Ausgabe Nr. 2 / 2013 - St. Vincenz Krankenhaus Limburg

Ausgabe Nr. 2 / 2013 - St. Vincenz Krankenhaus Limburg Ausgabe Nr. 2 / 2013 - St. Vincenz Krankenhaus Limburg

25.07.2014 Aufrufe

12 > VIA > St. Vincenz Ausgelöst durch die Berichterstattung über das Schicksal der Schauspielerin Angelina Jolie und ihrer Familie setzte eine breite Diskussion über die Rolle von Gentestung und den daraus ableitbaren Konsequenzen ein. Dr. Peter Scheler, Chefarzt der St. Vincenz Frauenklinik, beantwortet in diesem Beitrag zahlreiche Fragen rund um die durch die spektakuläre Entscheidung der Schauspielerin aufgeworfene Problematik zur Brustentfernung wegen genetischer Belastung. Gentestung und ihre Konsequenzen: Gesund bleiben durch Brustentfernung? Plötzlich entstand der Eindruck, jede Frau könne eine mögliche Kandidatin für eine „vorsorgliche Brustentfernung“ sein. Die teils hochemotionale Diskussion hat viele Frauen verunsichert: auch in der Frauenklinik des St. Vincenz-Krankenhauses gab es in diesem Kontext viele Anfragen zur „richtigen“ Präventionsstrategie. Um überhaupt eine Entscheidung treffen zu können, muss ein insgesamt hochkomplexer Hintergrund abgeklärt werden. Hierfür gibt es aber klare Kriterien. Dr. Peter Scheler, Chefarzt der Vincenz-Frauenklinik, greift im folgenden Beitrag zentrale Fragen besorgter Frauen auf. Sein Fazit: Auch wenn vielfach der Eindruck vermittelt wird, dass irgendwann jede Frau Brustkrebs entwickeln wird, ist das Erkrankungsrisiko nur für eine sehr kleine Gruppe der Bevölkerung extrem erhöht. Für weit über 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung gilt, dass bis zum Erreichen der derzeitigen statistischen Lebenserwartung (derzeit 82,5 Jahre für neugeborene Mädchen) etwa zehn Prozent eines Jahrgangs Brustkrebs entwickeln werden. Die überwiegende Zahl der Brustkrebspatientinnen entwickelt die Erkrankung aufgrund eines im Laufe ihres Lebens erworbenen Gendefektes. Die Ursachen hierfür sind in aller Regel unbekannt, als Risiken werden jedoch immer wieder Strahlenbelastung, Hormonzufuhr, hyperkalorische Ernährung , Viren, Nikotin usw. genannt. Weniger als zehn Prozent aller Brustkrebserkrankungen und weniger als 15 Prozent aller Eierstockskrebserkrankungen sind auf angeborene/oder vererbte Gendefekte oder Mutationen zurück zu führen. Die Mehrheit der vererbten Brust- und Eierstockskrebserkrankungen ist auf einen Defekt in den sogenannten BRCA1 und 2 Genen zurückzuführen. Mutationen/Schädigungen in diesen Genen können sowohl durch Mutter als auch Vater vererbt werden und setzen sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent dann auch bei den unmittelbaren Nachkommen durch (sog. autosomal dominanter Erbgang). Die Abkürzung BRCA steht für „Breast Cancer“. Die beiden Gene liegen auf unterschiedlichen Chromosomen und sind für die Herstellung wichtiger Reparaturbotenstoffe zuständig. Diese Reparaturbotenstoffe haben beim gesunden Menschen die Aufgabe, aufgetretene Fehler im Bauplan der Zelle zu korrigieren. Im Falle einer Genmutation verlieren sie die Fähigkeit zur Reparatur und sind daher für spätere Erkrankungen verantwortlich. Betroffene Menschen haben nicht nur ein dramatisch erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Lebens an Brust- (50-85 Prozent Risiko) oder Eierstockkrebs (15–40 Prozent Risiko) zu erkranken, sie erkranken häufig auch in einem früheren Lebensalter als der Durchschnitt (ca. zehn Jahre früher) und auch das Risiko für andere Krebserkrankungen (Eileiter, Bauchspeicheldrüse, Prostata, Brustkrebs des Mannes) kann erhöht sein. Für das weitere Verständnis soll hier nochmals herausgestellt werden, das Angelina Jolie zu einer extrem kleinen Gruppe bezogen auf die weibliche Gesamtbevölkerung gehört, (0,1 Prozent) und daher im folgenden diskutierte Präventionskonzepte (Vorbeugung) nur für eine begrenzte Gruppe relevant sein werden! Brustkrebsrisiko % der weiblichen Bevölkerung % aller Brustkrebspatientinnen Durchschnittliches Risiko bis zum 70. Lebensjahr zu erkranken Brustkrebsfälle in der Familie BRCA 1 oder BRCA2 Mutation Keine familiäre Belastung und/ oder Genmutation Ca. 10 % Ca. 15-20 % Ca. 10-13 % Ca. 0,1 % Ca. 5-6 % Ca. 50-85 % Ca. 90 % Ca. 80-85 % Ca. 7 %

St. Vincenz < VIA < 13 PRÄVENTIONSSTRATEGIEN Grundsätzlich wird in der Medizin zwischen drei Präventionsmustern unterschieden: 1. Primärprävention: Ziel ist hier die Verhinderung des Auftretens eines Ereignisses bzw. einer Erkrankung. Beispiele sind Impfungen, Einname von Medikamenten, Spurenelementen, etc., Vermeiden von Allergenen sowie die vorbeugende Entfernung eines Organes (z. B. Brust, Eierstöcke, Dickdarm, Magen). 2. Sekundärprävention: Ziel ist hier das frühzeitige Erkennen einer Erkrankung, um frühzeitig mit einer Behandlung beginnen und damit die Chancen auf Heilung verbessern zu können. Beispiel hierfür ist das Mammographie- oder Hautkrebscreening. 3. Tertiärprävention: Nach behandelter Erkrankung soll ein möglicher Rückfall vermieden und/oder möglichst frühzeitig entdeckt werden, um erneut erfolgversprechend behandeln zu können. Beispiel hierfür ist die Tumornachsorge. Über 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung mit einem auf Lebenszeit eher geringem Erkrankungsrisiko (zehn Prozent), wird neben der Teilnahme an den gesetzlich garantierten Krebsvorsorgeuntersuchungen die Teilnahme am Mammographiescreening (Altersgruppe 50 - 69) empfohlen, also typische Sekundärpräventionsmaßnahmen. Der Benefit all dieser Untersuchungen wird immer wieder kontrovers bewertet, auch wenn die derzeitige Mehrheitsmeinung ein Mammographiescreening befürwortet und mit etwa 30 Prozent weniger Brustkrebssterbefällen argumentiert. Von den Gegnern dieser Konzepte wird jedoch immer wieder die Rate an falsch positiven Befunden, die unnötige Biopsien nach sich ziehen und die betroffene Frau massiv ängstigen, kritisiert. Auch wird immer wieder angezweifelt, ob ein flächendeckendes Mammographiescreening die Brustkrebssterberate wirklich verringert. Letztlich kann jede Teilnehmerin/Teilnehmer einer Screeningmaßnahme hiervon profitieren, aber auch verlieren, d.h. Nachteile durch überflüssige Diagnostik und Therapie erfahren. Im Gegensatz hierzu wird aufgrund des extrem hohen Erkrankungsrisikos in der Gruppe mit vererbter Genmutation eine Kombination aus verschiedenen Präventionsmaßnahmen diskutiert. Insbesondere die Radikalität der operativen Primärpräventionskonzepte erschreckt zunächst, auch wenn dies für andere, jedoch seltenere familiär vererbte Krebserkrankungen (familiäre Dickdarm- oder Magenkrebs) schon seit Jahrzehnten praktiziert wird. Anders als für das flächendeckende Mammographiescreening ist für Hochrisikogruppe mit vererbten BRCA 1+2 Gendefekten ein sicherer Effekt des bildgebenden Screenings auf die Sterberate nicht belegt, auch wenn für diese Gruppe ein frühzeitiges bildgebendes Screening mit Kernspintomographie, Ultraschall und Mammographie empfohlen wird. Option Prophylaktische Brustentfernung und Eierstocks/Eileiterentfernung vor dem 40. Lebensjahr Eierstocks-und Eileiterentfernung vor dem 40. Lebensjahr und Brust Screening Eierstocks-und Eileiterentfernung vor dem 40. Lebensjahr und Tamoxifen Screening Brust/Eierstöcke Chemoprävention (Tamoxifen, Raloxifen) % Risikoverringerung Brustkrebs > 90 % ≈ 85 % 40 – 50 % unklar unklar Was lässt ein erhöhtes Risiko Trägerin eines Gendefektes zu sein, vermuten? • Mehrere enge Familienmitglieder (Mutter, Schwester, Tochter, Tante) mit Brust- und/oder Eierstockskrebs, Erkrankte unter dem 50. Lebensjahr, männliche Brustkrebsfälle. • Enge Familienmitglieder mit mehr als einem erkranktem Organ (beidseitiger Brustkrebs, Eierstockskrebs und Brustkrebs). • Erkrankungen über mehrere Generationen auftretend. • Zusätzliche Krebserkrankungen (Bauchspeicheldrüse, Prostata, Dickdarm, männlicher Brustkrebs) können Hinweis auf einen in der Familie verbreiteten Gendefekt sein. Was ist der erste Schritt vor einem Gentest? Wenn bei Ihnen eine Genmutation diskutiert wird, steht im Vordergrund ein Gespräch mit ihrem Hausarzt/Ärztin oder aber Ihrer Frauenärztin/Arzt. Häufig erfolgt dann eine Vorstellung in unserer Brustsprechstunde. Als nächster Schritt erfolgt dann eine Konsultation einer Kooperationspartnerin unseres Brustzentrums, nämlich der Medizinischen Genetikerin Frau Dr. Schwab. Von ihr wird dann in einem ausführlichen Gespräch, gerne auch mit mehreren Familienangehörigen, eine Stammbaumanalyse bezüglich des Risikos einer Genmutation durchgeführt und ggf. eine Testung eingeleitet. % Risikoverringerung Eierstockskrebs ≈ 95% ≈ 95% ≈ 95% unklar unklar

12 > VIA > <strong>St</strong>. <strong>Vincenz</strong><br />

Ausgelöst durch die Berichterstattung über das Schicksal der Schauspielerin Angelina<br />

Jolie und ihrer Familie setzte eine breite Diskussion über die Rolle von Gentestung<br />

und den daraus ableitbaren Konsequenzen ein. Dr. Peter Scheler, Chefarzt der <strong>St</strong>.<br />

<strong>Vincenz</strong> Frauenklinik, beantwortet in diesem Beitrag zahlreiche Fragen rund um die<br />

durch die spektakuläre Entscheidung der Schauspielerin aufgeworfene Problematik<br />

zur Brustentfernung wegen genetischer Belastung.<br />

Gentestung und ihre Konsequenzen:<br />

Gesund bleiben durch Brustentfernung?<br />

Plötzlich entstand der Eindruck, jede Frau könne eine<br />

mögliche Kandidatin für eine „vorsorgliche Brustentfernung“<br />

sein. Die teils hochemotionale Diskussion hat<br />

viele Frauen verunsichert: auch in der Frauenklinik des<br />

<strong>St</strong>. <strong>Vincenz</strong>-<strong>Krankenhaus</strong>es gab es in diesem Kontext<br />

viele Anfragen zur „richtigen“ Präventionsstrategie.<br />

Um überhaupt eine Entscheidung treffen zu können,<br />

muss ein insgesamt hochkomplexer Hintergrund abgeklärt<br />

werden. Hierfür gibt es aber klare Kriterien. Dr.<br />

Peter Scheler, Chefarzt der <strong>Vincenz</strong>-Frauenklinik, greift<br />

im folgenden Beitrag zentrale Fragen besorgter Frauen<br />

auf. Sein Fazit: Auch wenn vielfach der Eindruck<br />

vermittelt wird, dass irgendwann jede Frau Brustkrebs<br />

entwickeln wird, ist das Erkrankungsrisiko nur für eine<br />

sehr kleine Gruppe der Bevölkerung extrem erhöht.<br />

Für weit über 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung<br />

gilt, dass bis zum Erreichen der derzeitigen statistischen<br />

Lebenserwartung (derzeit 82,5 Jahre für neugeborene<br />

Mädchen) etwa zehn Prozent eines Jahrgangs Brustkrebs<br />

entwickeln werden.<br />

Die überwiegende Zahl der Brustkrebspatientinnen entwickelt<br />

die Erkrankung aufgrund eines im Laufe ihres<br />

Lebens erworbenen Gendefektes. Die Ursachen hierfür<br />

sind in aller Regel unbekannt, als Risiken werden jedoch<br />

immer wieder <strong>St</strong>rahlenbelastung, Hormonzufuhr, hyperkalorische<br />

Ernährung , Viren, Nikotin usw. genannt.<br />

Weniger als zehn Prozent aller Brustkrebserkrankungen<br />

und weniger als 15 Prozent aller Eierstockskrebserkrankungen<br />

sind auf angeborene/oder vererbte Gendefekte<br />

oder Mutationen zurück zu führen.<br />

Die Mehrheit der vererbten Brust- und Eierstockskrebserkrankungen<br />

ist auf einen Defekt in den sogenannten<br />

BRCA1 und 2 Genen zurückzuführen.<br />

Mutationen/Schädigungen in diesen Genen können sowohl<br />

durch Mutter als auch Vater vererbt werden und<br />

setzen sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent<br />

dann auch bei den unmittelbaren Nachkommen durch<br />

(sog. autosomal dominanter Erbgang). Die Abkürzung<br />

BRCA steht für „Breast Cancer“. Die beiden Gene liegen<br />

auf unterschiedlichen Chromosomen und sind für die<br />

Herstellung wichtiger Reparaturbotenstoffe zuständig.<br />

Diese Reparaturbotenstoffe haben beim gesunden Menschen<br />

die Aufgabe, aufgetretene Fehler im Bauplan der<br />

Zelle zu korrigieren. Im Falle einer Genmutation verlieren<br />

sie die Fähigkeit zur Reparatur und sind daher für<br />

spätere Erkrankungen verantwortlich.<br />

Betroffene Menschen haben nicht nur ein dramatisch<br />

erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Lebens an Brust-<br />

(50-85 Prozent Risiko) oder Eierstockkrebs (15–40 Prozent<br />

Risiko) zu erkranken, sie erkranken häufig auch<br />

in einem früheren Lebensalter als der Durchschnitt<br />

(ca. zehn Jahre früher) und auch das Risiko für andere<br />

Krebserkrankungen (Eileiter, Bauchspeicheldrüse, Prostata,<br />

Brustkrebs des Mannes) kann erhöht sein.<br />

Für das weitere Verständnis soll hier nochmals herausgestellt<br />

werden, das Angelina Jolie zu einer extrem<br />

kleinen Gruppe bezogen auf die weibliche Gesamtbevölkerung<br />

gehört, (0,1 Prozent) und daher im folgenden<br />

diskutierte Präventionskonzepte (Vorbeugung) nur für<br />

eine begrenzte Gruppe relevant sein werden!<br />

Brustkrebsrisiko<br />

% der weiblichen<br />

Bevölkerung<br />

% aller Brustkrebspatientinnen<br />

Durchschnittliches<br />

Risiko bis zum 70. Lebensjahr<br />

zu erkranken<br />

Brustkrebsfälle<br />

in der Familie<br />

BRCA 1 oder<br />

BRCA2 Mutation<br />

Keine familiäre<br />

Belastung und/<br />

oder Genmutation<br />

Ca. 10 % Ca. 15-20 % Ca. 10-13 %<br />

Ca. 0,1 % Ca. 5-6 % Ca. 50-85 %<br />

Ca. 90 % Ca. 80-85 % Ca. 7 %

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!