Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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post@LarsHennings.de 67<br />
wieder an; ein Streit um Worte, wie insbesondere dessen Buch von 1910 zeigt (in dem auf<br />
Cushing <strong>und</strong> die „wilden Philosophen“ bei Tylor bereits verwiesen wird). Beide sehen<br />
noch nicht das von Dux betonte Problem einer strukturalen prä-operationalen Logik. Zur<br />
Beurteilung der Lebensweise traditionaler Völker ist zudem deutlich einerseits die große<br />
Bedeutung von Geistwesen, Träumen, GöttInnen, Mythen im Leben früher Völker zu<br />
bedenken, die zu irrationalen Lebensvorstellungen führt, <strong>und</strong> andererseits die Fähigkeit<br />
der Individuen auch jener Urvölker zum Umgang mit diesen animistischen Systemen im<br />
Alltag. Lévy-Bruhl teilt diese Vorstellungen in drei Kategorien ein: 1. in die Geistwesen,<br />
die natürliche Dinge beleben, Tiere, Pflanzen, unbelebte Wesen (Flüsse, Felsen, Meer,<br />
Berge, von Menschen hergestellte Gegenstände <strong>und</strong> so weiter), 2. Geistwesen der<br />
Verstorbenen <strong>und</strong> 3. die Hexereien oder Zauberwerke, die aus Handlungen der Zauber<br />
herst<strong>am</strong>men. (1959: 44ff, bei L-B: 2. 1. 3.) In dieser Reihenfolge ließe sich an eine<br />
historische Folge denken, denn ab der Totengeistwesen ist wohl eine Berücksichtigung<br />
individueller (!) Ahnen zu erkennen. Solche Zauber sind erstmal anonyme Kräfte, die<br />
Menschen gezielt gegen andere Menschen einsetzen, auch über Entfernungen, oder die<br />
von Menschen Besitz ergreifen, die von dieser Kraft nicht wissen. Schad-ZauberInnen –<br />
die nicht mit Sch<strong>am</strong>anInnen zu verwechseln sind – sollen <strong>am</strong> besten getötet werden, um<br />
weiteren Schaden abzuwehren. Aber mit ihnen wird auch nach Ursachen durch<br />
Handelnde, also innerhalb der Menschen gesucht, wenn auch der Beweis, jemand habe<br />
verzaubert, völlig irrational beziehungsweise ohne jede wirkliche Beweiskraft in unserem<br />
Sinn erhoben wird, wie noch zu zeigen ist.<br />
WildbeuterInnen werden bei Lee/ Daly (1999: 4ff) so definiert: diese Menschen seien<br />
(1) relativ gleichgestellt <strong>und</strong> hätten keine Führungsfiguren, sie seien (2) mobil – was bei<br />
komplexen S<strong>am</strong>mlerInnen <strong>und</strong> Jägervölkern nicht mehr gilt –, <strong>und</strong> könnten „mit den<br />
Füßen abstimmen“, wenn ihnen etwas an der Struktur ihrer Gruppe nicht gefällt. Es gäbe<br />
(3) ein Muster von Konzentration <strong>und</strong> Verteilung im Raum, etwa wird im Winter in<br />
kleinen Gruppen „überlebt“, im Sommer der St<strong>am</strong>m aber zu einer großen Gruppe vereint.<br />
Land wird (4) als gemeins<strong>am</strong>er Besitz verstanden, das alle Individuen nutzen können. Das<br />
Teilen sei (5) zentrale Regel, wobei Gegenseitigkeit gelte; Geschenk <strong>und</strong> Gegengeschenk;<br />
wir werden später bei den Trobriand-Inseln noch sehen, daß es weniger um Teilen als um<br />
Geben gehen könnte. Die Umwelt gilt als religiös/ spirituell durchgeistigt <strong>und</strong> nicht als<br />
Wildnis, wie bei jüdisch-christlicher Tradition. Natur ist (6) animistisch, <strong>und</strong> (7) die<br />
Ahnen vertreten die Vergangenheit. Eine zentrale Figur ihres <strong>Glauben</strong>s ist (8) der<br />
Trickster, eine wiedersprüchlich mal gut mal böse agierende Figur in den Mythen; wir<br />
sehen ihn in Mesopot<strong>am</strong>ien mit Enki (Germanen: Loki). Als weitere Gemeins<strong>am</strong>keit wird<br />
auf Sch<strong>am</strong>anInnen verwiesen (das Wort kommt vom sibirischen s<strong>am</strong>an). Und sie gelten<br />
(9) generell als ethisch <strong>und</strong> sozial (was immer das sein mag). Different seien die<br />
Lebensformen hinsichtlich (10) der Gewalt oder der Friedlichkeit. Auch die Wertung (11)<br />
des Geschlechts (gender) ist unterschiedlich, mal sind Männer sehr gewalttätig gegen<br />
Frauen, mal diese relativ gleichberechtigt; eine perfekte Gleichheit gäbe es nicht!<br />
Letztlich seien (12) S<strong>am</strong>mlerInnen <strong>und</strong> Jäger mehr oder weniger einfach oder komplex<br />
strukturiert.<br />
Was mir bei dieser S<strong>am</strong>mlung natürlich fehlt, ist die generelle Differenz, die ich mit der<br />
Kennzeichnung jener Menschen als prä-operational verbinde. Das hat hin <strong>und</strong> wieder<br />
Folgen, wenn sie glorifiziert werden, sie lebten im Einklang mit der Natur, ohne<br />
Hierarchien, selbst die Geschlechter seien gleichberechtigt <strong>und</strong> dergleichen. Nochmals sei<br />
betont, es geht nicht um eine generelle Zurücksetzung, doch wir haben gesehen, welche<br />
Wirkung ein solcher Bildungsstand üblicherweise hat, wenn aus dieser Kognition heraus<br />
die Zus<strong>am</strong>menhänge der Welt betrachtet, ja erfahren werden. Die Natur als von<br />
Geistwesen beherrscht zu sehen, vor der Jagd die Geistwesen der Tiere um „Erlaubnis“ zu<br />
bitten <strong>und</strong> dergleichen mehr, kann kaum als Einsicht (!) in ökologische Zus<strong>am</strong>menhänge<br />
verstanden werden. 1 Auch der Versuch eines „Blicks“ auf die Menschen vom <strong>Göbekli</strong><br />
<strong>Tepe</strong> darf sich nicht zu sehr von der grandiosen Leistung dieses Baus beeindrucken lassen.<br />
Wir haben es mit Steinzeitmenschen zu tun, mit offenk<strong>und</strong>ig komplexen WildbeuterInnen,<br />
1 Was ja oft geschieht. Wenn der letzte Baum, das letzte Tier ausgerottet sei, würden wir (Weißen) sehen,<br />
Geld ließe sich nicht essen, war in den siebziger Jahren eine ständige Mahnung weißer Gutmenschen; sie soll<br />
von einem Indianerhäuptling st<strong>am</strong>men. Gerade WildbeuterInnen können eine erstmal zerstörte Umwelt auch<br />
verlassen. Aber selten sind sie in der Lage, Landschaften zu zerstören. Nicht daß ich für die „Zivilisierung“<br />
solcher Völker bin, aber die Frage, ob nicht doch eine höhere Bildung für jene Kinder auch Menschrecht ist,<br />
sollte erlaubt werden. Wie das in „unserer“ Welt human realisierbar wäre, sehe ich allerdings nicht.