Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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88 Zwischenstand: Den Himmel stützen<br />
Unruhe entstand auch in der Gemeinschaft. Die Sch<strong>am</strong>anInnen wurden befragt. Der Große<br />
versprach größere Einflußnahme <strong>und</strong> Sicherheit für die Zukunft; seine Bedeutung wuchs,<br />
da er Erfolg zu haben schien, die Nahrung wurde langs<strong>am</strong> reichlicher. Die Unterstützung<br />
durch den Großen Sch<strong>am</strong>anen war hilfreich dabei. Die alten Geistwesen verdichteten sich,<br />
wurden zu GöttInnen, aus ihnen empfahlen sich wenige als kluge <strong>und</strong> mächtige Berater<br />
<strong>und</strong> Beschützer gegenüber den alten Himmelskräften. So wie es sich auch unter den<br />
Menschen entwickelte. Eines Tages war es klar: Ein Tempel mußte her als Symbol des<br />
eigenen Selbstverständnisses, wie es die traditionale Logik vorgab.<br />
Es ist Sommersonnenwende, das Fest des St<strong>am</strong>mes vom <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>. Am heiligen<br />
Berg, der eher ein Hügel ist, aber noch vom Hof von Urfa <strong>am</strong> fernen Horizont sichtbar,<br />
treffen die Gruppen des St<strong>am</strong>mes ein. Sie lagern unten an seinem Fuß, über fünfzig Feuer<br />
brennen. Die Gentes haben sich zus<strong>am</strong>mengef<strong>und</strong>en. Die Gruppen der Krieger, die <strong>am</strong><br />
Hof des Großen leben, lagern in der Nähe dessen Lagerplatzes. Bekanntschaften werden<br />
erneuert, Hochzeiten vereinbart oder vollzogen, um in fernere Gruppen die jungen Frauen<br />
<strong>und</strong> Männer zu geben. Immer wieder treffen Trupps von Jägern ein, die die Beute des<br />
großen gemeinschaftlichen Jagens an den Feuerplatz des St<strong>am</strong>mes bringen, an dem das<br />
Fest seinen Mittelpunkt haben wird. Sie werden freudig begrüßt. Das gilt auch für die<br />
Gruppen der Frauen, die mit großen Körben aus der Ebene zurückkommen, in denen Korn<br />
<strong>und</strong> Kräuter, Knollen <strong>und</strong> gejagte Kleintiere ges<strong>am</strong>melt sind. Andere tragen an langen<br />
Hölzern die Steingefäße mit dem Weißbier heran. Manches wird auch nach oben auf den<br />
Berg gebracht. Ein eigener großer Platz mit den Gaben des Großen von Urfa wird<br />
bestaunt: Werkzeuge, Waffen, Gerät aus Holz, Knochen <strong>und</strong> Stein, herausragende<br />
Kleidung, Flechtwerk sind zu sehen. Als Opfertiere werden Auerochsen vorbereitet, deren<br />
Fleisch die Menschen in den Riten beim gemeins<strong>am</strong>en Mahl mit den alten <strong>und</strong> neuen<br />
GöttInnen verbinden wird.<br />
Auf dem Berg tagt der große St<strong>am</strong>mesrat. Vieles ist bereits erledigt, Streitereien <strong>und</strong><br />
Todesfälle wurden verhandelt, um Blutrache zwischen Sippen zu beenden,<br />
Ausgleichszahlungen festgesetzt. Neue Regeln für Riten wurden besprochen. Pläne für<br />
Jagden <strong>und</strong> den Schutz der neu aufkommenden Pflanzen, die gemahlen <strong>und</strong> als Brot<br />
verbacken werden können, entwickelt. Nun geht es um den Tempel. Der Baumeister hat<br />
sein Modell aufgestellt, das <strong>am</strong> Ende bestätigt oder erneut abgelehnt werden soll. Wieder<br />
sind die GöttInnenbilder im Kreis angeordnet, wie schon im Jahr zuvor. Es stehen große<br />
Pfosten im Kreis, ein bißchen wie <strong>am</strong> Haus des Großen von Urfa. Doch nun sind es<br />
GöttInnenbilder mit großen Köpfen, wie sie der Große Mann von Urfa <strong>und</strong> der Große<br />
Sch<strong>am</strong>ane empfohlen haben: sie stützen den Himmel gegen die Erde ab, d<strong>am</strong>it Raum<br />
bleibt für Pflanzen, Tiere <strong>und</strong> Menschen. Und ein fester Raum ist aus der Anlage<br />
geworden, hohe Mauern schließen das Heiligtum ab, nicht einmal ein großer Eingang ist<br />
vorgesehen, sondern nur ein Einstieg. Denn er hat sich verändert, dieser Himmel, auf den<br />
das Bauwerk den gläubigen Geist konzentrieren soll. Immer wieder stürzen Wasser aus<br />
ihm herab, häufiger <strong>und</strong> kräftiger als zuvor. Immer wieder verhüllen ihn dichte Wolken.<br />
Doch immer stärker brennt auch die Sonne über lange Zeiten <strong>und</strong> verändert das Land,<br />
seine Pflanzen, seine Tiere. Unsicherheit <strong>und</strong> Angst hat die Neuerungsfeinde befallen, so<br />
daß die Großen sich durchsetzen <strong>und</strong> noch bedeutender werden. Denn zugleich gibt es<br />
Hoffnung auf bessere Erträge beim S<strong>am</strong>meln <strong>und</strong> Jagen. Die Geschenke des Großen von<br />
Urfa haben es bestätigt, daß Überschüsse gewonnen werden können, der Obersch<strong>am</strong>ane<br />
hat es anerkannt, daß nicht böser Zauber den Großen dazu befähigt. Umgeben von den<br />
alten Erdgeistwesen, die die Mauern halten, stehen die beiden großen Götter in diesem<br />
Erdenr<strong>und</strong>, das sich nur dem Himmel öffnet, als Einheit der Kräfte der Erde <strong>und</strong> des<br />
Himmels, als Einheit von Menschen <strong>und</strong> Göttlichem, vom Alltäglichen <strong>und</strong> Geistigem. So<br />
wie der Große Mann <strong>und</strong> der Große Sch<strong>am</strong>ane zus<strong>am</strong>men mit den Vorleuten der Gentes<br />
den St<strong>am</strong>m <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> stützen <strong>und</strong> schützen. So wie die Vorleute der Gentes seit<br />
alters her den eigenen Erdraum, die Ebene um den heiligen Berg geschützt haben – mit<br />
Hilfe der GöttInnen. Und die F<strong>am</strong>ilien werden künftig vom Vater auf den Sohn<br />
übergehen...