Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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64 Macht <strong>und</strong> Vorratshaltung<br />
einer eigenen großen F<strong>am</strong>ilie, vor allem mit mehreren (Ehe-) Frauen mehr zu produzieren<br />
als andere F<strong>am</strong>ilien. So kommt eins zum anderen: ein kleiner Besitz vergrößert die<br />
Gefolgschaft, ermöglicht mehrere Ehefrauen, die wieder den Besitz vergrößern... Mehrere<br />
Ehefrauen können auch in anderer Weise nützlich sein: Auf den Trobriand-Inseln geben<br />
die verheirateten Männer in einer komplexen sozialen Umverteilungs- <strong>und</strong> Friedens-<br />
Struktur die Hälfte ihrer Ernte an ihre Schwester, da sie der Vorm<strong>und</strong> von deren Kinder<br />
sind. Das geht reihum als ungefähres Nullsummenspiel, außer daß jene Männer mit<br />
mehreren Frauen nun auch mehrere solcher Geschenke bekommen. (>Bild-1: 104f) Durch<br />
Umverteilungsfeste erwächst für ihren Initiator Ansehen, Autorität – <strong>und</strong> Macht, nun<br />
schon auf „politischer“ Ebene. Unter anderem können in seinen „Fonds“ wichtige<br />
Gegenstände gegeben werden, etwa gute Waffen, einfach nur Zierwerk. Oder die Gunst,<br />
dazu gehören zu dürfen, wird durch hochwertigen Hausbau erbracht – auf eine denkbare<br />
Entstehung von Handwerk will ich verweisen. Wichtig ist bald, eine Möglichkeit zur<br />
Lagerung der zu verteilenden Güter zu schaffen. Besondere Bedeutung bekommen solche<br />
Verfahren, wenn sie helfen, Phasen schwieriger Nahrungsbeschaffung zu überbrücken,<br />
weil diese Großen des St<strong>am</strong>mes vorgesorgt haben. 1 Die Gefolgschaft erhöht nicht nur die<br />
Summe der Güter, sondern ermöglicht immer stärker auch direkte Machtausübung, weil<br />
eine starke Gruppe sich bildete. Das System kann aber auch umschlagen von freiwilligen<br />
Geschenken an den „Fonds“ eines Großen hin zu erzwungenen Abgaben, zu Steuern an<br />
einen Häuptling. In der Folge hätten sich wahrscheinlich durch solches alltägliche<br />
Machtstreben, das zur individuellen Sicherung des eigenen Lebens selbstverständlich ist,<br />
soziale Unterschiede verstärkt, wenn auch vielleicht noch ohne Herrschaft. Frauen würden<br />
wahrscheinlich hinsichtlich der Entscheidungen für die ganze Gemeinschaft gegenüber<br />
den Männern weitgehend machtlos werden. (Harris, 1991: 325ff) In den<br />
Außenbeziehungen sind sie es sowieso, da Männer fast immer ihre Macht direkt auf den<br />
Boden stützen können, weil sie ihn erobern <strong>und</strong> sichern.<br />
Bei Vorratshaltung denken wir bezüglich der Kultgemeinschaft um den <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong><br />
sofort an Nevalı Çori – dort fanden sich neben der kleinen Kultanlage Häuser, die an<br />
Vorratslager denken lassen, aber 1.000 Jahre später. An gebrannte Tontöpfe muß nicht<br />
schon gedacht werden, Gefäße ließen sich auch aus Stein herstellen. Was primär zu lagern<br />
war sind wohl Fleisch, Felle, Knochen, Getreide <strong>und</strong> – Bier! Dietrich u. a. (2012) geben<br />
Hinweise auf Feste <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> <strong>und</strong> diskutieren den Konsum von Bier aus<br />
Wildgetreide dort. Sechs große, bis 160 Liter fassende Steinbottiche wurden gef<strong>und</strong>en,<br />
wenn auch in etwas jüngeren Schichten (in Anlage F, Ebene II), doch es gäbe Fragmente<br />
solcher Gefäße in allen Straten (die Kreisanlagen als Kneipen mit Priestern als Kellner<br />
kann ich mir wieder gut vorstellen; an „Vatertag“ zu denken reicht). Schon im Natufien<br />
fanden sich Lagermöglichkeiten, seien es Gruben im Fels oder mit Lehm oder später<br />
Bitumen ausgekleidete Körbe (Abu Hureya <strong>am</strong> Euphrat südlich des <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>s), oder<br />
in der Hayonim-Höhle im Nordwesten Israels wahrscheinlich Getreidegruben, oder<br />
lehmverputzte Gruben in (Ain) Mallaha nördlich des Toten Meeres. (Bartl, 2004: 175ff)<br />
Aus der Zeit des PPN A finden sich Vorratslager ebenso in der nördlich davon liegenden<br />
Euphratregion, in Mureybet <strong>und</strong> Jerf el Ahmar südlich <strong>und</strong> in Cayönü <strong>und</strong> Hallan Çemi<br />
nordöstlich des <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>, wobei letzterer F<strong>und</strong>ort außerhalb des 200 Kilometer-<br />
Radius liegt. (262) Bosinski vermutet für Europa (!) schon für die Zeit der Speerschleuder<br />
deutlich vor dem Kultbau Kenntnis von Konservierungsverfahren, die eine Vorratshaltung<br />
ermöglichten, erläutert sie aber nicht. (1989: 131)<br />
Es gibt also für jene Zeit vorstellbare Verfahren zur Ausbildung sozialer<br />
Differenzierung aus sehr einfachen Gemeinschaften heraus; wie empirisch abgesichert das<br />
für die Leute vom <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> im Moment auch immer sein mag. Der Bau selbst<br />
demonstriert ziemlich deutlich die Existenz einer solchen Macht, wenn auch religiös<br />
verbrämt. Der St<strong>am</strong>m, der diesen Kultbau errichtete, läßt sich also nicht mehr nur als<br />
Summe von kleinen Gruppen denken, die sich als zus<strong>am</strong>mengehörig verstanden,<br />
beispielsweise wegen einer gemeins<strong>am</strong>en Sprache. Sondern es entstand eine soziale<br />
Einheit, die vielleicht als Kern einen Großen Mann in ihren Reihen hatte, auch wenn der<br />
noch kein institutionalisierter Häuptling ist, wohin eine solche Entwicklung allerdings<br />
drängt, die ebenso schon vorstellbar ist. Aber diese Männer mußten die macht haben, für<br />
einen solchen Bau zuverlässig Arbeitskräfte zu bestellen. Wahrscheinlich waren solche<br />
1 Solche Großen Männer werden in der Literatur manchmal von „Big men“ unterschieden. Es gibt<br />
unterschiedliche typische Formen ihres Vorkommens, manchmal geht es nur um Ansehen ohne materielle<br />
Basis, manchmal sind die Geschenke wesentlich. (Godelier, 1987) Hier kann nur ein flüchtiger Eindruck<br />
vermittelt werden, um solche Möglichkeiten in die Steinzeit zurückzudenken.