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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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54 Person<br />

des Alltags. Und in dieser Weise k<strong>am</strong>en Menschen – im Falle weitergehender<br />

Entwicklung – auch immer stärker zu Begriffen, wenn auch noch nicht gleich zu solchen<br />

in unserem Sinne moderner Logik. (339) Übertragen wir diese Gedanken nun auf die<br />

Leute vom <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> beziehungsweise auf die größere Region der Harran-Ebene <strong>und</strong><br />

über sie hinaus, haben wir derzeit wohl nur die vage Möglichkeit, uns Gruppen<br />

vorzustellen, von denen die einen noch prä-animistisch dachten, die anderen animistisch.<br />

Und einer Gruppe, jener die dann den Tempel baute, scheint der Sprung in frühe Religion<br />

als Gr<strong>und</strong>lage ihrer Kognition gelungen zu sein, wie ich es hier angesichts der großen<br />

Mittel-T-Pfeiler vertrete. Differenzierter scheint die Analyse des Weltbildes derzeit nicht<br />

diskutierbar. Nun werfen wir noch einen Blick weit voraus in Richtung des viel späteren<br />

Sumers, womit nicht behauptet werden soll, es habe eine Kontinuität vom <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong><br />

nach Uruk <strong>und</strong> dessen Vorläufer-Dörfern gegeben. Aber es ist auch nicht unmöglich, die<br />

Geistesgeschichte sich so fortsetzend vorzustellen, um nach der Individualisierung der<br />

Menschen <strong>und</strong> Geister zu forschen.<br />

Um die Person, die Individualität geht es im Epos von Gilg<strong>am</strong>esch <strong>und</strong> dessen von den<br />

GöttInnen erschaffenen Fre<strong>und</strong> Enkidu; ich erzählte oben die Geschichte schon in ihren<br />

Gr<strong>und</strong>zügen. Gehen wir noch ein wenig tiefer. Als Gilg<strong>am</strong>esch beschließt, den Wächter<br />

des göttlichen Zedernwaldes (Libanon) zu besiegen, ist der Tod ihm noch gleichgültig, es<br />

geht um die ewige Ehre als Held, die den Menschen jedenfalls geistig (als Ahne)<br />

unsterblich macht. Die beiden Helden ermorden den von den GöttInnen bestallten<br />

Wächter ganz ausdrücklich: sie reflektieren, ob der im K<strong>am</strong>pf schon Unterlegene sterben<br />

soll. Später weist Gilg<strong>am</strong>esch die sexuellen Angebote der Göttin Inanna grob zurück, die<br />

darauf den Himmelsstier auf ihn hetzt, doch auch der wird von den beiden erschlagen.<br />

Diese Szenen lassen sich als Differenz zwischen sakralem <strong>und</strong> weltlichem (Stadt-) Staat<br />

deuten. (Schmökel, 1956: 58) Auch darin steckt individuelle Differenzierung. Nun reicht<br />

es der göttlichen Gemeinschaft, zur Strafe soll Enkidu durch Krankheit, also ganz<br />

menschlich sterben. Und Gilg<strong>am</strong>esch erfährt die Trauer, die dem mitleidlosen Töten der<br />

früheren Zeit gegenüber steht. Das „paßt“ in die neue Zeit der städtischen Hochkultur,<br />

oder? In diesem Epos geht es generell um Zivilisierung <strong>und</strong> Individuation. Schon hier war<br />

es eine starke Frau, die den Wildling Enkidu zu einem Kulturmenschen <strong>und</strong> Individuum<br />

macht; Sch<strong>am</strong>chat, die – insofern ehrbare – Tempelhure, unternimmt durch den Sex mit<br />

ihm dessen Initiierung ins Erwachsenenleben (als Städter); im Auftrag der GöttInnen;<br />

erinnern wir uns der Lesart der Mythen. Von Gilg<strong>am</strong>eschs Mutter wird er adoptiert,<br />

eingeb<strong>und</strong>en in eine F<strong>am</strong>ilie (!) als Basis seiner neuen Sozialität. (Steinert, 2012: 87)<br />

Sch<strong>am</strong>chat ist das Vorbild für Eva, die starke Frau der biblischen Schöpfungsgeschichte,<br />

die aus dem (paradiesischen) Wildbeuter Ad<strong>am</strong> den Bauern werden ließ, auch das ein Akt<br />

der Individuierung, wenn auch ein kleiner nur, aus unserer Sicht. Wie ebenso das<br />

Verlangen Gilg<strong>am</strong>eschs auf Unsterblichkeit individuell ist, wenn auch in gewisser Weise<br />

rückwärts gewandt, er will vom Halbgott zum Vollgott werden. Die Auflehnung gegen<br />

den Tod symbolisiert einen Ausbruch aus einem naturwüchsigen Organischen. So kann<br />

erst in der Stadt gedacht werden. Selbst der Tod wird zum Unrecht, vorgezeichnete Wege<br />

bekommen andere Möglichkeiten zur Seite gestellt, die Macht der Geistlichkeit wird<br />

durch weltliche Kraft hinterfragt; von „der neuen Auffassung von Menschenrechten“ ist<br />

in Sumer die Rede. (Jacobsen, 1954: 229) 8.000 Jahre nach dem <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>, der<br />

dennoch womöglich ein Anfangspunkt jener sozialen Entwicklung war, die über sehr viel<br />

einfachere Wildbeuterei hinausführte. Die GöttInnen sind der eigentliche sumerische<br />

Staat, zu deren Diensten die Menschen geschaffen wurden <strong>und</strong> nun den Gottes-Staat<br />

sozusagen nachspielen, oder ihm Leben verleihen. Gilg<strong>am</strong>esch will die ganze Macht im<br />

Staat allein für den König, um auf diese Weise seinen unsterblichen Ruhm zu festigen.<br />

Daraus wird aber erstmal nichts, die GöttInnen schicken ja die Schlange, um ihm das<br />

Kraut der Unsterblichkeit wegzufressen (<strong>und</strong> sich selbst durch Häutung zu verjüngen <strong>und</strong><br />

sich zum Symbol zu machen). Doch Uruk wird zu einem „modernen“ weltlichen <strong>und</strong><br />

zivilisierten Königtum der Menschen mit einer Doppelspitze: König <strong>und</strong> Tempel. Enkidus<br />

Menschwerdung <strong>und</strong> Gilg<strong>am</strong>eschs Sterblichkeit bilden den Rahmen für den Ausbruch aus<br />

der GöttInnenwelt in Richtung Zivilgesellschaft, der im Epos angedeutet ist, weil es auch<br />

um das bessere, freiere Leben seines Volkes geht, Männern wie Frauen, denen die erste<br />

Nacht erspart werden soll. Ebenso führt die Entwicklung vom primitiven Landleben zum<br />

Stadt-Staat. Dux sieht darin den Übergang vom Mythos zum Epos. (1992: 45)<br />

Das Menschsein im Stadt-Staat Sumers hat Steinert (2012) für (erst) das zweite bis erste<br />

Jahrtausend vC an Keilschrifttexten untersucht. Sie stößt dabei bereits auf einen Prozeß

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