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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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post@LarsHennings.de 9<br />

doch aus Berichten späterer Zeit Schlüsse auf die Frühgeschichte gezogen werden, als<br />

seien jene Völker seit der Steinzeit unverändert geblieben, auch wenn es für uns so<br />

aussieht. Berichte über rezente Urvölker gibt es seit dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert beispielsweise<br />

von den Eroberern Amerikas <strong>und</strong> Asiens <strong>und</strong> von den sie begleitenden christlichen<br />

Priestern, die eigene Interessen verfolgten, primär die geistige Unterwerfung, aber auch<br />

die direkte Versklavung unter Klöster, zum Beispiel in Kalifornien. Das hat sich auf die<br />

Entwicklung <strong>und</strong> die Berichte ausgewirkt; zum Teil wurde das Wissen der Eroberer über<br />

die alten Griechen auf die „Wilden“ rückübertragen. 1 Eine weitere Beurteilung ergibt sich<br />

aus der Frage, wie (!) der Homo sapiens universell zu einer animistischen Weltvorstellung<br />

k<strong>am</strong>. Es ist zu prüfen, was unter religiös zu jener Zeit an jenem Ort verstanden werden<br />

kann. War es eine animistische Welt von Geistwesen, die alle als Subjekte auf die<br />

Menschen wirkten? Oder gab es ergänzend dazu bereits eine Religion mit erkennbaren<br />

GöttInnen? 2 Die großen Hauptpfeiler in den Anlagen des <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> verweisen eher auf<br />

letzteres.<br />

Archäologisch wissen wir mittlerweile schon einiges über diesen Bau, (Schmidt, 2008)<br />

aber aus Sicht der Soziologie gilt es, diesen Erkenntnissen mit Erklärungsversuchen<br />

nachzukommen. Wer also waren diese Leute mit solchen Möglichkeiten? Wie dachten<br />

<strong>und</strong> glaubten, wie sprachen sie? Ob sie wirklich nicht wußten, wie Fortpflanzung<br />

(biologisch) funktionierte, wenn sie vielleicht bei der Kindesentwicklung die geistig,<br />

mystische Zeugung allein für bedeutend hielten? (Ruspoli, 1998: 92; >Eiszeit, 2009: 285)<br />

Als ob nicht beides zugleich zu denken ist; Malinowski besteht für die Trobriand-Inseln<br />

auf dieser Unkenntnis. 3 (1979) Was bauten sie vor den Kultstätten dort? Welche<br />

Gemeinschaftsformen hatten sie entwickelt, um das Werk beginnen zu können? Waren sie<br />

gleichberechtigt <strong>und</strong> frei, Frauen <strong>und</strong> Männer, wie es oft für WildbeuterInnen gedacht<br />

wird? Hatten womöglich die Frauen das Sagen? Oder eine Kriegerkaste?<br />

Insel im Urmeer?<br />

Mit dem F<strong>und</strong> des riesigen steinernen Tempels <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> k<strong>am</strong> eine neue soziale<br />

Epoche in den Blick der Kulturgeschichte, die bislang nicht gesehen worden war. Der Bau<br />

in Nord-Mesopot<strong>am</strong>ien bei Urfa/ Sanglıurfa (i ohne Punkt), dem früheren Edessa, zeigt die<br />

Struktur von d<strong>am</strong>aligen R<strong>und</strong>hütten mit äußeren <strong>und</strong> inneren Pfosten. Er sagt uns, bei den<br />

Leuten, die ihn errichteten, ist von einer entwickelten Kultur auszugehen, die<br />

Arbeitsteilung über die geschlechtliche hinaus kannte. Wir werden sehen, daß ein St<strong>am</strong>m,<br />

der ihn bauen konnte, wohl an die tausend Menschen umfassen mußte. Und das lange vor<br />

dem bis noch vor kurzer Zeit angenommenen Beginns des seßhaften Landbaus. Hohe<br />

Mauerringe mit über zehn Metern Durchmesser aus Felssteinen sind seine Basis.<br />

Besonders kennzeichnend sind die bis fünfeinhalb Meter hohen freistehenden T-Pfeiler im<br />

Innenraum <strong>und</strong> die bildhauerische Kunst auch an den Stützpfeilern der Mauern. Die<br />

beiden Mittelpfosten tragen in einem solchen Gedanken an eine große R<strong>und</strong>hütte eine<br />

Dachkonstruktion. Tatsächlich gibt es schon aus früherer Zeit F<strong>und</strong>stellen von solchen<br />

Pfosten-Häusern, wie in Gönnerdorf <strong>am</strong> Rhein oder in Ain Mallaha nördlich des Sees<br />

Genezareth bereits aus der Natufien-Kultur. (Roaf, 1998: 27ff) Schmidt kommt aber<br />

nachvollziehbar <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> zu offenen Kulträumen. Diese Mittelpfeiler trugen kein<br />

Dach, sondern eher den Himmel.<br />

1 Schon A. v. Humboldt (1967: 373) sieht diesen Zus<strong>am</strong>menhang. Ausdrücklich in dieser Weise Lafitaus<br />

Bericht von 1726 (dt. 1752) über Indianer. Lindner (1987) verweist auf die altgriechischen Mythen der<br />

Mänaden/ Bacchantinnen, die zum Beispiel Orpheus ermordeten (während mythische Amazonen gegen<br />

Bewaffnete kämpfen). Die Christen übernehmen dies zum Beispiel in die Figur der Salomé, der Tochter von<br />

Herodias <strong>und</strong> Herodes, der auf ihren Wunsch Johannes köpfen läßt <strong>und</strong> den Kopf in einer Schüssel auf den<br />

Tisch stellt (Hinweis auf Omophagie, Kanibalismus). Menninger (1995) zeigt demgegenüber, daß die Berichte<br />

über „Menschenfresser“ in Amerika im 16. JH alle aufeinander bezogen sind; ich bestreite nicht vielfache<br />

Kopfjägerei <strong>und</strong> Kanibalismus. Es scheint eine (unglaubwürdige) Übertragung aus dem Wissen über die alten<br />

Griechen <strong>und</strong> der christlichen Vorstellungen auf die Indianer (<strong>und</strong> andere Völker?) gegeben zu haben.<br />

Vergleichen Sie auch den Animismus in der Ilias – überall tätige Gottheiten.<br />

2 Hier soll nicht versucht werden, Magie mit Sch<strong>am</strong>anInnen von Religion mit PriesterInnen aufwendig zu<br />

scheiden; vielleicht hilft das Verständnis als Pole einer Reihe, zwischen denen mal mehr mal weniger von<br />

Magie oder Religion vorkommt: Magie versucht durch direkte, „mechanische“ Einflußnahme auf die<br />

Geistwesen in allen Erscheinungen Einfluß zu nehmen (gute/ böse Zauber). Der andere Pol ist eher<br />

„Gottesdienst“ der Gläubigen <strong>und</strong> PriesterInnen, die als Dienstpersonal auftreten. Dazu unten mehr.<br />

3 Von Bronislaw Malinowski, der ausdrücklich methodische Regeln der Ethnologie formuliert, erfahren wir<br />

zum Beispiel, er habe auf sehr entschiedene <strong>und</strong> aggressive Art versucht, den Leuten auf den Trobriand-<br />

Inseln – anstelle ihres <strong>Glauben</strong>s an Geistzeugung der Kinder – die wahre Ursache der Zeugung zu vermitteln.<br />

(1979 b : 138)

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