Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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8 Zur Soziologie der Steinzeit<br />
Basis gef<strong>und</strong>en habe. (2008: 228, 264ff) Durch das Handeln <strong>und</strong> die reflektierte Erfahrung<br />
also. Auch das symbolische <strong>Denken</strong> beginnt bereits in der frühen Zeit der Hominiden <strong>und</strong><br />
entwickelt sich ebenfalls nicht erst als „symbolische Revolution“ zus<strong>am</strong>men mit der<br />
neolithischen Revolution, wie Childe den Übergang zur Landwirtschaft nannte. Obwohl<br />
auch zu jener Zeit mit neuer Lebensweise das <strong>Denken</strong> sich erweiterte. Und ontogenetisch<br />
entsteht der Umbruch zum Menschen mit dem intentionalen <strong>Denken</strong>, mit dem Säuglinge<br />
sich ab dem neunten Lebensmonat über das Denkvermögen von Schimpansen erheben, um<br />
es hier nur plakativ zu formulieren; wir kommen darauf zurück. (Tomasello, 2006: 97ff)<br />
Beide Fähigkeiten besaß wohl schon Homo erectus, etwa die Pferdejäger von Schöningen,<br />
als sie die berühmten Speere aus dem Schrank holten – vor 400.000 Jahren! Daß sie die<br />
kostbaren Stücke liegen ließen, spricht für noch rudimentäre Ausbildung. Voll entwickelt<br />
wurde die Geistigkeit beim Homo sapiens. Von dem gehe ich generell aus, solange nicht<br />
von Homo erectus, heidelbergensis oder neanderthalensis ausdrücklich die Rede ist.<br />
Als neue Art entstand Homo sapiens vor 150.000 Jahren oder etwas früher in Afrika.<br />
Ich beziehe mich nur auf ihn, soweit es empirische Kenntnis zu ihm gibt, das ist<br />
wesentlich nach seinem Auszug aus Afrika ab vor knapp 70.000 Jahren der Fall.<br />
(scinexx.de, 28.12.12) Möglicherweise sind die sich quer durch Afrika ziehenden<br />
Felsbilder eine weitere Spur, die die direkten Vorfahren der Khoisan/ Buschleute<br />
hinterließen; davon sehe ich ab. Weil der Homo sapiens eine biologisch-genetisch fixierte<br />
Art ist, zu der alle heute lebenden Menschen gehören, <strong>und</strong> das ist meine Basis, nicht<br />
woher er wie wann genau gekommen ist, läßt sich folgern: alle modernen Menschen<br />
entwickeln das gleiche Gehirn, alle besitzen die gleiche geistige Kapazität, bilden<br />
allerdings entsprechend ihrer Lebensweise unterschiedliche geistige Kompetenz aus.<br />
(Dux) Am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> eine andere Kompetenz als bei den Germanen vor 1.000 Jahren<br />
oder den Mbuti im Regenwald des Kongos im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Alle haben das gleiche<br />
Denkvermögen, jedoch ein unterschiedliches Weltverständnis <strong>und</strong> eine unterschiedliche<br />
Struktur ihrer Logik: die einen sehen Geistwesen <strong>und</strong> GöttInnen im Ursprung der Welt,<br />
wo wir heute mit Theorien sich selbst verändernder Prozesse die Welt zu erklären suchen,<br />
natur- wie geisteswissenschaftlich. Und alle Menschen, wann <strong>und</strong> wo auch immer,<br />
entwickeln ihre Geistigkeit in der Ontogenese, konstruieren sich „ihre“ Welt in einem<br />
immer gleichen individuellen geistigen Prozeß durch Erfahrungen <strong>und</strong> deren Reflexion.<br />
Anfangs des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts schuf Piaget die Gr<strong>und</strong>lage dafür, die Ontogenese des<br />
kindlichen Geistes zu entschlüsseln. (mit Inhelder, 1977) Neben anderen, die diese<br />
Erkenntnisse aufgriffen <strong>und</strong> früh für die Entwicklungsgeschichte der Menschen nutzbar<br />
machten – wie der Psychologe Hallpike, (1990) – entwickelte Dux (2008) darauf<br />
aufbauend eine neue soziologische Leittheorie. Er geht über andere hinaus, wenn er<br />
modernes <strong>Denken</strong> generell einer Prozeßlogik verpflichtet sieht. Diese Analyse ist für das<br />
Verstehen der Urzeit bedeuts<strong>am</strong>, weil bei frühen Menschen eine traditionale <strong>und</strong><br />
subjektivische Logik die Basis des <strong>Denken</strong>s war, deren Restbestände bis heute überleben.<br />
Aus solchem <strong>Denken</strong> ergibt sich beispielsweise, warum rezente Urvölker alle eine<br />
animistische Weltsicht haben <strong>und</strong> gottgläubig sind. 1 Das zeigen uns schon die Mythen<br />
Mesopot<strong>am</strong>iens <strong>und</strong> Ägyptens <strong>und</strong> noch die des alten Griechenlands, jene Völker, die in<br />
allen toten wie lebenden Dingen, Erscheinungen <strong>und</strong> Ereignissen Geistwesen <strong>und</strong>/ oder<br />
GöttInnen agieren sehen. Jacobsen (1954: 220) nennt das eine „mythopöische Logik“, die<br />
das mythische <strong>Denken</strong> <strong>und</strong> Empfinden beschreibt, in dem etwa ein König im Ritus der<br />
„Heiligen Hochzeit“ den Gott Umuzi darstellt <strong>und</strong> dies dann im Bewußtsein der<br />
Mesopot<strong>am</strong>ierInnen auch tatsächlich ist, so wie die Hohe Priesterin der Stadt als Braut die<br />
Göttin Inanna; beider Vereinigung erneuert jährlich das Leben. Frühe Menschen denken<br />
<strong>und</strong> glauben – mit Piaget formuliert – im prä-operativen Stadium, wie später zu erläutern<br />
ist, also auf einem noch traditionalen logischen Niveau. Deshalb sind wiederum<br />
Rückschlüsse zu den Leuten vom <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> möglich, denen ein entsprechender<br />
kognitiver Stand zuzuordnen ist.<br />
Meine Überlegungen sollen möglichst dicht an empirischem Wissen anknüpfen, um die<br />
doch auch nötigen Spekulationen zu jener frühen Zeit an dieses konkrete Objekt jeweils<br />
wieder anzubinden. Empirisches Wissen kann aber auch aus ganz anders gelagerten<br />
Forschungen zum Thema gewonnen werden, etwa aus der angesprochenen Kenntnis über<br />
rezente Urvölker, wie es auch in der Archäologie gemacht wird. Dabei ist die Analyse der<br />
uns interessierenden Lebensformen viel früherer Menschengruppen schwierig, müssen<br />
1 Animismus, die Vorstellung, alle Dinge <strong>und</strong> Erscheinungen seien geistige Wesen, ist hier sehr allgemein<br />
<strong>und</strong> nicht in Verbindung mit einer „Seele“ verb<strong>und</strong>en verstanden, wie ich unten zeige.