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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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post@LarsHennings.de 83<br />

Der Homo sapiens war offenk<strong>und</strong>ig viel früher als oft gedacht in der Lage, sein Leben<br />

selbst zu bestimmen, nicht mehr bloß Anhängsel der Launen der Natur. Er wurde dies<br />

nicht erst mit Beginn dieser besonderen neuen Seßhaftigkeit als Landwirtschaft mit<br />

Domestizierung von Pflanze <strong>und</strong> Tier. Ob er überhaupt je zu dem Bild paßte, als habe er<br />

in völlig freien Beziehungen gelebt, alle Individuen einander gleich, darf aus guten<br />

Gründen bezweifelt werden. Eingeb<strong>und</strong>en in die F<strong>am</strong>iliensippen waren diese Menschen<br />

Teil eines Organismus, an den sie sich anzupassen hatten, weil sie allein oder als nur eine<br />

F<strong>am</strong>ilie kaum überleben konnten, ja, sie wußten lange nicht, es könne eine Alternative zu<br />

dieser organischen Anpassung geben. Kinder, Erwachsene, davon die Alten, vor allem<br />

aber Männer <strong>und</strong> Frauen unterschieden sich, hatten unterschiedliche Aufgaben <strong>und</strong> Ränge<br />

einzunehmen, bildeten unterschiedliche Qualifikationen aus <strong>und</strong> gewannen<br />

unterschiedliches Ansehen, in engen Grenzen auch bereits so etwas wie Besitz. Besitz, der<br />

vielleicht ständig zu erneuern war, aber jene, die ständig das beste Werkzeug produzierten,<br />

die besten Nahrungsplätze fanden, <strong>am</strong> besten Waffen herstellten <strong>und</strong> nutzten, konnten<br />

wohl auch leichter größere F<strong>am</strong>ilien gründen. Wer die Zeit gut nutzen konnte, war in der<br />

Lage, Dinge zu produzieren, die andere nicht herstellen konnten, etwa Perlen aus<br />

Knochen, wie sie in frühen Gräberf<strong>und</strong>en zu Tausenden entdeckt wurden. Diese<br />

Menschen lagerten nicht unter Büschen über Nacht wie Tiere, sondern früh in Hütten <strong>und</strong><br />

Häusern, wenn nicht Höhle oder Abris zur Verfügung standen. Und sie lebten unter<br />

Geistwesen, die ihnen die Logik des prä-operativen <strong>Denken</strong>s <strong>und</strong> <strong>Glauben</strong>s <strong>und</strong> die<br />

Elemente der Natur vorgaben. Nur besondere Ereignisse änderten ihr Leben <strong>und</strong> <strong>Denken</strong>.<br />

Trafen sie auf andere Stämme ging es um Leben <strong>und</strong> Tod, wenn es nicht gelang, zum<br />

beiderseitigen Wohl Gemeins<strong>am</strong>keiten zu entwickeln, durch Verwandtschaft oder Handel<br />

oder gemeins<strong>am</strong>e Jagd vielleicht. Als die Eiszeit auf ihrem Höhepunkt die Menschen nach<br />

Süden <strong>und</strong> vielleicht besonders nach Südwesten trieb, gab es viele neue Begegnungen.<br />

Dann änderten sich die Lebensgr<strong>und</strong>lagen, Pflanzen <strong>und</strong> Tiere wechselten in den<br />

Regionen, aus Kräuter-T<strong>und</strong>ra wurde vielleicht Wald. Auf das alles mußte reagiert<br />

werden, durch Änderung des Lebens, durch Lernen! Lernen von Sprachen, die Sitten <strong>und</strong><br />

Gebräuchen des Alltags wie des Religiösen bei anderen, lernen über Pflanzen <strong>und</strong> Tiere,<br />

über das Wetter <strong>und</strong> neue Geistwesen. Lernen neuer Techniken für Werkzeuge <strong>und</strong><br />

Waffen; das Malen auch. Die Horizonte weiteten sich durch Erleben <strong>und</strong> Erzählungen.<br />

Wer überleben wollte, mußte die besseren Ideen haben, mit der neuen Welt umzugehen.<br />

Lernen war auch die entscheidende Notwendigkeit <strong>am</strong> Ende der Eiszeit in Nord-<br />

Mesopot<strong>am</strong>ien. Auch hier änderte sich das Leben gravierend. Daß es durch den<br />

Klimawandel dort besser werden würde, war lange nicht zu erkennen. Zuerst werden die<br />

Menschen versucht haben, sich den ändernden Standorten der Tiere <strong>und</strong> Pflanzen<br />

anzupassen, die sie kannten. Wanderungen entstanden. Land war neu in Besitz zu nehmen,<br />

vielleicht zu erobern. K<strong>und</strong>ige Führer gewannen an Einfluß in den Gruppen, Krieger auch,<br />

die den Boden sicherten <strong>und</strong> dessen Macht verkörperten. Und die Kenntnis über die<br />

Geistwesen wurde immer bedeutender, neue wurden wichtiger, wenn etwa der Himmel<br />

einzustürzen drohte. H<strong>und</strong>erte von Jahren vergingen vom Beginn der Erwärmung bis zum<br />

offiziellen Ende der Eizeit just zu der Zeit, als der <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> einen Tempel erhielt.<br />

Eine lange Zeit, in der sich diese vielfältigen Prozesse abspielten, ein Kommen <strong>und</strong> Gehen<br />

von Völkern vielleicht, aber auch von Antworten auf diese Krise. Irgendwann hat sich<br />

jener St<strong>am</strong>m auf dieser Ebene etabliert, mit dem wir es zu tun haben, wenn wir den<br />

<strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> analysieren. Ein soziales System mit neuen Ordnungsbeziehungen der<br />

Gruppen, mit erlernten Fähigkeiten auch, die über das Wissen <strong>und</strong> Können früherer<br />

Generationen hinauswachsen mußten, wohl auch über das der Nachbarn. Fähigkeiten, die<br />

entwickelt werden mußten, um das Neue verstehen <strong>und</strong> handhaben zu können. Ein St<strong>am</strong>m,<br />

der sich zur Kultgemeinschaft verb<strong>und</strong>en hatte, zur Vorstellung einer sozialen Einheit.<br />

Dafür mußten Vorleute in den einzelnen Gruppen heraustreten, wenn nicht mehr nur ein<br />

Palaver Aller alles regeln konnte, um zu koordinieren, das Alltägliche wie das Geistige.<br />

So entstanden weltliche <strong>und</strong> geistige Eliten durch Struktur- <strong>und</strong> Machtprozesse mit<br />

Nebenfolgen. Ein St<strong>am</strong>m, der sich sicher fühlte an seinem heiligen Berg, so sicher, daß<br />

nicht eine Burg entstand, sondern ein Heiligtum als Zentrum des neuen Lernens <strong>und</strong> des<br />

Wissens über die sich ändernde Umwelt <strong>und</strong> die Kräfte der Natur. Das Heiligtum eines<br />

erweiterten Weltbildes, dessen GöttInnenwelt in der Lage war, den neuen Himmel über<br />

der Ebene zu stützen, war vielleicht besser als Waffen, um die Nachbarn friedlich zu<br />

stimmen. Ein Heiligtum mit der Kompetenz der Erklärung der neuen Epoche entstand, ein<br />

Orakel der Steinzeit.

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