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Nr. 9 - Die Staatstheater Stuttgart

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<strong>Die</strong> <strong>Staatstheater</strong> <strong>Stuttgart</strong> // September, Oktober, November 2013 // <strong>Nr</strong>. 09 Das Journal<br />

Das Journal<br />

<strong>Nr</strong>. 09 // September, Oktober, November 2013


Inhalt<br />

Das Journal<br />

September/Oktober/November 2013<br />

Nach drei Jahren Umbau und mehreren Anläufen ist es nun endlich<br />

soweit: Der Zuschauerraum des Schauspielhauses strahlt<br />

mit mehr als 17 000 LED-Leuchten und neuer Bestuhlung zu seiner<br />

Wiedereröffnung mit Beginn der Spielzeit 2013/14.<br />

(Foto: Matthias Dreher)<br />

01. Hubschrauber und Vogelzwitschern // SEITE 5<br />

<strong>Die</strong> Tonabteilungen der <strong>Staatstheater</strong> <strong>Stuttgart</strong><br />

02. <strong>Stuttgart</strong>er Ballett on tour // SEITE 8<br />

Sadler’s Wells Theatre London<br />

03. Albert Dohmen // SEITE 10<br />

Der Bassbariton über das Geheimnis von Berlusconi und Falstaff<br />

04. Shakespeare vertanzt // SEITE 12<br />

John Crankos Der Widerspenstigen Zähmung und John Neumeiers Othello<br />

05. Raum und Religion // SEITE 14<br />

Zwei Schwerpunkte im Opern- und Konzertprogramm 2013/14<br />

06. Wegbereiter des Tanzes // SEITE 16<br />

Ballettabend FORT // SCHRITT // MACHER<br />

07. Helden-Geschichten // SEITE 18<br />

Der Opern-Herbst mit vier Inszenierungen von Andrea Moses<br />

08. Eine Reise wegwohin // SEITE 20<br />

Schauspiel <strong>Stuttgart</strong>: Das Erscheinungsbild<br />

Plus 10 Fragen an … // SEITE 26<br />

Cornelius Feil, verantwortlich für die Übertitel an der Oper <strong>Stuttgart</strong><br />

Karten und Informationen 0711.20 20 90 // www.staatstheater-stuttgart.de


Vorwort<br />

01. Hubschrauber und Vogelzwitschern<br />

<strong>Die</strong> Tonabteilungen der <strong>Staatstheater</strong> <strong>Stuttgart</strong><br />

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,<br />

liebes Publikum der <strong>Staatstheater</strong> <strong>Stuttgart</strong>!<br />

Offene Aufregende Türen Zeiten und volles liegen Programm hinter, spannende heißt es vor wieder uns. ab Das Septemberspiel<br />

Zum ist aus diesjährigen der Interimsspielstätte Saisonauftakt Türlenstraße erwartet Sie an bereits den Ecken-<br />

vor<br />

Schau-<br />

den see zurückgekehrt. ersten Premieren Nach ein anderthalb vielfältiger Jahren Spielplan: Sanierung wird sich<br />

Der Mitte Staatsopernchor Februar erstmalig und wieder das Staatsorchester der Vorhang im Schauspielhaus<br />

<strong>Stuttgart</strong> laden<br />

Sie heben. zum Es Chor&OrchesterTag wird allerdings auf Grund (15. September) von baulichen ins Mängeln, Opernhaus die<br />

ein, einer um verlängerten neben zahlreichen Sommerpause anderen behoben Programmpunkten werden sollen, und<br />

Aktionen vorerst der mit Rückzug Ihnen gemeinsam ein Provisorium in einem sein. Publikumskonzert Gleichwohl werden<br />

Sie bei Ihrem (www.oper-stuttgart.de/auftakt2013). Theaterbesuch erleben, wie fantastisch <strong>Die</strong> Opern-<br />

das<br />

zu<br />

musizieren<br />

saison startet schon wenig später mit drei großen Produktionen:<br />

La Cenerentola, Don Giovanni und Der Schaum der Tage.<br />

Für ein tolles Wiedersehen zum Spielzeitbeginn sorgt das <strong>Stuttgart</strong>er<br />

Ballett: ab 25. September steht John Crankos legendäre<br />

Ballettkomödie Der Widerspenstigen Zähmung nach der lite-<br />

sanierte rarischen Schauspielhaus Vorlage von William bereits jetzt Shakespeare ist. Und wir wieder werden auf selbstverständlich<br />

Spielplan. Außerdem auf feiern gewohnten zwei spannende künstlerischen Ballettabende Niveau für Pre-<br />

Sie<br />

dem<br />

spielen. miere: Made Dazu in fühlen Germany wir und uns FORT//SCHRITT//MACHER.<br />

Ihnen und uns verpflichtet. Wir<br />

hoffen, Vor dem dass großen auch Eröffnungswochenende Sie neugierig sind auf die des neuen Schauspiel Schauspiel- <strong>Stuttgart</strong><br />

Ballettaufführungen mit sechs Premieren im an neu einem gestalteten Wochenende Schauspielhaus.<br />

(25.– 27. Ok-<br />

und<br />

Und tober) natürlich lernen Sie erwarten an dem Sie Begrüßungsabend auch weiterhin spannende Hello! Look Abende at me!<br />

im am Opernhaus, 29. September Kammertheater die neuen Ensemblemitglieder und NORD. kennen: jede<br />

Schauspielerin, Wir freuen jeden uns Schauspieler auf Sie! <strong>Die</strong> – <strong>Staatstheater</strong> einzeln, nacheinander <strong>Stuttgart</strong> für<br />

jeweils fünf Minuten. Alle bringen Ihnen in Form einer kleinen<br />

Performance etwas ganz Besonderes mit. Erlaubt ist, was gefällt!<br />

Der Eintritt ist frei.<br />

Wir freuen uns auf Sie! <strong>Die</strong> <strong>Staatstheater</strong> <strong>Stuttgart</strong><br />

Tontechniker Christoph Rensch-Kirschfink in der Tonregie im Parkett des Opernhauses. Im Hintergrund das Bühnenbild des Balletts Krabat.<br />

Der Boden bebt<br />

Foto: Martin Sigmund<br />

TON IST UNSICHTBAR: eine profane Aussage, die im Theater jedoch eine vielschichtige<br />

Bedeutung hat. »Immer wieder passiert es mir«, so sagt <strong>Die</strong>ter Fenchel, Leiter der Tonabteilung<br />

Oper und Ballett, »dass ich Erstaunen ernte, wenn ich meinen Beruf nenne: ›Wozu braucht man<br />

in der Oper eine Tonabteilung? Da spielt doch das Orchester‹, ist oft die Reaktion.«<br />

Und zählt sein Kollege im Schauspielhaus, Frank Bürger, Tonchef in <strong>Stuttgart</strong> seit 2005,<br />

die Zuständigkeiten auf, schlägt das Erstaunen um in Bewunderung ob der weitreichenden<br />

Aufgaben. Einige davon sind essenziell für das Funktionieren von Theater überhaupt.<br />

Zwei Tonmeister stellen sich vor: Frank Bürger leitet seit 2005<br />

die Tonabteilung im Schauspielhaus, nachdem er die gleiche<br />

Position zuvor in Heilbronn bekleidete. <strong>Die</strong>ter Fenchel arbeitet<br />

nach einigen Jahren in Hamburg seit 1992 in <strong>Stuttgart</strong><br />

im Opernhaus, seit 2000 als Abteilungsleiter. Beide Häuser<br />

haben eine je eigene Tonabteilung, zu der seit 2008 auch die<br />

Videotechnik gehört. Im Schauspiel betreuen acht, dazu drei<br />

in der Studiobühne Nord, in Oper und Ballett dreizehn Mitarbeiter<br />

den Proben- und Vorstellungsbetrieb, zwei im Kammertheater<br />

kommen hinzu. Alle sind Experten für originelle<br />

technische Lösungen, ob es sich um tönende Objekte, psychedelische<br />

Klänge aus dem Untergrund, Naturkatastrophen oder<br />

Höhenchöre handelt.<br />

Szenenwechsel zum Ballett, Krabat – Szene in der Mühle:<br />

Um den Zuhörer im Opernhaus herum knirscht und scheppert,<br />

rappelt und dröhnt es, mal erscheint das Mahlen hier,<br />

mal das Rasseln dort näher, als würde man in einem Mühlenraum<br />

umhergehen. <strong>Die</strong>ter Fenchel gewährt den Blick in die<br />

(Ton-)Werkstatt: »Wir haben die Mäulesmühle, eine Getreidemühle<br />

mit Wasserantrieb, wie ein Orchester aufgenommen,<br />

als Surroundaufnahme eines Klangkörpers in einem eindeu-<br />

tigen Raum. In mehreren Mahlgängen wird die Wasserkraft<br />

über Stahlwelle, Antriebsräder und Lederbänder auf eine<br />

Vielzahl von mechanischen Werken übertragen. <strong>Die</strong>se sind<br />

die Instrumente, aus denen sich das Mühlen-Orchester formt.<br />

Es gab ein Surroundmikrofon für Gesamtklang und räumliche<br />

Abbildung. Elf Stützmikrofone wurden nahe an einem ›Instrument‹<br />

platziert, um es besonders herauszuheben. In der Beschallung<br />

konnten wir dann die Perspektive ändern oder in<br />

den Klang hineinzoomen.«<br />

Experten für originelle Lösungen,<br />

ob es sich um tönende Objekte,<br />

psychedelische Klänge,<br />

Naturkatastrophen oder<br />

Höhenchöre handelt<br />

Gewitter, Kriegsszenerie, Gewehrschüsse, Autolärm, Regen<br />

oder Vogelzwitschern: Geräuscheffekte sind die deutlich<br />

wahrnehmbaren Resultate der Arbeit der Tonleute auf der<br />

Bühne. Was in früheren Zeiten mit Donnerblechen und allerlei<br />

Instrumentarium erzeugt wurde, wird heute mit den<br />

schier unendlich scheinenden Möglichkeiten der digitalen<br />

Audiotechnik gestaltet. <strong>Die</strong> akustische Seite einer Inszenierung<br />

wird von den Tonleuten nach den Anforderungen des jeweiligen<br />

Produktionsteams oder gemäß der Szenenangaben<br />

des Komponisten mit gestaltet, dabei ist die Arbeit in den drei<br />

Sparten naturgemäß verschieden. Im Schauspiel gibt es keine<br />

fertige musikalische Partitur, eine Audiogestaltung wird im<br />

Lauf der Produktion entwickelt. Frank Bürger: »Es gibt ganz<br />

unterschiedliche Ansätze, eine Musik zu einem Schauspiel zu<br />

schreiben. Einige Komponisten arbeiten eher in der psychoakustischen<br />

Ebene und gestalten ganz subtile Klangwelten.<br />

<strong>Die</strong>se untermalen manchmal fast einen ganzen Abend, sind<br />

aber oft kaum wahrnehmbar. Dann gibt es den Einsatz von<br />

festen musikalischen Formen wie Songs oder Liedern, etwa<br />

im Kinderstück. Andere Komponisten machen sehr konkrete<br />

Musik oder schaffen massive Klangwelten, zum Beispiel für<br />

einen Umbau oder Szenenwechsel. So gibt es bei Sebastian<br />

Baumgarten die Kombination aus geräuschhaften Flächen im<br />

Hintergrund und ganz konkreten Musiken, dies gekoppelt mit<br />

sehr viel Video und großen visuellen Eindrücken. Mittlerweile<br />

wirken in fast jeder Produktion Komponisten mit, oft auch<br />

selbst live an Instrumenten oder am Computer. Wir setzen<br />

diese Klangvorstellung für den großen Raum um, bringen sie<br />

vom Studio auf die Bühne, machen Aufnahmen von Playbacks,<br />

verstärken Instrumente auf der Bühne und vieles mehr.<br />

Das Spektrum ist enorm und in jeder Produktion verschieden.<br />

Wenn etwa eine Kapelle auf der Drehbühne spielt, muss dies<br />

anders klingen, als wenn sie am Bühnenrand steht. Sehr häufig<br />

gibt es Mikroportverstärkung. Stefan Kimmigs Stallerhof<br />

war das Beispiel einer intimen Sprechweise, die auch im Saal<br />

trägt; ein sehr starkes stilistisches Mittel.«<br />

Das Journal September /Oktober /November 2013<br />

5


01. 01.<br />

1<br />

3<br />

6<br />

2<br />

4 5<br />

7<br />

1 Im Tonmagazin werden zahlreiche Kabel und Geräte gelagert<br />

2 Das mobile Tonmischpult wird für alle Proben im Opernhaus genutzt<br />

3 Mischpult mit Partitur in der Tonregie<br />

4 In der Tonwerkstatt: Gabriele Ferro dirigiert <strong>Die</strong> Nachtwandlerin<br />

5 <strong>Die</strong> Audiozentrale ist das Herz der Tontechnik im Opernhaus<br />

6 Tonschrank im Ballettsaal<br />

7 Requisit und Schallplattenspieler im Lager des Schauspielhauses<br />

Wenn <strong>Die</strong>ter Fenchel die Arbeit im Opernhaus erläutert, geht<br />

es zunächst jedoch um eine andere, ganz grundlegende Funktion.<br />

<strong>Die</strong> Tonabteilung ist sozusagen die Schaltzentrale für die<br />

interne Kommunikation, und dies sowohl auf der Bühne für<br />

Proben oder Aufführungen, als auch im ganzen Haus. Mit Inspiziententechnik,<br />

Hausrufanlage und dem Monitoring in einer<br />

Bühnenproduktion müssen die technischen Voraussetzungen<br />

dafür geschaffen werden, dass Informationen zeitgleich<br />

weitergegeben werden. Wer einmal die Arbeit eines Inspizienten<br />

gesehen hat, der wie ein Pilot die Vorstellung steuert<br />

und Signale an alle Beteiligten gibt, kann sich vorstellen, dass<br />

die Technik das absolut fehlerfrei gewährleisten muss. Hinzu<br />

kommt in jeder Aufführung die Verständigung auf der Bühne.<br />

»Es geht darum,« so <strong>Die</strong>ter Fenchel ganz lapidar, »dass jeder<br />

den anderen gut hört und jeder den Dirigenten sieht. Das ist<br />

es, was alles zusammenhält, und die Grundbedingung für<br />

jede Aufführung, jenseits von allem künstlerischen Gestalten.<br />

Musizieren wäre nicht möglich ohne diese Gleichzeitigkeit.«<br />

Wenn Tänzer in der Tiefe der Bühne agieren, der Chor<br />

hinter der Szene oder auch nur ein Sänger mit Blickrichtung<br />

zur Seite singt, müssen Dirigentenbild und Orchesterklang<br />

ohne Verzögerung zu den Akteuren gebracht werden. Jedes<br />

Bühnenbild ist bestückt mit Videomonitoren und Mithörlautsprechern,<br />

die zeitgleich auf der Bühne übertragen, was im<br />

Orchestergraben geschieht. In Anna Viebrocks Bühnenbild für<br />

<strong>Die</strong> Nachtwandlerin ist jeder der großen Schränke der tiefen,<br />

hallenartigen Gastwirtschaft an der Rückseite oder innen mit<br />

Monitoren ausgestattet, so dass Chor und Solisten den Dirigenten<br />

sehen können, zudem wird das Orchester übertragen.<br />

Ton ist unsichtbar: Hier bedeutet dies, in jedem Bühnenbild<br />

die Monitore oder auch Lautsprecher so zu verstecken, dass<br />

diese Gleichzeitigkeit des Musizierens möglich ist.<br />

Das Bereitstellen dieser absolut krisensicheren Kommunikationstechnik<br />

ist eine Verantwortung, die den Chefs der Abteilungen<br />

gute Nerven und weitreichende Planung abfordert.<br />

Wenn die Kommunikation versagt, gibt es keinen »Plan B«,<br />

dann wird die Aufführung zum Blindflug und kann in die Katastrophe<br />

führen. »Im Schauspielhaus,« so Frank Bürger, »hat<br />

die Planung und Inbetriebnahme der modernen Inspizientenanlage<br />

am Ende der Sanierung sehr viel Zeit und Energie in<br />

Anspruch genommen«.<br />

<strong>Die</strong>s führt zur nächsten, ebenfalls essenziellen Aufgabe.<br />

Planung, Fortentwicklung, Modernisierung sind tägliches Brot,<br />

denn die technischen Systeme entwickeln sich ständig weiter,<br />

Anforderungen verändern sich. <strong>Die</strong>s ist im Bereich des Videos<br />

besonders sinnfällig. War vor einigen Jahren der Einsatz des<br />

Mediums noch Einzelfall, so »spielt« es in den meisten neuen<br />

Inszenierungen mit. Video ist eine virtuelle Ebene, die zum<br />

Bühnengeschehen hinzukommt, mit der man Ideenräume<br />

schaffen kann. Frank Bürger: »<strong>Die</strong> Entwicklung ist kaum abzusehen.<br />

So gibt es den Einfluss aus Computerspielen, 3D-Projektionen,<br />

interaktives Video ... Einige dieser Elemente finden<br />

sich aktuell in der Produktion Qualitätskontrolle von Rimini<br />

Protokoll.« Doch kann dies hier nur am Rande gestreift werden:<br />

<strong>Die</strong> Arbeit im Video mit ihren vielfältigen und andersartigen<br />

Aufgaben würde einen eigenen Artikel erfordern.<br />

„Wichtig ist, dass wir den<br />

Ereignissen einen Ort geben, nicht<br />

nur einen Raum.“<br />

<strong>Die</strong> Umbau-, Neubau- und Sanierungsaktivitäten für alle<br />

Aufführungs- und Probenstätten sind ein eigener Bereich.<br />

<strong>Die</strong> permanent zu planende Logistik und die Umbauten »mit<br />

unendlich vielen Besprechungen und parallel die Vorbereitung<br />

und Betreuung der aktuellen Produktionen mit der<br />

Gratwanderung, was kann ich ermöglichen, was kann ich verantworten«,<br />

sind euphemistisch bezeichnet eine Herausforderung.<br />

Besonders präsent ist natürlich die Generalsanierung<br />

des Schauspielhauses, dessen beeindruckende Anlage Frank<br />

Bürger gerne zeigt. »Ein zentraler, für mich unabdingbarer<br />

Punkt beim Umbau war, dass die Tonregie permanent im Saal<br />

positioniert ist, während sie zuvor oben in einer Kabine war.<br />

In der Vorstellung kann nun der Kollege das Klangbild realistisch<br />

kontrollieren. Jeder Abend ist anders und neu, dem muss<br />

man mit Lautstärken und Toneinspielungen folgen. Der Ton<br />

reagiert auf die Schauspieler, das ist wie live Musik machen<br />

und kann nun im Saal mit hoher Konzentration stattfinden.<br />

Zudem haben wir die Beschallungssituation verändert. Surroundlautsprecher,<br />

auch in Decke und Boden, ermöglichen<br />

eine gleichmäßige Klangverteilung im Raum. Hinzu gekommen<br />

sind Rechner für Bewegungen einer Schallquelle, etwa<br />

eines Hubschraubergeräuschs, im Raum. Auch die zentralen<br />

Videobeamer sind nun fest in einer Projektionskabine verbaut,<br />

und es gibt eine eigene Videoregie.«<br />

Auch in der Oper sind – unsichtbar – rund um die Zuschauer<br />

in der historischen Wandverkleidung Lautsprecher verteilt.<br />

Selbst der Boden bebt: Unter dem Parkett sind Lautsprecher<br />

verbaut, ebenso kann aus der Kuppel oben beschallt werden.<br />

<strong>Die</strong>ter Fenchel: »Wenn etwa Kriegslärm, Gewitter, Erdbeben<br />

eingespielt wird, so reicht es nicht, dass die Geräusche dich<br />

horizontal umgeben – dann bliebe der Krieg da draußen. Vielmehr<br />

muss es so sein, dass du mittendrin bist. Das funktioniert<br />

nur, wenn Lautsprecher auch oberhalb und unterhalb<br />

von dir positioniert sind.«<br />

oben <strong>Die</strong>ter Fenchel (r.) und sein Mitarbeiter Gerd Puchelt im Fenster der<br />

Tonregie im Opernhaus<br />

unten Frank Bürger am Tonpult im Zuschauerraum des Schauspielhauses<br />

(alle Fotos: Jaroslawa Razmowa)<br />

Hinter dieser Kunst der Beschallung steckt eine ganze Philosophie:<br />

»Wichtig ist, dass wir den Ereignissen einen Ort geben,<br />

nicht nur einen Raum«, so <strong>Die</strong>ter Fenchel. Singt der Chor nicht<br />

auf der Szene, sondern aus Seitenbühne oder Chorsaal, und<br />

wird von dort in den Zuschauerraum übertragen, so geht es<br />

darum, »einen akustischen Fingerabdruck vom Ort der Handlung<br />

zu erzeugen, also etwa einer Kirche. Der Zuschauer soll<br />

einordnen können, wo gesungen wird, wir bilden diese Architektur<br />

akustisch ab. Zum anderen muss ein Klang immer drei-,<br />

gar vierdimensional sein, denn er hat auch eine zeitliche Entwicklung.<br />

Ich möchte sozusagen ›um das Geräusch herumlaufen<br />

können‹, es muss plastisch sein. Ein Donner ist nicht<br />

statisch, er hat einen zeitlichen Verlauf, eine Bewegung und<br />

ändert sich in der Verortung. Hinzu kommt die musikalische<br />

Platzierung: Das Geräusch muss in Länge, Intensität und Lautstärkeverlauf<br />

zu Partitur und Inszenierung passen: Ein Sommergewitter<br />

ist anders als ein Novembersturm. Man hat nicht<br />

einen oder zwei Donner, die jedes Mal eingespielt werden, sondern<br />

sie werden jedes Mal aufwändig hergestellt.« Und doch<br />

ist das Ziel, diese Beiträge der Audiotechnik »unsichtbar« zu<br />

gestalten, sie sollen als integrales Element in der Inszenierung<br />

aufgehen. »Wenn wir alle erst einmal unseren Part gut machen,<br />

wenn sich wie beim Puzzle die Teile zusammensetzen,<br />

dann können diese magischen Momente entstehen, wo alles<br />

passt.« Das Medium, die Tontechnik, soll sich selber nicht abbilden:<br />

»Wenn aber der Chor, etwa in Parsifal oder Fausts Verdammnis,<br />

sich von der Bühne ablöst und in der Höhe schwebt,<br />

und das Medium nur dadurch da ist, dass der Zuhörer ihn über<br />

sich, aber keine Lautsprecher als solche wahrnimmt, dann tragen<br />

wir unseren Part zum Kunstwerk bei.«<br />

„Wenn sich wie beim Puzzle<br />

die Teile zusammensetzen, dann<br />

können diese magischen Momente<br />

entstehen, wo alles passt.“<br />

Jede Inszenierung ist ein Prototyp, für jede werden Mittel<br />

»erfunden« und gebaut, auch wenn die Stücke schon Jahrhunderte<br />

existieren. <strong>Die</strong> Glockenklänge in Parsifal sind seit<br />

jeher eine Herausforderung: Wagner beschreibt in der Partitur<br />

einen »gläsernen« Klang, verbunden mit einer sehr tiefen<br />

Frequenz. In Bayreuth wurde diese irreale Klangfarbe einst<br />

mit Gongs und Tamtam, dann mit Stahlplatten und später<br />

mit dem sechssaitigen Parsifal-Klavier erzeugt, in diesem<br />

Jahrhundert kamen Trautonium, Synthesizer, Sampler zum<br />

Einsatz – jede Zeit nutzt ihre eigenen Mittel. <strong>Die</strong>ter Fenchel<br />

»baute« die Glocke der <strong>Stuttgart</strong>er Produktion am Rechner: Er<br />

digitalisierte den Klang der Pretiosa des Kölner Doms, zerlegte<br />

ihn in Sinusschwingungen, stimmte sie exakt zur Stimmung<br />

des Orchesters und baute aus ihnen vier neue, irreale Glocken.<br />

»<strong>Die</strong> originale Pretiosa klingt minutenlang nach, das ist im<br />

musikalischen Zusammenhang nicht zu verwenden. Unsere<br />

Glocke klingt in zwei Sekunden ab und wirkt dennoch wie ein<br />

Abbild des Originals.«<br />

Das Ballett spielt in beiden Häusern und hat ganz eigene<br />

Aufgaben. Eine wesentliche betrifft zunächst den Probenprozess,<br />

für den die Musik aus Aufnahmen aufbereitet wird.<br />

Spielt in den Vorstellungen meist das Orchester, so werden für<br />

die zahlreichen Gastspiele Aufnahmen verwendet – ein nicht<br />

unaufwändiger Vorgang, denn jeder Tänzer hat sein eigenes<br />

Tempo, so dass die Musiken angepasst werden. »Ballett ist<br />

Interaktion zwischen Dirigent und Tänzer, bei Tonbandaufführungen<br />

fällt das weg. Jeder Tänzer muss ein individuelles<br />

Tempo tanzen, da jeder seinen eigenen Körperbau, seine<br />

Persönlichkeit hat. Vladimir Malakhov hat das einmal prägnant<br />

formuliert: Das Tempo des einen kann den anderen ›wie<br />

Micky Maus‹ aussehen lassen,« so <strong>Die</strong>ter Fenchel. Hinter der<br />

Arbeit im Ballett steht ein gigantisches Archiv, denn die Inszenierungen<br />

werden teilweise jahrzehntelang gespielt. Im<br />

Ballett wird zudem viel zeitgenössische Musik verwendet, die<br />

häufig den Einsatz von Beschallungstechnik und Live-Elektronik<br />

erfordert.<br />

Übrigens sind Archiv und Dokumentation eine weitere<br />

wichtige Aufgabe für alle Sparten, denn jede Premiere wird in<br />

Ton und Video mitgeschnitten, um später Material für Einstudierungen<br />

zu haben. Und dann sind da noch all die einzelnen,<br />

nicht eben kleinen Spezialaufgaben: etwa das seit einigen<br />

Jahren im Schlossgarten veranstaltete Public Viewing des Balletts,<br />

wo es darum geht, nicht nur den Orchesterklang, sondern<br />

auch die Saalakustik in einer Surround-Übertragung außen<br />

abzubilden. Oder die Gastspiele, etwa des Schauspiels mit<br />

Harald Schmidt und Band, wo eine Spezialtruppe aus Frank<br />

Bürgers Team in zahlreichen Städten unterwegs war. Oder die<br />

Tourneen des Balletts. Oder die DVD-Produktionen: Zur Zeit<br />

wird in der Oper <strong>Die</strong> Nachtwandlerin vorbereitet. <strong>Die</strong> Tonleute<br />

arbeiten hier ganz klassisch als Aufnahme-Tonmeister und<br />

-Ingenieure, in der Abteilung gibt es dafür Spezialisten. Überhaupt<br />

sind beide Teams aus Mitarbeitern mit den verschiedensten<br />

Begabungen und Hintergründen zusammengesetzt.<br />

»<strong>Die</strong> Kollegen bringen ihre Erfahrung, aber auch ihre Anregungen<br />

und ihren Experimentiergeist in die Arbeit ein, das ist<br />

ein ganz wichtiger Impuls«, so Frank Bürger. Wie für alle im<br />

Theater ist das tägliche Multitasking von Proben, Vorbereitung<br />

und Logistik die eigentliche Herausforderung, ergänzt <strong>Die</strong>ter<br />

Fenchel, und doch es ist bei aller Technik »für uns das Live-<br />

Erlebnis auf der Bühne, für das wir arbeiten.« Julia Besser<br />

6 Das Journal September /Oktober /November 2013<br />

7


02. <strong>Stuttgart</strong>er Ballett on tour<br />

02.<br />

Sadler’s Wells Theatre London<br />

Ballettabend: Made in Germany –<br />

zuerst in <strong>Stuttgart</strong>, dann in London<br />

»Wir waren privilegiert, <strong>Stuttgart</strong> diesen<br />

Frühling zu sehen; je früher sie wieder<br />

kommen, desto besser«, schrieb der Sunday<br />

Express nach dem letzten Londoner Gastspiel<br />

des <strong>Stuttgart</strong>er Balletts im März 2008.<br />

<strong>Die</strong>sem Wunsch kommt die Compagnie nur zu gerne nach<br />

und folgt im November einer Einladung in die britische Metropole,<br />

wo sie am Sadler’s Wells Theatre gastieren wird.<br />

Mit auf die Reise geht neben John Crankos Der Widerspenstigen<br />

Zähmung der ganz neu zusammen gestellte<br />

Ballettabend Made in Germany.<br />

Ein besonderes Ziel<br />

London ist für das <strong>Stuttgart</strong>er Ballett stets ein ganz besonderes<br />

Ziel, war doch sein Begründer John Cranko, dessen<br />

Geist und Schöpferkraft noch heute die Compagnie prägen,<br />

der Stadt eng verbunden. Hier hatte er am Sadler’s Wells<br />

Ballet, dem heutigen Royal Ballet, seine Karriere begonnen,<br />

seine ersten Schritte als Choreograph getan und war<br />

danach viele Jahre lang als Hauschoreograph tätig gewesen.<br />

»Wenn man 5 Minuten lang in London gewesen ist,<br />

will man es nie wieder verlassen«, sagte Cranko einmal.<br />

Zum Glück für <strong>Stuttgart</strong> tat er dies letztendlich doch, um<br />

hier Ballettdirektor zu werden, doch London blieb Crankos<br />

zweite Heimat in Europa. Und deshalb erfüllt das <strong>Stuttgart</strong>er<br />

Ballett nur zu gern den Wunsch der Gastgeber vom<br />

Sadler’s Wells Theatre, die Compagnie mit einem Stück<br />

John Crankos erleben zu können: Der Widerspenstigen<br />

Zähmung. Dass die literarische Vorlage zu dieser Ballettkomödie<br />

von William Shakespeare stammt, macht die Aufführung<br />

in England natürlich umso passender!<br />

Neben der Reihe der großen Handlungsballette nach<br />

literarischen Vorlagen begründete Cranko am <strong>Stuttgart</strong>er<br />

Ballett eine weitere Tradition: die konsequente Förderung<br />

des choreographischen Nachwuchses und somit die intensive<br />

Pflege des zeitgenössischen Repertoires. <strong>Die</strong>sen<br />

Schwerpunkt setzt Ballettintendant Reid Anderson mit<br />

viel Herzblut fort und hat nun einen Abend konzipiert, der<br />

eindrücklich zeigt, welch großes choreographisches Talent<br />

seit Jahren aus den eigenen Reihen hervorgeht und welch<br />

spannende Uraufführungen am <strong>Stuttgart</strong>er Ballett immer<br />

wieder kreiert werden. Unter dem Titel Made in Germany<br />

– ebenso treffend wäre Made in <strong>Stuttgart</strong> – zeigt das <strong>Stuttgart</strong>er<br />

Ballett ausschließlich Stücke, die für das <strong>Stuttgart</strong>er<br />

Ballett geschaffen wurden, von Choreographen, deren Verbindung<br />

zur Compagnie besonders eng ist.<br />

Und da es dem <strong>Stuttgart</strong>er Ballett trotz aller Reisen und<br />

Gastauftritte am wichtigsten ist, das heimische Publikum<br />

zu erfreuen, wird dieser Ballettabend in leicht veränderter<br />

Form auch in <strong>Stuttgart</strong> zu sehen sein, im frisch renovierten<br />

Schauspielhaus.<br />

Von Bigonzetti bis Volpi<br />

Werke von Marco Goecke dürfen an einem solchen Abend<br />

natürlich nicht fehlen, der Hauschoreograph des <strong>Stuttgart</strong>er<br />

Balletts ist mit zwei seiner Choreographien vertreten.<br />

Fancy Goods, sein für Friedemann Vogel kreiertes, jazzig<br />

melancholisches Solo, sowie Äffi, dieses Kult-Stück zu<br />

Songs von Johnny Cash, zeigen eindrücklich Goeckes Meisterschaft<br />

im Sezieren des klassischen Tanzvokabulars, seine<br />

auf Rücken und Arme konzentrierte Bewegungssprache,<br />

seine progressive Interpretation von Virtuosität. Ebenfalls<br />

als Hauschoreograph beim <strong>Stuttgart</strong>er Ballett ist seit Beginn<br />

der Spielzeit 2013/14 Demis Volpi tätig. Sein Little<br />

Monsters, ein Pas de deux zu Songs von Elvis Presley, geschaffen<br />

für <strong>Stuttgart</strong>er Tänzer, feierte schon beim letzten<br />

Gastspiel am legendären Moskauer Bolschoi-Theater einen<br />

fulminanten Erfolg bei Publikum und Presse. Der junge<br />

Choreograph hat bereits u.a. am American Ballett Theatre<br />

gearbeitet und für das <strong>Stuttgart</strong>er Ballett sein erstes großes<br />

Handlungsballett Krabat kreiert. Der ehemalige Erste<br />

Solist Douglas Lee erweitert das zeitgenössische Repertoire<br />

des <strong>Stuttgart</strong>er Balletts seit einigen Jahren mit seinen<br />

hoch ästhetischen Choreographien. Er fordert mit seinem<br />

Fanfare LX zur temporeichen Filmmusik Michael Nymans<br />

die Beweglichkeit der Protagonisten bis aufs Äußerste und<br />

oben Magdalena Dziegielewska, Pablo von Sternenfels<br />

in Katarzyna Kozielskas Symph<br />

Mitte Daniel Camargo in Demis Volpis Little Monsters<br />

unten Anna Osadcenko, Evan McKie in Douglas Lees Fanfare LX<br />

formt durch einen kreativen Umgang mit der Kunst des Pas<br />

de deux immer wieder Bilder von skulpturartiger Schönheit.<br />

Außerdem können sich die Zuschauer auf ein Wiedersehen<br />

mit Katarzyna Kozielskas Symph und Roman Novitzkys<br />

Are you as big as me?, den Publikumslieblingen der<br />

letzten Ausgabe der Jungen Choreographen der Noverre-<br />

Gesellschaft, freuen.<br />

Neben der Förderung der Talente aus den Reihen des<br />

<strong>Stuttgart</strong>er Balletts ist es Ballettintendant Reid Anderson<br />

ein Anliegen, regelmäßig spannende Choreographen aus<br />

aller Welt einzuladen, um das Repertoire immer wieder<br />

zu erweitern, zu modernisieren und sowohl dem Publikum<br />

als auch seinen Tänzern einen möglichst großen Facettenreichtum<br />

an unterschiedlichen Stilen zu bieten. In jüngster<br />

Zeit kam zum Beispiel Edward Clug als Gast nach <strong>Stuttgart</strong>.<br />

Sein Ssss ... schuf er hier im Jahr 2012, eine erfindungsreiche,<br />

von der klassischen Bewegungssprache inspirierte<br />

Choreographie, die einfühlsam die ihr zu Grunde liegenden<br />

Nocturnen von Frédéric Chopin in Tanz umsetzt. Itzik Galili<br />

schuf für das <strong>Stuttgart</strong>er Ballett mit Mono Lisa eine Verbindung<br />

von atemberaubender Akrobatik und zeitgemäßer<br />

Coolness, Mauro Bigonzetti spielt im zentralen Pas de<br />

deux von Kazimir’s Colours mit den Kräften von Anziehung<br />

und Abstoßung, mit dem Spannungsverhältnis zwischen<br />

Harmonie und Divergenz. Das Finale von das siebte blau<br />

bildet dann schließlich auch das Finale des Ballettabends.<br />

Natürlich stammt auch dieses Stück von einem dem <strong>Stuttgart</strong>er<br />

Ballett eng verbundenen Künstler: Christian Spuck,<br />

ehemaliger Hauschoreograph der Compagnie und amtierender<br />

Direktor des Ballett Zürich.<br />

Garant für Qualität<br />

Mit Made in Germany bringt das <strong>Stuttgart</strong>er Ballett also einen<br />

spannenden Abend nach England – genau in das Land<br />

also, in dem dieses Etikett einst geprägt wurde. Übrigens<br />

geschah dies im 19. Jahrhundert zunächst nicht als positive<br />

Kennzeichnung von Produkten, sondern um vor billiger<br />

Importware zu warnen. Doch längst haben sich die Zeiten<br />

geändert und Made in Germany ist zu einem Garanten für<br />

Qualität geworden und genau das richtige Label, um darunter<br />

Tanz aus <strong>Stuttgart</strong> und somit auch die Stadt <strong>Stuttgart</strong><br />

zu präsentieren.<br />

Kristina Scharmacher<br />

Ballettabend: Made in Germany<br />

Fancy Goods Choreographie Marco Goecke Musik Sarah<br />

Vaughan Ssss ... (Solo) Choreographie Edward Clug<br />

Musik Frédéric Chopin Fanfare LX Choreographie Douglas<br />

Lee Musik Michael Nyman Little Monsters Choreographie<br />

Demis Volpi Musik Elvis Presley Le Grand Pas de<br />

deux Choreographie Christian Spuck Musik Gioachino<br />

Rossini Symph Choreographie Katarzyna Kozielska<br />

Musik Ludwig van Beethoven, Antonio Vivaldi u.a. Allure<br />

Choreographie Demis Volpi Are you as big as me?<br />

Choreographie Roman Novitzky Musik Hazmat Modine<br />

Äffi Choreographie Marco Goecke Musik Johnny Cash<br />

Kazimir’s Colours (Pas de deux) Choreographie<br />

Mauro Bigonzetti Musik Dmitri Schostakowitsch Mono<br />

Lisa Choreographie Itzik Galili Musik Thomas Höfs<br />

mit Itzik Galili das siebte blau (Finale) Choreographie<br />

Christian Spuck Musik Franz Schubert<br />

Premiere: 27. September 2013 // 19:00 Uhr //<br />

Schauspielhaus<br />

Weitere Vorstellungen: 03.10. // 10.10. // 12.10. // 04.12.<br />

19.12.2013<br />

Gastspielreise des <strong>Stuttgart</strong>er Balletts nach London<br />

18. & 19. November 2013:<br />

Ballettabend: Made in Germany Sadler’s Wells Theatre<br />

22. & 23. November 2013<br />

John Crankos Der Widerspenstigen Zähmung<br />

Sadler’s Wells Theatre<br />

Weitere Informationen zu Der Widerspenstigen Zähmung<br />

siehe Seite 12.<br />

Friedemann Vogel in Marco Goeckes Fancy Goods (Fotos: <strong>Stuttgart</strong>er Ballett)<br />

8<br />

Das Journal September /Oktober /November 2013<br />

9


03. 03. Albert Dohmen<br />

Der Bassbariton über das Geheimnis von Berlusconi und Falstaff<br />

„Ich hatte genug<br />

davon, immer einen<br />

Speer zu halten!“<br />

Er gilt als deutscher Sänger schlechthin und<br />

ist einer der führenden Wotane seiner<br />

Generation. In Herz und Seele aber ist der<br />

aus Krefeld stammende Bassbariton ALBERT<br />

DOHMEN fast ein Italiener: Mit seiner<br />

sizilianischen Frau und seinen zwei Kindern<br />

hat der 57jährige bis vor kurzem in Rom<br />

gelebt, in <strong>Stuttgart</strong> wird er im Oktober als<br />

Falstaff in Andrea Moses’ neuer Inszenierung<br />

von Giuseppe Verdis letzter Oper debütieren.<br />

Auf Italienisch – natürlich!<br />

Bassbaritone haben einen entscheidenden Vorteil im Leben:<br />

Stets ist man verleitet, ob ihres wohlklingenden, raumgreifenden<br />

Timbres nicht ihren Worten zuzuhören, sondern schlicht<br />

dem verführerischen Klang ihrer Stimme zu lauschen. »Ja,<br />

eine tiefe, ruhige Stimme ist im Umgang mit den Mitmenschen<br />

in der Tat bisweilen von Vorteil«, lacht Albert Dohmen.<br />

»Und auch bei der Kindererziehung kann sie hilfreich sein.<br />

Bei meinem Nachwuchs heißt es manchmal: ›Oh, Papa hat<br />

ins Wotan-Register gewechselt‹ – was bedeutet, Widerspruch<br />

ist nicht mehr anzuraten. <strong>Die</strong>ser Effekt nutzt sich mit der Zeit<br />

aber leider ein wenig ab!«<br />

Es ist Juli und Albert Dohmen ist für erste Falstaff-Proben<br />

in <strong>Stuttgart</strong>. Am 20. Oktober wird er in Andrea Moses’ neuer<br />

Inszenierung von Giuseppe Verdis letzter Oper in der Titelrolle<br />

debütieren: »Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich auf Verdi<br />

freue. Endlich wieder ein Ausflug in meine geliebte italienische<br />

Kulturwelt! Ich spreche fließend Italienisch, habe 20 Jahre<br />

lang in Italien gelebt, liebe die Italianitá. Doch das wissen<br />

viele nicht. <strong>Die</strong> denken nur: Dohmen – Wagner, Strauss. Ich<br />

gelte als deutscher Sänger schlechthin.«<br />

In der Tat: Dohmen ist einer der führenden Wotane seiner<br />

Generation, und auch seine zweite Paraderolle, der Hans<br />

Sachs in Richard Wagners <strong>Die</strong> Meistersinger von Nürnberg,<br />

könnte deutscher gar nicht sein: »Dass mir <strong>Stuttgart</strong> die Möglichkeit<br />

gibt, als Falstaff endlich mal den Speer abgeben zu<br />

können, dafür bin ich diesem Haus unendlich dankbar!« Umso<br />

mehr, als er sich nicht nur auf die musikalische Zusammenarbeit<br />

mit GMD Sylvain Cambreling freue, sondern auch auf<br />

die Regie von Andrea Moses: »Sie ist eine dieser Regisseurinnen,<br />

die die Sänger mit Respekt und Können zu Schauspielern<br />

macht. Das ist es, was ich suche!«<br />

eine Pianistin, deren Ehemann ein rumänischer Bassist war.<br />

Sie hat zu mir gesagt: ›Alberto, du klingst wie mein Mann vor<br />

40 Jahren. Du hast eine hohe Bassstimme, die es eventuell ins<br />

›Killerfach‹ des Heldenbaritons schaffen könnte.‹« Aber dieses<br />

Fach erreiche man nicht mit 25 Jahren, sagt Dohmen: »Man<br />

muss sich Zeit lassen. Man schafft den Wotan nur, wenn man<br />

ihn aufbaut. Ich habe schon als junger Sänger mit großen Dirigenten<br />

wie Claudio Abbado, Sir Georg Solti, Kurt Masur, Zubin<br />

Mehta und James Levine zusammengearbeitet. Sie alle haben<br />

mir beigebracht, dass am Anfang eines Sängerlebens das<br />

Studium steht, und die Disziplin. Daran habe ich mich immer<br />

gehalten.«<br />

Debüt mit 57 Jahren<br />

Zehn Jahre lang hat er den Wotan in <strong>Die</strong> Walküre und den<br />

Wanderer in Siegfried studiert, bevor er diese Partien im Alter<br />

von 40 Jahren erstmals öffentlich gesungen hat. Seinen ersten<br />

Hans Sachs habe er sich zum 50. Geburtstag geschenkt,<br />

erzählt Dohmen: »Erst in diesem Alter hat man ausreichend<br />

Erfahrungen für diese schwierigen Partien gesammelt. Und<br />

ich meine nicht nur das stimmliche Können und die Fähigkeit,<br />

sich auf Kommando tausendprozentig zu konzentrieren:<br />

Wir Sänger müssen leben! Nur das, was man gefühlsmäßig<br />

auch erlebt hat, kann man glaubhaft auf der Bühne darstellen.<br />

Denn die menschliche Stimme ist der Spiegel der Seele. Das<br />

will heute keiner mehr hören – aber es ist so!«<br />

Mit 57 Jahren wird Albert Dohmen hier in <strong>Stuttgart</strong> als<br />

Falstaff debütieren – ein nicht nur angesichts der Schnelllebigkeit<br />

der heutigen Opernwelt und ihren immer jünger werdenden<br />

Shooting Stars ein eher ungewöhnliches Ereignis: Selten,<br />

dass sich ein Sänger heute selbst ausreichend Zeit für seine<br />

persönliche Entwicklung lässt – und sich diese »Freiheit«<br />

auch gegenüber ehrgeizigen Plattenfirmen und Agenten herausnimmt.<br />

Albert Dohmen hat sich da nie beirren lassen:<br />

»Man muss sich seine Karriere selbst einteilen. Man darf sich<br />

nicht hetzen, aber auch nicht verführen lassen. Ich habe meine<br />

Agenten mit meiner beharrlichen Weigerung, den Sachs<br />

zu singen, jahrelang in den Wahnsinn getrieben«, sagt Dohmen<br />

mit dem diebischen Grinsen desjenigen, der am Ende<br />

Recht behalten hat.<br />

»Unwiderstehliche Angebote, große Plattenverträge, berühmte<br />

Opernhäuser: Und dann? Das kann alles so schnell<br />

vorbei sein. Ist die Stimme einmal im Eimer, kann es gut sein,<br />

dass man früher vor dem Nichts steht, als einem lieb ist. Und<br />

überhaupt – was soll denn dieser Straffheitswahn? Warum<br />

müssen alle jung sein? Jede Falte ist Beweis für erlebtes und<br />

gelebtes Leben: Wir sollten uns freuen über sie! Bei allem Respekt<br />

für den Jugendkult: Es liegt eine unglaubliche Kraft in der<br />

Ruhe, die man nur durch die Erfahrung bekommt.«<br />

Als Wotan in <strong>Die</strong> Walküre (Regie: Tankred Dorst) bei den Bayreuther<br />

Festspielen 2007 © Bayreuther Festspiele GmbH / Jörg Schulze<br />

Als Hans Sachs in <strong>Die</strong> Meistersinger von Nürnberg (Regie: Pierre<br />

Strosser), Grand Théâtre de Genève © Archives GTG / Mario del Curto<br />

Foto: Martin Sigmund<br />

Eine Sizilianerin und<br />

einer vom Niederrhein<br />

Albert Dohmen ist ein wahrer Wagner-Hüne: großgewachsen,<br />

resolut, dabei besonnen, temperamentvoll und mit unverkennbar<br />

niederrheinischem Humor. Seine ganz eigene<br />

Italianitá steckt im Detail – und seine bloßen Füße in blauen<br />

Wildleder-Slippern. Wagner und Verdi, Deutschland und Italien:<br />

in Körperbau und Modestil perfekt vereint.<br />

Wie hat es den Mann, der als mittlerer von acht Geschwistern<br />

– »ich habe die Jüngeren verteidigt und nach oben vermittelt«<br />

– in Krefeld aufgewachsen ist, nach Italien verschlagen?<br />

»Ich habe eine Frau vom Ätna geheiratet! Eine Sizilianerin und<br />

einer vom Niederrhein, das heißt zwei Sprachen, zwei Kulturen,<br />

zwei Temperamente. Eine explosive Mischung, die sich<br />

bestens auf unsere beiden Kinder verteilt hat.« Zwei Kinder<br />

– wie alt denn? Dohmens Antwort ist ein waidwunder Blick<br />

aus blauen Augen und ein leises Wort, bedrohlich und bedeutungsschwanger:<br />

»Pubertät!«<br />

Wie war er selbst als Kind? Für sein Leben gern gesungen<br />

habe er schon immer, erzählt Dohmen: »Ich hatte wohl eine<br />

sehr schöne Knabenstimme, habe Bach-Kantaten gesungen<br />

und auch in Theaterchören. Aber für meine Eltern war klar:<br />

Der Junge wird Anwalt.« Also hat Dohmen Jura studiert – aber<br />

nie Gesang: »Ich hatte immer nur privaten Gesangsunterricht.<br />

Zu Beginn war ich einer amerikanischen, hochdramatischen<br />

Lehrerin ausgeliefert, für die es nur Forte und Fortissimo gab,<br />

weil sie selbst nicht viel anderes als Isolden, Brünnhilden und<br />

Turandots an der Met gesungen hat. Sie wusste mit meiner<br />

jungen Bassstimme nichts anzufangen. Gerettet hat mich<br />

Fare bella figura!<br />

Auf sehr viel gelebtes Leben konnte auch Giuseppe Verdi<br />

zurückblicken, als er mit knapp 80 Jahren seine letzte Oper<br />

Falstaff komponierte – vielleicht auch das ein Grund, warum<br />

dieses Werk gespickt ist mit Zitaten, seien sie nun musikalischer<br />

oder literarischer Art. Verdis 1893 uraufgeführte Komödie<br />

rund um den dicken Ritter Falstaff, der mit einer ob seines<br />

Alters und seiner Körperfülle erstaunlich selbstbewussten<br />

Dreistigkeit die Bürgerwelt von Windsor durcheinanderbringt,<br />

ist neben Verdis Frühwerk Un giorno di regno das einzige<br />

Lustspiel des Komponisten und gilt als einer der Höhepunkte<br />

seines Schaffens.<br />

<strong>Die</strong> Frage nach Falstaffs robustem Charakter bringt uns auf<br />

Silvio Berlusconi – und damit auch darauf, warum Familie<br />

Dohmen nach knapp zwei Jahrzehnten das Land, wo die Zitronen<br />

– und die Korruptionen – blühn’, verlässt. Ja, Berlusconi<br />

sei einer der Gründe für diesen Umzug, das gebe er offen<br />

zu, sagt Dohmen: »Wir hatten es satt, uns andauernd unermesslich<br />

zu ärgern. Also haben wir beschlossen, wieder nach<br />

Deutschland zu ziehen.«<br />

Was aber hat Shakespeares Figur des Falstaff nun tatsächlich<br />

mit dem vermeintlichen Parade-Italiener Berlusconi gemeinsam?<br />

»Beiden gemeinsam ist ein Talent, das die Italiener<br />

fare bella figura nennen: Das ganze Leben spielt sich ja<br />

draußen ab, auf der Piazza. Und wer sich dieser Öffentlichkeit<br />

zu präsentieren und zu verkaufen weiß, wer ›einen guten Eindruck‹<br />

macht, die Menschen für sich einnimmt und gleichzeitig<br />

stets Mittel findet, das Leben so zu drehen, dass ihm die<br />

süßen Früchte vor die Füße fallen, der kann in Italien gerne<br />

auch ein Gauner sein: Er macht ›eine gute Figur‹ und jemandem,<br />

der das beherrscht, scheinen viele Italiener tatsächlich<br />

alles zu verzeihen. Das Phänomen Berlusconi funktioniert nur<br />

in Italien: In Deutschland hätte so einer keine Chance«, sagt<br />

Dohmen kopfschüttelnd, resigniert.<br />

Was ist das Geheimnis Berlusconis – und Falstaffs? »Ihre<br />

Unverschämtheit! Beide verkaufen eine Idee, beide bedienen<br />

die Leute, indem sie sie betrügen. Und sie sind Stehaufmännchen:<br />

Niederlagen prallen an ihnen einfach ab. Zwar gehen<br />

sie hin und wieder zu Boden, aber das spielt keine Rolle. Sie<br />

richten sich auf, klopfen den Staub ab, blicken sich um – und<br />

siehe da: <strong>Die</strong> Leute sind noch immer fasziniert!«<br />

Babette Karner<br />

Falstaff<br />

von Giuseppe Verdi<br />

Musikalische Leitung: Sylvain Cambreling; Regie:<br />

Andrea Moses<br />

Premiere: 20. Oktober 2013 // 18:00 Uhr // Opernhaus<br />

Weitere Vorstellungen: 26.10. // 03.11. // 13.11. // 19.11. //<br />

22.11. // 27.11. // 27.12. // 31.12.2013 // 02.01.2014<br />

10 Das Journal September /Oktober /November 2013<br />

11


04. Shakespeare vertanzt<br />

04.<br />

John Crankos Der Widerspenstigen Zähmung und John Neumeiers Othello<br />

<strong>Die</strong> Tragödie: Othello<br />

Neben der Komödie für die ganze Familie zeigt das <strong>Stuttgart</strong>er<br />

Ballett im Herbst 2013 auch die andere Seite Shakespeares,<br />

eine herzzerreißende Tragödie, die dem Zuschauer<br />

schlichtweg den Atem raubt.<br />

In seiner Interpretation des Shakespeare’schen Eifersuchtsdramas<br />

Othello schuf John Neumeier eine psychologische<br />

Studie, die die Vielschichtigkeit der Charaktere in den Vordergrund<br />

stellt. Er kreierte eine anrührende Skizze über menschliche<br />

Abgründe, umgesetzt in fesselnden Tanz.<br />

Mit der Senatorentochter Desdemona und dem stolzen<br />

General Othello treffen zwei Menschen aufeinander, die unterschiedlicher<br />

nicht sein könnten – und dennoch lieben sie<br />

sich. Der Fähnrich Jago jedoch, von Othello bei einer Beförderung<br />

übergangen, schmiedet aus Rache einen perfiden<br />

Plan, der diese Liebe in einer Tragödie enden lässt. Es gelingt<br />

Jago, Othello von Desdemonas angeblicher Untreue zu überzeugen,<br />

ihn glauben zu machen, dass Desdemona eine Affäre<br />

mit einem anderen habe. Othello steigert sich so sehr in seine<br />

Eifersucht, in seine unendliche Verzweiflung hinein, dass er<br />

letztendlich den Verstand verliert und seine geliebte Desdemona<br />

tötet. Bald darauf ist er von ihrer Unschuld überzeugt<br />

und nimmt sich selbst das Leben.<br />

Eine Handlung, die nicht nur Generationen von Zuschauern<br />

bewegt hat, sondern auch immer wieder Fragen aufwirft.<br />

Wie kann es dazu kommen, dass der selbstbewusste Othello<br />

zu der Überzeugung gelangt, dass seine geliebte Frau ihn betrügt?<br />

Warum ist dieser angebliche Betrug für ihn eine solch<br />

existentielle Katastrophe? Nun, Othello ist nicht so stark, wie<br />

es zunächst scheinen mag, und Jagos Verhalten ist so teuflisch,<br />

dass er auch stärkere Charaktere als Othello vernichten<br />

könnte – diese und mehr Antworten gibt John Neumeier mit<br />

seinem dramaturgisch vielschichtigen Ballettdrama.<br />

Kreiert für das Hamburg Ballett im Jahr 1985 tanzt das<br />

<strong>Stuttgart</strong>er Ballett John Neumeiers Othello seit dem Jahr 2008.<br />

Kristina Scharmacher<br />

Der Widerspenstigen Zähmung<br />

Ballett von John Cranko nach William Shakespeare<br />

Choreographie und Inszenierung: John Cranko;<br />

Musik: Kurt-Heinz Stolze nach Domenico Scarlatti;<br />

Bühnenbild und Kostüme: Elisabeth Dalton;<br />

Uraufführung: 16. März 1969, <strong>Stuttgart</strong>er Ballett;<br />

Musikalische Leitung: James Tuggle<br />

Vorstellungen im Opernhaus: 25.09. // 28.09. // 30.09. //<br />

01.10. // 21.12. // 26.12. (nm/abd) // 28.12. // 30.12.2013 //<br />

04.01. // 10.01.2014<br />

Othello<br />

Ballett von John Neumeier nach William Shakespeare<br />

Choreographie, Inszenierung, Ausstattung: John<br />

Neumeier; Musik: Arvo Pärt, Alfred Schnittke, Naná<br />

Vasconcelos, u.a.; Uraufführung: 27. Januar 1985,<br />

Kampnagelfabrik, Hamburg Ballett; Erstaufführung<br />

beim <strong>Stuttgart</strong>er Ballett: 24. April 2008;<br />

Musikalische Leitung: James Tuggle<br />

Vorstellungen im Opernhaus: 05.10. // 06.10. // 13.10.<br />

(nm/abd) // 19.10. // 21.10. // 01.11.2013<br />

links Sue Jin Kang, Filip Barankiewicz in John Crankos Der Widerspenstigen Zähmung. Foto: <strong>Stuttgart</strong>er Ballett<br />

unten Alicia Amatrain, Jason Reilly in John Neumeiers Othello. Foto: <strong>Stuttgart</strong>er Ballett<br />

Heitere Ballettkomödie und erschütterndes Tanzdrama –<br />

die Shakespeare-Ballette im Herbst<br />

Vor beinahe 450 Jahren, anno 1564, wurde im<br />

englischen Stratford-upon-Avon WILLIAM<br />

SHAKESPEARE geboren – er sollte zu einem<br />

der größten Dramatiker der Literaturgeschichte<br />

werden. Seine einzigartige Bedeutung<br />

liegt nicht zuletzt in der unvergleichlichen<br />

Bandbreite seines Schaffens begründet, das<br />

von derben Komödien über hochdramatische<br />

Liebestragödien und Historiendramen bis<br />

hin zu Versdichtungen und Sonetten reicht.<br />

Geprägt von einem schier unerschöpflichen Sprachreichtum<br />

unterschiedlichster Stile, vielschichtigen Figurenkomplexen<br />

und tiefgründiger Psychologie, inspirierten Shakespeares<br />

Werke zahlreiche Künstler. Auch auf die Welt des Tanzes übt<br />

der Dichter seit Jahrhunderten eine immense Anziehungskraft<br />

aus. <strong>Die</strong> ersten auf seinen Stücken basierenden Ballette<br />

werden Jean-Jacques Noverre zugeschrieben, diesem großen<br />

Tanzreformer, der im 18. Jahrhundert auch einige Jahre in<br />

<strong>Stuttgart</strong> wirkte. Seither sind die Shakespeare’schen Stoffe<br />

immer wieder für die Ballettbühne umgesetzt worden. Und so<br />

befinden sich auch im Repertoire des <strong>Stuttgart</strong>er Balletts zahlreiche<br />

Spuren des großen englischen Genies und viele unterschiedliche<br />

Generationen von <strong>Stuttgart</strong>er Tänzern haben sich<br />

bereits mit seinen Figuren befasst, seien es Romeo und Julia,<br />

Titania oder Hamlet.<br />

Zu Beginn der Spielzeit 2013/14 kann das <strong>Stuttgart</strong>er Publikum<br />

zwei sehr unterschiedliche Shakespeare-Ballette im Opernhaus<br />

erleben, eines von ihnen basiert auf einer seiner amüsantesten<br />

Geschichten, das andere auf einer der tragischsten:<br />

John Crankos Ballettkomödie Der Widerspenstigen Zähmung<br />

und John Neumeiers psychologisches Drama Othello.<br />

<strong>Die</strong> Komödie: Der Widerspenstigen Zähmung<br />

John Cranko, Begründer des <strong>Stuttgart</strong>er Balletts und Vater<br />

des <strong>Stuttgart</strong>er Ballettwunders, war durchdrungen von einer<br />

tiefen Liebe zu Shakespeare. Zwei der drei abendfüllenden<br />

Handlungsballette, denen Cranko seinen großen Ruhm verdankt,<br />

basieren auf seinen Werken: das tragische Romeo und<br />

Julia aus dem Jahr 1962 sowie die Komödie Der Widerspenstigen<br />

Zähmung von 1969.<br />

Nachdem Shakespeares frühes Lustspiel Der Widerspenstigen<br />

Zähmung es bereits auf die Opern- und Musicalbühnen<br />

der Welt geschafft hatte, zum Beispiel als Cole Porters Kiss<br />

me, Kate, war John Cranko der erste, der den Stoff auch auf<br />

die Ballettbühne brachte – und das mit sicherem Gespür für<br />

Shakespeares Komik, Ironie und Charakterzeichnung. Klug<br />

gestaltete Cranko das klassische Tanzvokabular gemäß der<br />

heiteren literarischen Vorlage, übersetzte den Wortwitz des<br />

Dichters, die Bilder und Feinheiten seiner Sprache in Bewegung<br />

und Pantomime. Shakespeares Kalauer und feiner Humor<br />

sowie die farbenreichen und größtenteils kontrastierenden<br />

Figuren boten ihm genau die richtige Grundlage für eine<br />

herzhafte Ballettkomödie. Doch auch Momente der Besinnung<br />

spielen eine Rolle, womit Cranko den mehrschichtigen<br />

Charakter von Shakespeares Komödie bewahrt.<br />

Mitreißend und detailreich erzählt er die pfiffige Geschichte<br />

der kratzbürstigen Katharina, die verheiratet werden soll,<br />

damit auch ihre jüngere Schwester Bianca Hochzeit feiern<br />

kann. Schnell entwickeln die Verehrer Biancas einen Plan:<br />

Sie überreden den mittellosen Petrucchio, sich gegen Bezahlung<br />

mit Katharina zu vermählen. Katharina willigt ein und<br />

Petrucchio gibt ihrem kecken Kampfgeist willensstark und<br />

raffiniert Paroli. Letztendlich fördert Petrucchio Katharinas<br />

eigentlich sensibles Wesen zu Tage, so dass die beiden sich<br />

wirklich ineinander verlieben und ihr gemeinsames Glück als<br />

gleichberechtigte Partner finden können.<br />

Crankos Der Widerspenstigen Zähmung ist bis heute eine<br />

der erfolgreichsten Ballettkomödien überhaupt und gehört<br />

noch immer zu den tragenden Säulen des Repertoires des<br />

<strong>Stuttgart</strong>er Balletts.<br />

12


05. Raum und Religion<br />

05.<br />

Zwei Schwerpunkte im Opern- und Konzertprogramm 2013/14<br />

Weder religiös noch romantisch –<br />

Vom Geistlichen in der Musik<br />

»Im Prinzip sind alle meine Werke<br />

mehr oder weniger geistlich inspiriert,<br />

ohne daß es der zugrundeliegende Text<br />

notwendigerweise wäre«, bekundete<br />

der Komponist Edison Denisov gegenüber<br />

einem Gesprächspartner. »Man<br />

muss den Begriff weiter fassen. [...] Der<br />

Schaum der Tage ist vielleicht noch<br />

geistlicher als mein Requiem, das ich<br />

zur gleichen Zeit komponiert habe.«<br />

Denisovs Schaum der Tage, eine Oper, die auf einem<br />

Jazz-Song beruht, in der Jesus leibhaftig auftritt, um<br />

sich die Hände in Unschuld zu waschen, in der junge<br />

Menschen an Seerosen zugrunde gehen, in der die Feuerwehr<br />

als Brandstifter agiert und unschuldige blinde<br />

Waisenmädchen einer Katze auf den Schwanz treten,<br />

woraufhin sie einer lebensmüden Maus den Kopf<br />

abbeißt, sollte geistlicher sein als ein Werk, das sich<br />

explizit auf einen liturgischen Text bezieht? <strong>Die</strong>ser<br />

Gedanke fordert vom Leser in der Tat eine kleine geistige<br />

Lockerungsübung. Sieht man sich – solcherart in<br />

seiner gedanklichen Beweglichkeit gedehnt – in der<br />

Musikgeschichte um, zeigt sich auch bei anderen vermeintlich<br />

»weltlichen« Werken ein »geistlicher« Gehalt.<br />

Mündet nicht auch Mozarts Oper über den »größten<br />

Verführer aller Zeiten«, Don Giovanni, in eine<br />

Höllenfahrt, die jede bildliche Darstellung einer »göttlichen<br />

Strafe« übersteigt? In der Versuchung durch seinen<br />

mephistophelischen Widerpart tritt die Thematik<br />

selbstverständlich auch in Fausts Verdammnis<br />

zutage. Doch die Inbrunst, ja, die Übersüße, mit der<br />

Hector Berlioz den Osterspaziergang seines Helden<br />

oder auch die Schlussapotheose in den schillerndsten<br />

Farben ausmalt, unterstreicht, dass es diesem revolutionären<br />

Geist, der auch vor den Abgründen des<br />

Opiumrauschs nicht halt machte, in den Momenten, in<br />

denen eine religiöse Aussage im Zentrum steht, ums<br />

Ganze geht. <strong>Die</strong> übermenschliche, metaphysische Dimension<br />

der Konflikte in Verdis Nabucco zu erwähnen,<br />

erübrigt sich, kreist doch die ganze Handlung um<br />

das Verhältnis von Individuum und Glaubensgemeinschaft,<br />

von Anbetung und Freiheit.<br />

Zwischenräume der Transzendenz<br />

In den drei zuletzt genannten Opern – sämtlich auf dem<br />

Spielplan dieses Herbstes – scheint die religiöse Dimension<br />

der Werke durch die Handlung motiviert, mithin<br />

durch die Dichtung. Doch auch ihre rein instrumentalen<br />

Werke weisen große Komponisten immer wieder<br />

als spirituell inspiriert aus – und so bilden Anton Bruckners<br />

Neunte Sinfonie und Joseph Haydns Sieben<br />

letzte Worte des Erlösers am Kreuz den Rahmen für<br />

eine Konzertsaison, in der die Frage nach dem geistlichen<br />

Gehalt der Musik immer wieder aufscheint.<br />

Eine Aufforderung, diesen Fragen nachzugehen,<br />

stellt die bevorstehende Uraufführung des Musiktheaters<br />

wunderzaichen von Mark Andre dar. Der aus<br />

Frankreich stammende Komponist, der bei seinem<br />

Meisterstudium in <strong>Stuttgart</strong> durch seinen Lehrer<br />

Helmut Lachenmann entscheidende Impulse empfangen<br />

hat, sucht in allen seinen Werken nach existenziellen<br />

Klangsituationen, die durch die Alltagserfahrung<br />

hindurch und über sie hinaus etwas von den<br />

Zwischenräumen mystischer Erfahrungen berichten.<br />

Sein Musiktheater, in dem Johannes Reuchlin, dem in<br />

<strong>Stuttgart</strong> begrabenen ersten deutschen Humanisten,<br />

eine wichtige Rolle zukommt, hat er immer wieder als<br />

»metaphysischen Roadtrip« bezeichnet.<br />

Wer der Musik von Mark Andre erstmals begegnet,<br />

wird von dieser Selbstaussage des Komponisten<br />

vielleicht zunächst überrascht. Denn sie hat nichts<br />

von der unerschütterlichen Selbstgewissheit blechgepanzerter<br />

Choräle und schon gleich gar nichts von<br />

der harmlosen Betulichkeit frommer Lieder. Ganz<br />

im Gegenteil scheint sie in ihrem unerschöpflichen<br />

Reichtum der Nuancen und Schattierungen eine Enzyklopädie<br />

feinster sensorischer Daten zu entfalten,<br />

aus deren Verbindung eine Ahnung von den Welten<br />

entsteht, die jenseits unserer Wirklichkeit liegen<br />

könnten.<br />

Unterscheidet sich Mark Andre in dieser Hinsicht<br />

tatsächlich so sehr von einem Johann Sebastian Bach,<br />

dessen Werke ja unbestritten in geistlichen Zusammenhängen<br />

stehen – und dabei keine Kompromisse<br />

der Satztechnik und der musikalischen Gestaltung<br />

eingehen? Ist eine »weltliche Kantate« Bachs – wie die<br />

Hochzeitskantate, die im 5. Liedkonzert mit Claudia<br />

Barainsky erklingt – tatsächlich weniger »geistlich«<br />

als seine h-moll-Messe ? (<strong>Die</strong> sich bekanntlich zudem<br />

auch aus »weltlichen« Werken des Komponisten<br />

speist.) Sind die »Pfingstrosen« von Hespos – auf französisch<br />

Pivoines und dargeboten von Karl-Friedrich<br />

Dürr im 2. Liedkonzert – schon pfingstliche Zungenrede,<br />

Glossolalie? Beraubt György Kurtág die Sprüche<br />

des Peter Bornemisza (5. Liedkonzert) einer Dimension,<br />

wenn er diese in Form eines »Konzertes« für<br />

Sopran und Klavier vertont, oder wird umgekehrt die<br />

Virtuosität der Interpreten zu einem Moment der Hingabe,<br />

der über die Welt hinausweisen soll?<br />

»Musik ist höhere Potenz der Poesie; die Engel müssen<br />

in Tönen reden, Geister in Worten der Poesie«,<br />

schreibt Robert Schumann. Der Gedanke, dass die<br />

Musik etwas sei, daß auf ein »Schatten-« oder »Geisterreich«<br />

hinter den Dingen verweise, ist tief romantisch.<br />

»Musikliebende Klosterbrüder« wie Wackenroder<br />

und Tieck formulierten sie in ihrer Idee einer<br />

Kunstreligion immer wieder aus, niemand so prägnant<br />

wie E.T.A. Hoffmann, der anlässlich von Beethovens<br />

Fünfter schrieb: »Wie führt diese wundervolle Komposition<br />

in einem fort und fortsteigenden Climax den<br />

Zuhörer unwiderstehlich fort in das Geisterreich des<br />

Unendlichen«. Was hätte er geschrieben, hätte er<br />

die Klangentäußerungen eines Anton Bruckner oder<br />

eines Giacinto Scelsi gekannt? Anton Bruckner bezog<br />

seinen Auftrag für das Komponieren unmittelbar<br />

vom »lieben Gott«, dem er seine Fragment gebliebene<br />

Neunte Sinfonie widmete: »<strong>Die</strong> wollen, dass ich<br />

anders schreibe«, berichtete er. »Ich könnt’s ja auch,<br />

aber ich darf nicht. Unter Tausenden hat mich Gott<br />

begnadet und dieses Talent mir, gerade mir gegeben.<br />

Ihm muß ich einmal Rechenschaft ablegen. Wie stünde<br />

ich vor unserem Herrgott da, wenn ich den anderen<br />

folgte und nicht ihm.«<br />

Der geheimnisvolle römische Graf Giacinto Scelsi<br />

empfing seinen Auftrag während einer Reise nach<br />

Indien und schuf eine nicht minder eigenwillige Musik<br />

als Anton Bruckner, die in Anlehnung an fernöstliches<br />

Gedankengut immer tiefer in das Innere des Einzeltones<br />

vorgedrungen ist – und so den Makrokosmos im<br />

Mikrokosmos erschlossen hat. Scelsis Hymnos für<br />

Orgel und zwei Orchester sowie Bruckners Neunte<br />

umschließen im 7. Sinfoniekonzert eines der außergewöhnlichsten<br />

Werke der Musikgeschichte: Spem<br />

in alium von Thomas Tallis, geschrieben um 1573 für<br />

vierzig Stimmen, oder genauer, für acht fünfstimmige<br />

Chöre a cappella. <strong>Die</strong> Stimmen erschließen nicht<br />

nur den Raum eines Konzertsaales – oder eines Kircheninneren,<br />

für den das Werk komponiert wurde –<br />

sondern auch den göttlichen Kosmos. Tallis lässt die<br />

Klänge spiralförmig rotieren und versetzt den Hörer<br />

selbst in das Zentrum des klingenden Universums.<br />

Solche Raummusik wurde im 16. Jahrhundert vor<br />

allem in Venedig praktiziert, wo man im Dom von<br />

San Marco Frage und Antwort aus unterschiedlichen<br />

Ecken und Enden durch den Raum klingen ließ. Erst<br />

die Komponisten des 20. Jahrhunderts haben diese<br />

Idee von einer Musik, die nicht nur den ganzen Raum<br />

erfüllt, sondern ihn auch von allen Seiten durchdringt,<br />

wieder intensiver aufgegriffen und haben sich hierfür<br />

nicht nur der akustischen Instrumente, sondern<br />

auch elektronischer Mittel bedient. Auch die Oper<br />

wunderzaichen von Mark Andre wird sich am Ende<br />

in den ganzen Opernraum hinein öffnen, den Raum<br />

verwandeln und ein einzigartiges Hörerlebnis in der<br />

Oper <strong>Stuttgart</strong> ermöglichen.<br />

Ohren zum Hören<br />

Auch die <strong>Stuttgart</strong>er Liederhalle, Heimstatt der Sinfoniekonzertreihe<br />

des Staatsorchesters <strong>Stuttgart</strong>, wird<br />

in dieser Spielzeit auf ihre raummusikalischen Möglichkeiten<br />

befragt. Nicht nur durch den Staatsopernchor<br />

<strong>Stuttgart</strong> im 7. Sinfoniekonzert, sondern auch im<br />

1. Sinfoniekonzert in einer Bearbeitung von Haydns<br />

ursprünglich als Streichseptett verfassten Meditationen<br />

über Sieben letzte Worte unseres Erlösers am<br />

Kreuz, die Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling<br />

selbst angefertigt hat. Vier Streichergruppen und ein<br />

Solocellist werden an ungewohnten Orten im Konzertraum<br />

zu finden sein, während die Bühne von einem<br />

Bläser- und Schlagzeugensemble okkupiert wird, mit<br />

dessen Hilfe Olivier Messiaen über das Geheimnis der<br />

Auferstehung sinniert.<br />

Vermutlich liegt die Affinität der Musik zur Welt<br />

des Transzendenten in ihrem Wesen begründet: Ihre<br />

Substanz ist so wenig greifbar wie jene, die Menschen<br />

göttlich zu nennen pflegen. Musik offenbart sich dem<br />

Hörenden und entzieht sich zugleich. Um an ihren<br />

geistvollen Spielen teilzuhaben muss man weder religiös,<br />

noch romantisch sein. Nur Ohren zu hören, die<br />

wär’n gut.<br />

Patrick Hahn<br />

Ausführliche Informationen zu allen im Text genannten<br />

Konzerten und Opern finden Sie unter<br />

www.oper-stuttgart.de<br />

Auf dem »metaphysischen Roadtrip«: Aufnahmen in der<br />

israelischen Wüste während der Recherche zum Musiktheater<br />

wunderzaichen von Mark Andre (Uraufführung: 2. März 2014)<br />

14 Das Journal September /Oktober /November 2013<br />

15


06. Ballettabend FORT// SCHRITT// MACHER<br />

Choreographien von Marco Goecke, William Forsythe und Hans van Manen<br />

Wegbereiter des<br />

Tanzes<br />

Mit den Choreographen Marco Goecke, Hans<br />

van Manen und William Forsythe bringt<br />

FORT//SCHRITT//MACHER drei Wegbereiter,<br />

Neuerer und Pioniere des Tanzes zusammen.<br />

Zugleich vereint dieser Ballettabend zwei<br />

Höhepunkte der Spielzeit 2013/14:<br />

Hauschoreograph Marco Goecke kreiert seine<br />

erste Uraufführung am Opernhaus seit dem<br />

Jahr 2010, außerdem steht nach längerer Zeit<br />

wieder eine <strong>Stuttgart</strong>er Erstaufführung von<br />

William Forsythe auf dem Programm.<br />

Bewegungsanalytiker:<br />

Marco Goecke<br />

»Im Tanz habe ich die Freiheit, die Welt auf den Kopf zu stellen«,<br />

sagt der Choreograph Marco Goecke. Und auf den Kopf<br />

stellt er auch immer wieder den Tanz selbst. Der Hauschoreograph<br />

des <strong>Stuttgart</strong>er Balletts ist mittlerweile weltbekannt<br />

für seinen ganz eigenen kompromisslosen Stil, der niemals<br />

künstlerischen Vorbildern nacheifert und gerade deshalb<br />

so unvergleichlich ist. Mit seiner fiebrigen, vibrierenden und<br />

energiegeladenen Bewegungssprache sprengt er die Grenzen<br />

des klassischen Tanzvokabulars, verändert die Sicht auf den<br />

Körper. Hoch virtuos erforscht er das menschliche Bewegungsspektrum,<br />

zerlegt jede Geste in ihre Einzelteile. Dabei<br />

sind seine Werke voll von nachdenklichen Momenten, aber<br />

auch stark emotional. Meist sind sie schwarz und düster, und<br />

trotzdem zeigt Goecke immer wieder seinen speziellen Humor.<br />

Neben dem mikroskopischen Blick auf den Körper gewährt<br />

er psychologische Blicke in das Innere des Menschen –<br />

auch in sein eigenes. Häufig hat er schon gestanden, dass er<br />

seine Werke nicht zuletzt entwickelt, um sich selbst kennen zu<br />

lernen, dass sie seine persönliche Gefühlswelt und Erfahrungen<br />

widerspiegeln.<br />

Nun kreiert Marco Goecke seine erste Uraufführung seit<br />

2010 im <strong>Stuttgart</strong>er Opernhaus. Seine enge Beziehung zu<br />

<strong>Stuttgart</strong> begann im Jahr 2001, als er erstmals eines seiner<br />

Werke im Rahmen der Junge Choreographen-Abende der hiesigen<br />

Noverre-Gesellschaft zeigte. Seine erste Auftragsarbeit<br />

für das <strong>Stuttgart</strong>er Ballett, zu dessen Hauschoreograph er im<br />

September 2005 ernannt wurde, folgte mit Sweet Sweet Sweet,<br />

weitere Werke waren u.a. die beiden Handlungsballette Der<br />

Nussknacker und Orlando sowie zuletzt Black Breath, das er<br />

2012 für den Ballettabend Körpersprache 3 im Schauspielhaus<br />

kreierte. Der mehrfach preisgekrönte Choreograph hat in den<br />

vergangenen Jahren außerdem bei namhaften internationalen<br />

Compagnien eine beachtliche Anzahl außergewöhnlicher Uraufführungen<br />

geschaffen. Besonders dem Scapino Ballett in<br />

Rotterdam war er eng verbunden, hier war er von 2005 bis 2013<br />

zusätzlich zu seiner Position in <strong>Stuttgart</strong> als Hauschoreograph<br />

engagiert. Ab der Spielzeit 2013/14 wird Marco Goecke für<br />

drei Jahre als »Associate Choreographer« beim renommierten<br />

Nederlands Dans Theater (NDT) in Den Haag wirken.<br />

Neuerer des Tanzes:<br />

Hans van Manen<br />

Als Gründungsmitglied und späterer künstlerischer Leiter von<br />

ebendiesem Nederlands Dans Theater war Hans van Manen<br />

zu Beginn der 1960er Jahre Initiator und prägende Kraft einer<br />

der innovativsten Compagnien unserer Zeit. Von ihm stammt<br />

die zweite Choreographie des Ballettabends FORT//SCHRITT//<br />

MACHER: Frank Bridge Variations.<br />

Hans van Manen, der im Juli 2012 seinen 80. Geburtstag<br />

feierte, gilt als einer der bedeutendsten Choreographen des<br />

20. Jahrhunderts. Bereits seit über 50 Jahren beeinflusst er die<br />

europäische Ballettszene wie wenige andere. Weltweit befinden<br />

sich seine Werke im Repertoire der renommiertesten<br />

Compagnien. Auch am <strong>Stuttgart</strong>er Ballett ist van Manen ein<br />

gern und häufig gesehener Gast. <strong>Die</strong> Compagnie tanzte bisher<br />

über 20 Stücke des Choreographen und kann damit auf das<br />

umfangreichste van Manen-Repertoire außerhalb der Niederlande<br />

blicken.<br />

Van Manens Stücke sind von bestechender Klarheit und<br />

trotzdem raffiniert, stellen Beziehungen und Emotionen allein<br />

durch die Körper der Tänzer dar. <strong>Die</strong> große Musikalität,<br />

die van Manens Choreographien zutiefst zu eigen ist, zeigt<br />

sich in seinen 2005 uraufgeführten Frank Bridge Variations<br />

ganz deutlich. <strong>Die</strong> höchst unterschiedlichen Stimmungen<br />

der gleichnamigen Komposition Benjamin Brittens greift van<br />

Manen kunstvoll in seiner Choreographie auf, die sich umkreisenden<br />

Paare, intensiv und spannungsvoll, schwanken<br />

zwischen Zurückhaltung und explosionsartigen Ausbrüchen.<br />

Vermessung des klassischen Balletts:<br />

William Forsythe<br />

Mit William Forsythe reiht sich ein weiterer Tanztüftler in die<br />

Reihe der FORT//SCHRITT//MACHER ein. Sein workwithinwork<br />

wird im Rahmen dieses Ballettabends erstmals in <strong>Stuttgart</strong><br />

aufgeführt und ergänzt das breite Forsythe-Repertoire<br />

der Compagnie.<br />

Wie so viele Choreographen hat William Forsythe eine ganz<br />

besondere Beziehung zum <strong>Stuttgart</strong>er Ballett. Er war einer der<br />

letzten Tänzer, die Ballettdirektor John Cranko kurz vor seinem<br />

Tod im Jahr 1973 engagiert hatte. Einige Jahre später – mittlerweile<br />

war Marcia Haydée Direktorin des <strong>Stuttgart</strong>er Balletts<br />

geworden – machte er dann erste Schritte als Choreograph.<br />

Seither lotet er die Grenzen des Tanzes immer wieder aus,<br />

setzt die Formen des klassischen Balletts ganz neu zusammen.<br />

Zu Beginn noch durchaus neoklassisch, ganz seinem<br />

großen Vorbild George Balanchine verpflichtet, wurde sein Stil<br />

schnell immer eigenwilliger. Selbst seine eigene Tanztechnik<br />

hat Forsythe entwickelt – unter dem Titel »Improvisation<br />

Technologies« verlangt sie von den Tänzern aktive Teilnahme<br />

am künstlerischen Prozess anstelle von stummer Nachahmung<br />

der vom Choreographen vorgegebenen Schritte. Forsythe<br />

befreit das Ballett völlig unerschrocken von sämtlichen<br />

Zwängen, dehnt, kippt, erweitert und beschleunigt das Bewegungsvokabular.<br />

Uraufgeführt im Jahr 1998 beim Frankfurt Ballett, gilt workwithinwork<br />

als letztes Werk aus Forsythes Reihe von Balletten<br />

über das Ballett. Während fast alle Werke Forsythes auf<br />

unterschiedliche Art und Weise den Tanz selbst zum Gegenstand<br />

machen, steht die Reflexion dieser Kunstform in diesen<br />

»Ballet-Ballets« besonders im Mittelpunkt. Auch mit workwithinwork<br />

vermisst Forsythe die Möglichkeiten des Balletts,<br />

lässt 21 Tänzer mit den Bewegungen des klassischen Tanzes<br />

spielen und experimentieren. Dabei wandelt er einfühlsam<br />

Luciano Berios Duetti per due violini, live musiziert auf der<br />

Bühne, in Tanz um.<br />

FORT // SCHRITT // MACHER<br />

So unterschiedlich die Stile dieser drei Choreographen auch<br />

sein mögen, eines haben sie mindestens gemeinsam: Marco<br />

Goecke, William Forsythe und Hans van Manen haben der europäischen<br />

Ballettwelt der vergangenen Jahre und Jahrzehnte<br />

maßgebliche Neuerungen gebracht und die Entwicklung des<br />

Bühnentanzes kreativ und kühn vorangetrieben. Sie machen<br />

dem Namen dieses Ballettabends, FORT//SCHRITT//MACHER,<br />

alle Ehre.<br />

Kristina Scharmacher<br />

Ballettabend: FORT // SCHRITT // MACHER<br />

Choreographien von Marco Goecke, Hans van Manen<br />

und William Forsythe<br />

Uraufführung Choreographie: Marco Goecke; Musik:<br />

Johannes Maria Staud, Edward Elgar; Bühne und Kostüme:<br />

Michaela Springer; Licht: Udo Haberland<br />

Frank Bridge Variations Choreographie: Hans van Manen;<br />

Musik: Benjamin Britten; Bühne und Kostüme: Keso<br />

Dekker; Licht: Bert Dalhuysen; Uraufführung: 18. März<br />

2005, Het Nationale Ballet, Amsterdam; Erstaufführung<br />

beim <strong>Stuttgart</strong>er Ballett: 14. Januar 2011<br />

workwithinwork (Erstaufführung beim <strong>Stuttgart</strong>er Ballett)<br />

Choreographie, Bühne und Licht: William Forsythe;<br />

Musik: Luciano Berio; Kostüme: Stephen Galloway;<br />

Uraufführung: 16. Oktober 1998, Ballett Frankfurt,<br />

Frankfurt am Main<br />

Musikalische Leitung: James Tuggle<br />

Premiere: 8. November 2013 // 19:00 Uhr // Opernhaus<br />

Weitere Vorstellungen im Opernhaus: 12.11. // 14.11. //<br />

01.12. // 07.12. // 08.12. // 10.12. // 15.12. (nm/abd) //<br />

18.12.2013<br />

Maria Eichwald und Marijn Rademaker in Frank Bridge Variations<br />

Fotos: <strong>Stuttgart</strong>er Ballett<br />

16<br />

Das Journal September /Oktober /November 2013<br />

17


07. Helden-Geschichten 07.<br />

Der Opern-Herbst mit vier Inszenierungen von Andrea Moses<br />

Ein<br />

internationales<br />

Familienunternehmen<br />

v.l. Diana Haller (Cenerentola), Enzo Capuano (Don Magnifico), Tisbe (Maria Theresa Ullrich)<br />

und Catriona Smith (Clorinda) in La Cenerentola<br />

Fotos: A.T. Schaefer<br />

ANDREA MOSES gehört zum Leitungsteam<br />

des Opernintendanten JOSSI WIELER.<br />

Nach ihren vielbeachteten Inszenierungen<br />

in Meiningen und Dessau hat sie seit 2011<br />

bereits fünf Opern in <strong>Stuttgart</strong> auf die Bühne<br />

gebracht, darunter so unterschiedliche<br />

Werke wie Alban Bergs Wozzeck, Glucks<br />

Iphigenie in Aulis oder Mozarts Don Giovanni.<br />

In dieser Spielzeit kommen zwei weitere<br />

Neuinszenierungen dazu.<br />

Heimat-Oper<br />

In den ersten Monaten der Spielzeit 2013/14 stehen u.a. vier<br />

Inszenierungen der Leitenden Regisseurin Andrea Moses auf<br />

dem Programm der Oper <strong>Stuttgart</strong>: La Cenerentola (Aschenputtel)<br />

von Gioachino Rossini, Don Giovanni von Wolfgang<br />

Amadeus Mozart, Fausts Verdammnis von Hector Berlioz und<br />

die Premiere von Giuseppe Verdis Falstaff. »Natürlich freue<br />

ich mich, dass hier mehrere Stücke von mir ›nebeneinander‹<br />

auf der Bühne der Oper <strong>Stuttgart</strong> zu sehen sind«, sagt Andrea<br />

Moses. »Das ist einer der großen Vorteile des Weges, den wir<br />

in <strong>Stuttgart</strong> eingeschlagen haben: Nicht das kurzfristige Engagement<br />

von Sängern und Regieteams für einzelne Produktionen,<br />

sondern die kontinuierliche und längerfristige Arbeit<br />

von Künstlern an einem Haus, an einem Ort. Auch für mich<br />

ist es beeindruckend, wie die Vorteile dieses für die heutige<br />

Opernlandschaft eher untypischen Weges jetzt greifbar werden.<br />

Es geht dabei weniger nur um Regiehandschriften, als<br />

vielmehr auch um die Handschriften des ganzen Ensembles<br />

auf der Bühne. Gerade wenn man verschiedene Inszenierungen,<br />

die vom selben Ensemble und Produktionsteam erarbeitet<br />

wurden, innerhalb weniger Tage an einem Haus erleben<br />

kann, wird besonders deutlich, welche großartige Qualität das<br />

<strong>Stuttgart</strong>er Ensemble, der Chor und das Orchester haben.«<br />

Sich einer solchen besonderen Nähe und Kontinuität der Zusammenarbeit<br />

auszusetzen, ist aber auch nicht immer ganz<br />

leicht: »Es ist wie in jeder großen Familie: Manchmal kann<br />

man eine bestimmte Nähe nicht aushalten, muss es aber, weil<br />

man ja zusammen wohnt. Oder es gibt diese Anspannungen<br />

vor großen Ereignissen, wie man sie von Geburtstagen oder<br />

Sonntagsausflügen kennt, wo oft die Zeit fehlt, um Wünsche<br />

oder Ängste eines jeden einzelnen zu berücksichtigen. Kunst<br />

und Kompromiss – das ist nicht ganz einfach. Es ist deshalb<br />

wichtig, auch den Blick von und nach außen nicht zu verlieren.<br />

Vieles relativiert sich so, kann manchmal aber auch gerade<br />

dadurch entscheidend bereichert und verändert werden.«<br />

Ist Andrea Moses inzwischen in <strong>Stuttgart</strong> angekommen? »<strong>Die</strong><br />

Stadt bleibt für mich tatsächlich noch immer etwas fremd. Ich<br />

bin in Dresden geboren und habe viele Jahre in Berlin gelebt<br />

– vielleicht fehlt mir in der Mitte dieser Stadt das Wasser, der<br />

Fluss – etwas, was ich als offene Verbindung zur Außenwelt<br />

empfinde. Andererseits habe ich hier ein Publikum gefunden,<br />

was sich ganz intensiv und interessiert auch mit mir<br />

und meinen Arbeiten beschäftigt, es gibt also einen sehr<br />

starken Austausch mit den Menschen dieser Stadt, und das<br />

ist mir sehr wichtig.«<br />

<strong>Die</strong>ses Interesse des <strong>Stuttgart</strong>er Publikums erlebt man in<br />

den immer sehr gut besuchten Einführungen zu den Vorstellungen,<br />

in den Nach(t)gesprächen nach Vorstellungen, in denen<br />

das Publikum Fragen an die Künstler richten kann, aber<br />

auch in vielen Briefen oder persönlichen Gesprächen. Viele<br />

Gäste kommen regelmäßig oder auch mehrmals in die gleichen<br />

Aufführungen, und zwar nicht nur, weil diese ihnen besonders<br />

gefallen haben – manche kommen gerade deshalb<br />

wieder, weil sie eine bestimmte Stelle einer Inszenierung<br />

oder der Musik noch nicht ganz verstanden haben, weil bestimmte<br />

Themen zunächst zu komplex erschienen.<br />

»Das <strong>Stuttgart</strong>er Opernpublikum ist sehr interessiert an<br />

dem, was auf und hinter der Bühne passiert. Ich finde es<br />

großartig, dass sich auch das Publikum tatsächlich mit Kunst<br />

beschäftigen und Ideen den Raum und die Chance geben<br />

will, sich zu entfalten. Das ist etwas ganz anderes, als wenn<br />

man Kunst nur nach Leistungen wie im Sport beurteilt oder<br />

als Unterhaltungs- oder Repräsentationsevent betrachtet.<br />

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir eine Institution mit<br />

einem Bildungsauftrag sind, also müssen wir auch einen<br />

Bildungsanspruch haben. Oper, das ist vor allem ein Ort der<br />

Phantasie – und es ist toll, ein Publikum zu haben, das das<br />

genauso sieht. Und ja, klar, bei diesem Publikum fühle ich<br />

mich nicht nur angenommen, sondern auch angekommen.«<br />

Helden-Geschichten<br />

Ab dem 20. September kann man Rossinis La Cenerentola<br />

und ab dem 21. September Mozarts Don Giovanni auf der<br />

Bühne der Oper <strong>Stuttgart</strong> erleben. La Cenerentola ist zunächst<br />

ein sehr komischer und unterhaltsamer Abend – aber<br />

natürlich nicht nur das: »Es ist gerade die Hauptfigur, die das<br />

ganze Stück über sehr ernsthaft wahrnimmt, was da mit ihr<br />

und um sie herum passiert. Cenerentola lebt anfangs in einer<br />

Familie, die nicht wirklich ihre Familie ist und sich auch nicht<br />

wie eine Familie zu ihr verhält. Sie wird ›ihren Prinzen‹ finden,<br />

den sie – und der bald auch sich selbst – als ähnlich einsam<br />

nach dem Glück suchenden jungen Menschen erkennt.<br />

Unser Happy End ist das Glück, das beide gemeinsam finden<br />

wollen – und das wird nicht in der hoffnungslos reichen,<br />

mächtigen Welt des Prinzen sein. Das Glück dieser beiden<br />

jungen Menschen besteht darin, dass sie einander gefunden<br />

haben und sich auf eine gemeinsame Reise begeben.«<br />

Auch in Mozarts Don Giovanni, der vielen <strong>Stuttgart</strong>ern<br />

noch von der Live-Übertragung im Sommer 2012 im Schlossgarten<br />

in Erinnerung ist, hat Andrea Moses mit ihren Sängern<br />

eine eher leichte und witzige Sprache gefunden, um<br />

letztlich gerade deshalb die ernsten Seiten der Oper klarer<br />

erkennbar zu machen. Giovanni ist, ähnlich wie Cenerentola,<br />

das Zentrum einer Gesellschaft, beide haben etwas, was den<br />

Menschen um sie herum fehlt. Im Giovanni lenkt Andrea<br />

Moses den Blick auf die Wünsche der Frauen und zeigt so deren<br />

Fixierung auf den »Verführer«, der dadurch vielmehr als<br />

Gejagter und Projektionsfläche für die Menschen erscheint,<br />

die sich nicht wirklich trauen, ihre geheimen Wünsche und<br />

Träume zu leben.<br />

Ähnlich gelingt Andrea Moses der Perspektivwechsel bei<br />

Cenerentola. Indem sie hervorhebt, dass Cenerentola zunächst<br />

nur gebraucht, nicht aber als Mensch respektiert und<br />

geliebt wird, bringt sie den Zuschauer dazu, sich genauer mit<br />

den Ansprüchen der sich gegenüberstehenden Welten auseinander<br />

zu setzen. Und plötzlich kann die Entscheidung von<br />

Cenerentola, nicht das vorgeplante Glück zu wählen, sondern<br />

das eigene Leben in die eigenen Hände zu nehmen, als<br />

glückliche Lösung empfunden werden.<br />

Giovanni wird dem Druck, seine Rolle erfüllen zu müssen,<br />

nicht standhalten und untergehen. Cenerentola wird sich<br />

dem Druck entziehen, indem sie ihren eigenen Weg sucht.<br />

Aber nicht nur diese Möglichkeit zur Gegenüberstellung der<br />

beiden Opern ist reizvoll. In beiden Opern kann man in den<br />

Hauptrollen zwei großartige Ensemblemitglieder erleben:<br />

Diana Haller spielt als Cenerentola den Weg des Selbst-Erkennens<br />

und Selbst-Findens unglaublich anrührend und immer<br />

selbstbewusster werdend, Shigeo Ishino zeigt beeindruckend<br />

einen Giovanni, der sowohl verführerischer Charmeur<br />

als auch unglücklicher Gejagter ist.<br />

Andrea Moses, Leitende Regisseurin der Oper <strong>Stuttgart</strong><br />

Am 20. Oktober folgt mit der ersten Premiere der neuen<br />

Spielzeit die nächste Inszenierung von Andrea Moses an der<br />

Oper <strong>Stuttgart</strong>: Giuseppe Verdis Falstaff. Bei dieser Premiere<br />

wird sie erstmals mit dem GMD der Oper <strong>Stuttgart</strong>, Sylvain<br />

Cambreling zusammenarbeiten: »Darauf freue ich mich<br />

ganz besonders, schon die ersten Gespräche und Planungen<br />

haben gezeigt, dass wir uns nicht nur gut verstehen, sondern<br />

einen ganz ähnlichen Blick auf die Komik und das Abgründige<br />

des Werks und seiner Figuren haben. Außerdem freue ich<br />

mich sehr auf die Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner<br />

Jan Pappelbaum, der seit vielen Jahren vor allem mit Thomas<br />

Ostermeier an der Schaubühne in Berlin zusammenarbeitet.<br />

Wir kennen uns schon sehr lange und haben bereits<br />

gemeinsam im Schauspiel gearbeitet. Das wird jetzt unsere<br />

erste gemeinsame Opernproduktion.«<br />

Ab dem 17. November steht dann auch Moses’ Fausts Verdammnis<br />

von Hector Berlioz wieder auf dem Spielplan – eine<br />

Inszenierung, die nach ihrer Premiere zum Spielzeitbeginn<br />

2011 auf der Suche nach dem Teuflischen im Menschen noch<br />

immer nichts von ihrer politischen Brisanz verloren hat. <strong>Die</strong><br />

Titelpartie in dieser großen französischen Oper übernimmt<br />

in dieser Spielzeit Matthias Klink, der bis 2010 festes Ensemblemitglied<br />

an der Oper <strong>Stuttgart</strong> war und inzwischen weltweit<br />

erfolgreich an vielen großen Opernhäusern gastiert.<br />

»Nein, das werden ganz sicher keine Moses-Festspiele!<br />

Es ist doch immer eine Gesamtleistung aller Musiker, der<br />

Dramaturgie, der Bühnen- und Kostümbildner, des ganzen<br />

Hauses. Vielleicht kann man die <strong>Stuttgart</strong>er Oper seit Beginn<br />

der Intendanz von Jossi Wieler als ein internationales Familienunternehmen<br />

bezeichnen – besser kann man eigentlich<br />

nicht in dieses Land passen, oder?«<br />

La Cenerentola<br />

von Gioachino Rossini<br />

Musikalische Leitung: José Luis Gomez;<br />

Regie: Andrea Moses<br />

Weitere Vorstellungen: 20.09. // 24.09. // 27.09. // 02.10. //<br />

12.10. // 18.10. // 21.11. // 24.11. // 29.11. // 13.12. //<br />

17.12.2013<br />

Don Giovanni<br />

von Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Musikalische Leitung: Andrés Orozco-Estrada /<br />

Willem Wentzel; Regie: Andrea Moses<br />

Weitere Vorstellungen: 21.09. // 23.09. // 26.09. //<br />

03.10. // 22.10. // 25.10. // 02.11. // 05.11. // 10.11. (nm) //<br />

16.11.2013<br />

Falstaff<br />

von Giuseppe Verdi<br />

Musikalische Leitung Sylvain Cambreling / Till<br />

Drömann; Regie Andrea Moses<br />

Premiere: 20. Oktober 2013 // 18:00 Uhr // Opernhaus<br />

Weitere Vorstellungen: 26.10. // 03.11. // 13.11. // 19.11. //<br />

22.12. // 27.11. // 27.12. // 31.12.2013<br />

Fausts Verdammnis<br />

von Hector Berlioz<br />

Musikalische Leitung: Kwamé Ryan;<br />

Regie: Andrea Moses<br />

Weitere Vorstellungen: 17.11. // 20.11. // 23.11. // 26.11. //<br />

30.11. // 12.12.2013<br />

18 Das Journal September /Oktober /November 2013<br />

19


08. Schauspiel <strong>Stuttgart</strong><br />

Das Erscheinungsbild<br />

Eine Reise wegwohin<br />

SPECTOR BUREAU aus Leipzig hat das grafische Erscheinungsbild des Schauspiel<br />

<strong>Stuttgart</strong> für die Intendanz von ARMIN PETRAS entwickelt. Ein Erscheinungsbild<br />

kann man präsentieren, aber kann man es auch erzählen? Spector Bureau bediente<br />

sich dafür eines V-Effekts, erfand drei Personen, die sich fortgesetzt unterhalten<br />

und dabei die unterschiedlichsten Ideen und Haltungen ausprobieren.<br />

Das grafische Erscheinungsbild als Dialog im ICE – eine Selbstbeobachtung.<br />

Linke Seite Fotos: Arthur Zalewski Rechte Seite Quellen: www.gnosticliberationfront.com/german_left_party_leaders_pay_tr.htm; www.asianfanfics.com/story/view/94581/14/was-it-really-fate-or-just-a-plain-mistake-beast-infinite-romance-yoseob); Fotograf unbekannt<br />

Situation: ICE-Großraumabteil. Vor dem Fenster das Saaletal<br />

zwischen Naumburg und Weißenfels. Um den Tisch drei<br />

Personen; eine Gestalterin, zwei Gestalter. Sie lädt Fotos von<br />

der Kamera auf ihren Laptop, die beiden schauen aus dem<br />

Fenster oder lesen. Flüchtige Aufmerksamkeit. Vier Stunden<br />

Zugfahrt liegen bereits hinter ihnen.<br />

Jelka: [dreht ihren Laptop so, dass auch die beiden anderen<br />

auf den Monitor sehen können]: Schaut mal – die Bilder aus<br />

dem Naturkundemuseum. <strong>Die</strong> sind ganz gut geworden, oder?<br />

Ole: Das schwarze Farnblatt im hellen Stein ist schön. Wie<br />

alt dieses Blatt wohl sein mag?<br />

Lucian: Vielleicht 500 Millionen Jahre, vielleicht 400 Millionen.<br />

Unvorstellbar alt auf jeden Fall.<br />

Ole: Versteinertes Leben.<br />

Lucian: Sieht toll aus. Aber klick mal weiter.<br />

Jelka: [klickt weiter] <strong>Die</strong>se Dioramen fand ich sehr schön.<br />

Wie kleine Bühnen –<br />

Lucian: – das ist das große Naturtheater.<br />

Ole: [Jelka klickt weiter] Ahh, den Mammut hast Du auch<br />

fotografiert, toll. Schick mir das Bild für Florian.<br />

Jelka: – aber erst von zu Hause aus. Hier im Zug ist das Netz<br />

zu schwach. [klickt weiter] Das obere Keuper – den Saal mochte<br />

ich am meisten. Ich habe gelesen, dass vor 200 Millionen<br />

Jahren ganze Teile von Süddeutschland im Meer lagen.<br />

Ole: [klickt weiter] Das hier ist wohl der Rest eines Haifischs.<br />

[klickt weiter]<br />

Lucian: Nein, das sind Knochenfische.<br />

Jelka: [klickt weiter, lacht] Und hier: fossiler Kot. [klickt weiter]<br />

Ole: <strong>Die</strong> Fotos von den Sauriern brauche ich auch. <strong>Die</strong> werde<br />

ich Florian ausdrucken.<br />

Lucian: Gestern Nacht im Hotel habe ich noch eine BBC-<br />

Sendung gesehen. Da wurde erzählt, dass Menschen erst seit<br />

knapp 200 Jahren überhaupt eine Idee davon haben, dass es<br />

irgendwann einmal Saurier auf der Erde gegeben hat. <strong>Die</strong> Paläontologie<br />

als Wissenschaft setzte Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

ein. Bis dahin wurden all diese urzeitlichen Funde unter<br />

der Bezeichung »alte Knochen« subsummiert. Der Saurier als<br />

naturwissenschaftliche Vorstellung ist ein Produkt des vorletzten<br />

Jahrhunderts.<br />

Jelka: Du willst sagen, Shakespeare kannte keine Saurier?<br />

Lucian: Ja – wahrscheinlich wusste nicht einmal der »Bergbauminister«<br />

Goethe, der sich ja auch in die verschiedensten<br />

naturwissenschaftlichen Spekulationen vertiefte, dass diese<br />

»alten Knochen« wenn man sie zusammenfügt, die Spur einer<br />

fernen Erdepoche freilegen.<br />

Jelka: Meinst Du wirklich? – Warte, ich google mal. [dreht<br />

ihren Laptop zu sich und tippt etwas ein] – Nein, da kommt<br />

oben <strong>Die</strong> Geschwister Konrad und Markus Wolf mit ihrem Vater<br />

Friedrich Wolf, aufgewachsen in der <strong>Stuttgart</strong>er Zeppelin Straße, auf<br />

dem Foto bereits im Moskauer Exil.<br />

Mitte Carcrash: Berührung zwischen Maschinen.<br />

unten Hans Poelzigs Großes Schauspielhaus Berlin, in den Jahren<br />

1918/19 erbaut: eine expressionistische Tropfsteinhöhle.<br />

wirklich überhaupt nichts Brauchbares, wenn ich hier »Goethe«<br />

und »Saurier« eingebe. Nichts, was einen konkreten Hinweis<br />

darauf geben würde, dass Goethe bereits eine präzise<br />

Idee von diesen ausgestorbenen Riesenechsen hatte.<br />

Ole: Verrückt ... und heute weiß jedes Kind, kaum dass es<br />

laufen kann, was ein Saurier ist. Florian kennt die Namen der<br />

verschiedenen Saurierarten. Weiß, welche von ihnen Pflanzenfresser<br />

sind und welche angriffslustige Fleischfresser. <strong>Die</strong>se<br />

unförmigen Kolosse sind tief in der Phantasie unseres Jungen<br />

verankert. Das halbe Kinderzimmer steht voll von Dinos.<br />

Lucian: <strong>Die</strong> Dino-Begeisterung ernährt heute ganze Industrien:<br />

Filme werden produziert, Kinderspielzeug, Freizeitparks.<br />

Der Dino ist fester Bestandteil der globalen Popkultur. – Komisch,<br />

auf der Theaterbühne findet man trotzdem eher Drachen,<br />

aber kaum Saurier.<br />

Jelka: Vielleicht, weil das Theater einen anderen Zugriff auf<br />

die Vergangenheit hat. <strong>Die</strong> Evolution ist wohl eher film- als<br />

bühnentauglich. Wenn im Theater etwas ausgegraben wird,<br />

dann sind es immer noch »alte Knochen«.<br />

Ole: »Ach, armer Yorick.« [Alle lachen. Ole greift in seine Tasche.<br />

Sein Telefon klingelt.]<br />

Ole: Hey Paolo ... Wir sind noch im Zug ... Ja, durch Naumburg<br />

sind wir schon durch, dauert vielleicht noch eine halbe<br />

Stunde ... Ja, bisschen müde von der langen Fahrt. Aber war<br />

gut, dass wir uns mal drei Tage Zeit genommen haben. Alles<br />

lässt sich doch nicht vom Schreibtisch aus denken. Irgendwie<br />

braucht man ein Gefühl für die Stadt, was da so geht. Wir haben<br />

alle viel fotografiert. Wir waren gestern auch im Naturkundemuseum,<br />

das ist ganz schön in <strong>Stuttgart</strong> ... Ich habe mir<br />

auch die Zeppelinstraße angeschaut. Du weißt, das Haus von<br />

Friedrich Wolf. Sieht aber völlig anders aus als auf den Abbildungen<br />

aus den zwanziger Jahren ... Ja, der Württembergische<br />

Kunstverein hatte eine sehr schöne Ausstellung, ich habe den<br />

Katalog für dich dabei ... Gestern hatten wir ein ganz gutes Gespräch.<br />

Es gab einen Satz, der für uns gerade so etwas wie ein<br />

Kompass wird. Armin sagte, was er in <strong>Stuttgart</strong> machen will,<br />

soll »maximal historisch, maximal modern« sein. ... Ja, wir<br />

versuchen gerade herauszufinden, was »maximal historisch«<br />

bedeuten könnte. Wo setzt man an, bei der Geschichte einer<br />

Landschaft, bei der Geschichte der Gattung, bei der Naturgeschichte?<br />

Deshalb waren wir gestern dann auch noch mal im<br />

Naturkundemuseum. Leider waren wir etwas spät dran, wir<br />

hatten nur eine halbe Stunde, dann wurde geschlossen. Sind<br />

durch die Säle gerannt und haben viel fotografiert ... Heute<br />

Vormittag haben wir uns das Theater ansehen können. Der<br />

„Alle Zeiten sind gleichzeitig da,<br />

nebeneinander.<br />

Das ist im Theater möglich.“<br />

Bau ist aus den sechziger Jahren, der Zuschauerraum ist gerade<br />

völlig umgebaut worden. <strong>Die</strong> Wände haben so unregelmäßig<br />

kristalline Formen. Mich hat es etwas an Hans Poelzigs<br />

Großes Schauspielhaus in Berlin von 1918 erinnert. Du weißt,<br />

diese expressionistische Tropfsteinhöhle ... Ja, vielleicht lässt<br />

sich mit diesem Höhlenmotiv weiterarbeiten. Weißt du, wie in<br />

Werner Herzogs Film »<strong>Die</strong> Höhle der vergessenen Träume« ...<br />

Ja, das Theater als Höhle ... In dem Film erzählte einer der Archäologen,<br />

dass diese Wandbemalungen eingebunden waren<br />

in Tanzrituale. Das heißt doch, dass diese Höhlen die frühesten<br />

Spuren für das sind, was wir heute Theater nennen, oder<br />

nicht? ... Ja, ein gestalteter Innenraum, in dem die Konflikte<br />

einer gefahrvollen und oft unverständlich bleibenden Außenwelt<br />

in Gemeinschaft nachgespielt und verarbeitet werden ...<br />

Nein, wenn du dich von dieser Fortschrittsidee des 19. Jahrhunderts<br />

löst, nicht. Ich würde sagen: Alle Zeiten sind gleichzeitig<br />

da, nebeneinander. Das ist im Theater möglich, stelle<br />

ich mir zumindest so vor ... Ja, wenn du dir den Spielplan anschaust,<br />

dann stehen da ja alle Zeiten nebeneinander. Urgötz,<br />

das ist eine Geschichte aus dem späten 15. Jahrhundert aus<br />

der Perspektive des 18. Jahrhunderts erzählt; Onkel Wanja<br />

20 Das Journal September /Oktober /November 2013<br />

21


08. 08.<br />

ist spätes 19. Jahrhundert, Der Reigen frühes 20. Jahrhundert<br />

... Das kalte Herz – 19. Jahrhundert ... Fahrerflucht von Alfred<br />

Andersch spielt in den fünfziger Jahren, Wirtschaftswunder,<br />

Nachkriegsjahre. ... Dann die sechziger und siebziger Jahre:<br />

Vespers <strong>Die</strong> Reise, Godards Week-End, Bergmans Szenen<br />

einer Ehe, Hirnbonbon nach <strong>Die</strong>ter Roth ... Bei Schulden. <strong>Die</strong><br />

ersten 5 000 Jahre ist es sogar ein riesiger Zeitraum, fünftausend<br />

Jahre, der da bearbeitet wird. Warum sollten wir da nicht<br />

noch ein Stück weiter zurückgehen ... Ja, bis zu den Höhlen von<br />

Lascaux und Chauvet ... Oder bis zum Faustkeil. Schließlich<br />

ist das eines der frühesten Werkzeuge zur Bearbeitung der<br />

menschlichen Umwelt ... Und darum geht es doch im Theater<br />

fortwährend: die Dinge zerlegen, sie bearbeiten, mit ihnen<br />

umgehen lernen ... Ich finde, der Faustkeil ist ein paradoxer<br />

Gegenstand ... Irgendwie beides: Rationalität und Aggression<br />

... Ja, das müsste eigentlich heute noch zurück. Aber ich<br />

werde zu spät hier ankommen, um das noch selbst zu erledigen.<br />

Vielleicht kannst du in der Bibliothek anrufen, meine<br />

„Spurensuche meint<br />

eine Aufmerksamkeit für einen<br />

konkreten Ort, und das, was man<br />

an ihm vorfindet.“<br />

Benutzerkarte liegt auf dem Kühlschrank: ja, die Konrad Wolf-<br />

Biografie müsste zurück, außerdem der Penck, die drei Bense-<br />

Bücher, der Baumeister und dann noch der große Rauschenberg<br />

und der Soulage. Kannst du das für mich machen? ... Ja,<br />

ich muss in den nächsten Tagen in die Bibliothek, will einige<br />

Bücher zu Steinzeitkunst und Höhlenmalerei heraussuchen.<br />

Außerdem gibt es ein Buch von Ivan Nagel über Dannecker ...<br />

Ja, ich bring noch ein Brot mit ... Okay, bis gleich. [Ole legt sein<br />

Handy auf den Tisch. Sieht, dass in der Zwischenzeit noch<br />

eine SMS gekommen ist, die er schnell beantwortet.]<br />

Jelka: Schaut mal, hier ist gerade eine E-Mail von den Dramaturgen<br />

gekommen. Sie haben uns den Link zu einem Buch<br />

geschickt. Ein schwäbischer Jugendbuchklassiker, schreiben<br />

sie. David Friedrich Weinland »Rulaman. Erzählung aus der<br />

Zeit des Höhlenmenschen und des Höhlenbären«. – Hier gibt<br />

es auch einen Leserkommentar zu dem Buch: »Da ich am<br />

Rande der Schwäbischen Alb groß geworden und bei jedem<br />

zweiten Schulausflug durch die Rulamanhöhle gekrochen bin,<br />

war dieses Buch für mich schon als Kind eine Lieblingslektüre,<br />

aber auch jetzt, nachdem ich es über dreißig Jahre später noch<br />

einmal hervorgeholt und gelesen habe, hat es nichts von seinem<br />

damaligen Zauber verloren. Ich halte es immer noch für<br />

eines der schönsten Jugendbücher, die ich kenne. Auch meine<br />

Kinder, denen ich das Buch aus meiner Heimat wärmstens<br />

ans Herz legte, bestätigten, dass es trotz der altmodischen<br />

Sprache spannend und absolut lesenswert sei.« – Soll ich versuchen,<br />

das mal auf irgendeiner Antiquariatsseite für unseren<br />

Handapparat aufzustöbern?<br />

Ole: Vielleicht wäre eine Max Bill-Monografie oder ein Buch<br />

über die HfG Ulm für unsere Recherche wichtiger als ein Jugendbuch<br />

über das Leben in der Steinzeit.<br />

Lucian: Gestern, als wir mit den Dramaturgen über »Spurensuche«<br />

gesprochen haben, kam mir seltsamerweise sofort<br />

die Assoziation »Schatzgräber«. Für mich verbindet sich Spurensuche<br />

mit der Vorstellung, verschüttete Dinge auszugraben;<br />

oder etwas, das in der Erde verborgen ist, frei zu legen.<br />

In Schichten denken, die Zeiten liegen übereinander. Auch die<br />

Stoffe. Schulden. <strong>Die</strong> ersten 5000 Jahre liegt über dem Kalten<br />

Herz, Week-End über Fahrerflucht.<br />

Ole: <strong>Die</strong> alten Knochen.<br />

Lucian: Ja, man muss sie nur richtig zusammensetzen.<br />

Jelka: Du meinst, man müsste ähnlich vorgehen, wie die<br />

Geschichtslehrerin Gabi Teichert in Alexander Kluges Film<br />

»<strong>Die</strong> Patriotin«, die mit ihrem Spaten loszieht, um die deutsche<br />

Geschichte freizulegen? Der erste Satz des Films lautet:<br />

»Gabi Teichert, Geschichtslehrerin, Patriotin, d.h. sie nimmt<br />

Anteil an allen Toten des Reiches.« – und dann sieht man, wie<br />

sie mit dem Spaten loszieht. Alexander Kluge hat hier ein abstraktes<br />

Interesse in eine konkrete Handlung übersetzt.<br />

Lucian: Ja, graben könnte man als eine Methode verstehen,<br />

als eine Form, sich in die Geschichte hineinzuarbeiten.<br />

Ole: (lacht) Dann wäre der Spaten vielleicht sogar geeigneter<br />

für die Eröffnungskampagne als der Faustkeil. Ich hatte<br />

gestern überhaupt keine Assoziationen in Richtung Archäologie<br />

oder Paläontologie. Spurensuche findet für mich absolut<br />

in der Gegenwart statt. Es ist eher eine Umgangsweise mit<br />

Raum, die Aufmerksamkeit für einen konkreten Ort und das,<br />

was man an ihm vorfindet. Suchen heißt: für unterschiedliche<br />

Situationen offen sein. Aber nicht in diesem kriminalistischen<br />

Sinne, nicht wie Sherlock Holmes, der sich einmal umschaut,<br />

und dann die verstreuten Spuren zusammenträgt, die ihm<br />

erzählen wie sich ein vergangenes Ereignis zugetragen hat.<br />

Spurensuche ist kein Puzzlespiel. Eher eine Aufmerksamkeit<br />

dafür, was alles nebeneinander an einem bestimmten Ort da<br />

ist. Bei Ezra Pound gibt es diese Idee des Periplus. <strong>Die</strong> Küste,<br />

wie sie Seefahrer sehen. <strong>Die</strong> Erfahrung verschiedener Zeiten<br />

im Jetzt des fahrenden Schiffes. Alle Einzelentdeckungen werden<br />

laufend relativiert, erst in der Umkreisung wird der Ort<br />

sichtbar, nicht auf der Landkarte.<br />

Lucian: (lacht) In der Tat – Ezra Pound war ein Meister darin,<br />

»die alten Knochen« aufs Neue zusammenzusetzen.<br />

oben Rätselstein von Westerstetten<br />

unten Naturkundemuseum <strong>Stuttgart</strong><br />

Ole: Ja, aber gestern in unserem Gespräch hieß es es ja<br />

auch »maximal historisch, maximal modern«. Pounds »Cantos«<br />

wären ein gutes Studienobjekt dafür, wie sich eine solche<br />

paradoxe Forderung einlösen ließe. »Maximal historisch,<br />

maximal modern« ist das Motto einer forcierten Produktivität.<br />

Alles wird für Pound zur Ressource, zu einem Teil dessen, was<br />

noch zu bearbeiten ist.<br />

In den letzten Tagen in <strong>Stuttgart</strong> hatte ich das Gefühl, dass<br />

ein solcher ästhetischer Ansatz sehr gut in diese Stadt passt.<br />

Es ist eine der wirtschaftlich produktivsten Regionen Europas.<br />

Wenn man durch die Stadt läuft, wird klar, wie hochverdichtet<br />

Wirklichkeit hier ist. [kramt in seiner Tasche ein Buch<br />

vor, blättert darin und liest] – Hier diese Brinkmann-Passage<br />

trifft vielleicht ganz gut, was ich meine: »<strong>Die</strong> Geschichtenerzähler<br />

machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die<br />

Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die<br />

Rock ’n’ Roll-Sänger machen weiter, die Preise machen weiter,<br />

Tag und Nacht machen weiter, der Mond geht auf, die Sonne<br />

geht auf, die Augen gehen auf, Türen gehen auf, der Mund<br />

geht auf, man spricht, man macht Zeichen, Zeichen an den<br />

Häuserwänden, Zeichen auf der Straße, Zeichen in den Maschinen,<br />

die bewegt werden, Bewegungen in den Zimmern,<br />

durch eine Wohnung, wenn niemand außer einem selbst da<br />

ist, Wind weht altes Zeitungspapier über einen leeren grauen<br />

Parkplatz, wilde Gebüsche und Gras wachsen in den liegengelassenen<br />

Trümmergrundstücken, mitten in der Innenstadt,<br />

ein Bauzaun ist blau angestrichen, an den blauen<br />

Fotos: Arthur Zalewski<br />

Spector Bureau<br />

Spector Bureau ist ein Verbund von Gestaltern, Autoren,<br />

Künstlern, Fotografen und Programmierern, der sich<br />

um den Leipziger Verlag Spector Books gebildet hat.<br />

Am grafischen Erscheinungsbild für die Intendanz von<br />

Armin Petras am Schauspiel <strong>Stuttgart</strong> arbeiteten<br />

Markus Dreßen, Jakob Kirch, Christoph Knoth, Katharina<br />

Köhler, Jan Wenzel und Arthur Zalewski.<br />

www.spectorbureau.com<br />

www.spectorbooks.com<br />

22 Das Journal September /Oktober /November 2013<br />

23


08.<br />

Bauzaun ist ein Schild genagelt, Plakate ankleben Verboten,<br />

die Plakate, Bauzäune und Verbote machen weiter, die Fahrstühle<br />

machen weiter, die Häuserwände machen weiter, die<br />

Innenstädte machen weiter, die Vorstädte machen weiter.«<br />

Spurensuche heißt in diesem Zusammenhang, den flüchtigen<br />

Moment der Sichtbarkeit und Lesbarkeit nutzen zu lernen.<br />

Denn in einem Raum forcierter Produktivität, in einem Raum,<br />

in dem fortwährend von allen Seiten aus hineinproduziert<br />

wird, ändert sich die Positionierung aller Elemente zueinander<br />

permanent. Alles folgt seiner eigenen Dynamik, und macht<br />

weiter – die Plakate, die Bauzäune, die Verbote. Der Crash ist<br />

der Normalfall; die Karambolage der Zeiten genauso wie der<br />

Zusammenprall der Autos. Das Einzige, was unveränderlich<br />

erscheint, sind jene dichten Oberflächen, durch die die Dinge<br />

gleichzeitig »maximal historisch und maximal modern«<br />

erscheinen – voller Referenzen und Verweise und trotzdem<br />

neuartig. [Jelkas Handy geht. Der Klingelton, die ersten Takte<br />

der Gitarre aus Elvis’ »In the Ghetto« ist nicht sonderlich laut,<br />

trotzdem erzeugt die Melodie eine gewisse Dringlichkeit. Ole<br />

und Lucian schauen auf Jelka.]<br />

Jelka: Na, Hallo. Super, dass Du zurückrufst ... Ich könnte<br />

in den nächsten Tagen Deine Hilfe gebrauchen ... Ja, malen<br />

... Nein, für das grafische Erscheinungsbild, das wir für das<br />

Schauspiel <strong>Stuttgart</strong> entwickeln. Wir wollen da sehr stark mit<br />

gestischen Elementen arbeiten ... Nein, wir wollen selbst eine<br />

große Zahl von Gesten produzieren, aber es wäre gut, noch<br />

andere in die Produktion mit einzubeziehen, schließlich ist<br />

man irgendwo auch limitiert und wiederholt sich ... Wir wollen,<br />

verschiedene Texturen und Materialien ausprobieren,<br />

um die Ausdruckskraft der Geste, ihre Rauheit, Beiläufigkeit<br />

und Expressivität besser zu verstehen ... Ja, deshalb frage ich<br />

ja dich ... Nein, das bekommst du schon hin ... Wir verstehen<br />

diese gestischen Elemente als die Spur einer körperlichen Bewegung,<br />

oder auch als körperliche Bearbeitung einer Oberfläche<br />

... Ja, das hat sehr stark mit dem Theater zu tun. Ausdruck<br />

entsteht im Theater aus verbalen und kinetischen Zeichen,<br />

aus Sprache und Gesten ... Klar, diese gestisch-zeichnerischen<br />

Elemente passen sehr gut zur Theaterarbeit von Armin Petras<br />

... Ja, wir haben uns einige Aufführungen jetzt angesehen.<br />

Im Oktober waren wir auch auf den Proben für Bahnwärter<br />

Thiel. Peter Kurth war großartig ... Klar, du weißt doch, wenn<br />

ich anrufe, muss es meistens gleich sein ... Ja, wir müssen weiterkommen,<br />

Ende nächster Woche ist schon die Präsentation<br />

... Am besten schwarz ... Probiere mal beides: dickflüssig,<br />

dünnflüssig. Und auch verschiedene Werkzeuge ... Was weiß<br />

ich. Dicke Pinsel, Schwämme, Stofftücher. Was Du hast ...<br />

Das, was brauchbar ist, würde ich dann einscannen ... Nein,<br />

„<strong>Die</strong> gestischen Elemente als Spur<br />

einer körperlichen Bewegung<br />

haben sehr viel mit Theater zu tun.“<br />

so gestempelte Sachen sind nicht so interessant, das ist zu<br />

mechanisch ... Also ich muss morgen noch eine Sache für die<br />

Druckerei fertigmachen, aber mittags muss das raus sein. Wir<br />

könnten uns zum Essen verabreden ... wenn du willst, auch im<br />

Mono ... Machmal ist es ganz okay, letzte Woche war es aber<br />

wieder einmal unterirdisch ... Okay, das ist besser ... Ja, ich<br />

bringe deine DVDs mit ... Okay, bis morgen ... Ciao.<br />

[Jelka steckt ihr Handy ein. Zu den anderen] Andrzej ist dabei.<br />

[Lucian legt die Kopien beiseite, in denen er, während Jelka<br />

telefonierte, gelesen hat.]<br />

Lucian: Es fällt auf, wie viele Stücke, die in der nächsten<br />

Spielzeit geplant sind, sich auf Stoffe beziehen, die direkt mit<br />

<strong>Stuttgart</strong> und der Region zu tun haben. Ur-Götz, <strong>Die</strong> Reise,<br />

Fahrerflucht, Das kalte Herz, Unterm Rad, Am Schwarzen<br />

Berg. Eine Spurensuche im Raum, in der Landschaft, im Imaginären<br />

dieser Landschaft. So, als sollte das Theater noch einmal<br />

in diesem konkreten Imaginären vor Ort verankert werden.<br />

Ole: Warum verankert? Ähnelt das Theater nicht vielmehr<br />

Ezra Pounds Schiff, von dem aus die Küste anders betrachtet<br />

werden kann als vom Land aus?<br />

Lucian: Du meinst, nicht »<strong>Die</strong> Küste, wie sie die Seefahrer<br />

sehen« sondern »<strong>Stuttgart</strong>, wie es die Theatermacher sehen« –<br />

Ole: Ja, die Theaterarbeit als ein Umkreisen, eine Bewegung,<br />

durch die der Ort auf eine spezische Weise erfasst<br />

werden kann, seine Schichten und Geschichten, die »alten<br />

Knochen«, die zusammengesetzt das Imaginäre eines bestimmten<br />

Raums ergeben.<br />

Der 2010 – 2012 durch den Architekten Klaus Roth umgestaltete Zuschauerraum des Schauspielhauses mit kristalliner Wandstruktur<br />

(Foto: Matthias Dreher)<br />

Jelka: Wenn es stimmt, dass die steinzeitlichen Höhlen ein<br />

erstes Modell eines sozialen Raumes waren, in dem das Imaginäre<br />

produziert und bearbeitet werden konnte, dann bedeutet<br />

das auch, diese Höhlen existieren nur, wenn wir sie herstellen,<br />

wenn wir einen Raum definieren, in dem wir die Dinge<br />

von Außen hineintragen, um sie zu bearbeiten. <strong>Die</strong>se vielen<br />

<strong>Stuttgart</strong>-Stoffe sind im Prinzip ein Akt des Hineintragens.<br />

Lucian: Ich mochte diese Idee des Periplus, von der du erzählt<br />

hast. <strong>Die</strong>ses Verständnis von Raum, von Bewegung im<br />

Raum. Warum soll eine Landschaft weniger dramatisch sein<br />

als ein Ereignis?<br />

Ole: Ja, vielleicht müsste unser Erscheinungsbild auch dieser<br />

Logik folgen. Was würde es konkret bedeuteten, die visuelle<br />

Identität einer Institution zu verräumlichen?<br />

[Über Lautsprecheransage wird die Ankunft in Leipzig angekündigt.<br />

Jelka, Ole und Lucian packen ihre Sachen zusammen<br />

und gehen in Richtung Waggontür. Am hinteren Ende des<br />

Ganges stauen sich bereits die Reisenden. Im Stehen.]<br />

Ole: Ein Erscheinungsbild ist keine Geschichte, die man von<br />

links nach rechts, von Anfang bis zum Ende anschaut, sondern<br />

etwas, was man immer als Ganzes im Blick hat. <strong>Die</strong> meisten<br />

Erscheinungsbilder basieren auf dem Prinzip der Reduktion.<br />

Wie wäre es, einmal den entgegengesetzten Weg zu gehen,<br />

und ein Erscheinungsbild zu entwickeln, das auf dem Prinzip<br />

der Kombination und dem fortgesetzten Durchspielen unterschiedlicher<br />

Relationen beruht? So, wie das Festland zwar<br />

auch immer dasselbe bleibt, für die Seefahrer sich aber immer<br />

wieder neue Perspektiven auf das Festland ergeben, sich<br />

das Festland für sie immer wieder unterschiedlich zusammensetzt.<br />

Lucian [während der Zug inzwischen gehalten hat, und die<br />

Türen öffnen]: Du meinst, eine visuelle Identität als Landschaft?<br />

Ole: Ja, ähnlich wie Gertrude Stein in den zwanziger Jahren<br />

die Idee des »Landscape Plays« formulierte. Ihre Intention<br />

war, Bühnengeschehen als eine Art Landschaft zu denken,<br />

als räumliche Beziehung zwischen einzelnen Elementen. Das<br />

bedeutete für sie, dass die Figur auf der Bühne – oder das,<br />

was als ihre Identität erscheint – nicht als ein fester Punkt zu<br />

begreifen war, sondern als etwas, das der Betrachter erst zusammensetzte.<br />

Gertrude Stein hoffte, so etwas beschreiben<br />

zu können, das durch Fabulieren allein nicht erfassbar ist.<br />

Identität ist für sie nicht in der dramatischen Figur beheimatet,<br />

sondern im Publikum. Man hat Identität, wenn man das<br />

Publikum hat.<br />

Jelka: Vielleicht sollten wir Gertrude Steins poetisches Konzept,<br />

ihren Umgang mit Wiederholung und Variation einmal<br />

vor dem Hintergrund von der Funktionsweise eines Erscheinungsbildes<br />

durchspielen.<br />

Ole: Du meinst »I am I because my little dog knows me«? –<br />

Aber ich muss los.<br />

Lucian: Na denn. I hope your little boy knows you. Bis morgen<br />

– Los, Teigfaust !!!<br />

Spielzeiteröffnung des Schauspiel <strong>Stuttgart</strong><br />

Hello! Look at me!<br />

Das neue Ensemble stellt sich vor<br />

So 29. September // 18:00 Uhr // Schauspielhaus<br />

Türöffnung 17:00 Uhr // Eintritt frei!<br />

Urgötz<br />

von Johann Wolfgang von Goethe<br />

Fr 25. Oktober // 19:30 Uhr // Schauspielhaus<br />

<strong>Die</strong> Reise<br />

nach dem Roman von Bernward Vesper<br />

Fr 25. Oktober, 20:00 Uhr & So 27. Oktober, 16:00 Uhr<br />

Nord<br />

Szenen einer Ehe<br />

nach dem Film von Ingmar Bergman<br />

Sa 26. Oktober // 18:00 Uhr // Schauspielhaus<br />

Autostück<br />

von Anne Habermehl<br />

Sa 26. Oktober & So. 27. Oktober, jew. 19:00 & 21:00 Uhr<br />

Abfahrt Schauspielhaus<br />

5 morgen<br />

von Fritz Kater<br />

Sa 26. Oktober // 21:00 Uhr // Nord<br />

Onkel Wanja<br />

von Anton Tschechow<br />

So 27. Oktober // 19:30 Uhr // Schauspielhaus<br />

Weitere Premieren und Vorstellungen unter:<br />

www.schauspiel-stuttgart.de<br />

Das Journal September /Oktober /November 2013<br />

25


Plus 10 Fragen an ...<br />

Cornelius Feil, verantwortlich für die Übertitel an der Oper <strong>Stuttgart</strong><br />

ORUM AM SCHLOSSPARK<br />

„<strong>Die</strong> Übertitel und ich –<br />

wir sind eine Symbiose!“<br />

SO 13. Oktober 2013<br />

Malandain Ballet Biarritz<br />

»Roméo et Juliette« von Thierry Malandain<br />

Musik von Hector Berlioz<br />

MI 27. | DO 28. November 2013<br />

Ballett Zürich<br />

»Woyzeck« von Christian Spuck<br />

Musik von Philip Glass, György Kurtág, Alfred Schnittke u. a.<br />

Cornelius Feil bei der Arbeit in seinem »Kämmerchen«<br />

Karten: (0 71 41) 910-39 00 | www.forum.ludwigsburg.de<br />

01<br />

04<br />

08<br />

Seit wann arbeiten Sie an den<br />

Württembergischen <strong>Staatstheater</strong>n?<br />

Seit 1981, wobei ich hier bis heute freiberuflich tätig bin.<br />

02<br />

Was genau machen Sie und<br />

was ist Ihre Berufsbezeichnung?<br />

Ich bin verantwortlich für die technische Einrichtung und<br />

Umsetzung der Übertitel, die bei jeder Oper mittels Beamer<br />

am Portal projiziert werden. Während der Vorstellung<br />

sitze ich in meinem Kämmerchen neben der Königsloge und<br />

schalte diese Texte live und von Hand weiter.<br />

Und die Bezeichnung? »Übertitelmensch« mag ich nicht.<br />

Übertitler vielleicht? Im Spielzeitbuch steht nur »Übertitel:<br />

Cornelius Feil«. Das trifft es irgendwie: <strong>Die</strong> Übertitel und ich,<br />

wir sind tatsächlich eine Art Symbiose! [lacht]<br />

03<br />

Wie kamen Sie zu den Übertiteln?<br />

1995 hat die Oper <strong>Stuttgart</strong> einen Prototyp der ersten<br />

computerunterstützten Übertitelungsanlage gekauft.<br />

Aber dieses System war noch nicht ausgereift:<br />

Manchmal kamen gar keine Übertitel, oder die Anlage<br />

zeigte plötzlich die Texte eines anderen Stücks. Also bekam<br />

ich als Videotechniker die Aufgabe, ein einfacher<br />

funktionierendes System aufzubauen. <strong>Die</strong>ses verwende<br />

ich größtenteils auch heute noch.<br />

Wie viele Leute bedienen denn die Übertitel<br />

an der <strong>Stuttgart</strong>er Oper?<br />

Seit 1996 bin ich allein dafür zuständig. <strong>Die</strong> Musik, die<br />

spannenden Inszenierungen und das sehr angenehme Klima<br />

im Haus halten gesund: In den vergangenen 17 Jahren habe<br />

ich keine einzige Vorstellung versäumt.<br />

05<br />

Wie und warum kamen Sie ans Theater?<br />

Meine Laufbahn hat 1981 als Statist an der Oper <strong>Stuttgart</strong><br />

begonnen. Ich stand sogar mal mit Plácido Domingo auf der<br />

Bühne! Während meines Gesangsstudiums riet mir mein<br />

Lehrer, auch einen »richtigen Beruf« zu erlernen, also wurde<br />

ich zusätzlich Fernseh- und Videotechniker.<br />

06<br />

Was war bisher Ihre größte Herausforderung?<br />

Eine Herausforderung sind alle deutschen Stücke:<br />

Hier müssen Übertitel ganz exakt sein, da die Zuschauer<br />

unpräzise Texte sofort erkennen.<br />

07<br />

Das schönste oder vergnüglichste Erlebnis?<br />

Auf dem Monitor, auf dem ich den Dirigenten sehen kann,<br />

erkenne ich auch die ersten Reihen des Publikums. Hier muss<br />

man den Kopf stark in den Nacken legen, um die Übertitel zu<br />

sehen. Das sieht aus wie bei einem Tennismatch –<br />

nur vertikal statt horizontal.<br />

Meine Lieblingsopern…?<br />

Eine meiner Lieblingsopern hier ist Fromental Halévys<br />

<strong>Die</strong> Jüdin: Ich kann diese Oper hundert Mal sehen und bin<br />

doch jedes Mal wieder gleich ergriffen. Aber auch manche<br />

Sätze in Leoš Janáčeks Schicksal haben einen solchen<br />

Bezug zu meinem persönlichen Leben, dass mir manchmal<br />

die Tränen kommen.<br />

09<br />

Theater ist für mich…<br />

... ein einzigartiges Gesamtkunstwerk. Daher fehlt mir das<br />

Sängerdasein nicht, denn als Darsteller konnte ich<br />

nie Theater als »großes Ganzes« erleben. Wenn man auf der<br />

Bühne steht, ist man Teil des Kunstwerks. Beim Übertiteln<br />

hingegen bin ich von A – Z mitten im Geschehen und Erleben.<br />

10<br />

Das wünsche ich mir:<br />

Das klingt vielleicht ein wenig seltsam, aber ich liebe meine<br />

Arbeit und die Atmosphäre der Opernvorstellungen so sehr,<br />

dass ich mir den eigenen Tod dort vorstellen kann,<br />

wo ich ihn im Bühnengeschehen oft erlebe: unbemerkt<br />

nach dem letzten Akt in meiner Loge.<br />

P<br />

P<br />

in der Kulturmeile<br />

beim <strong>Staatstheater</strong> <strong>Stuttgart</strong><br />

Landesbibliothek<br />

Konrad-Adenauer-Straße 10, 70173 <strong>Stuttgart</strong><br />

- Durchgehend geöffnet -<br />

420 Plätze<br />

jede angefangene ½ Stunde 1 €<br />

Tageshöchstsatz 12 €<br />

Flanier-Pauschale Mo - Sa 15 - 6 Uhr max. 5 €<br />

Abend-Pauschale Mo - Sa 18 - 6 Uhr max. 4 €<br />

Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr max. 4 €<br />

Dauerparkberechtigung pro Monat inkl. USt. 115,61 €.<br />

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Landtag<br />

Konrad-Adenauer-Straße 3, 70173 <strong>Stuttgart</strong><br />

175 Plätze<br />

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Staatsgalerie<br />

Konrad-Adenauer-Straße 32, 70173 <strong>Stuttgart</strong><br />

- Durchgehend geöffnet -<br />

123 Plätze<br />

jede angefangene ½ Stunde 1 €<br />

Tageshöchstsatz 12 €<br />

Flanier-Pauschale Mo - Sa 15 - 6 Uhr max. 5 €<br />

Abend-Pauschale Mo - Sa 18 - 6 Uhr max. 4 €<br />

Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr max. 4 €<br />

Dauerparkberechtigung pro Monat inkl. USt. 115,61 €.<br />

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Haus der Geschichte<br />

Konrad-Adenauer-Straße 3, 70173 <strong>Stuttgart</strong> 59 Plätze<br />

förderverein der staatstheater stuttgart e.v.<br />

SPITZENKUNST FÖRDERN –<br />

EXKLUSIVE VORTEILE GENIESSEN<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stuttgart</strong>er <strong>Staatstheater</strong> bieten Oper, Ballett und<br />

Schauspiel auf höchstem Niveau. Private Förderung trägt dazu bei,<br />

dieses heraus ragende und umfassende Kulturprogramm aufrecht<br />

zu erhalten.<br />

Das Engagement des Fördervereins der <strong>Staatstheater</strong> <strong>Stuttgart</strong><br />

reicht von der Unterstützung von Theaterprojekten an Schulen,<br />

der Finanzierung von Stipendien bis hin zur Förderung<br />

besonders wichtiger Produktionen.<br />

Als Mitglied oder Stifter sind Sie bei uns in bester Gesellschaft.<br />

Erleben Sie Theater hautnah – bei Proben, Sonderveranstaltungen<br />

und exklusiven Gesprächen mit den Künstlern der <strong>Staatstheater</strong>.<br />

Wir informieren Sie gerne:<br />

Impressum: Herausgeber <strong>Die</strong> <strong>Staatstheater</strong> <strong>Stuttgart</strong> // Geschäftsführender Intendant Marc-Oliver Hendriks //<br />

Intendant Oper <strong>Stuttgart</strong> Jossi Wieler // Intendant <strong>Stuttgart</strong>er Ballett Reid Anderson // Intendant Schauspiel<br />

<strong>Stuttgart</strong> Armin Petras // Redaktion Oper <strong>Stuttgart</strong>: Sara Hörr, Claudia Eich-Parkin <strong>Stuttgart</strong>er Ballett: Vivien Arnold,<br />

Kristina Scharmacher Schauspiel <strong>Stuttgart</strong>: Meike Giebeler, Jan Hein // Gestaltung Anja Haas // Gestaltungskonzept<br />

Bureau Johannes Erler // Druck Bechtle Druck&Service // Titelseite Innenansicht Schauspielhaus <strong>Stuttgart</strong>. Foto:<br />

Matthias Dreher // Redaktionsschluss 22. Juli 2013 // Hausanschrift <strong>Die</strong> <strong>Staatstheater</strong> <strong>Stuttgart</strong>, Oberer Schloßgarten 6,<br />

70173 <strong>Stuttgart</strong> / Postfach 10 43 45, 70038 <strong>Stuttgart</strong>.<br />

26<br />

Hauptsponsor des<br />

<strong>Stuttgart</strong>er Balletts<br />

Förderer des<br />

<strong>Stuttgart</strong>er Balletts<br />

Partner der Oper <strong>Stuttgart</strong><br />

- Durchgehend geöffnet -<br />

jede angefangene ½ Stunde 1 €<br />

Tageshöchstsatz 12 €<br />

Abend-Pauschale Mo - Sa 18 - 6 Uhr 4 €<br />

Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr 4 €<br />

Ihr Partner rund ums Parken<br />

Parkraumgesellschaft<br />

Baden-Württemberg mbH<br />

- Durchgehend geöffnet -<br />

jede angefangene ½ Stunde 1 €<br />

Tageshöchstsatz 12 €<br />

Abend-Pauschale Mo - Sa 18 - 6 Uhr 4 €<br />

Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr 4 €<br />

Huberstr. 3 · 70174 <strong>Stuttgart</strong> · pbw@pbw.de<br />

Tel.: 0711/89255-0 · Fax: -599 · www.pbw.de<br />

förderverein der staatstheater stuttgart e.v.<br />

Am Hauptbahnhof 2, 70173 <strong>Stuttgart</strong><br />

Telefon 0711.12 43 41 35,<br />

Telefax 0711.12 74 60 93<br />

info@foerderverein-staatstheater-stgt.de<br />

www.foerderverein-staatstheater-stgt.de<br />

Konto-<strong>Nr</strong>. 2413004, BLZ 600 501 01


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Haben stets auch die<br />

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Baden-Württembergische Bank<br />

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