Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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post@LarsHennings.de 77<br />
werden. Dann wird Ansehen zum Antrieb kultureller Entwicklung in einfachen<br />
Gemeinschaften von WildbeuterInnen. Immer natürlich im Rahmen des von den<br />
Geistwesen Erlaubten <strong>und</strong> insofern streng konservativ, neuerungsfeindlich, doch die<br />
Nebenfolgen des Strebens nach Ansehen schaffen fast unbemerkt neue Qualitäten.<br />
Malinowski wendet sich gegen das Vorurteil, die „Wilden“ seien – zumal bei Überfluß –<br />
faul oder dergleichen. Die Leute auf den Trobriand-Inseln horten ihre Y<strong>am</strong>s nicht nur gut<br />
sichtbar, weil es sich um Nahrung handele, sondern „weil sie gerne ihren<br />
Lebensmittelbesitz zur Schau stellen“. (1979: 209) Das gelte auch für andere Produkte:<br />
„Sie arbeiten nicht unter dem Druck der Notwendigkeit oder um ihren Lebensunterhalt<br />
zu bestreiten, sondern geleitet von Talent <strong>und</strong> Phantasie, mit einem hoch entwickelten<br />
Sinn <strong>und</strong> großer Freude an ihrer Kunst, die sie oft als Ergebnis magischer Inspiration<br />
begreifen. Dies gilt besonders für jene unter ihnen, die Gegenstände von hohem Wert<br />
herstellen; sie alle sind gute Handwerker <strong>und</strong> lieben ihre Arbeit“. (213) Denkt jemand<br />
dabei nicht an die Höhlenmalereien? Und das Ergebnis ist: Ansehen, ob gewollt oder<br />
nicht. Mit Hilfe eines solchen Prozesses, Ansehen zu gewinnen, ließen sich jedenfalls<br />
analytisch zwei gegensätzliche Phänomene verbinden, zum einen der strukturelle<br />
Stillstand im Sinne der Ahnen <strong>und</strong> zum anderen der real vorkommende soziale Wandel,<br />
der zum Tempelbau führte; mit oder ohne Eiszeit als besonderem Antrieb. Was auch<br />
immer <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> geschah, das Prinzip einer solchen Friedenssymbolik ist in vielen<br />
Formen vorstellbar. Über sie wird aus kleineren verwandtschaftlich verb<strong>und</strong>enen Sippen<br />
eine größere soziale Einheit auch ohne permanente Krieg dieser Gruppen untereinander.<br />
Manchmal zwingen Bündnisse gegen einen gemeins<strong>am</strong>en Feind in solche Richtung,<br />
Friedensverträge müssen ausgehandelt werden. Und nach einer Verbindung zu einer neuen<br />
Einheit müssen rituelle Identitäten für die neue Gemeinschaft geschaffen werden. Durch<br />
einen Tempelbau?<br />
Gentilgemeinschaft?<br />
Es ist schwer vorstellbar, weshalb eine freie Gemeinschaft, deren wildbeuterische<br />
Gruppen nur durch eine gemeins<strong>am</strong>e Sprache verb<strong>und</strong>en sind <strong>und</strong> die sich vielleicht<br />
einmal jährlich zus<strong>am</strong>men finden, einen solchen Aufwand wie <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> betrieben<br />
hat. Nur für relativ diffuse geistige Mächte der Natur <strong>und</strong> an sie angepaßte Magie? Ein<br />
Tempel des Donners? Eher nicht, oder? Als Gabe für einen Häuptling, wäre eine andere<br />
Möglichkeit, die mit dem sozialen Zus<strong>am</strong>menhang des St<strong>am</strong>mes verb<strong>und</strong>en ist. Der große<br />
Wetterumschwung durch das Ende der Eiszeit käme auch in Betracht. Ebenso ein<br />
Friedensb<strong>und</strong> vor oder nach Kämpfen um die Harran-Ebene. In welcher Form das dann<br />
geschah, ist eine weitere Frage: von Identitätssysmbol sprach ich eben, ein Totentempel<br />
ist angenommen worden, einer für Initiationsriten. Und in jedem Fall wirkte er als<br />
Machtsymbol. Wie konnte der Bau ausgeführt werden? Wie sollte mit jenen frühen<br />
Geistwesen kommuniziert werden, es bedurfte ja nicht nur des Gebets für oder zum<br />
Schutz vor etwas; hier waren konkrete Zustimmungen nötig: vom Steingeist zum<br />
Zerschlagen des Felsens, vom Grasgeist zum Zupflastern von Räumen... Da sind ein paar<br />
Kommandos <strong>und</strong> klare Antworten von GöttInnen <strong>und</strong> Häuptlingen oder sogar<br />
Priesterkönigen doch plausibler. Die Existenz von Königen würde womöglich Herrschaft<br />
sogar über fremde Stämme bedeuten, oder aber einen St<strong>am</strong>mesb<strong>und</strong>, der wiederum<br />
egalitär vorstellbar ist. Für den Bau eines solchen Kultbaus, wenn er freiwillig geschah, ist<br />
jedenfalls nicht nur eine große, sondern auch verb<strong>und</strong>ene Bevölkerung erwartbar, eine<br />
Kultgemeinschaft mit sozialer Organisation, die sich vielleicht aus dem Prozeß des<br />
Ansehensgewinns ergab! Es entstand etwas anderes als das Geplante, vielleicht. Mit einer<br />
Organisierung wie bei den Mbuti, !-Kung oder Hazda scheint eine solche Leistung eher<br />
nicht denkbar; ein paar Netze zur Jagd aufzuspannen <strong>und</strong> Wild hinein zu treiben, ist doch<br />
etwas anderes. Welche Gemeinschaft konnte den Kultbau <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> errichten?<br />
Nur hier <strong>und</strong> da – so eine Lesart – gab es neben erstem Landbau saisonale R<strong>und</strong>hütten, die<br />
in den Boden eingetieft <strong>und</strong> mit einem Windschutz oder Dach aus Strauchwerk <strong>und</strong> Fellen<br />
versehen sind, noch keine dauerhaften Gehöfte oder Dörfer auf Basis domestizierter<br />
Pflanzen <strong>und</strong> Tiere. Andere sehen bei komplexen WildbeuterInnen schon verbreitete<br />
dauerhafte Seßhaftigkeit, für die es aber nicht genügend Belege bisher gibt. Doch dann<br />
bauen diese Neuerungsfeinde urplötzlich ein für jene Zeit riesiges Heiligtum. Ein<br />
materieller Nuzten fürs Alltagsleben darf ausgeschlossen werden. In dieser Kenntnislage<br />
drängt sich durch diesen Bau vermittelt ein besonderer sozialer Wandel auf, ein Übergang<br />
in eine neue Lebensweise, aber in welche? Die Kenntnis zur Errichtung von größeren