong>Theater</strong>kind. Als<br />

Tochter des Regisseurs, Übersetzers und ehe-<br />

maligen Intendanten des Bochumer Schauspielhauses<br />

Frank-Patrick Steckel und der<br />

Bühnen- und Kostümbildnerin Susanne Raschig<br />

waren die Bühne, die Kantine, die Garderoben<br />

des Bochumer <strong>Theater</strong>s ihr ‚Elternhaus’,<br />

die Mitarbeiter ihre Familie. Nach dem<br />

Abitur in Berlin stand für sie schnell fest,<br />

dass es für sie keine Alternative zum Thea -<br />

ter gibt, dass ‚Arbeit’ <strong>Theater</strong> bedeutet. An -<br />

Jette Steckel inszeniert Maxim Gorkis ‚Kleinbürger’.<br />

Ein Portrait der Regisseurin von Anika Steinhoff<br />

genommen an drei Regieschulen, entschied<br />

sie sich für die Hamburger <strong>Theater</strong>akademie.<br />

An dem Punkt im Studium, als das Tschechow-Szenenstudium<br />

vorgegeben war, hatte<br />

sie das Gefühl, ihren eigenen Weg zwischen<br />

den ihr bekannten Wegen nicht finden zu<br />

können, nicht weiter zu wissen und nichts erzählen<br />

zu können. „Ich habe mich damals wie<br />

eine Puppe gefühlt, die Dinge nur wiederverwertet“,<br />

sagt sie rückblickend. Aus diesem<br />

Gefühl des Zweifels heraus kam der Impuls,<br />

quer durch alle Tschechow-Stücke zu lesen,<br />

um darin etwas zu finden, was sie selbst umtreibt.<br />

Der Utopie der Tschechowschen Figuren,<br />

dass in hundert Jahren alles besser<br />

wird, stellte sie unsere Gedanken- und Lebenswelt<br />

entgegen, suchte die Schnittstellen<br />

und emotionalen Identifikationspunkte,<br />

ohne die sie nicht arbeiten kann. Der Tschechow-Abend<br />

löste einen Hype um ihre Person<br />

aus, der ihr vor allem unheimlich war.<br />

Ulrich Khuon, damals noch Intendant des<br />

Thalia <strong>Theater</strong>s, bot ihr eine Inszenierung an:<br />

‚Nachtblind‘ von Darja Stocker. Unsere erste<br />

gemeinsame Arbeit, die Vorbereitungen begannen<br />

im Sommer 2006. In vielerlei Hinsicht<br />

entpuppte sich ‚Nachtblind’ als Glücksfall.<br />

Es wird nicht nur eine von Jette Steckels formal<br />

stärksten wie emotional intensivsten Inszenierungen,<br />

für die sie unter anderem zur<br />

„Nachwuchsregisseurin des Jahres 2007“<br />

gekürt wurde, sondern (und das erscheint<br />

fast noch wichtiger) es findet sich eine Gruppe<br />

von Menschen, die zu einer sich gegenseitig<br />

stärkenden und inspirierenden <strong>Theater</strong>familie<br />

zusammenwächst. Für ‚Nachtblind‘<br />

bringt Jette Steckel den Bühnenbildner Florian<br />

Lösche und die Kostümbildnerin Pauline<br />

Hüners von der <strong>Theater</strong>akademie mit, an der<br />

zu diesem Zeitpunkt alle drei noch studieren.<br />

Und das Vier-Personen Stück wird neben Anna<br />

Steffens und dem Gast Patrick Güldenberg<br />

mit zwei jungen Schauspielern besetzt,<br />

die gerade neu ans Thalia engagiert worden<br />

waren – Ole Lagerpusch und Lisa Hagmeister.<br />

Zu Beginn des Stücks lässt sie Lisa und<br />

18<br />

Spielzeit 2010/11<br />

Ole improvisieren, fünf manchmal zehn Minuten<br />

lang – diese Freiheit hat viel mit dem<br />

unbedingten Vertrauen zu tun, das sie in die<br />

Schauspieler setzt, und erzählt etwas von ihrer<br />

Freude über die Momente, wo die Grenzen<br />

zwischen echter Intimität und Privatheit<br />

mit der Realität des Stücks, der Bühne verschwimmen.<br />

Die zweite Arbeitsbegegnung folgte ein<br />

Jahr später, im Herbst 2007. In der Zwischenzeit<br />

hatte Jette Steckel ihr Diplom gemacht<br />

– ‚Die Gerechten’ von Albert Camus. Geprägt<br />

von der erfüllenden Erfahrung, an einem<br />

für sie wirklich politisch relevanten Text<br />

gearbeitet zu haben, suchten wir nach einem<br />

Stück, das diesem Anspruch Rechnung<br />

trägt – und entschieden uns für ‚Gerettet’<br />

von Edward Bond. In 13 Bildern stellt Bond<br />

schmerzhaft direkt und ungeschönt die Frage<br />

nach den Folgen einer inhumanen Gesellschaftsordnung.<br />

Die Abwesenheit von Mitgefühl<br />

und Kommunikation, die Einsamkeit<br />

der Figuren und die dahinter stehenden politischen<br />

und ökonomischen Verhältnisse –<br />

wie finden wir dafür eine Form, einen Umgang?<br />

Wie inszeniert man ein Milieustück,<br />

ohne Gefahr zu laufen, von etwas zu erzählen,<br />

von dem man selbst keine Ahnung hat<br />

und aus einer elitären <strong>Theater</strong>perspektive<br />

auf Zustände blickt, die uns bestenfalls als<br />

‚Bild‘-Schlagzeile begegnen? Indem man mit<br />

dieser Distanz so offen wie möglich umgeht<br />

und gleichzeitig versucht zu vermitteln, dass<br />

wir alle Teil dessen sind, was da auf der Bühne<br />

passiert? So beginnt die Inszenierung, indem<br />

die Figur des Len, gespielt von Ole Lagerpusch,<br />

den Abstand misst zwischen uns,<br />

dem Publikum und dem Bühnenrand – 4,47m.<br />

Der Tristesse des Stücks versuchte Jette<br />

Steckel in ihrer Inszenierung keine Farben<br />

hinzuzufügen. Diese „Versuchsanordnung<br />

des Grauens“ erforderte Mut, eine große<br />

Ernsthaftigkeit und den Verzicht auf alles,<br />

was es weniger sperrig und gefälliger machen<br />

könnte.<br />

In ‚Gerettet’ riskieren die Spieler viel für<br />

sie, was Nacktheit, Töne, Verkrüppelungen,<br />

Kargheit und Ausuferungen betrifft, auch<br />

das zeigt, wie sehr die Schauspieler und sie<br />

sich schon in dieser zweiten Arbeit aufeinander<br />

eingeschworen hatten.<br />

Im Herbst 2008 begannen die Proben zu<br />

unserer dritten Arbeit: ‚Die neuen Leiden des<br />

jungen W.’ von Ulrich Plenzdorf. Unsere Textfassung<br />

legte das Augenmerk weit mehr auf<br />

die originalen Goethe-Texte als Plenzdorf<br />

es in seiner Adaption des Stoffes getan hatte<br />

und enthob Edgar Wibeau der DDR und<br />

den 70er Jahren. Es sollte die Geschichte einer<br />

rührend-naiven Rebellion von heute erzählt<br />

werden, wo die alten Feindbilder nicht<br />

mehr existieren, wo es bestenfalls ein allgemein<br />

gehaltenes Unbehagen gibt, das man<br />

oft noch nicht mal formulieren kann. Wo sich<br />

trotzdem die Frage nach dem noch verträglichen<br />

Grad von Anpassung und dem Aufgeben<br />

von Träumen und Freiheit stellt.<br />

In dieser Arbeit verband sich vieles von<br />

dem, was für Jette Steckel und ihre Arbeit<br />

bezeichnend ist: die Balance zwischen Handwerk<br />

und dem Ausprobieren von neuen ästhetischen<br />

Wegen, Rhythmen und Lautstärken,<br />

ihr virtuoser Umgang mit Musik und<br />

Videoprojektionen, ihr Humor, die extrem<br />

spielerische Begegnung mit der Bühne, der<br />

entspannte und offene Umgang mit „ihren“<br />

Schauspielern.<br />

Seltsam reif und wenig naiv hat Jette<br />

Steckel auf viele von Anfang an gewirkt, ihr<br />

Umgang mit den Mitteln des <strong>Theater</strong>s war<br />

erstaunlich sicher und wirkungsbewusst<br />

und in Bezug auf das ‚System <strong>Theater</strong>’ hatte<br />

sie aufgrund ihrer Sozialisation wenig Illusionen.<br />

Ihr Idealismus zielt daher direkt auf die<br />

Inhalte der Stücke.<br />

Ihre erste Arbeit in den Kammerspielen<br />

des Deutschen <strong>Theater</strong>s war im Herbst 2009<br />

Shakespeares ‚Othello’. Seine Titelfigur, den<br />

erfolgreichen General Othello, macht Shakespeare<br />

zum Fremden, zum Außenseiter,<br />

zum Nicht-Ich – Othello ist schwarz in einer<br />

Maxim Gorki<br />

Gesellschaft aus Weißen. Für Jette Steckel<br />

lag der Fokus auf der Brüchigkeit der Identität<br />

der Figur Othello, die den Verfall, die<br />

Wandlung von einem scheinbar intakten<br />

Menschen in ein mordendes Monster zur Folge<br />

hat. Den Grund sieht sie in den wiederholten<br />

Zuschreibungen und Stigmatisierungen<br />

durch eine Gesellschaft, die ihn immer spüren<br />

lässt, dass er anders ist. Eine theatrale<br />

Übersetzung dieses Stigmas ist durch die Besetzung<br />

gegeben – Othello wird bei Jette Steckel<br />

gespielt von der Schauspielerin Susanne<br />

Wolff. Die natürliche und unaufhebbare Differenz<br />

zur Rolle, das Vorgeben etwas zu sein,<br />

was man nicht ist, nicht erreichen kann, ist<br />

augenscheinlich, befremdlich und stellt die<br />

Frage nach der Konstitution einer Identität –<br />

wie entsteht sie, was zerstört sie. Es ist die<br />

bis dahin komplexeste, theoretischste Arbeit,<br />

die trotzdem ein intuitives, emotionales<br />

Verstehen erfordert, wieder Kopf und Herz.<br />

Jette Steckel<br />

auf der Leseprobe zu ‚Kleinbürger‘<br />

„Die Kleinbürger sind wir. Ich fände es wichtig,<br />

dass wir nicht mit einem „zoologischen“<br />

Blick auf die Kleinbürger gucken, sondern<br />

unser Blick eher ein identifikatorischer, einer<br />

von innen heraus ist. Das Schmerzliche<br />

ist doch, das ‚Nicht-so-sein-wollen’ wie man<br />

ist, und dennoch so zu sein. Das Stück nimmt<br />

die Geschehnisse des 20. Jahrhunderts vorweg<br />

bzw. deutet sie an – das Ende des Zarenreichs,<br />

des Kaisers, die Weltkriege, das Erstarken<br />

von Ideologien wie Faschismus und<br />

Sozialismus, die Restauration in den 50er<br />

Jahren, eine extreme Betonung von Spießbürgerlichkeit,<br />

das Füllen des Wertevakuums<br />

durch Konsum, die 68er – bis hin zur Depression<br />

als Volkskrankheit, zur Ideen- und<br />

Perspektivlosigkeit, zur ideologischen Wüste,<br />

die uns heute umgibt. Wie will ich leben?<br />

Wofür stehe und kämpfe ich? Das, was für die<br />

Figuren, besonders für Nil, noch eine Utopie<br />

war – der Sozialismus – der ist gescheitert,<br />

das wissen wir. Es stellt sich aber die Frage,<br />

19<br />

Spielzeit 2010/11<br />

ob der Kapitalismus tatsächlich das System<br />

ist, in dem wir leben wollen. Wir leben in einem<br />

Bewusststein von Ungerechtigkeit und<br />

Unzulänglichkeit dieses Systems, aber auf<br />

der anderen Seite geht’s uns ja auch ziemlich<br />

gut. Oder? Wenn man sich mit Gorki und seinen<br />

Texten auseinandersetzt und weiß, was<br />

sie historisch bedeutet haben, was für eine<br />

Sprengkraft sie hatten, dann brauchen wir<br />

zumindest ein Bewusstsein darüber, dass<br />

wir diese Stücke eigentlich eingemeinden<br />

in unseren eigenen Kleinbürger-Kosmos –<br />

wir kleiden sie sozusagen in unsere Kleider,<br />

wir sprühen unser Parfüm drauf, packen sie<br />

in unser <strong>Theater</strong> und trinken hinterher den<br />

Sekt. Das wissen wir ja auch alle und das ist<br />

auch nicht zu verurteilen – aber die Frage<br />

stellt sich schon, ob es mit dem Zweifel und<br />

der Auseinandersetzung im <strong>Theater</strong> und mit<br />

dem „Empört euch“ in der Handtasche wirklich<br />

getan ist. Ist das eine Art Gewissensventil?<br />

Warum erzählen wir die Geschichte<br />

der ‚Kleinbürger’ – weil wir wirklich wollen,<br />

dass man sich diese Fragen neu stellt? Oder<br />

weil wir unser Geld verdienen wollen und anschließend<br />

die Kopien des Textes ins Billy-<br />

Regal legen? Vielleicht sollten wir versuchen<br />

ehrlich zu sein, vielleicht können wir Wünsche<br />

formulieren, denn Antworten haben wir<br />

wohl eher nicht. Das eint uns mit Pjotr und<br />

Tatjana, und wenn nicht: wunderbar!“<br />

Kleinbürger<br />

von Maxim Gorki<br />

Regie: Jette Steckel, Bühne: Rufus Didwiszus,<br />

Kostüme: Pauline Hüners, Musik: Mark Badur,<br />

Video: Bernadette Knoller-Buck, Anja Läufer,<br />

Claudia Trost, Dramaturgie: Anika Steinhoff<br />

Es spielen: Felix Goeser, Olivia Gräser,<br />

Markus Graf, Peter Jordan, Ole Lagerpusch,<br />

Helmut Mooshammer, Barbara Schnitzler, Thomas<br />

Schumacher, Natali Seelig, Katrin Wichmann<br />

Premiere: 10. Mai 2011, <strong>Deutsches</strong> <strong>Theater</strong>


Die Ängstlichen und die Brutalen<br />

Wozu braucht es<br />

Dichtung?<br />

Ein Gespräch mit Nis-Momme Stockmann über sein neuestes Stück<br />

,Die Ängstlichen und die Brutalen‘<br />

Die Vater-Sohn-Beziehung spielt in vielen deiner Stücke eine<br />

große Rolle. Ein Lebensthema von dir?<br />

Am eigenen Vater spaltet sich das Ego: In das Kindsein und die<br />

eigene Vaterschaft. An dieser Bruchstelle kann der Mensch alles<br />

überwinden, was ihm als gut und edel vorgebetet wurde. Erwachsenwerden<br />

ist ein Prozess der tiefen Reflexion, dem Zerwürfnis<br />

mit oder dem Anschluss an die kulturellen Parameter<br />

seiner Ahnen. Das ist die Schnittstelle, an der wir vom „Gestaltetwerden“<br />

übergehen zum Gestalten.<br />

Die beiden Brüder Eirik und Berg finden ihren Vater tot im Sessel<br />

– und sie finden einen Haufen handgeschriebener Gedichte, die<br />

überhaupt nicht zu dem Vater passen, den sie hatten. Kennen<br />

sie diesen Vater überhaupt?<br />

Sie kennen ihn so sehr, wie er es zugelassen hat. So wie ich mir<br />

den Vater vorstelle, hat er zur Dichtkunst ein ähnliches Verhältnis<br />

wie ein Bundeswehrsoldat zur Homosexualität im Wehrdienst.<br />

Für mich stellt sich eine simple Frage: Was ist Autorenschaft<br />

– jenseits jeglichen marktwirtschaftlichen Effekts? Zu<br />

welchem Zweck und mit welcher Notwendigkeit braucht es<br />

Dichtung? Ich denke, das ist eine Frage, die in dem marktwirtschaftlichem<br />

Missverständnis um Autorenschaft kaum noch<br />

aufrichtig gestellt wird. Dichtung ist der Ort, an dem jenseits<br />

jeglicher Schranken – wissenschaftlicher, moralischer, politi-<br />

20<br />

Spielzeit 2010/11<br />

scher und vor allem denen der expliziten und impliziten Marktdiktate<br />

– die menschliche Identität bzw. unser Weg in der Welt<br />

besprochen werden kann.<br />

Wie viel Komik, wie viel Tragik steckt für dich in der Grundsituation<br />

des Konfrontiertseins mit der Vaterleiche?<br />

Ich denke, dass die Grundsetzung eine tragische ist. Die komischen<br />

Affekte stellen sich in den Dienst der Tragödie, weil sie ihre<br />

komischen Aspekte aus einer sozialen Verkrüppelung heraus<br />

beziehen: unserer fehlenden Totenkultur. Unsere Gesellschaft<br />

hat es geschafft, den Tod effektiv zu parzellisieren, damit er uns<br />

nicht in der Dramaturgie des Lebens stört. Was in anderen Kulturen<br />

zur Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit führt, wird<br />

in unserem Kulturkreis von Fachpersonal weggeschafft. Es ist<br />

noch nicht lange her, da wurden die Toten aufgebahrt, die Wohnungen<br />

geöffnet. In einer Kultur, in der Progress das Maß aller<br />

Dinge ist, stört das fleischgewordene Bild des Endes nur die Vorstellung<br />

des endlosen Fortschritts.<br />

Das Stück operiert mit diesen Unzulänglichkeiten im Umgang<br />

mit dem Tod, praktisch, aber auch reflexiv – sie sind der situationskomische<br />

Leitfaden in einem in die Normativität abgestellten<br />

Skandal: Das Sterben wird uns vorenthalten.<br />

Man kann dein Stück auf ganz verschiedene Art und Weise lesen,<br />

als Situationskomödie, als Familiendrama, als Studie eines<br />

Zerfalls oder auch als existenzialistisches Stück über Leben und<br />

Tod. Wie viel Beckett steckt für dich da drin?<br />

Beckett ist keines meiner Vorbilder. Beckett hat durch geduldige<br />

Originalismen das seltene Kunststück fertiggebracht, die ganze<br />

Welt von seiner Sonderposition innerhalb der Dramatik zu überzeugen.<br />

Meine Dramatik ist nicht besonders. Zumindest nicht<br />

formal. Sie stellt sich ganz in den Dienst der Inhalte.<br />

Zum Titel: Die Welt der Söhne scheint in starkem Maße aus Angst<br />

zu bestehen, das Verhältnis des Vaters zu ihnen aus Brutalität.<br />

Ist das die ganze Welt dieser beiden – Angst und Grausamkeit?<br />

Nicht nur dieser beiden. Und das ist auch das große Missverständnis<br />

mit diesem Stück. ‚Die Ängstlichen und die Brutalen‘<br />

sind keine exotischen Singulariäten. Es sind vielmehr soziale<br />

Prototypen in einer exotischen Situation – die ich allerdings eher<br />

als Parabel verstehe. Paradebeispiele für eine Gesellschaft, die<br />

auf dem Anhäufen von Kapital – „echtem“ und symbolischem<br />

– beruht: Angst und Rücksichtslosigkeit sind sich gegenseitig<br />

bedingende Triebkräfte, mit denen diese Gesellschaft bewusst<br />

operiert und überhaupt: ihre logische Konsequenz. Es ist eigentlich<br />

eine ziemlich einfache Rechnung: In einer Gesellschaft, in<br />

der man ist, was man hat, ist man in konstanter Sorge, diese Habe<br />

zu verlieren.<br />

Nis-Momme Stockmann<br />

21<br />

Spielzeit 2010/11<br />

Anfangs glauben Berg und Eirik noch mit der Außenwelt Kontakt<br />

halten zu müssen, dann geraten sie immer mehr aus der realen<br />

Welt in ihre eigene und verlieren jedes Maß für die Zeit. Wie<br />

lange bleiben sie bei ihrem toten Vater? Werden sie die Vaterwohnung<br />

jemals wieder verlassen?<br />

Das ist eine Frage der Interpretation. Ich denke, dass es ohnehin<br />

nicht möglich ist, diesen Orten ganz zu entkommen, ohne sie<br />

vorher gründlich aufzuräumen.<br />

Am Ende besiegt Berg die Angst. Und dann?<br />

Berg ist nur die andere Seite einer Pathologie. Eine traurige Gestalt.<br />

Tausendmal trauriger als Eirik. Weil er erkennt. Und sich<br />

aus dem Erkennen heraus der selben Mittel bedient.<br />

Fragen: John von Düffel<br />

Die Ängstlichen und die Brutalen<br />

von Nis-Momme Stockmann<br />

Regie: David Bösch<br />

Bühne: Patrick Bannwart<br />

Kostüme: Merle Vierck<br />

Dramaturgie: John von Düffel<br />

Es spielen: Christoph Franken, Werner Wölbern<br />

Premiere: 7. April 2011, Kammerspiele


Tobias, mit lunatiks produktion machst du schon seit mehreren<br />

Jahren <strong>Theater</strong>stücke auf der Basis von Interviews. Welchen<br />

Unterschied macht es, wenn auf einmal Jugendliche die Interviews<br />

führen?<br />

Keinen großen. Das Wichtigste ist die Neugier, ob man sich für<br />

sein Gegenüber interessiert. Bei einigen Gesprächspartnern<br />

hatte ich sogar das Gefühl, dass sie sich den Jugendlichen weiter<br />

geöffnet haben. Vielleicht weil die Jugendlichen eine ganz<br />

direkte, unverstellte Neugier mitbringen und auch ungeniert<br />

nachfragen.<br />

Was hast du aus der Recherchephase mitgenommen? Was hat<br />

dich überrascht?<br />

Geld produziert offenbar nicht Sicherheit, sondern Angst. Das<br />

hätte ich nicht gedacht. In keinem Projekt vorher habe ich so viel<br />

Angst gefunden wie bei ‚Magic Fonds‘. Es sind gar nicht so sehr<br />

Bankmitarbeiter, die vor Vorgesetzten Angst haben, oder Anleger,<br />

die sich vor dem Verlust ihres Geldes fürchten. Es ist so, als<br />

ob die Institution Finanzbranche selbst Angst produziert.<br />

Und machen dir drei Aktenordner mit Textmaterial Angst? Wie<br />

kriegt man das in den Griff?<br />

Am besten lässt man es erst einmal liegen. Die Interviews brauchen<br />

Zeit, damit sich zwischen ihnen Verbindungen herstellen.<br />

Wenn wir mit den Spielern die Interviews lesen, dann ergeben<br />

sich ganz von selbst Korrespondenzen, Widersprüche und Zusammenhänge.<br />

Dadurch entsteht eine Art Selbstorganisation<br />

des Materials, in der klar wird, was wirklich wichtig ist.<br />

Warum willst du diese Geschichten als Taschenspielertricks und<br />

Großillusionen auf die Bühne bringen?<br />

Zum einen hat Geld eine magische Kraft, weil es alle möglichen<br />

Gestalten annehmen kann. Es kann als Erbe für die Liebe der Eltern<br />

stehen, wie wir in einem der Interviews auf berührende Art<br />

geschildert bekommen haben. Es kann Scham auslösen, wenn<br />

es vermeintlich unverdient ist, oder auch Stolz. Geld kann Menschen<br />

verwandeln. Gleichzeitig breitet es um sich herum einen<br />

magischen Kreis des Schweigens aus. Nach wie vor ist es ein<br />

großes Tabu, über Geld zu sprechen. In der Schweiz übrigens<br />

noch stärker als in Berlin. Zum anderen erscheint für uns Laien<br />

der Finanzmarkt manchmal wie Magie. Ein französischer Fußballer<br />

hat vor einigen Monaten dazu aufgerufen, dass sämtliche<br />

Kunden ihr Sparguthaben abheben sollen. Das wäre das Ende<br />

der Banken gewesen – weil es so viel Geld gar nicht gibt. Das<br />

heißt, wir hantieren mit einem imaginären Versprechen, dem<br />

Versprechen, dass es das Kaninchen im Hut tatsächlich gibt.<br />

Aber diese Welt funktioniert nur solange, wie keiner das Kaninchen<br />

sehen will.<br />

Magic Fonds<br />

22<br />

Spielzeit 2010/11<br />

Das Kaninchen im Hut<br />

Caroline und Clara, die Recherche liegt jetzt hinter uns. Was ist<br />

für euch das Besondere bei diesem Projekt?<br />

Caroline: Man darf schon vorher mitmachen. Sonst bekommt<br />

man ja eher etwas Fertiges vorgesetzt und ist quasi ausführend.<br />

Hier ist man schon vor den Proben der Kreierer.<br />

Clara: Es ist eine Stückentwicklung. Wir haben Interviews mit<br />

Menschen geführt, die sich mit dem Thema Geld sehr gut auskennen,<br />

und versucht möglichst viele Informationen und interessante<br />

Momente aus diesen Gesprächen zu gewinnen.<br />

Caroline: Es ist eine komplett andere Herangehensweise. Bei einem<br />

Stück gibt’s ja eine durchgehende Handlung und man bekommt<br />

eine Rolle. Wir gehen bei ‚Magic Fonds‘ von einem bestimmten<br />

Thema aus, entdecken das zusammen und entwickeln<br />

eine Haltung dazu.<br />

Ihr habt ja bestimmt 60 Interviews geführt mit Menschen, die<br />

privat oder professionell mit viel Geld umgehen. Wie war das für<br />

euch mit den Geldexperten zu sprechen?<br />

Clara: Wir hatten vorher ein Briefing, quasi eine Trainingsphase,<br />

damit wir da nicht komplett unvorbereitet reingehen, aber<br />

wenn man beim ersten Mal so einem Bankenmonster gegenüber<br />

sitzt, dann ist man schon sehr auf sich gestellt. Es ging mir nie<br />

so, dass ich mich dumm gefühlt hätte, aber es ist schon hart,<br />

wenn es dann um Themen geht, bei denen du a) weißt, das ist<br />

nicht relevant, das ist nicht das, was wir suchen, oder b) da kenne<br />

ich mich jetzt überhaupt nicht aus. Man hat da einen Menschen<br />

vor sich, der mit merkwürdigen Worten über merkwürdige<br />

Dinge spricht, dann geht’s aus – aber es geht auch wieder an,<br />

wenn du merkst: Da ist was!<br />

Ein Gespräch mit dem Regisseur Tobias Rausch<br />

und den jugendlichen Spielerinnen Caroline Hellwig und Clara Polina Vogt<br />

über Geldgeschichten, Gesprächswüsten und Gegenzauber.<br />

Hat sich eure Vorstellung über die Menschen im Geldgeschäft<br />

im Verlauf der Interviews verändert?<br />

Caroline: Ja, um 180 Grad. Es sind Menschen geworden. Früher<br />

waren das für mich diejenigen, die schuld sind. Schuld, dass es<br />

uns anderen schlecht geht. Wir haben ja mit einer ganz großen<br />

Bandbreite von Leuten gesprochen, von Kleinanlegern über untere<br />

Bankangestellte bis zu den Vorständen und Topmanagern.<br />

Und das war für mich eigentlich die größte Erkenntnis: Es gibt<br />

nicht die Banker, überhaupt gar nicht!<br />

Was, glaubt ihr, hat die Leute motiviert, sich für die Interviews<br />

zur Verfügung zu stellen?<br />

Caroline: Schauspieler in der Kantine gucken. (lacht)<br />

Clara: Gut, das <strong>Theater</strong> hat natürlich eine gewisse Anziehungskraft.<br />

Es gibt schon einige Leute, die sich dem DT verbunden<br />

fühlen, seit 20 Jahren da hin gehen und jetzt das Gefühl haben,<br />

ein Teil davon sein zu können. Manche erzählen ihre Geschichte<br />

auf sehr selbstlose Weise, wollen das Projekt unterstützen und<br />

voranbringen.<br />

Caroline: Manche wollen sich eher selbst in Szene setzen. Und<br />

manchmal ist das fast therapeutisch.<br />

Clara: Oder sie wollen ihre Geschichte veröffentlichen, und<br />

zwar nicht der bösen Presse gegenüber, sondern sie lieber interessierten,<br />

jungen Menschen erzählen, die kreativ damit umgehen<br />

und etwas daraus machen.<br />

Was habt ihr aus dieser Phase mitgenommen oder gelernt?<br />

Clara: Für mich war das Geldbusiness vorher eine abstrakte<br />

Welt der Zahlen, vollkommen virtuell. Ich habe inzwischen<br />

Tobias Rausch<br />

23<br />

Spielzeit 2010/11<br />

begriffen, dass Menschen dahinter stecken, dass all das menschengemacht<br />

ist. Menschliches Versagen, ein Tippfehler, kann<br />

zu Katastrophen führen… Und klar, ich bilde mir jetzt ein zu wissen,<br />

was ein Fonds ist.<br />

Caroline: Es interessiert einen auch mehr. Früher hab ich den<br />

Wirtschaftsteil direkt entsorgt. Das kam daher wie eine Geheimsprache.<br />

In den S-Bahnen z.B., da hängen so Aufkleber von irgendwelchen<br />

Banken im Norden: „Investieren Sie in erneuerbare<br />

Energien!“ Und da sieht man so ein Windrad, Gold und einen<br />

Fuchs, der schlaue Fuchs, der beim Windrad liegt. Dann steht da<br />

ganz fett: „8 Prozent Zinsen“. Jetzt lach ich laut darüber, weil ich<br />

weiß, dass das Schwachsinn ist.<br />

Ihr gehört jetzt also zu den Eingeweihten des magischen Zirkels?<br />

Clara: Wir bilden uns im Moment erfolgreich ein dazu zu gehören.<br />

Jetzt, Ende März, ist die Recherche-Phase abgeschlossen: Unzählige<br />

Interviews wurden in Berlin, Basel, Frankfurt etc. geführt,<br />

es gibt Aktenordner voll mit Transkriptionen und Tobias<br />

Rausch schreibt fleißig an der Stückfassung. Habt ihr eine Vorstellung,<br />

wie es nun weitergeht?<br />

Clara: Nach der Anprobe heute – mit Glitzerkostüm und Paillettenplateauschuhen<br />

– bin ich neugieriger denn je! (lacht)<br />

Caroline: Ich stelle mich auf eine turbulente Probenzeit ein.<br />

Aber jetzt will ich endlich spielen!<br />

Clara: Und wir wollen jetzt endlich die Schweizer Jugendlichen<br />

kennenlernen! Das wird sicher das totale Chaos und wir werden<br />

wahnsinnig viel Spaß haben. Ich freu mich jedenfalls total!<br />

Auch aufs Zaubern?<br />

Caroline: Schon irre, wir haben bei dem Projekt so viele Lehrgänge:<br />

Zaubern, Börse, Recherche, Choreografie, Musik. Das ist<br />

ja schlimmer als Schule. (lacht)<br />

Clara: Was für eine Begeisterung man erntet, wenn man aus einem<br />

Stapel Karten einen Geldschein hervorzaubert. Man fühlt<br />

sich erhaben, wenn man die Illusion durchschaut – und die anderen<br />

nicht.<br />

Caroline: Wie beim Geld.<br />

Clara: Genau! Fragen: Birgit Lengers<br />

Magic Fonds<br />

von Tobias Rausch<br />

Ein Rechercheprojekt über das rätselhafte<br />

Verschwinden des Kapitals<br />

Uraufführung: 28. April 2011, Box (19. Juni, <strong>Theater</strong> Basel)<br />

Ein Projekt des Jungen DT und lunatiks Produktion<br />

in Kooperation mit Vitamin T, <strong>Theater</strong> Basel.<br />

Gefördert von


dt-Magazin - Ausgabe 4<br />

Die Lange Nacht der Autoren 2010:<br />

Declair<br />

Felix Goeser und Ole Lagerpusch in ,In Neon‘<br />

Arno<br />

von Julia Kandzora, Regie: Simon Solberg ©<br />

24<br />

Spielzeit 2010/11<br />

Autorentheatertage Berlin 2011<br />

autoren<br />

theatertage<br />

berlin<br />

Komödien hat sich Elke Schmitter, die Alleinjurorin der diesjährigen Autorentheatertage,<br />

von den noch zu entdeckenden Dramatikerinnen und Dramatikern<br />

gewünscht und damit zugleich die programmatische Frage nach einer<br />

Gattung gestellt, die es hierzulande eigentlich nicht mehr gibt. Vielleicht auch<br />

gar nicht mehr geben darf. Jedenfalls nicht jenseits des Boulevards und schon<br />

gar nicht von deutschsprachigen Autoren – bei englischsprachigen oder französischen<br />

Stücken gilt das Komödien-Tabu offenbar weniger. 140 Stücke hat<br />

die Roman-Autorin und Spiegel-Redakteurin Elke Schmitter gelesen und sich<br />

immer wieder gefragt, was ist komisch, wie verhält sich die Komik eines Textes<br />

zu der des <strong>Theater</strong>s und worüber lachen wir überhaupt noch. Auf ihre Auswahl<br />

für die Lange Nacht der Autoren am 25. Juni darf man gespannt sein!<br />

Doch auch für das Festivalprogramm der diesjährigen Autorentheatertage<br />

war die Frage, was ist komisch, ein Leitfaden. Gibt es ein Lachen jenseits oder<br />

diesseits der komödiantischen Diskursschlachten von René Pollesch und dem<br />

raffiniert-virtuosen Zeitgeist-Boulevard einer Yasmina Reza? Erster Befund:<br />

Es gibt zumindest so etwas wie Humor, Ironie und die Lust an den komödiantischen<br />

Spielmöglichkeiten und -mustern des <strong>Theater</strong>s. Das gilt nicht nur für<br />

Autoren wie Roland Schimmelpfennig, die Magie und Komik, Slapstick und<br />

Metaphysik zu verbinden wissen, sondern auch und gerade für eine jüngere<br />

Generation von Dramatikerinnen und Dramatikern wie Rebekka Kricheldorf,<br />

Felicia Zeller, Philipp Löhle, Ewald Palmetshofer oder den Autorregisseur<br />

Rafael Sanchez, die allesamt zu der Komödienform ein sehr viel entspannteres,<br />

spielerischeres Verhältnis zu haben scheinen als die <strong>Theater</strong>generation vor ihnen,<br />

deren großen Themen man auf diesem Festival auch begegnen wird.<br />

Die Autorentheatertage Berlin 2011 werden unterstützt von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie<br />

Berlin, der Rudolf-Augstein-Stiftung und der Mara und Holger Cassens-Stiftung.<br />

25<br />

Spielzeit 2010/11


In Ihrer Ausschreibung als Alleinjurorin<br />

für die Autorentheatertage haben Sie Texte<br />

gefordert, die Sie zum Lachen bringen.<br />

Mussten Sie lachen?<br />

Aber ja. Ein bisschen seltener als erhofft,<br />

aber auch häufiger als befürchtet. Wobei<br />

alleine lachen ja das Schwerste ist, wenn<br />

man in der Einsamkeit auf dem Sofa sitzt<br />

und vielleicht gerade erst die Tageszeitung<br />

mit den letzten Schreckensmeldungen<br />

gelesen hat. Will sagen: jemanden<br />

zum Lachen zu bringen, der nicht in Gesellschaft<br />

ist und in seinem möglicherweise<br />

melancholischen Stimmungskäfig sitzt,<br />

ist das Schwierigste überhaupt. Wenn<br />

man das berücksichtigt, gibt es viel Grund<br />

zur Zufriedenheit. Und viel Anlass zu<br />

Spannung, wie sehr wir erst lachen werden,<br />

wenn wir die Komödien auf der Bühne<br />

sehen.<br />

Wie muss man sich das Leben eines Menschen<br />

vorstellen, der in zweieinhalb Monaten<br />

140 Stücke liest?<br />

Schön. Die Hoffnung hört ja nicht auf. Natürlich<br />

hat es Durststrecken gegeben,<br />

schwarze Stunden, vor allem am Anfang:<br />

War die Idee nicht eigentlich Quatsch?<br />

Gibt es ein Lachen auf der <strong>Theater</strong>bühne<br />

jenseits des Kabaretts? Dann gibt es natürlich<br />

die skrupulöse Befragung seiner<br />

selbst: Bist du heute nicht in Stimmung?<br />

Vielleicht ist das wahnsinnig komisch,<br />

Autorentheatertage Berlin 2011<br />

fünf fragen an die jurorin<br />

elke schmitter<br />

aber du merkst es nicht? Darfst du dich<br />

auf deinen Humor verlassen? Also wuchs<br />

der Stapel mit den Zweifelsfällen erst mal<br />

bedrohlich an und zog die nächste Gewissensbefragung<br />

gleich nach sich: Du hast<br />

es schon mal gelesen, du kennst die Pointen<br />

schon, also bist du erst recht nicht<br />

mehr die Richtige... Da es aber nicht um<br />

Witze geht, sondern um Komödien, gibt es<br />

ja glücklicherweise noch ein paar Kriterien<br />

mehr als das Lachen selbst. Wobei ich<br />

jemand bin, der über gute Witze gern öfter<br />

lacht. Durchaus ein Leben lang.<br />

Ihr lustigstes Lektüre-Erlebnis? Ihr traurigstes?<br />

Das lustigste Lektüre-Erlebnis war eine<br />

Slapstick-Szene aus einem Stück, das es<br />

in die Endauswahl nicht geschafft hat. Es<br />

war zugleich das traurigste: weil es eben<br />

nicht weiterging. Der Autor hatte einen<br />

brachial guten Sinn für Komik, aber den<br />

Atem eines Sketch-Schreibers. Perfekt für<br />

die kurze Form, für die Entfaltung einer<br />

Minuten-Heiterkeit. Als das Schwarzpulver<br />

verschossen war, wurde es sofort öde.<br />

Glauben Sie nach Ihren Lese-Erfahrungen<br />

noch an die Komödie als Gattung –<br />

oder handelt es sich um eine aussterbende<br />

Spezies?<br />

Mehr denn je. Ich meine, dass es Probleme<br />

gibt, die sich nur von der komischen<br />

26<br />

Spielzeit 2010/11<br />

© Arno Declair<br />

Seite lösen lassen. Indem sie klarer werden,<br />

durch ihre Pointierung – und damit<br />

lösbar. Oder indem der Humor die Urheber<br />

der Probleme oder die Leidenden selbst –<br />

was ja oft personalidentisch ist, wie die<br />

Komödie zeigt – aufs Freundlichste beschämt.<br />

Oder indem die Komödie zeigt:<br />

Bestimmte Probleme lassen sich nicht lösen.<br />

Sie verschwinden bestenfalls. Zu diesem<br />

Verschwinden trägt der Humor unbedingt<br />

bei. Nicht immer resignativ. Aber<br />

manchmal auch das. In jedem Fall ist er eine<br />

ganz gute Alternative zu Verbitterung<br />

oder Amoklauf.<br />

Wann/Worüber haben Sie das letzte Mal<br />

im <strong>Theater</strong> gelacht?<br />

Tschechow. Gotscheff. Volksbühne. Ja,<br />

ich weiß, die Aufführung ist alt. Aber ich<br />

habe sie eben erst vor acht Wochen gesehen.<br />

Und vor allem am Anfang gegluckst,<br />

gekichert, gequiekt vor Vergnügen und<br />

beinahe geschrien vor Lachen. Was man<br />

so ungern tut, weil man nie weiß, ob es die<br />

Schauspieler stört. Weil es ja Tschechow<br />

ist. Der für mich größte „Beweis“, wenn<br />

es denn eines solchen bedarf, dass die Komödie<br />

nicht notwendig veraltet. Und dass<br />

sie, wenn sie gelingt, ganz große Kunst<br />

darstellt. Oder, wie man inzwischen gerne<br />

sagt: Ganz großes Kino. Auch das könnte<br />

sich wieder ändern!<br />

Fragen: John von Düffel<br />

© Arno Declair (3)<br />

Tino Mewes und Barbara Heynen in<br />

,süßer vogel undsoweiter ‘ von Laura Naumann<br />

Regie: Alexander Riemenschneider<br />

Autorentheatertage Berlin 2011<br />

die lange nacht der autoren ¤⁄<br />

Samuel Finzi in ,Sam‘ von Katharina Schmitt<br />

Regie: Sebastian Hartmann<br />

27<br />

Spielzeit 2010/11<br />

Judith Hofmann und Jörg Pose in ,Fabelhafte Familie Baader‘<br />

von Carsten Brandau, Regie: Rafael Sanchez


dt-Magazin - Ausgabe 4<br />

Die verbotene Frage<br />

Sven Lehmann<br />

Bernd Stempel<br />

Diesmal: Was tun Sie in der letzten halben Stunde,<br />

bevor sich der Vorhang hebt?<br />

Es gibt Kollegen, die schlafen bis kurz vor der<br />

Vorstellung. Das kann ich nicht! Ich plage mich<br />

vielmehr mit einer Mischung aus Aufregung und<br />

Anspannung, sowie der Frage, ob es nicht besser<br />

gewesen wäre, zuhause zu bleiben und sich<br />

einem anderen Beruf zuzuwenden. Meistens siegt<br />

die Aufregung.<br />

Umkleiden, schminken, einsprechen, Requisiten<br />

prüfen usw. ist sicher nicht gemeint, mit dieser<br />

ooooohoho „verbotenen Frage“. Yoga oder autogenes<br />

Training mache ich nicht und Alkohol erst, nach-<br />

dem der Vorhang wieder unten ist. Aufgeregt bin ich<br />

unterschiedlich immer, aber das passiert mir. Ich<br />

kenne eine wunderbare Schauspielerin, die „in der<br />

letzten halben Stunde“ nicht mehr auf die Toilette<br />

geht, aus Angst, sich das Talent rauszupinkeln. Das<br />

kann ich nicht. Ich bin da, vertreibe mir die Zeit<br />

mit Kollegen grüßen, Zähne putzen, Spiegel gucken,<br />

noch mal aufs Klo gehen und warten, warten, warten.<br />

Kartentelefon: 030.28441-225<br />

Tickets online unter: www.deutschestheater.de<br />

Impressum<br />

Herausgeber: <strong>Deutsches</strong> <strong>Theater</strong> Berlin, Schumannstraße 13a, 10117 Berlin, Intendant: Ulrich Khuon, Geschäftsführender Direktor:<br />

Klaus Steppat, Redaktion: Claus Caesar, Gaby Schweer, Gestaltung: Kerstin Finger, Zeichnung: Marcel van Eeden,<br />

Courtesy Galerie Zink München/Berlin, S. 20/21: Privatsammlung München, Druck und Herstellung: agit-Druck, Berlin<br />

28<br />

Spielzeit 2010/11<br />

© Peter Langer<br />

© Arno Declair<br />

dt-Magazin - Ausgabe 4<br />

Szenen im DT<br />

„,Der Regisseur ist ein Penner, der von den Almosen der Schauspieler lebt.‘ Mit diesem Zitat<br />

seines Lieblingskünstlers Heiner Müller wehrt sich Dimiter Gotscheff gern gegen Lobeshymnen,<br />

die seine Inszenierungen allein auf die Regieleistung reduzieren. Und zwar völlig zu Recht!“<br />

heißt es in der Begründung der Jury, die den <strong>Theater</strong>preis Berlin in diesem Jahr<br />

an Samuel Finzi, Dimiter Gotscheff, Wolfram Koch und Almut Zilcher vergibt. Glückwunsch!<br />

Mehr Szenen im DT unter www.deutschestheater.de/ueber_uns/<br />

29<br />

Spielzeit 2010/11


Geschichten von hier III: Neuland<br />

Auf der Suche nach neuen ,Geschichten von hier‘ begibt<br />

sich Frank Abt zum dritten Mal in den Stadtraum Berlins.<br />

Diesmal führt er die Zuschauer mit ‚Neuland‘ in die ehemaligen<br />

<strong>Theater</strong>werkstätten an der Chausseestraße. Seit<br />

den 50er Jahren wurden hier u.a. die Bühnenbilder für<br />

das Deutsche <strong>Theater</strong> hergestellt, nun sind die Werkstätten<br />

umgezogen, das Areal steht leer. Für Abt bildet es den<br />

Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit den Brachlandschaften<br />

dieser Stadt und den Erinnerungen, die ihnen<br />

eingeschrieben sind. Ist es wichtig, das Vergangene zu bewahren?<br />

Wie kann man Räume neu erfinden? Und wie Neuland<br />

betreten?<br />

Es spielen: Andreas Döhler, Gabriele Heinz,<br />

Barbara Heynen und Ulrich Matthes<br />

Uraufführung: 10. April 2011, ehemalige Werkstätten<br />

Chausseestraße, Eingang in der Zinnowitzer Straße<br />

„Und Birken gibt es auch nicht hier“<br />

Eine szenisch-musikalische Collage<br />

von Barbara Schnitzler und Michael Abramovich (Klavier)<br />

Barbara Schnitzler liest aus Gabriele Tergits Essayband ‚Im<br />

Schnellzug nach Haifa’. Die brillant formulierten Beobachtungen<br />

der einstigen Berliner Gerichtsreporterin im Palästina<br />

der 40er Jahre werden verbunden mit einer Auswahl<br />

selten gehörter Klaviermusik des 20. Jahrhunderts.<br />

17. Mai 2011, Saal<br />

Helmut Mooshammer liest<br />

Thomas Bernhard<br />

„Jeder ist an allem selber Schuld“, sagte Thomas Bernhard.<br />

„Im Grund’ ist alles ein Betrug und ein Selbstbetrug, aber<br />

eigentlich großartig.“ Helmut Mooshammer liest aus dem<br />

Werk des großen Österreichers und Österreichhassers. Auf<br />

dem Programm stehen Texte aus ‚Alte Meister‘, ‚Auslöschung‘,<br />

‚Meine Preise‘ und aus der frühen Prosa.<br />

30. Mai 2011, Saal<br />

dt-Magazin - Ausgabe 4<br />

Zugabe<br />

30<br />

Spielzeit 2010/11<br />

,Tape‘ von Stephen Belber<br />

Zwei Freunde. Vince ist bei der freiwilligen Feuerwehr und<br />

dealt. Jon dreht viel versprechende Low-Budget-Filme. Seit<br />

der High School haben sich die beiden nicht mehr gesehen.<br />

Nun treffen sie sich wieder in ihrer Heimat Lansing, Michigan:<br />

Jon, weil beim örtlichen Film Festival sein Debüt gezeigt<br />

wird, Vince, weil er reden will. Mit Jon. Was geschah<br />

damals wirklich, als seine große Liebe Amy etwas mit Jon<br />

anfing? – Stefan Pucher, dessen Züricher ‚Tod eines Handlungsreisenden‘<br />

zum diesjährigen <strong>Theater</strong>treffen geladen<br />

ist, inszeniert zum ersten Mal am Deutschen <strong>Theater</strong>.<br />

Es spielen: Felix Goeser, Nina Hoss und Bernd Moss<br />

Premiere: 11. Juni 2011, Kammerspiele<br />

Eine Sternstunde<br />

des deutschen <strong>Theater</strong>s<br />

,Albert Steinrück Gedächtnisfeier‘<br />

Vortrag von Margret Heymann<br />

Als im Februar 1929 der Schauspieler Albert Steinrück unerwartet<br />

starb, führten die berühmtesten <strong>Theater</strong>stars jener<br />

Zeit ihm zu Ehren den ,Marquis von Keith‘ von Frank<br />

Wedekind auf. An der einmaligen Aufführung am 28.<br />

März 1929 im Staatstheater am Gendarmenmarkt waren<br />

86 Schauspieler beteiligt, darunter Elisabeth Bergner, Tilla<br />

Durieux, Fritz Kortner, Werner Krauss und Fritzi Massari.<br />

Rückblickend ging an diesem Abend eine <strong>Theater</strong>epoche<br />

zu Ende. Vier Jahre später zerbrach die die hier so innig<br />

beschworene Gemeinschaft der <strong>Theater</strong>künstler: Fast die<br />

Hälfte von ihnen flüchtete vor den Nationalsozialisten ins<br />

Exil, die anderen schwiegen und blieben, einige machten<br />

in Hitler-Deutschland Karriere. – Margret Heymann erzählt<br />

in ihrem Vortrag von diesem außergewöhnlichen <strong>Theater</strong>ereignis<br />

und zeigt, dass das einzigartige deutschsprachige<br />

<strong>Theater</strong> der 20er Jahre ohne das Wirken jüdischer Künstler<br />

kaum denkbar gewesen wäre.<br />

5. Mai 2011, Saal<br />

Bild: Vitrinen am Ku’damm I Fotograf: Sergej Horovitz; © Sergej Horovitz<br />

www.stiftung-deutsche-klassenlotterie-berlin.de<br />

Die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin unterstützte die Feierlichkeiten<br />

zum 125. Jubiläum des Kurfürstendamms mit insgesamt <strong>972.700</strong> <strong>Euro</strong>.<br />

Die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin gratuliert dem<br />

Kurfürstendamm zum 125-jährigen Jubiläum.


autoren<br />

theatertage<br />

berlin<br />

⁄fi. ¤fi. juni ¤⁄⁄<br />

im deutschen theater<br />

Ein Autoren-und Entdeckerfestival<br />

Jurorin: Elke Schmitter<br />

Bemerkenswerte Gastspiele neuer Stücke der Gegenwartsdramatik,<br />

Diskussionen, Symposien und die Lange Nacht der Autoren!<br />

Das ausführliche Programm und Vorverkauf ab 29. April 2011<br />

www.autorentheatertage.de<br />

Mit freundlicher fi nanzieller Unterstützung Medienpartner

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