Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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68 Der prä-operative Mensch<br />
über deren Verhältnis zur Natur, zu Gewalt <strong>und</strong> Krieg oder zum Geschlechterverhältnis<br />
wir nur aus der Summe unserer Erkenntnisse Vermutungen anstellen können.<br />
Um einen weitergehenden Eindruck von prä-operativen Menschen zu bekommen, gebe<br />
ich noch einige Hinweise aus einer Arbeit Lévy-Bruhls zur geistigen Welt der Primitiven.<br />
(1959) Die von ihm ausgewerteten Berichte st<strong>am</strong>men – wie schon gesagt – oft von<br />
Missionaren, was sie als Quellen problematisch macht, wie er auch selbst sieht.<br />
Andererseits kommen sehr viele Berichte aus fast allen Teilen der Welt zus<strong>am</strong>men, so daß<br />
etliche übereinstimmende Schilderungen über das Verhalten solcher Menschen eine<br />
gewisse Plausibilität enthalten. Leider wird von ihm nicht generell nach der Lebensweise<br />
unterschieden, es scheint aber meist von Dorfgemeinschaften mit Häuptlingen <strong>und</strong><br />
Sch<strong>am</strong>anInnen die Rede zu sein. 1 Ich will diesen Band nur einmal willkürlich<br />
durchblättern, um ein paar weitere Eindrücke zu vermitteln. Schon im Inhaltsverzeichnis<br />
betont Lévy-Bruhl, es sei nicht der Mangel an natürlichen Fähigkeiten Ursache der<br />
Abneigung der primitiven Mentalität gegen logische Denkoperationen. Und er hebt das<br />
gute Gedächtnis hervor, das solche Menschen stets anstelle des Nachdenkens einzusetzen<br />
versuchten. (9) Es gäbe durchaus wissenschaftlich befähigte (!) Köpfe, was nicht<br />
gleichbedeutend ist mit wissenschaftlich denkend, (5) <strong>und</strong> Kinder könnten, wenn sie<br />
beschult würden, ungefähr ebenso schnell <strong>und</strong> gut lernen wie Kinder unserer Länder. (9,<br />
13) Es fehle aber weitgehend das Verständnis des Kausalzus<strong>am</strong>menhangs der<br />
Erscheinungen. (18) Vorstellungen beschränkten sich stets auf eine nur kleine Zahl von<br />
Gegenständen.<br />
Beim Eintreten eines Todesfalles gehen diese Menschen beispielsweise von einer<br />
Ursache aus, die im Geistigen liegt, weil also Zauber bestand, eine geheimnisvolle Macht.<br />
Und da sie schon wüßten, daß dies so ist, komme es ihnen auf die genauere Todesursache<br />
nicht an, nicht einmal bei Altersschwäche. (20) Die Toten wurden von magischen<br />
Mächten verurteilt; schließlich gäbe es ja Menschen, die älter sind <strong>und</strong> noch leben. Ob<br />
konkret nun ein Blitz sie tötete, oder der Speer eines Feindes: andere sind nicht daran<br />
gestorben, also war im speziellen Fall eine magische Kraft <strong>am</strong> Werk. Es gibt keinen<br />
Zufall, keine Unfälle. Wenn die Lanze trifft, das Krokodil zupackt, der Ast bricht <strong>und</strong> den<br />
Schädel zertrümmert, so war es von Geistwesen bestimmt. Und gibt es offenk<strong>und</strong>ig<br />
konkrete Urheber, so mußten die nicht unbedingt schuldig sein, sie wurden vielleicht vom<br />
Zauber benutzt. (26) Ein ganzes Kapitel widmet Lévy-Bruhl Zaubern <strong>und</strong> Krokodilen.<br />
(33) Diese Tierchen sind harmlos, töten niemals Menschen – es sei denn, sie seien<br />
verzaubert. Kommt es nach einer Beerdigung von XY zu einem heftigen Gewitter, wird<br />
ernsthaft davon ausgegangen, dies sei vom Geist des XY geschickt worden, dem vielleicht<br />
irgendetwas nicht paßt. (54) Ein Todesfall muß gerächt werden, wenn er durch<br />
Zauberkräfte anderer Menschen verursacht ist, was meist angenommen wird. Es seien fast<br />
immer Todesfälle, die Kriege gegen Nachbarstämme verursachen, um den tötenden<br />
Zauber zu vernichten <strong>und</strong> dessen ganze Verwandtschaft, heißt es mal für ein Volk. (57f)<br />
Daß Träume als Realität gesehen werden, erwähnte ich schon. Als ein Häuptling zwei<br />
oder drei mal von einem Mann träumte, ließ er ihn töten, weil er darin eine Bedrohung<br />
durch Zauberei sah. (91) Sehr wichtig sind auch die Vorzeichen, die oft von Vögeln<br />
angezeigt werden (wie bei uns die schwarze Katze von links). 2 Das Vorzeichen ist nicht<br />
ein einfaches Zeichen, schreibt Lévy-Bruhl, es ist zugleich eine Ursache, oder um es<br />
besser zu sagen, diese Geistesart der Leute unterscheidet nicht zwischen Zeichen <strong>und</strong><br />
Ursache. (es wird als Identität verstanden; 118) Problematisch ist auch eine besondere<br />
Fähigkeit. Heilt eine Frau gut Krankheiten, wird sie bald verdächtigt, diese auch zu<br />
verursachen, woher sollte sie sonst so gut über sie Bescheid wissen. (120) Fischen zwei<br />
Fre<strong>und</strong>e <strong>am</strong> gleichen Ort <strong>und</strong> einer fängt deutlich mehr, könnte die Anklage der Zauberei<br />
1 Der Ethnographic Atlas (Murdock, 1967) mit sehr vielen Angaben zu ihrer Lebensweise umfaßt 862<br />
Stämme/ Gruppen in 412 Clustern in aller Welt. Darunter sind auch Babylonians <strong>und</strong> Anc(ient) Egyptians<br />
genannt, so daß es sich wohl nicht nur um rezente Völker handelt, aber doch wohl fast nur um solche.<br />
Bezogen auf größere Regionen betrachtet, betrieben nur die Völker in Australien <strong>und</strong> um die Hälfte der in<br />
Nord<strong>am</strong>erika weder Viehhaltung noch Landwirtschaft. Es läßt sich offenbar sagen, das Wissen um beides war<br />
– außer in Australien – schon sehr lange allgemein.<br />
2 In Mesopot<strong>am</strong>ien wußte ein Arzt über den Heilerfolg etwas, wenn er auf dem Weg zum Kranken rechts<br />
von sich einen Falken fliegen sah. (Pichot, 1995: 135) Diese Menschen seien sehr „abergläubisch“ gewesen,<br />
die Zahl 7 als Unglückszahl wurde dadurch wohl zum Sonntag der Bibel. (127) St<strong>am</strong>men vielleicht die<br />
christlichen Engel wie die Sintflut aus Mesopot<strong>am</strong>ien? Kr<strong>am</strong>er zeigt drei Abbildungen von Göttern, deren<br />
Funktion in Sonnenstrahlen, Pflanzen <strong>und</strong> Wasser symbolisiert sind – alle drei wachsen aus den Schultern <strong>und</strong><br />
gleichen Flügeln. Die Ausstrahlung Mesopot<strong>am</strong>iens auf andere war ausgeprägt. (1979: 101, 103, 105, 164ff)<br />
Schon mesopot<strong>am</strong>ische Geister <strong>und</strong> sogar (vergöttlichte) Königsdarstellungen werden mit Flügeln dargestellt.<br />
(Roaf, 1998: 76f)