Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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86 Zwischenstand: Den Himmel stützen<br />
Entwicklung stattfinden konnte. Aufgr<strong>und</strong> dieses Materials ist sowohl technisch wie<br />
geistig <strong>und</strong> sozial dort eine Gemeinschaft vorstellbar, die den Tempel bauen konnte, ohne<br />
ihr für die d<strong>am</strong>alige Zeit extreme oder gar „w<strong>und</strong>ers<strong>am</strong>e“ Kenntnisse unterstellen zu<br />
müssen. Auch von S<strong>am</strong>mlerInnen <strong>und</strong> Jägern dort auszugehen, muß nicht auf Unglauben<br />
stoßen. Allerdings ist von überwiegend seßhaften, komplexen S<strong>am</strong>mlerInnen <strong>und</strong> Jägern<br />
auszugehen, die die nötige soziale <strong>und</strong> technische Organisation entwickelt hatten. Die<br />
Vorstellung, noch von ganz egalitären Gruppen auszugehen, liegt nicht völlig außer<br />
Reichweite, scheint aber unwahrscheinlich. Auf der anderen Seite ist ebenso eine streng<br />
hierarchisch organisierte Gruppierung denkbar, bis hin zu einer Kriegergemeinschaft, die<br />
SklavInnen einsetzen oder Fronarbeit anderer Gruppen oder unterdrückter Schichten des<br />
eigenen Volkes arbeiten lassen konnte. Ob hier die Landwirtschaft durchgesetzt wurde,<br />
oder das Ende dieser Kultgemeinschaft eher das Gegenteil bezeugt, scheint offen zu sein.<br />
Plausibel ist eine Gemeinschaft mit relativer Gleichheit der Männer/ F<strong>am</strong>ilienvorstände,<br />
in der sich in den einzelnen Gruppen <strong>und</strong> Gentes schon Ansehensunterschiede entwickelt<br />
hatten, wie sie mit dem Modell des Großen Mannes beschrieben werden. Ein Prozeß<br />
gegenseitiger Respektierung, wie über einen Gaben-Tausch, könnte ein Modell der<br />
Friedenssicherung gewesen sein. Ein Zus<strong>am</strong>menschluß solcher Gruppen im Sinne einer<br />
Gentilgemeinschaft ist gut vorstellbar, um langs<strong>am</strong> eine relativ große Region als<br />
wachsende Kultgemeinschaft für sich in Anspruch zu nehmen. Religiöser <strong>Glauben</strong> auf<br />
dem geistigen Niveau von Mythen des frühen Sumers oder auch des frühen Ägyptens ist<br />
dieser Bevölkerung zuzutrauen, wie auch die Vorstellung über das alltägliche <strong>Denken</strong> in<br />
den Rahmen paßt, den die bekannte Geschichte des Homo sapiens zu jener Zeit darstellt.<br />
Der prä-operationale Mensch im Sinne Piagets konnte die Situation meistern. Die<br />
historische Phase des Proto-Neolithikums mit der primären Ernährung aus Wildgetreide<br />
<strong>und</strong> der Jagd von mittelgroßem Wild zus<strong>am</strong>men mit ersten frühen Siedlungen, die mit<br />
Handelswegen <strong>und</strong> entsprechender Wissensvermittlung verb<strong>und</strong>en waren, ergänzt das<br />
Bild. Zum Handelspunkt Jericho entstand vielleicht eine Beziehung, in welcher Weise<br />
auch immer. Und doch haben wir es wohl mit Menschen zu tun, die sich nicht als<br />
Gestalter ihrer Welt verstanden, wenn sie das auch längst waren, sondern als Teil einer<br />
religiös verstandenen Umwelt. Wie auch deren Große Männer den einfachen Leuten<br />
d<strong>am</strong>als als Bestandteil einer höheren Macht erschienen, herausgehoben von neuen<br />
religiösen Kräften, nicht durch individuelle Leistung, die ja erst durch die GöttInnen<br />
möglich waren. Rudimentär wachsende Individualität gab es, wurde aber nicht als solche<br />
gesehen, sondern als göttliche Gabe. Sippe <strong>und</strong> St<strong>am</strong>m als Ausdruck der Gemeins<strong>am</strong>keit<br />
mit den Ahnen <strong>und</strong> GöttInnen waren ewige Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft. Speerschleuder,<br />
Bogen <strong>und</strong> Pfeil bestimmten nennenswert den Wohlstand <strong>und</strong> im Zweifel das Verhältnis<br />
zu Nachbarn <strong>und</strong> deren feindlichen Zauber. Lebensaufgabe, soweit schon zu denken, war<br />
die Erhaltung der Lebensweise der Ahnen – bis das Wetter umschlug <strong>und</strong> der Himmel<br />
seinen Tribut forderte... Vielleicht.<br />
Versuche ich mir – wie in einem Traum – die Lebenswelt <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong><br />
vorzustellen, <strong>und</strong> zwar vor der Errichtung des Bauwerks, dann sehe ich an verstreuten,<br />
günstig gelegenen Orten kleine Gruppen von Lagern, wo es Schutz vor Witterung <strong>und</strong><br />
wilden Tieren gibt, wie auch vor Feinden. Orte in der Nähe von Wildgetreidewiesen. Es<br />
gibt vielleicht fünf solcher kleiner Siedlungen, deren im Schnitt fünf Dörfer, um nicht<br />
ständig wegen irgendeines Krautes überquer zu kommen, mit etwas mehr als Steinwurf-<br />
Distanz zueinander an Flüssen liegen, <strong>und</strong> doch dicht genug zus<strong>am</strong>men für die<br />
Empfindung als einer Gens. 1 Die Dörfer umfassen um die 30 Personen in vier bis sechs<br />
Hütten. An einer Stelle ist zusätzlich ein Zentrum entstanden, wo der Große Mann von<br />
Urfa lebt. Sein eigener Hof mit von stabilen Pfosten getragenen Häusern sticht aus der<br />
sonstigen Qualität der Hütten der Lager hervor, wie sie auch um diesen Hof herum zu<br />
finden sind. Krieger/ Jäger, die seine Gefolgschaft bilden, wohnen mit ihren F<strong>am</strong>ilien wie<br />
alle anderen des St<strong>am</strong>mes in kleineren Hütten; sie halten Verbindungen in die Lager ihrer<br />
Verwandten. In einigen der Hütten arbeiten Handwerker, die nicht mehr jagen gehen,<br />
während ihre Frauen <strong>und</strong> Kinder noch wie die anderen die Gr<strong>und</strong>nahrung täglich s<strong>am</strong>meln<br />
<strong>und</strong> die Früchte dieser Arbeit heimbringen, wie es üblich ist in diesem Volk. Nur Fleisch<br />
mit seinem besonders hohen Nährwert tauschen Handwerker gegen ihre Produkte ein, die<br />
in hohem Maß vom Großen Mann bestellt werden. Immer wieder kommen auch Händler<br />
1 Hier wurde auf die zum Bauen geschätzte Mindestzahl gerechnet: fünf Gentes je 150 Menschen; oder fünf<br />
Gruppen von je fünf Lagern je 30 Leuten. Vermutlich ist es sinnvoll, die doppelte Zahl anzunehmen. Aber<br />
frühe Völker gelten als klein, die große Gebiete benötigten. Malinowski fand auf den Trobriand-Inseln<br />
Siedlungen mit mehreren Dörfern in Steinwurf-Entfernung <strong>am</strong> Strand einer großen Lagune. (1979: 235)