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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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76 Der Tempel als Friedenssymbol?<br />

angesichts der früheren Sitte der Kopfjagd in jener Gegend, interpretetiere ich auch den<br />

inneren Gaben-Tausch <strong>und</strong> die Verteilungsfeste als soziales Prozedere der<br />

Friedenssicherung <strong>und</strong> des Zus<strong>am</strong>menhalts, die durch die Herausbildung Großer Männer<br />

eine soziale Form erhalten <strong>und</strong> rituell sich verfestigen. Generell sind alle Hinweise<br />

Malinowskis auf Gebräuche <strong>und</strong> geistige Riten mit jenen Hinweisen Lévy-Bruhls in<br />

Übereinstimmung, von denen wir schon einiges hörten, etwa der Konservativismus (152)<br />

oder manches über Geistwesen beziehungsweise Magie. (102) In einem weiteren Band<br />

seiner Studie wird deutlich, wie auch Verwandtschaft <strong>und</strong> Heirat diesem Gaben-Tausch<br />

verpflichtet sind; alles scheint ausgklügelt der Vermeidung von Aggressionen unter<br />

kleinen Gruppen/ Sippen zu dienen. (1979 b )<br />

Zurück zum <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>. Was ich weiter unten als eine Art Traum zu meinen ersten<br />

Vorstellungen über das Zus<strong>am</strong>menleben der Leute dort schrieb, finde ich bei Malinowski<br />

nun näherungsweise wieder. Stellen wir uns dessen Beschreibung der sozialen<br />

„Verfassung“ auf den Trobriand-Inseln zu einem sehr frühen Zeitpunkt vor, als es im<br />

Entstehen war, dann können wir dieses Prinzip auf Nord-Mesopot<strong>am</strong>ien ganz gut<br />

übertragen: verschiedene kleine Stämme leben dort vor 12.000 Jahren auf der Harran-<br />

Ebene <strong>und</strong> vielleicht darum herum. Rachezüge beim Sterben eines Häuptlings, Blutrache<br />

nach der Tötung eines Mannes im K<strong>am</strong>pf, als sie bei der Jagd aufeinander stießen,<br />

kennzeichnen einen ständigen Krieg aller gegen alle. Trophäen des Gegners zum<br />

Ausstellen sind universell, ob Köpfe oder Skalpe... Doch irgendwann kommt es zu<br />

Friedensregelungen, wir sahen sie bei den Baruya mit einigen Nachbarn, aber nicht mit<br />

allen. In anderer Weise ebenso bei den Mbuti. Eine Gruppe ist vielleicht besonders stark<br />

<strong>und</strong> kann andere unterwerfen. Ein kluger Ältester vernichtet die Besiegten nicht, sondern<br />

schafft Abhängigkeiten. So entwickelt sich ein Häuptling, dessen Ansehen in der klugen<br />

Führung von Vasallendörfern entsteht, die er weise führt <strong>und</strong> zus<strong>am</strong>menhält. Durch<br />

rituelle Kommunikation, wie durch Ringtausch von begehrten Dingen, durch<br />

Verteilungsfeste <strong>und</strong> ähnlichem entsteht ein fester St<strong>am</strong>m. So könnte aus isolierten<br />

Gruppen eine Gentilgemeinschaft entstanden sein, die sich auf den Trobriand-Inseln auch<br />

findet, Gruppen mit eigenen Totems, die exog<strong>am</strong> heiraten können. Und ist eine solche<br />

soziale Einheit erstmal von den Geistwesen abgesegnet, wird sie heilig, die Macht des<br />

Großen gilt als „natürlich“, wie ein Gaben-Tausch-Spiel erstmal als „Männerspielzeug“<br />

erscheint, für Männer mit zu viel Zeit, weil sie die wesentliche Arbeit von Frauen machen<br />

lassen. Zuerst bleibt die neue Gemeinschaft <strong>am</strong> Tempel matrilinear.<br />

Da Nahrung <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> leicht zu beschaffen ist, konnte womöglich das Geben<br />

als (neue) Tugend sich ein wenig analog zum Kanubau auf den Trobriand-Inseln<br />

entwickeln. So wie dort zur Vorbereitung des Kula von einer sozialen Gemeinschaft ein<br />

Kanu gebaut wird, könnte auf der Harran-Ebene im neuen St<strong>am</strong>m oder gar St<strong>am</strong>mesb<strong>und</strong><br />

die Sitte entstanden sein, immer mal wieder ein paar große Steine aufstellen zu lassen.<br />

Ganz ohne Eiszeit. Als institutionalisiertes Friedenszeichen eines wachsenden<br />

Gemeinwesens der Steinzeit. Das Kanu wird von Fachleuten gebaut, die durch<br />

entsprechende Gaben bezahlt/ ernährt werden. Es wird ein großer Baum gefällt, von den<br />

Zweigen befreit, dann mit Lianen von allen Dorfbewohnern aus dem Wald an den Strand<br />

gezogen <strong>und</strong> erst dort weiter bearbeitet. (455) Ganz ähnlich entstanden offenbar die<br />

großen T-Pfeiler des Tempels <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>, sehen wir gleich. S<strong>am</strong>mel- <strong>und</strong> Jagdgut<br />

wird in den Lagern präsentiert, ein Teil dort ausgleichend verteilt, auch an die Steinmetze<br />

für ihre Arbeit, einen T-Pfeiler für das äußere R<strong>und</strong> des Tempels zu schaffen. Der Rest<br />

geht als Gabe an den Großen des St<strong>am</strong>mes <strong>und</strong> wird wiederum von dem verteilt, wobei<br />

nun auch Steinmetze für die beiden großen mittigen T-Pfeiler ihren „Lohn“ bekommen.<br />

So werden die Lager der WildbeuterInnen zum Geber der Steinpfeiler, vermittelt vom<br />

Großen Mann. Alle gewinnen Ansehen dabei, wie die Fachleute durch ihre Arbeit auch.<br />

Und die Magie garantiert den Zus<strong>am</strong>menhang mit den konservativen Geistwesen – <strong>und</strong><br />

den neuen Göttern in der Mitte.<br />

Gehen wir noch einmal vor die mögliche Herausbildung Großer Männer zurück. Im<br />

Inneren eines solchen St<strong>am</strong>mes noch nicht komplexer S<strong>am</strong>mlerInnen <strong>und</strong> Jäger sind –<br />

solchen Gedanken folgend – jenseits der Geistwesen <strong>und</strong> deren Ansprüche zwei Wege zur<br />

Ausdifferenzierung erkennbar: Alter <strong>und</strong> – Ansehen. Immer schon regelt das Alter die<br />

Vorrangstellung. Die Ältesten bestimmen vielleicht nicht über Krieg <strong>und</strong> Frieden, jeder<br />

kann losziehen, sie regulieren aber doch solche Pläne mehr oder weniger. Zumindest,<br />

wenn sie beispielsweise zuvor schon Ansehen aus der Jagd gewonnen haben; ein richtiger<br />

Tolpatsch kann vermutlich so alt werden wie er will, ohne je wirklich respektiert zu

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