Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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56 Kognition <strong>und</strong> Geschichte<br />
Kognition <strong>und</strong> Geschichte<br />
Das nun anzusprechende Thema gehört ebenfalls nicht vorrangig zum Thema des<br />
<strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>, aber zu einer Soziologie der Steinzeit. Gefragt wird nach weiterer<br />
Gliederung der Geschichte jener Zeit von der Ankunft des Homo sapiens im Nahen Osten<br />
<strong>und</strong> in Europa bis zum Beginn des Neolithikums. Eine die nicht auf die bekannten<br />
Teilungen nach den Kulturen in Europa bis zum Magdalenien zurückgreift, auch nicht für<br />
die Levante auf das Natufien oder allgemeiner auf die Proto-Neolithisierung ab vor 14.000<br />
Jahren in Nord-Mesopot<strong>am</strong>ien. Eine Unterteilung nicht primär entlang des Werkzeugs,<br />
sondern eine der menschlichen Entwicklung. Spontan mag die Vorstellung eigenartig<br />
klingen, das <strong>Denken</strong> jener rezenten Urvölker, über die wir viele Berichte <strong>und</strong> Analysen<br />
haben, dennoch mit jenem der Gruppen <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> <strong>und</strong> auch unserem generell<br />
gleichzusetzen, daß sich also aus gleicher Kapazität des Gehirns nur jeweils die nötige<br />
Kompetenz entsprechend der Lebenspraxis ausbildet, weil die biologisch-evolutive<br />
Entwicklung für den Homo sapiens bereits in Afrika ihren Abschluß fand (es kann ja noch<br />
weitergehen). Welche Möglichkeiten haben wir, um nicht alle Zeiten vor der<br />
neolithischen Revolution etwas stumpf als „Jäger <strong>und</strong> S<strong>am</strong>mler“ oder „Wildbeuterei“<br />
abzuqualifizieren, Lebensformen, wie wir sie von rezenten Urvölkern ein bißchen zu<br />
kennen glauben. Mit Seßhaftigkeit <strong>und</strong> Landbau mittels domestizierter Pflanzen <strong>und</strong> Tiere<br />
ergeben sich für die spätere Zeit brauchbare Epochenteilungen. Die nächste sehen wir<br />
dann mit dem Entstehen der Stadtstaaten Sumers (<strong>und</strong> Ägyptens). Aber was ist davor?<br />
Dem Ansatz Tomasellos folgend fragte ich oben bereits nach einer zu überprüfenden<br />
Teilung des prä-operativen <strong>Denken</strong>s. Können mit der Kognition moderner Fünfjähriger<br />
frühe Gemeinschaften identifiziert werden? Vielleicht im Sinne des oben erwähnten Prä-<br />
Animismus‘, aber ohne Seele. Das kann im Moment nur als Frage stehen bleiben (Kasten:<br />
Historische Teilung). Wahrscheinlich läßt sich keine Quelle dafür mehr finden. Selbst ein<br />
sehr einfach organisiertes rezentes Urvolk ließe sich heute kaum noch diesbezüglich<br />
testen, zu europäisch sind sie alle mittlerweile. 1 Bleiben wir in der Steinzeit Europas <strong>und</strong><br />
des Nahen Ostens. Der <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> steht für eine andere Kulturform als nur der von<br />
komplexen WildbeuterInnen, die zwar weitgehend seßhaft in größer gewordenen<br />
Lagerplätzen leben, aber noch gibt es keinen F<strong>und</strong>platz mit einer Gruppierung der nötigen<br />
Personenzahl in mehreren Siedlungsplätzen in gewisser Nähe zum Tempel <strong>und</strong><br />
zueinander. An jenem Ort denken wir natürlich immer gleich an eine Änderung in<br />
Richtung Landwirtschaft: haben sie schon, oder nicht...? Könnte nicht eine völlig andere<br />
soziale Bewegung dort stattgef<strong>und</strong>en haben, deren Begründung wir nicht ahnen? Und die<br />
sich scheinbar nicht fortgesetzt hat, ein toter Arm der Geschichte? Mit abstrusen<br />
Vorstellungen, wie sie beispielsweise die Maya mit ihren Blutorgien feierten? Führt die<br />
Frage nach Häusern oder Ackerbau bezüglich dieses Tempels in eine ganz falsche<br />
Richtung? Hemmte ein starkes <strong>und</strong> rücksichtsloses Kriegervolk jene Entwicklung? Bis es<br />
durch eine Revolution, einen „Bauernkrieg“, entmachtet wurde?<br />
Das formal-operative Stadium beginnt ganz zart mit Aristoteles‘ Versuch empirischen<br />
Forschens. Wann beginnt das konkret-operative? Schon <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>? Mit der Schrift<br />
in Sumer? Piaget sah diesen Schnitt beim alten Ägypten <strong>und</strong> in Chaldäa, sagt Dux <strong>und</strong><br />
verweist besonders auf den Kausalbegriff zur Beurteilung der Stufe des griechischen<br />
<strong>Denken</strong>s. (2008: 227f) Manches spricht dafür, daß mit der schriftlichen Klassifikation <strong>und</strong><br />
deren praktischen Anwendungen mittels Listen bis hin zu angenäherten mathematischen<br />
Beispielrechnungen, die Pichot (1995) für Mesopot<strong>am</strong>ien <strong>und</strong> Ägypten beschreibt, eine<br />
deutliche Zäsur sichtbar wird. Erst bei den alten Griechen entsteht aber so etwas wie eine<br />
Mathematik, bei der Begründungen <strong>und</strong> Logik entscheidend sind. Bei bürokratischer<br />
Lagerhaltung durch gebildete SchreiberInnen sollte beispielsweise das Verständnis der<br />
„Erhaltung“ beim Umschütten von Flüssigkeiten oder dergleichen vorhanden gewesen<br />
sein, oder nicht? Auf diese Gruppe mag das konkret-operationale <strong>Denken</strong> erstmal<br />
beschränkt geblieben sein, wie das erste formal-operative an nur einer Person festgemacht<br />
1 Noch zwei Hinweise zu Piagets System: Jugendliche des konkret- <strong>und</strong> des formal-operativen <strong>Denken</strong>s<br />
bekommen die Aufgabe, zu bestimmen, welche Par<strong>am</strong>eter die Frequenz einen Pendels bewirken (=Länge des<br />
Pendels, nicht Gewicht, nicht Schwung). Im früheren Stadium ist zu erwarten, daß im Ansatz ein Test<br />
konzipiert wird, der aber nicht (oder nur zufällig) zu Ende gedacht werden kann, im zweiten Fall gelingt das<br />
(durch Neutralisieren von Par<strong>am</strong>etern zur Bestimmung jeweils nur eines von ihnen). Was würden wir<br />
sumerischen SchreiberInnen zumuten? Eine andere Aufgabe zeigt das formal-operative Stadium besonders<br />
gut: Ein Federzug beschleunigt Bälle über eine Ebene, das Gewicht des Balles bremst (Reibung) wie der<br />
Umfang (Luftwiderstand), es wird dennoch herausgef<strong>und</strong>en, was nicht (!) zu beobachten ist (nicht-konkret),<br />
daß ohne diese beiden Faktoren ein Ball endlos weiter rollen würde. (Ginsburg/ Opper, 1969: 231f, 247)<br />
Vergleiche das Fallgesetz im luftleeren Raum.