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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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post@LarsHennings.de 47<br />

Lautäußerung, ihre Sprechfähigkeit verbesserte sich, vielleicht konnten sie zwei Vokale<br />

(a, e) <strong>und</strong> acht Konsonanten (p, b, t, d, s, h, n, m) ausdrücken, dazu Knacklaute, sie hatten<br />

noch keine Satzbaupläne/ Syntax. Dann entstanden vermutlich mehrsilbige Wörter,<br />

Nomen, Verben <strong>und</strong> Pronomen, mit denen sich die Abstraktionsfähigkeit erhöht, wenn<br />

etwa das Wort „sie“ für „Mädchen“ eingesetzt wird. Bis vor 70.000 Jahren sei die<br />

komplexe Sprache als Gr<strong>und</strong>lage aller modernen Sprachen entwickelt gewesen. (2006:<br />

35ff, 137, 146, nach Cavalli-Sforza) Andere Stimmen sehen bereits bei Homo erectus eine<br />

voll ausgebildete Sprechfähigkeit. Schrenk schreibt: „Die Neandertaler konnten fast die<br />

ges<strong>am</strong>te Bandbreite an Lauten erzeugen, die wir von modernen Menschen kennen –<br />

hatten also mit Sicherheit [!] eine gut entwickelte Sprache –, sie waren fähig, Gedanken,<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> Ratschläge an Gruppenmitglieder ... weiterzugeben, sie sorgten für<br />

Alte <strong>und</strong> Gebrechliche, sie organisierten ihre Gesellschaft“. (2009: 58)<br />

Für den Steinzeit-Film „Am Anfang war das Feuer“ 1 wurde eigens eine primitive<br />

Sprache entwickelt (wohl für NeandertalerInnen vor 80.000 Jahren gedacht), in der sich<br />

selbst die BeleuchterInnen unterhalten hätten, wie es heißt: das Ul<strong>am</strong> (Burgess).<br />

Ausweislich des Beiheftes zur DVD umfaßt diese Sprache 100 ins deutsche übertragene<br />

Wörter. Reicht das für den Bau eines solchen Kultbaus? Nein, Stein <strong>und</strong> Fels oder Mauer<br />

gibt es nicht; aber mit 200 Wörtern, sage ich mal, wäre es möglich gewesen, den Bau zu<br />

errichten – doch sicher nicht das religiöse Gebäude zu seiner Begründung. Heute werden<br />

die Khoisan-Sprachen der Buschleute in N<strong>am</strong>ibia (mit den Klick- <strong>und</strong><br />

Schnalzlauten: !-X...) als älteste noch existierende angesehen. Das Lexikon, das Traill aus<br />

Büchern <strong>und</strong> eigener Erfahrung (!) zur letzten vitalen Sprache dieser Volksgruppe,<br />

dem !-XÓÕ, zus<strong>am</strong>mentrug, basiert auf 1.300 Gr<strong>und</strong>wörtern. Für die Sprache der<br />

verwandten !-XUN stellten König/ Heine knapp 3.000 Lexikonbegriffe zus<strong>am</strong>men. 2 Wird<br />

aus diesen Sprachen das „Vitale“, also ein eingeb<strong>und</strong>ener moderner Wortschatz,<br />

herausgedacht, läßt es sich vielleicht mit verloren gegangenen ausgleichen. Graebner<br />

(1924: 90) sagt von den Bantu-Sprachen in Afrika, Aussagen würden in kleine Sätze<br />

aufgelöst: „Der Jäger – er ist groß – er hat ihn geschlagen den Vater – er ist des Hirten“<br />

(Der große Jäger hat den/ meinen Vater geschlagen, der ein Hirte ist, heißt das wohl). Das<br />

klingt nach früher Sprache, doch auch bei dieser Äußerung mußte der ganze<br />

Zus<strong>am</strong>menhang gedacht werden. In den modernen Sprachen erkennt er dem Bantu<br />

gegenüber eine Entwicklung zu mehr abstrakten Sprachbildungen, primitive Sprachen<br />

seien konkret. (72ff; ähnlich Hallpike zum primitiven <strong>Denken</strong>, 1990: 155) Worte wie Tier<br />

oder Pflanze als Gattungen fehlten oft, was Lévy-Bruhl schon sah, ebenso der Plural, die<br />

Substanzialität trete gegenüber Eigenschaften <strong>und</strong> Wirkungen zurück. Das gr<strong>am</strong>matische<br />

Geschlecht sei in vielen Sprachen eine Wertskala, das Weibliche stehe hintenan. (80)<br />

Graebner sieht auch Differenzen bei mutter- <strong>und</strong> vaterrechtlichen Sprachen. (Bodenbau,<br />

Hirten; 84) Das von Halloran herausgegebene „Sumerian Lexicon“ enthält 1.255<br />

Einzelwörter (logogr<strong>am</strong> words) <strong>und</strong> 2.511 zus<strong>am</strong>mengesetzte (compo<strong>und</strong> words), die den<br />

Weg über Schriftquellen bis in unsere Zeit gef<strong>und</strong>en haben. Und Sumer war schon – darf<br />

angenommen werden – deutlich komplexer strukturiert. Kauschke berichtet in einem<br />

anderen Zus<strong>am</strong>menhang von Studien, nach denen bis zu acht Monate (!) alte heutige<br />

Kinder 36 <strong>und</strong> bis zum 16. Monat 190 Wörter verstanden. Sechsjährige verstehen bereits<br />

9.000 bis 14.000 Wörter. (2012: 43) Die für den Bau des <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> nötige<br />

Sprachkompetenz scheint aus solchen Kenntnissen über denkbare alte Sprachen<br />

„irgendwie“ nachvollziehbar. Lévy-Bruhl erkennt bei Sprachen rezenter Urvölker häufig<br />

eine verwickelte Gr<strong>am</strong>matik <strong>und</strong> ein überraschend reiches Vokabularium. (1959: 339) Es<br />

gäbe auch Begriffe <strong>und</strong> Abstraktionen, wenn auch im Verständnis des traditionalen<br />

<strong>Denken</strong>s. (1910: 92ff) Mit vielen Beispielen begründet er seine These des prälogischen<br />

<strong>Denken</strong>s keineswegs im ihm unterstellten abwertenden Sinn, sondern betont ebenso die<br />

1 Drei Männer – wohl Neandertaler – sollen das verlorene Feuer zurückbringen, fliehen vor dem<br />

Säbelzahntigern <strong>und</strong> treffen eine Gruppe Homo sapiens, die bereits Hütten haben, die die Männer furchtbar<br />

erschrecken. Dabei lernen sie auch vis-a-vis-Sex kennen. Eine junge Frau rettet <strong>und</strong> begleitet sie. Mit dem<br />

behüteten Feuerbehälter zu Hause angekommen, fällt der ins Wasser – <strong>und</strong> die junge Homo sapiens zeigt sich<br />

als fähig zum Erzeugen des Reibfeuers. Sie kommt aus einer neuen Epoche der Menschheit. Nicht Hollywood,<br />

sondern Frankreich/ Kanada. Sehenswert: Am Anfang war das Feuer, 1981, Regie Jean-Jaques Annaud.<br />

2 Beide Lexika in: Quellen zur Khoisan-Forschung, Bd. 9, 21. Für die Yaghan, die Feuerland südlich des<br />

Beagle-Kanals bewohnten, wurde ein Wörterbuch von 32.000 Wörtern notiert. (>Bild-5: 244) Darwin, der mit<br />

der zweiten Fahrt der Beagle drei Feuerländer, die in England gelebt hatten (wahrscheinlich bei der ersten<br />

Fahrt verschleppt), zurück begleitete, war zwiespaltig: einerseits waren die in Feurland lebenden „niederste<br />

Barbaren“, andererseits gleichen die geistigen Fähigkeiten der mittlerweile englisch sprechenden Mitreisenden<br />

nun den englischen. (Darwin, 1874: 72)

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