Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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70 Krieg, Kriegsvermeidung<br />
möglichst getötet werden sollen – werden von den Männern heilige Flöten gespielt, die die<br />
Spieler beim Musizieren selbst zu Geistern machen. Sie werden auf dem Dorfplatz (!) in<br />
einem Schrein aufbewahrt. Frauen dürfen sie nicht sehen, geschieht das doch, werden sie<br />
vergewaltigt oder sogar getötet. Dazu heißt es auch: „Wenn eine Frau die Flöten zufällig<br />
sehen sollte, sei es daß die Instrumente unter freiem Himmel gespielt werden oder die<br />
Frau von den Männern dazu gezwungen wird, so kann sie von den Männern des<br />
St<strong>am</strong>mes vergewaltigt oder verbannt werden“. (>Bild-5: 46, 48, hv. h.) Auch aus<br />
Südostasien sind Gruppen beschrieben worden, die stark kriegerisch lebten, zum Teil auch<br />
Kopfjäger waren, wie die auf der Insel Nias südwestlich von Zentralsumatra. Die stellten<br />
auf ihren großen Dorfplätzen nach bestimmten Riten Megaliten auf, wobei auch<br />
SklavInnen geopfert worden sein sollen. (>Bild-5: 76ff) Oder die Iban auf Borneo. (84ff)<br />
Beide Lebensweisen führen nun aber mit großen Dörfern schon sehr weit weg von<br />
Stämmen, die als der Steinzeit nah verstehbar sind. Ich komme auf diese Problematik<br />
zurück.<br />
Ließe sich in solchen Kriegs-Szenarien daran denken, die Kultbauten <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong><br />
für einen Schutzbau gegen Feinde zu halten? Eher nicht, selbst wenn ein Angriff einer<br />
großen Gruppe nicht auszuschließen ist, um ein Gebiet zu erobern. Es bedürfte innen<br />
Aufschüttungen vor den Mauern, um mit Pfeilen <strong>und</strong> Speeren Gegner abzuwehren<br />
(Schmidt zeigt Feuersteinspitzen aus jener Zeit). Dagegen spricht aber vor allem Anlage<br />
C, die mehrere Außenmauerringe aufweist. Zögen sich Verteidiger von der äußersten<br />
Mauer ins Innere zurück, könnten Angreifer nun von den Mauern aus von oben nach innen<br />
agieren. Generell ist ein Krieg aber mit zu bedenken, wenn Lebensräume sich ändern <strong>und</strong><br />
Wanderungen beginnen; ausgehend vielleicht von den Pyrenäen nach dem Abklingen der<br />
Eiszeit. K<strong>am</strong>en fremde Gruppen mit ganz anderen Vorstellungen über die Welt in die<br />
Gegend, die berüchtigten IndoeuropäerInnen vielleicht früher als gedacht, oder andere mit<br />
gewissen Kenntnissen der frühen Landnutzung, die sie aus den Weiten der russischen<br />
Steppen mitbrachten, in denen winterliche Vorratshaltung einen eigenen Stellenwert<br />
hatte? Solche Kenntnisse, die die Einheimischen in Nord-Mesopot<strong>am</strong>ien noch nicht<br />
haben, weil es so paradiesisch ist an diesem Berg? Oder k<strong>am</strong>en Gruppen aus dem Nahen<br />
Osten, als es wärmer wurde <strong>und</strong> die altbekannten Herden der zurückweichenden Kräuter-<br />
T<strong>und</strong>ra nach Norden folgten? Wahrscheinlich käme es dann zum K<strong>am</strong>pf, zum Recht des<br />
Stärkeren. Hinweise gibt es bisher nicht. Zuzug aus beiden Richtungen scheint möglich.<br />
(H<strong>am</strong>el, 2007: 401, 415ff)<br />
Bleiben wir der inneren Veränderung der Bevölkerung um den Kultbau herum auf der<br />
Spur. Gute Lebensbedingungen bringen allzuleicht Männer mit zuviel freier Zeit hervor,<br />
eher kriegerische Männer – Helden! Doch dafür braucht es Gegner, die in<br />
nachbarschaftlichen Sippen/ Stämmen leicht zu finden sind, wenn es nicht schon eine<br />
große soziale Organisierung gibt, wie eine Kultgemeinschaft, die Schmidt um den Tempel<br />
herum annimmt, oder einen St<strong>am</strong>mesb<strong>und</strong> als Gentilgemeinschaft. Dann leben die Gegner<br />
wenigstens für die meisten Leute nicht im Nachbarort, sondern ein gutes Stück entfernt:<br />
jenseits der Grenze, außen. Der Tempel weist mit seiner symbolischen Macht weit über<br />
das Land hinaus mögliche Gegner in ihre Schranken; schon Schmidt sieht diese denkbare<br />
Funktion. (2008: 145) Aus drohenden Angriffen heraus können ebenso Eliten als<br />
Kriegshäuptlinge entstehen, wie aus einem Handel, vielleicht mit Feuersteinen (Silex) <strong>und</strong><br />
daraus gefertigten Werkzeugen. War Voraussetzung für eine großflächige<br />
„Agrarwirtschaft“, wie Schmidt sie bereits annimmt, bevor sich bäuerliche Dörfer<br />
bildeten, die Herrschaft über genügend (Zwangs-) ArbeiterInnen, sei es aus dem eigenen<br />
St<strong>am</strong>m, oder gab es SklavInnen? Die bringen für ihre Herren Nutzen, wenn sie<br />
Überschüsse erwirtschaften können, wie es <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> vorstellbar scheint; die einen<br />
s<strong>am</strong>meln dann für die anderen, die bauen. Gehen wir aber von einem St<strong>am</strong>m mit um die<br />
1.000 Menschen nur aus, scheinen viele Sklaven (wie es sie bei den alten Griechen gab)<br />
nicht wahrscheinlich zu sein. Allerdings wären Gefangene, die <strong>am</strong> Leben gelassen<br />
werden, wiederum denkbar. Eine Flucht zurück ist meist nicht möglich, weil die<br />
Gefangennahme im ursprünglichen St<strong>am</strong>m als mystisches Zeichen, als böser Zauber<br />
verstanden worden wäre, der an den Betroffenen haften bliebe <strong>und</strong> eine Rückkehr verböte.<br />
Es gibt auch Völker, die Krieg ausdrücklich unterbinden wollen, beispielsweise die<br />
rezenten Mbuti (bei Dux: BaMbuti; Ba = Volk). 1 Das sind Pygmäen im Kongo-Urwald.<br />
1 Die Pygmäen, die vom Kongo bis Ruanda leben, sind sehr oft beschrieben worden. Seitz (1977) hat<br />
Ergebnisse <strong>und</strong> Forschungsgechichte skizziert <strong>und</strong> mit eigenen Forschungen verb<strong>und</strong>en. Dabei wird nicht nur<br />
die Vielfalt der Stämme deutlich, sondern auch die der Forschungsergebnisse. Eine klare Übersicht scheint<br />
nicht möglich. Das gilt auch für die (Ba) Mbuti, eine relativ große Gruppe des Itury-Regenwaldes. Turnball,