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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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post@LarsHennings.de 87<br />

vom Handelsweg Palästina - Anatolien in den Ort, die solche Produkte eintauschen. Und<br />

hier leben Leute mit der Fähigkeit der Welterklärung, weise Leute, die Geistwesen <strong>und</strong><br />

Zauber erklären können, die dieses Volk allumfassend umgibt. Sch<strong>am</strong>anInnen, die die<br />

Zeichen der Vögel deuten, die die Wahrheit <strong>und</strong> das Recht im Streitfall bestimmen, die<br />

wissen, wann ein Neugeborenes aufwachsen darf. Sie leben von Geschenken der anderen,<br />

die sie für ihre magischen Dienste erhalten. Auch aus ihrer Mitte hat sich einer als Großer<br />

Sch<strong>am</strong>ane herausgehoben, der sich weitergehend bereits als Priester sieht, der in klugen<br />

Reden die Geistwesen der Natur zu GöttInnen verdichtet – da ist er sich mit dem Großen<br />

Mann der Jäger einig.<br />

In der Ebene ziehen die Männer regelmäßig hinaus auf die Jagd. Sechs bis neun Jäger<br />

aus einem Lager sind es meist, manchmal teilen sie sich. Tiere gibt es reichlich, <strong>und</strong> doch<br />

ist es ein weites Land, in dem die leichtfüßigen Gazellen gesucht <strong>und</strong> gestellt werden<br />

müssen; große Entfernungen sind zurückzulegen, bis an die Grenze des frühen<br />

Schweifgebietes sind es vom Zentrum an die 70 Kilometer. In den Jagdgebieten flüchtet<br />

das Wild bald, so daß sie immer wieder gewechselt werden müssen. Auch für Kriegs- <strong>und</strong><br />

Handelszüge sind die Männer oft über Tage <strong>und</strong> länger weg, viel länger manchmal,<br />

während die Frauen die Gruppenlager beaufsichtigen. So haben die ihre Rechte im Inneren<br />

der Gemeinschaften gestärkt, <strong>und</strong> in den einzelnen Lagerplätzen haben Frauen das Sagen.<br />

Die Töchter bleiben bei nach der Heirat bei ihren Müttern. Die älteren Frauen einer Gens<br />

bestimmen die männlichen Vertreter zum St<strong>am</strong>mes- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat. Nahrung wird in den<br />

einzelnen Lagern gemeins<strong>am</strong> unter alle aufgeteilt, doch in den Hütten gekocht. Das<br />

S<strong>am</strong>meln von Wildgetreide <strong>und</strong> anderen Pflanzen geschieht durch die Frauen <strong>und</strong> älteren<br />

Kinder, auch das Gerben von Fellen, das Nähen <strong>und</strong> die Errichtung <strong>und</strong> Pflege der Hütten<br />

nimmt einen guten Teil der Zeit in Anspruch. Die älteren Menschen bleiben in den<br />

Dörfern als Wache zurück.<br />

Die Gemeinschaften sind dennoch nur egalitär für die Männer. Die verfügen über das<br />

weite Land, schützen vor Raubtieren <strong>und</strong> Feinden. Egalitär heißt jedoch auch für sie nicht<br />

mehr: völlig gleich. In den Siedlungsgebieten haben sich Mechanismen entwickelt, die<br />

einzelne Vorleute herausstellen, beziehungsweise die sich herausstellen können. Meist<br />

sind es die von den Frauen in den St<strong>am</strong>mesrat entsandten. Über Jagd- <strong>und</strong> Kriegserfolge,<br />

über hohe Bierproduktion <strong>und</strong> durch eigene Spars<strong>am</strong>keit gelingt ihnen eine<br />

Überschußwirtschaft, mit der Gefolgschaft hergestellt wird. Sie vergeben beispielsweise<br />

den Brautpreis an junge Männer, die bei der Jagd nicht erfolgreich genug waren, <strong>und</strong><br />

erwerben auch auf solche Weise Gefolgsschaft. Verteilungsfeste sichern die allgemeine<br />

Versorgung auch der Menschen, die in Schwierigkeit k<strong>am</strong>en. Starke Söhne werden als<br />

Krieger zum Hof empfohlen. Frauen, vielleicht auch mal mehrere Frauen eines Mannes,<br />

<strong>und</strong> die Töchter erzeugen den Überschuß an pflanzlicher Nahrung <strong>und</strong> Bier, das zu<br />

besonderen Zeiten anfällt, wenn die Reife des Getreides schnelles Ernten <strong>und</strong><br />

Verbrauchen verlangen. Vielleicht entwickelt sich eine gemeins<strong>am</strong>e Ernte, weil die<br />

flüchtigen Körner des wilden Getreides schnell zu Boden fallen. Es konnte sich ein<br />

St<strong>am</strong>m bilden, der über eine Gr<strong>und</strong>organisation verfügte, mit der der innere Friede <strong>und</strong> die<br />

Ebene um den Kultbau gegen Feinde zu sichern war. Mit der gelegentlich die Großjagd<br />

möglich wird, wie auch der Schutz von Getreide vor Wildverbiß. Die Feinde lebten jetzt<br />

jenseits der Grenzen der eigenen Region, nicht mehr in jedem anderen Lager. Immer<br />

wieder gibt es Krieg mit ihnen, mal von diesen mal von jenen begonnen, manchmal<br />

werden Gefangene mitgebracht, die adoptiert oder zeremoniell getötet werden. Schien es<br />

nötig, weil ein wichtiger Mensch gestorben war, ging es hinaus zu den ferneren Nachbarn,<br />

um dort zu töten, wie es die Rache gegen den tötenden Zauber verlangt. Und die Nachbarn<br />

antworteten wieder ebenso.<br />

Die eigene Region besaß einen heiligen Platz als Mittelpunkt, an dem der Rat der<br />

Männer sich traf. Auch diese Männer waren untereinander noch gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

gleichberechtigt. Der Große Mann von Urfa stand nur informell über ihnen; er war nicht<br />

mehr jung, <strong>und</strong> die Älteren hörten auf seinen Rat, solange er ihre Weisheit anerkannte. Die<br />

Mitglieder des Rats prüften jene, die von den Siedlungsplätzen in das Gremium geschickt<br />

wurden, akzeptierten sie oder nicht. Hier wurde über die Wünsche <strong>und</strong> Forderungen der<br />

Geistwesen der Natur entschieden, hier wurden die großen Vorzeichen bewertet, hier<br />

wurde erkannt, daß die Natur in Unruhe war. Das Wetter änderte sich, altbekannte<br />

Pflanzen wurden weniger, andere wuchsen dort, über die Wissen ges<strong>am</strong>melt werden<br />

mußte. Es regnete mehr als zuvor. Einige Tiere zogen nach Norden, andere Arten<br />

vermehrten sich nun in der Ebene. Es wurde wärmer, die Wasser der Flüsse stiegen an.

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