Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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post@LarsHennings.de 53<br />
Schwester. Die Mbuti leben aber in Kleinf<strong>am</strong>ilien in sehr kleinen Zweighütten. (>Bild-2,<br />
2009: 104)<br />
Dieses Andere des Doppel-Ichs kann sich auch mit Tieren <strong>und</strong> etwa Steinen verbinden,<br />
so daß deren Tötung oder Beschädigung den sicheren Tod der Person zur Folge haben<br />
müßte. Und der Schatten, ein Spiegelbild – heute eine Fotografie im Urlaubsland – oder<br />
auch eine Fußspur gehören zur Person, ein Pfeilschuß in den Fußabdruck wird sie schwer<br />
verletzen; im Katalog zu Alt<strong>am</strong>ira (1995: 102) wird von den Pygmäen im Regenwald<br />
berichtet, die schössen vor der Jagd in eine Zeichnung des zu jagenden Tieres. Im<br />
Zus<strong>am</strong>menhang d<strong>am</strong>it steht das Totemtier, das viele rezente Urvölker für ihre einzelnen<br />
Clans vorsehen; meist darf das Totemtier dann von diesem Clan nicht verzehrt werden,<br />
wohl aber von anderen. Oft wird in Besprechungen die Naturverb<strong>und</strong>enheit jener Völker<br />
betont. Die beruht eher auf der Angst vor Strafen, wenn auf falsche Weise ein Baum<br />
gefällt wird, ohne die richtigen Riten hinreichend bedient zu haben. Manchmal werden die<br />
Geistwesen auch betrogen: Lévy-Bruhl zitiert einen Bericht, in dem der „Eigentümer“<br />
eines Baumes, der auf seinem Land steht, das Recht zum Abholzen verkauft, dem Baum<br />
beziehungsweise dessen Geistwesen gegenüber aber so tut, als sei er abwesend gewesen,<br />
also schuldlos. Aber eine biologische Art wird nicht in unserer Weise begriffen, sondern<br />
als eine Art Lebensprinzip. Auch das Töten eines Tieres trifft nicht das einzelne Tier,<br />
sondern die Art, dies aber nicht quantifizierend verstanden; auch Tiere können<br />
wiedergeboren werden. Die abstrakte Idee der biologischen Art wird so nicht gedacht, <strong>und</strong><br />
die Vorstellung, beispeilsweise die Eskimos könnten bei den Riesenmengen von Karibus,<br />
die sie töten, diese Art ausrotten, existiert so nicht. Werden diese Tiere seltener, gibt es<br />
dafür eine mystische Erklärung. Ebenso ist es eine mystische Kraft, die den Häuptling<br />
zum Häuptling macht, nicht sein Bemühen, ein Großer Mann zu werden. Deshalb sind die<br />
Großen, die Sch<strong>am</strong>anInnen, die GreisInnen scharf umrissene Persönlichkeiten, nicht aber<br />
die normalen Mitglieder eines St<strong>am</strong>mes; sie stehen in einem besonderen Verhältnis zur<br />
mystischen Kraft oder auch zum Boden, in dem die Ahnen leben, die die soziale Einheit<br />
begründet haben.<br />
Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück <strong>und</strong> differenzieren Gemeinschaften entlang<br />
des Begriffes des Animismus im von mir verwendeten Sinn, mit dem auch Lévy-Bruhl<br />
kein Problem hätte, da er ohne Seele verstanden ist. Ich erinnere auch daran, nicht von<br />
festen (evolutiven) Entwicklungsstufen auszugehen, wenn auch von einem Richtungssinn<br />
zum Komplexeren oder ähnlichem. Auch darin sind wir einig, weil auch er <strong>am</strong> Ende<br />
seiner Arbeit über das <strong>Denken</strong> der Naturvölker die Differenz von Prä-Animismus <strong>und</strong><br />
Animismus bespricht. (1910) Ersterer wäre ein animistischer Zustand noch ohne<br />
nennenswerte N<strong>am</strong>ensnennung der Geistwesen, die Menschen empfinden eher jene<br />
durchgängige mystische Kraft in allem. In einem weiter entwickelten Animismus gäbe es<br />
dann eine intensivere geistige Durchdringung des Lebens im beschriebenen Sinn, <strong>und</strong> es<br />
ist daran anschließend von früher Religion zu reden, die nun schon als ein definiertes<br />
geistiges System verstehbar ist. Deren Personal wird von mir nicht mehr als<br />
Sch<strong>am</strong>anInnen sondern als PriesterInnen bezeichnet. Der Nebel lichtet sich. Und doch:<br />
Auch diese Religion bleibt ja lange noch animistisch! Die Geistwesen verdichten sich,<br />
wie sich auch Macht in Gemeinschaften konzentriert. In dieser Weise wäre – allerdings<br />
höchst spekulativ – noch einmal auf den Homo sapiens außerhalb Afrikas zu blicken.<br />
Dann scheint es sinnvoll, zwar den Richtungssinn der Kognition zu erkennen, aber über<br />
weite Zeiträume im besiedelten Nahen Osten <strong>und</strong> Europa dennoch von der Mlglichkeit<br />
unterschiedlich „gebildeter“ Stämme auszugehen. Lange Zeit <strong>und</strong> auch immer wieder <strong>und</strong><br />
überall lebten wahrscheinlich relativ schlichte Gruppen mit solchen nebeneinander, die es<br />
aus ihren Erfahrungen zu einem weitergehenden <strong>Denken</strong> gebracht haben. Prä-animistische<br />
Stämme wurden nicht nur von animistischen abgelöst, obwohl es solche Schübe in einem<br />
St<strong>am</strong>m sicher ebenso gab wie auch Regressionen, die schon durch klimatisch bedingtes<br />
längeres Jagdpech vorstellbar ist; auch Verarmungen des Geistes können d<strong>am</strong>it<br />
einhergehen, wenn Tag <strong>und</strong> Nacht ums Überleben gekämpft wird.<br />
Wenn Lévy-Bruhl darauf hinweist, es gäbe in prä-animistischen Gruppen, wenn<br />
überhaupt, seltener oder auch weniger ausgestaltete Mythen <strong>und</strong> die Geistwesen seien<br />
weniger individualisiert, (1910: 327f) haben wir also einen Zus<strong>am</strong>menhang zwischen der<br />
Individualisierung der Geister <strong>und</strong> der Menschen – oder andersrum? Er spricht auch von<br />
einer wachsenden Empfinds<strong>am</strong>keit gegenüber Erfahrungen in den mystischen Bereichen<br />
des <strong>Denken</strong>s, die meist gegenüber Erfahrung taub sind, wenn die sich gegen Mystisches<br />
stellt; (337) es geht bei meinen Überlegungen ja um das Weltbild, nicht um Verrichtungen