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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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48 Sprache<br />

besonderen Fähigkeiten. Beispielsweise an solchen Sprachen <strong>und</strong> auch an den<br />

Gebärdensprachen, die viele dieser traditionalen Völker kennen; die Gebärden seien sehr<br />

konkret, wie gezeichnet, <strong>und</strong> reichten für st<strong>und</strong>enlange Unterhaltungen aus. Am Beispiel<br />

der Zahlen bestätigt er zwar, viele dieser Völker hätten Zählworte nur bis Vier oder sogar<br />

nur bis Zwei; vier seien es deshalb oft, weil es vier (magische) Himmelsrichtungen gäbe;<br />

manchmal komme noch oben <strong>und</strong> unten dazu (Zenit, Nadir). Dies hindere sie aber<br />

keineswegs, auch mit größeren Mengen umzugehen, etwa mit Hilfe des Abzählens der<br />

Körperteile (Finger, Unterarm, Oberarm, Schulter...). Größere Mengen verwenden sie<br />

nicht in einem mathematischen System, sondern stattdessen als N<strong>am</strong>en, was für das gute<br />

Gedächtnis dieser Menschen kein Problem sei. (155) Ähnlich funktioniert die<br />

Farbbeschreibung, von der ja oft gesagt wird, WaldbewohnerInnen unterschieden<br />

Dutzende von Grüntönen, wie Menschen der Arktis für Weiß. Das gilt für alle Farben, die<br />

aber ebenfalls als N<strong>am</strong>en abgespeichert werden, nicht als System. (145) Übrigens spricht<br />

Lévy-Bruhl davon, entwickeltere rezente Ur-Völker verwendeten bei arithmetischem<br />

Gebrauch der Zahlen Operationen des logischen <strong>Denken</strong>s: 1910. (194)<br />

Ein anderer Gedanke führt zu einer weiterführenden <strong>und</strong> sogar empirisch f<strong>und</strong>ierten<br />

Beurteilung der Sprachfähigkeit früher Menschen. Er knüpft daran an, beim biologischgenetisch<br />

bestimmten Homo sapiens „immer schon“ von der selben Kapazität des Gehirns<br />

auszugehen <strong>und</strong> stützt diese Annahme in hochplausibler Weise. 1 Es gibt Pidgin-Sprachen,<br />

die nur für sehr spezielle Bedürfnisse entstehen, wo zwei verschiedene Sprachen<br />

aufeinander treffen, um beispielsweise Grenzhandel zu treiben oder ein Volk zu<br />

unterjochen. Dabei entstehen keine vollwertigen Sprachen, da nur das Nötigste verhandelt<br />

wird. Verstetigt sich eine Pidgin-Sprache jedoch, wenn etwa der Handel dauerhaft wird,<br />

kann es dazu kommen, daß an solchem Ort Kinder aufwachsen <strong>und</strong> aus dem Pidgin für<br />

sich (!) eine Muttersprache entwickeln, um es etwas verkürzt zu sagen, eine Kreolsprache.<br />

Dabei entsteht ziemlich schnell eine neue vollwertige Sprache. Dieser empirischen<br />

Kenntnis folgend, daß Kinder des prä-operativen Stadiums eine Sprache „spontan“<br />

entwickeln können, läßt sich tatsächlich vermuten, der Homo sapiens habe immer schon<br />

eine relativ komplexe Sprache ausgebildet. (Stephan) Immer wieder in der Geschichte<br />

sind offenk<strong>und</strong>ig verschiedensprachige Völker aufeinander getroffen, nachdem sie lange<br />

zuvor einmal eine Ursprache einte, die sich dann regional (wenn auch nicht erst in Babel)<br />

ausdifferenzierte. Das zeigten die Hinweise auf die Sprachgruppen oben. So könnte es<br />

auch <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> passiert sein, wenn dort nicht schon sehr lange ein Volk lebte, das<br />

unter anderem seine Sprache ausdifferenzierte. Waren, als es wärmer wurde, Gruppen<br />

vom Süden (womöglich aus dem Ort Jericho lange vor dessen Turmbau) ihrer Jagdbeute<br />

nach Norden gefolgt <strong>und</strong> dort auf Einheimische gestoßen? Auch aus anderen Richtungen<br />

sind Zuwanderungen denkbar. Entstand so das Anatolisch oder eine Vorform? Dann<br />

daraus Indoeuropäisch? So genau ist die angesprochene neuere Schätzungen der<br />

Sprachentwicklung nicht, als daß nicht anstelle von vor 9.500 Jahren eine solche Sprache<br />

auch bereits vor dem Bau des Kultbaus entstehen konnte. Und es gab andere Wege der<br />

Spracherneuerung, etwa die direkte weitgehende Übernahme durch ein vielleicht<br />

unterworfenes, oder sogar durch ein sich durchsetzendes Volk, das Sprache <strong>und</strong> Kultur<br />

der Besiegten übernahm (Germanen in Rom). Auch dabei entstanden Differenzierungen.<br />

Die Historisch-vergleichende Sprachwissenschaft ist sich nicht einig.<br />

Es geht an dieser Stelle darum, erstens den Prozeß des Sprachentwickelns<br />

nachvollziehbar zu machen <strong>und</strong> zweitens zu zeigen, daß er bis zurück in die frühe Zeit des<br />

Homo sapiens zu denken ist („immer schon“). Ist eine Sprache erst einmal konzeptionell<br />

neu entstanden, werden schnell Lexikon <strong>und</strong> Syntax nach Bedarf erweitert. Schon kleine<br />

Kinder zeigen ja stets, Spracherwerb ist keine extreme Schwierigkeit. Und selbst die<br />

Abspaltung einer Ursprache des Homo sapiens von einer früheren ist mit so einem Modell<br />

für unsere Zwecke hinreichend vorstellbar, als der sich von anderen Gruppen des (älteren)<br />

Homo ausdifferenzierte. Da wir bei der Entstehung einer Kreolsprache von Menschen<br />

ausgehen, deren traditionale Logik nur das prä-operative Stadium erreichte, ist deren<br />

Sprachlernen hinsichtlich der Komplexität wesentlich um das sechste Lebensjahr<br />

abgeschlossen; vielleicht dauerte dieser Prozeß d<strong>am</strong>als etwas länger. Was immer<br />

Hominiden gesprochen haben mögen, aus denen der biologisch-genetisch neue Homo<br />

sapiens sich absonderte – warum sollte der nicht relativ zügig (in wenigen Jahrtausenden,<br />

wenn nicht Jahrh<strong>und</strong>erten) eine weitergehende vollwertige Sprache entwickelt <strong>und</strong> vor<br />

1 Den Hinweis für die folgende Argumentation mit Hilfe der Pidgin- <strong>und</strong> Kreolsprache gab die<br />

Indogermanistin Kristina Stephan von der Berliner Humboldt-Universität in einem Gespräch. (22.8.12) Ich<br />

bedanke mich herzlich!

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