Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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post@LarsHennings.de 51<br />
regelmäßige (!) Beerdigung der Verwandten anzeigen, die ein universales Verhalten<br />
wurde. (>Burenhult, 2004: 99) Begraben werden Einzelne. Bei institutionellen<br />
Beerdigungen entsteht so etwas wie ein zusätzliches abstraktes Reich, in das Individuen<br />
hinüberwechseln, zuerst nur einige wichtige. Große Männer vielleicht, deren Folgschaft<br />
dabei aufgelöst wird, die erstmal relativ hilflos hinterlassen bleibt, was die Trauer<br />
verstärken mag; sie ist auch individuell. Alles wird für jeden anders werden, denn sie<br />
gehörten auch ein wenig zu ihm, dem Toten. In seltenen Fällen k<strong>am</strong> es wegen dieser<br />
Identität mit der Kraft des Verstorbenen zu jenen Beisetzungen, in denen nicht nur der<br />
persönliche Besitz mit beerdigt wurde, sondern auch Tiere <strong>und</strong> sogar Menschen der<br />
näheren sozialen Umgebung, wie die Ehefrau(en). Die Ermordung von SklavInnen zu<br />
diesem Anlaß mag einem anderen Gedanken folgen, der Versorgung im Jenseits. Auf dem<br />
Königsfriedhof von Ur gab es einige solcher Fälle, in einem Grab wurden – aber schon in<br />
der Zeit vor nur 4.500 Jahren – 74 „Diener“ mit begraben; Roaf weist darauf hin, ein<br />
solcher Ritus sei in Sumer ohne Parallele. 1 (1998: 92) Die Praxis, regelmäßig den Besitz<br />
der Toten mit ins Totenreich zu geben, zeigt durch deren unterschiedliche Qualität zudem<br />
früh auch eine soziale Unterscheidung, nicht weil den Toten „viel“ mitgeben werden<br />
konnte, das war ja deren Eigentum, sondern weil die Nachlebenden selbst wahrscheinlich<br />
viel besaßen, F<strong>am</strong>ilienbesitz. In Europa begann diese Sitte des Begräbnisses offenbar gut<br />
10.000 Jahre vor dem Bau <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> hier <strong>und</strong> da. Im Zus<strong>am</strong>menhang mit der<br />
Bestattung könnte die soziale wie geistige Ausdifferenzierung von Sch<strong>am</strong>anInnen<br />
begonnen haben <strong>und</strong> d<strong>am</strong>it die einer weitergehenden weltlichen Macht, die Sch<strong>am</strong>anInnen<br />
durch ihr Ansehen zugleich erwerben. Auch in den Prozessen der Macht entsteht<br />
Individuation. Auch das Herstellen von (meist Frauen-) Figurinen mag bereits einen<br />
gewissen Blick auf das Individuum bedeuten, <strong>und</strong> in der Initiation wird der einzelne Mann<br />
als Teil aller Männer „gemacht“.<br />
Bei den Hinweisen auf Person <strong>und</strong> Individualität bei Menschen der Steinzeit halte ich<br />
mich nun primär an die von Lévy-Bruhl (1956) untersuchten Fallstudien über rezente<br />
Urvölker in seinem Buch: Die Seele der Primitiven. Dabei geht es nicht um die<br />
Darstellung einzelner Fälle, die er analysiert, dazu komme ich später noch bei der<br />
Schilderung des prä-operationalen Menschens. Als erstes werfen wir noch einmal einen<br />
Blick auf die Vorstellung des Animismus‘. D<strong>am</strong>it meine ich stets relativ allgemein, an<br />
Geistwesen glaubende Menschen gehen bei allen Erscheinungen von subjektiven Kräften<br />
aus, die handeln; mehr verbinde ich d<strong>am</strong>it nicht. Lévy-Bruhl versteht – vor allem gegen<br />
den von Tylor begründeten Animismus <strong>und</strong> Prä-Animismus gerichtet – den Begriff<br />
anders. Denn auch in von ihm analysierten Berichten findet er oft eine besondere Form<br />
des Animismus‘: bestimmte Geistwesen, die aus bestimmten Personen sich lösen können<br />
<strong>und</strong> anderwärtig tätig zu sein, seien von einer Seele (!) belebt. Vor allem Missionare<br />
verstanden Schilderungen von rezenten Urvölkern in dieser Weise, sagt er, <strong>und</strong> diese<br />
Differenz hilft uns, das Thema zu vertiefen. Denn christlich gesehen ist die Seele deutlich<br />
vom Körper getrennt, beziehungsweise trennt sie sich im Tode vom Körper. Bei den<br />
rezenten Urvölkern – sagt Lévy-Bruhl dagegen – gibt es diese Trennung gar nicht. „Der<br />
Missionar glaubt an die Unterscheidung zweier Substanzen, von denen die eine<br />
körperlich <strong>und</strong> vergänglich, die andere geistig <strong>und</strong> unsterblich ist. Im Leben vereint,<br />
bilden sie die menschliche Persönlichkeit; der Tod trennt sie <strong>und</strong> befreit die geistige<br />
Substanz, die Seele, die eigentlich der Mensch ist. Nichts liegt aber der Denkungsart des<br />
Primitiven ferner als eine solche Gegenüberstellung der beiden Substanzen, deren<br />
Attribute einander widerstreiten. Sie sieht vielmehr alle Wesen als gleichartig an. Es ist<br />
keines rein stofflich, noch viel weniger aber rein geistig. Sie sind für den Primitiven<br />
ausnahmslos Körper <strong>und</strong> besitzen, allerdings in verschieden hohem Grad, jene<br />
mystischen Eigenschaften, die wir nur den Geistern zuerkennen“. (1956: 207; hv. h.) Die<br />
genannten Wesen seien so etwas wie ein „doppeltes Ich“, als das jeder Mensch existiere.<br />
Jede Person gilt zugleich als Wesen, das mit der Person völlig verschmolzen scheint. Die<br />
Person kann sowohl real irgendwo sein, ein Haus bauend oder schlafend zwischen der<br />
F<strong>am</strong>ilie, als zugleich auch an ganz anderem, auch weit entferntem Ort als geistige Kraft.<br />
Bösen wie guten Zauber ausübend, unsichtbar oder sichtbar etwa in Form eines<br />
Raubtieres, das einen Feind dieser Person verschlingt. Bei einem aufkommenden<br />
Verdacht, die Person hätte mittels eines Raubtiers getötet (<strong>und</strong> sei es ein aus<br />
Alterschwäche gestorbener), hätte diese sich vielleicht einer Ordalie stellen müssen,<br />
1 Noch im 6. Jahrh<strong>und</strong>ert nC wurde in Nubien ein ganzer Hofstaat mit König, Königin, Sklaven, Knechten,<br />
Pferden, K<strong>am</strong>elen, H<strong>und</strong>en, Kostbarkeiten aller Art begraben. (Kirwan, 1963: 55ff)