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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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50 Person<br />

Person<br />

Um dem Phänomen der Person, der Persönlichkeit oder dem Individuum näher zu<br />

kommen, das wir mit dem <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> verbinden können, gilt es ein grobes Raster<br />

anzulegen beziehungsweise zu akzeptieren. Individualität ist mal ein äußeres Zeichen,<br />

etwa die Fähigkeit der Sch<strong>am</strong>anInnen mit einer gegenüber anderen Leuten ausgeprägteren<br />

Denkweise. Es geht aber auch um das <strong>Denken</strong> <strong>und</strong> um Vorstellungen zum Individuum, zur<br />

Substanz eines Ichs, soweit sie schon vorhanden sind. Deshalb suche ich bei rezenten<br />

Urvölkern nach Hinweisen in entsprechenden Forschungen. Ein solches Vorgehen wird<br />

manchmal kritisiert, da rezente WildbeuterInnen sich einer Vergleichbarkeit mit der<br />

Steinzeit entzögen, weil sie lange schon bei ihren Nachbarn den Ackerbau kennen, zum<br />

Teil in Abhängigkeit oder zumindest in Symbiose gegenseitigen Handels bestimmter<br />

Gegenstände stehen. Tatsächlich sind reine WildbeuterInnen eher selten beschrieben<br />

worden, wie auch der Ethnographic Atlas ausweist. (Murdock, 1967) Bei Lévy-Bruhl, der<br />

die genaue Lebensform der beschriebenen Stämme nicht herausstellt, sondern eher mal<br />

von höher oder tiefer stehend oder ähnlichem spricht, ist meist von einfachen<br />

Dorfgemeinschaften auf die Rede, die Landbau betreiben <strong>und</strong> oft schon Häuptlinge<br />

kennen. Da wir für die Zeit der Proto-Neolithisierung aber von schon weitgehender<br />

Seßhaftigkeit, von komplexen S<strong>am</strong>mlerInnen <strong>und</strong> Jägern ausgehen <strong>und</strong> alle diese Völker<br />

sich in ihrem traditionalen <strong>Denken</strong> strukturell sehr nahe sind, scheint der Vergleich<br />

erstmal zulässig, um Hinweise zu s<strong>am</strong>meln. Schließlich haben wir es immer schon mit<br />

Homo sapiens zu tun. Abschließend werde ich einen Blick auf sozusagen die erste<br />

überlieferte Pädagogik werfen, die aus Texten der Stadtstaaten Mesopot<strong>am</strong>iens aufscheint,<br />

also aus bereits städtischer Lebensweise. Dazu sei vorab noch einmal betont, was ebenso<br />

für die Behandlung der Mythen galt: mit solchen Texten befinden wir uns gedanklich<br />

zumindest gut 7.000 Jahre nach dem Baubeginn des <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>, selbst wenn in Epen<br />

frühere Zeiten behandelt werden. Und wir befinden uns in ziemlich gefestigten sozialen<br />

Verhältnissen in den Stadt-Staaten Sumers. Zwischen beiden Zeiträumen liegt zudem die<br />

bedeutende geschichtliche Phase der neolithischen Revolution. Es wird also eher eine<br />

Eingrenzung möglich: so weit entwickelt wie in den späteren Städten waren die Leute<br />

vom Kultbau in ihren Gemeinschaften sicher noch nicht. Aber Richtungen der<br />

Entwicklung mögen erkennbar werden. Doch was ist in diesem Zus<strong>am</strong>menhang<br />

Persönlichkeit, Individualität? Rosenberg sieht schon Ende des 11. Jahrtausends in Hallan<br />

Çemi unter den F<strong>und</strong>en Kerbhölzer als Anerkennung leistungsbedingter<br />

Statusunterschiede an. (>Ausstellung, 2007: 54) Kerbhölzer sind mit Kerben versehen <strong>und</strong><br />

werden nach dem Einkerben der Länge nach gespalten, so daß sie später eindeutig<br />

einander zuzuordnen <strong>und</strong> auf Fälschungen überprüft werden können, um beispielsweise<br />

Verträge zu prüfen; Verträge zwischen Personen, auch wenn „Handelshäuser“ dahinter<br />

stehen. Im Paläolithikum verweist intensive Schmuckproduktion auf Individualität, sagt<br />

Kölble: „Der Schmuck in der jüngeren Altsteinzeit“ – aus der es kein überliefertes<br />

Kleidungsstück gebe – „ist Teil des Ausdrucks eines f<strong>und</strong><strong>am</strong>entalen gesellschaftlichen<br />

Wandels. Das ‚Ich‘ grenzte sich äußerlich sichtbar gegen die Gruppe ab, die eine<br />

Gruppe grenzte sich gegen die andere ab ... Das ‚Ich‘ trägt eine Trophäe als<br />

Auszeichnung einer erfolgreichen Jagd oder ein Amulett als persönlichen Schutz“.<br />

(2009: 170f) Sie meint also nach eigenen Vorstellungen gefertigten Schmuck, von dem es<br />

viele Beispiele gibt. Oft sind es aber Zeichen von Gruppen, wenn wir etwa an Nasen- <strong>und</strong><br />

Lippenflöcke denken, oder an diese aparten Holzscheiben zur Ausdehnung der Unterlippe.<br />

Selbst solche Amulette, die einzelnen verliehen werden, sind aus der Mitte der geistigen<br />

Vorstellungen des St<strong>am</strong>mes geformt: eine Adlerfeder darf sich jemand nach bezeugter<br />

Tapferkeit oder dergleichen anstecken, nicht nach Lust <strong>und</strong> Laune; sie ist Symbol für die<br />

Übertragung der Kraft des Adlers auf den Helden, der mit ihr identisch wird. Die zum Teil<br />

riesige Anzahl von Perlen in Gräbern ist auch kein individuelles Machen gewesen (ich<br />

verwies auf die „Mannjahre“ zu ihrer Herstellung).<br />

Geschichte – so scheint es – läßt sich auch als immer wiederkehrende Phasen der<br />

Entwicklung von Individualität sehen, etwa beim Übergang von der Wildbeuterei zum<br />

patriarchal organisierten seßhaften Landbau, wenn der einzelne Bauer Raum für eigene<br />

Entscheidungen bekommt. Obwohl die größeren Arbeiten auf gemeins<strong>am</strong>e Beschlüsse im<br />

Dorf hin durchgeführt werden (wie noch die dörfliche Felderwirtschaft bis ins 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert). Es geht nicht schon um ein ausgeprägtes individuelles Selbst-Bewußtsein,<br />

zu sehr steht emotional die Zugehörigkeit zur Sippe im Vordergr<strong>und</strong>, wovon Einzelne nur<br />

Teil sind. Eine erste Entwicklung in diese Richtung mag bereits die beginnende

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