Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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62 Frauenmacht?<br />
Höhlen oder unter Felsvorsprüngen – vor 12.000 Jahren eine gewisse Seßhaftigkeit der<br />
WildbeuterInnen in eher selten wechselnden Lagern vorstellbar, weil hier Nahrung in<br />
Form von Wildgetreide <strong>und</strong> Gazellen reichlich vorhanden waren. Ich unterstelle, in den<br />
Lagern bilden die Frauen mit den Kindern einen beständigen Kernbereich. Die Männer<br />
übernehmen die äußere Welt, jagen, verteidigen die Gruppe, führen Krieg <strong>und</strong><br />
Racheaktionen durch <strong>und</strong> fertigen ihre speziellen Werkzeuge/ Waffen. Die Frauen<br />
besitzen ihr Gerät <strong>und</strong> was sie im Lager <strong>und</strong> beim S<strong>am</strong>meln erarbeiten, die Männer ebenso<br />
ihr eigenes S<strong>am</strong>melgut, wohl auch die Jagdbeute, die aber auch oft den Frauen übergeben<br />
werden mußte. (Dux, 1997) Im Inneren entwickelt sich ein anderes soziales Gefüge<br />
zwischen Frauen <strong>und</strong> Kindern, aber auch Alten <strong>und</strong> Kranken, die erst mit relativ<br />
dauerhaften Lagern als Lebensmittelpunkt eine Überlebenschance bekommen, sofern sie<br />
nicht von den Geistwesen/ GöttInnen als „lebende Tote“ ausgestoßen werden, wenn <strong>und</strong><br />
weil sie nicht mehr heilbar scheinen <strong>und</strong> dann einen mystischen Mangel aufweisen.<br />
(Lévy-Bruhl, 1959: 275) Und diverse Fertigkeiten werden entdeckt, wie vielleicht die<br />
Zubereitung solcher Nahrung, die roh oder nur einfach gekocht ungenießbar ist, wie<br />
Eicheln, die durch heiße Wasserbäder von herben Bestandteilen gereinigt werden können,<br />
<strong>und</strong> die es dort gab. (Uerpmann, 2007) Frauen erk<strong>und</strong>en die engere Umgebung zur<br />
Nahrungssuche <strong>und</strong> s<strong>am</strong>meln Kenntnisse über Pflanzen <strong>und</strong> Kräuter der Region. Dazu<br />
kommen unter anderem das Gerben <strong>und</strong> Nähen bis hin zum Hausbau, 3 der sich aus dem<br />
Errichten eines Windschutzes im Lager entfaltete; all dies erfordert eigenes Werkzeug,<br />
auch Steinwerkzeug, wie Schaber, Stichel <strong>und</strong> Klingen. Haben Frauen womöglich sogar<br />
frühe Schriftzeichen als Mittel im Haushalt entdeckt? Daß Landbau <strong>und</strong> Viehzucht von<br />
ihnen entwickelt wurde, gilt ohnehin als gesichert – bewiesen (<strong>und</strong> beweisbar?) scheint<br />
das nicht. Doch wer sollte sich sonst mit aufgegriffenen Jungtieren beschäftigt haben, mit<br />
denen die Domestizierung der Schafe in Nord-Mesopot<strong>am</strong>ien begann? Wer sollte <strong>am</strong><br />
Wildgetreide über viele Wuchsperioden hinweg entdecken, wie aus Selbstaussaat gezielte<br />
Züchtung zu festeren Sorten entwickelt werden konnte, die die Körner weniger leicht<br />
verloren <strong>und</strong> deshalb besser zu ernten waren?<br />
Die Wahrscheinlichkeit, daß die Menschen Kleinf<strong>am</strong>ilien bilden, wenn sie auch in<br />
größeren Einheiten leben, ist sehr hoch; allerdings gibt es bei rezenten Urvölkern oft<br />
Polygynie, die Mehr-Frauen-Ehe, wie es bei manchen auch Frauentausch auf Zeit gibt.<br />
(Dux, 1997) In welcher Weise sich das <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> real entwickelte ist kaum<br />
erschließbar. Eine solche mögliche Ausbildung des Kerns der Gruppe im Lager wäre in<br />
der idealisierten Form eines Typus‘, mit dem solche Probleme nur sinnvoll zu behandeln<br />
sind, ein urwüchsig entstandener, ein organischer Prozeß, der weitgehend der<br />
Funktionalität folgt, wie sie sich primär aus der Mutter-Kind-Beziehung ergibt. Wie<br />
obskur seinerzeit auch immer dazu über die Welt gedacht/ geglaubt wurde. Und religiöse<br />
Ordnungen stellen wohl immer die Frauen zurück, scheinen nicht zuletzt gerade dazu<br />
erf<strong>und</strong>en; weshalb ich nach dem Bau des Tempels eine Gleichberechtigung der<br />
Geschlechter für unwahrscheinlich halte. Dabei haben die um den Lagerplatz herum<br />
Nahrung s<strong>am</strong>melnden Frauen oft mehr davon bereitgestellt als die nicht immer<br />
erfolgreichen Jäger. 4 Aus dem Typus wird dann gedanklich allzuleicht eine evolutive<br />
Stufe relativer Frauenmacht, für die es Belege aber nicht gibt, so wohlwollend auch<br />
nachgesehen wird. Die fortschrittliche Bewegung passiert hier <strong>und</strong> da in Zeit <strong>und</strong> Raum<br />
<strong>und</strong> überall in homöopathischen Dosen. Wieso es ein Rätsel sein soll, warum die<br />
Menschen seßhaft wurden, ist – zumindest aus Frauensicht – selbst ein Rätsel.<br />
Offenk<strong>und</strong>ig gibt es den blinden Fleck in der männlich geprägten Beobachtung bei<br />
rezenten Urvölkern <strong>und</strong> späteren Lebensformen.<br />
Für die patriarchalen städtischen F<strong>am</strong>ilienformen Mesopot<strong>am</strong>iens in Sumer/ Akkad (ab<br />
circa vor 6.000 Jahren) <strong>und</strong> Babyloniens (ab circa vor 4.000 Jahren) wird ebenfalls die<br />
Vormacht der Männer gezeigt, die formal eindeutig, aber im Alltag offenbar nicht extrem<br />
war; Frauen konnten Besitz haben <strong>und</strong> Geschäfte tätigen; (Hrouda, 2000; Jursa, 2004) eine<br />
Vergewaltigung war allerdings nur die Kränkung des Gatten <strong>und</strong> der Gesellschaft!<br />
(Jacobsen, 1954: 171) Auch frühe Mythen lesen sich in dieser Weise. Balz-Cochois sagt<br />
3 Lévy-Bruhl schildert einen Fall bei den Betschuanas (Südafrika), bei dem ein Missionar ausgelacht wird,<br />
als er angesichts schwieriger Bauarbeit empfiehlt, den Hüttenbau durch die Männer machen zu lassen; (1959:<br />
298) ähnlich Dux, 1997.<br />
4 Roaf verweist für Palästina der Zeit 11.000 - 9300 vC auf überwiegend vegetarische Ernährung. (1998: 29)<br />
Godelier schreibt zum Beispiel von den Mbuti-Pygmäen <strong>am</strong> Kongo, die Frauen s<strong>am</strong>melten mehr als die Hälfte<br />
der Nahrung; (1973: 69) ähnlich Dux (1997) für die wärmeren Gegenden, während im kalten Norden die Jagd<br />
die hauptsächlichen Lebensmittel beibringe <strong>und</strong> Frauen fast rechtslos seien (extrem bei den Eskimos).