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Carolinum - carocktikum.de

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Auen und Wäl<strong>de</strong>r zu überblicken, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Anblick musste herrlich sein weit über die<br />

Grenzen <strong>de</strong>s Tals hinaus, voll von Glück und Liebe und weitab von Krankheit Krieg<br />

und Tod, da versprach sie zu kommen und gemeinsam wollten wir alles Leid <strong>de</strong>r<br />

Welt vergessen.<br />

Nun, ich baute dieses Schloss und <strong>de</strong>r Turm war höher noch als alles vorher<br />

Dagewesene. Dort oben auf seiner Spitze saß ich und wartete auf DICH. Ich wartete<br />

lang. Die Tage gingen zur Neige, die Nächte kamen - viele Male. Doch du kamst<br />

nicht. Allein saß ich dort und wartete und schaute. Doch nie sah ich dich.<br />

Wolken kamen und brachten Regen, Wind setzte ein. Und wie ich wartete und die<br />

Tage dunkler wur<strong>de</strong>n, bis kein Licht mehr zu mir drang und die Schauer zu<br />

Platzregen, <strong>de</strong>r Wind zu Sturm wur<strong>de</strong>n und eisige Kälte brachte und Gewitter, so<br />

wan<strong>de</strong>lte sich meine Liebe, Verehrung, Anbetung. Sie wur<strong>de</strong> zu einem brennen<strong>de</strong>n<br />

Wahn. Und ich schickte mein ganzes Sehnen, mein Verlangen aus, dich zu suchen,<br />

dir Liebe zu bringen, unser Glück zu verheißen, dass du mich nimmer vergessen<br />

könntest. Doch es war ein wil<strong>de</strong>s Verlangen, es quälte dich, schreckte dich aus<br />

<strong>de</strong>inen Träumen wie eine Spukgestalt aus alten Tagen und niemand konnte dich<br />

erlösen. In meiner Einsamkeit wuchs meine Sehnsucht, so verstärkten sich auch<br />

<strong>de</strong>ine Qualen.<br />

Ich saß auf meinem Turm und lauschte nach dir, heftige Böen trugen Stimmen zu<br />

mir, die von dir sprachen. „Ein böser Geist quält sie”, „sie re<strong>de</strong>t wirres Zeug”, „sie ist<br />

krank - sie wird wahnsinnig”, flüsterten sie, doch ich hörte nicht, all mein Denken,<br />

Sinnen, Streben galt doch nur dir! Nur <strong>de</strong>in Bild, <strong>de</strong>ine vollkommene, strahlen<strong>de</strong><br />

Schönheit - nur das sah ich immer vor mir. Und <strong>de</strong>r süße Duft <strong>de</strong>iner Haut, sanfte<br />

Schauer über meinem Rücken bei <strong>de</strong>iner Berührung. Wie sollte ich da etwas<br />

an<strong>de</strong>rem Beachtung schenken können als nur dir allein?<br />

Doch ach, dann kamst du. Erlösung für meine Sehnsucht - aber was war aus dir<br />

gewor<strong>de</strong>n? Dein Haar - zerzaust, <strong>de</strong>ine Klei<strong>de</strong>r - zerfetzt, zerschrammt <strong>de</strong>ine Arme<br />

und wirr <strong>de</strong>in Blick. Und <strong>de</strong>in Gesicht! Keine Sterne, Blei statt Gold und überall tiefe<br />

Furchen. War es die Zeit - o<strong>de</strong>r gar meine quälen<strong>de</strong> Liebe? Jetzt sah ich es - damals<br />

hattest du nur mit mir gespielt, verlachtest meine Träume, meine Liebe war dir egal.<br />

Doch nun, verlassen und einsam und unendlich mü<strong>de</strong>, da kamst du zu mir, wolltest<br />

unsere Liebe, in unserem Schloss wohnen, glücklich sein. Aber bemerktest du <strong>de</strong>nn<br />

nicht? Das Schloss war längst zerfallen, allein <strong>de</strong>r Turm blieb. Längst vergangen<br />

waren die Sommertage.<br />

Und ich? Ich musste erkennen, ich hatte einen Traum verfolgt. Einst erhoben dich<br />

Jugend und Lei<strong>de</strong>nschaft zu einem makellosen Wesen, dann schufen Liebe und<br />

Wahn ein I<strong>de</strong>al. Doch nun, in <strong>de</strong>inem bedauernswerten, erbarmungswürdigen<br />

Zustand, konnte ich dich nicht mehr lieben. So plötzlich wie du gekommen warst, so<br />

plötzlich erlosch meine Liebe zu dir, wie lei<strong>de</strong>nschaftlich sie vorher auch war.<br />

Schlimmer sie wan<strong>de</strong>lte sich in Abscheu. lch konnte <strong>de</strong>inen Anblick nicht länger<br />

ertragen, wandte mich um, schloss die Türen meines Turmes.<br />

Du batest, flehtest, schriest, fluchtest - ich sah mich nicht um. Noch immer sitze ich<br />

hier, kein Wind durchweht mehr die Gemäuer, kein Regen fällt, kein Sonnenstrahl<br />

erreicht mich. Der Himmel ist grau und trüb. Schon lange bist du verstummt. Allein<br />

ich bin noch hier. Verlassen. Ohne Liebe. Nur mit meiner Erinnerung. Du hast mir<br />

alles genommen, Liebe, Glück, Gefühl - damals, als du mich verließest. Du kannst<br />

sie nimmer zurückgeben. Und mir bleibt nur die Hoffnung auf Vergessen eines Tages<br />

und Ruhe.<br />

Isabel Achsel

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