Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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post@LarsHennings.de 43<br />
für eine wesentliche soziale Transformation. Insofern kann heute mit prozeßlogischem<br />
<strong>Denken</strong> der geistige Mensch selbst als sich selbst verändernder oder zieloffener/ planloser<br />
Prozeß verstanden werden. Vier Elemente dieses Prozesses sind zu bedenken: der<br />
biologische, der soziale, der der Kognition <strong>und</strong> der psychologische, die hier aber nur<br />
partiell anzudeuten sind.<br />
Die älteste Schrift-Quelle, die uns Hinweise auf solche Entwicklungen gibt, ist das<br />
Gilg<strong>am</strong>esch-Epos. Ich verweise kurz darauf, weil wir hinsichtlich der Leute vom <strong>Göbekli</strong><br />
<strong>Tepe</strong> fragen müssen, ob ihr <strong>Denken</strong> einen Anschluß zu Sumer findet, über das wir schon<br />
ein wenig wissen <strong>und</strong> möglichst zurück übertragen wollen – wenn es denn funktioniert. Es<br />
sollen mit der Darstellung aber auch geistige Bilder jener frühen Zeit vermittelt werden,<br />
wenn sie auch 8.000 Jahre nach Baubeginn des <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> aufgeschrieben wurden.<br />
Oder liegen völlig unerschlossene Zeiträume dazwischen, so daß ein Bezug unzulässig ist?<br />
Ausgräber Schmidt (2008) fragt mit dem Hinweis auf die Anunna-GöttInnen vom Berg<br />
Duku, ob der nicht der <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> sein könne, <strong>und</strong> hält also einen Anschluß für<br />
möglich. Mir scheint heute – nach der weitergehenden Beschäftigung mit dem <strong>Göbekli</strong><br />
<strong>Tepe</strong> – mit diesem Epos geradezu eine Kontinuität menschlicher Entwicklung vom<br />
Kultbau in Nord-Mesopot<strong>am</strong>ien zum sumerischen Uruk aufzuscheinen; sie „passen“ zu<br />
einander. Beide stehen für einen markanten Übergang im Prozeß der Zivilisation, wenn<br />
wir davon für jene Zeit schon sprechen wollen. Der sterbliche Zweidrittelgott König<br />
Gilg<strong>am</strong>esch, 1 wenn er denn existierte, baute vor etwa 4.600 Jahren die riesige Stadtmauer<br />
um Uruk, die archäologisch (schon in früherer Form) belegt ist. Er war also bereits<br />
Städter. Das Epos besingt seinen Ruhm unter Bezug auf eine wahrscheinlich viel frühere<br />
Zeit. Ihm wird von den GöttInnen ein starker Fre<strong>und</strong> geschenkt, d<strong>am</strong>it er aufhört sein<br />
Volk zu drangsalieren: Enkidu kommt aus der Steppe, ist noch ganz behaart, frißt Gras,<br />
säuft mit den Tieren, zerstört aber die Fallen der städtisch-sumerischen Jäger; ein<br />
Wildbeuter aus der Sicht des Städters. Ob eine Verbindung der Stadt mit den nötigen<br />
Landflächen durch die Fre<strong>und</strong>schaft der beiden angedeutet wird, wie ich zuerst annahm,<br />
steht einerseits in Zweifel, als in einer Formulierung bei Schmökel (1956: 47) die von den<br />
GöttInnen zu ihrer eigenen Versorgung geschaffenen Menschen in ihrer ersten<br />
Entstehungsphase wie der Wildling Enkidu als nackt <strong>und</strong> grasfressend geschildert werden.<br />
(Steinert, 2012: 85) Erst danach werden die sumerischen Göttinnen des Getreides, der<br />
Schafzucht <strong>und</strong> der Weberei gezeugt. Die kommen – sagt Schmökel – aus dem<br />
GöttInnenhimmel Duku von den heiligen Bergen des Ostens (!) zu den Menschen, um sie<br />
in einer zweiten Phase entsprechend auszubilden. Mit diesen Kenntnissen sind die<br />
Menschen dann in der Lage, die GöttInnen hinreichend zu versorgen, wozu der Gott Enki<br />
ihre Erschaffung empfahl. Der Hinweis auf das Zerstören der Fallen durch den Wildling<br />
Enkidu im Epos könnte aber andererseits durchaus den Konflikt bei der Eroberung des<br />
Landes durch sumerische Stämme über besiegte nichtsemitische <strong>und</strong> auch semitische<br />
bäuerliche Bevölkerungen bezeichnen. Um die Wende des vierten zum dritten Jahrtausend<br />
seien alle drei zu einem Volk verschmolzen. (49f) So wie Gilg<strong>am</strong>esch <strong>und</strong> Enkidu in ihrer<br />
Fre<strong>und</strong>schaft auch? Dabei geht dann die eigenständige Kraft der Landbevölkerung<br />
gegenüber der städtischen Lebenswelt unter, wie Enkidu im Epos stirbt? 2 Direkter geht es<br />
in diesem Epos um Tod <strong>und</strong> Sterblichkeit – <strong>und</strong> um Individualität; dazu unten mehr. So<br />
wie ich schon <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> einen Übergang zu einer neuen Lebensvorstellung sehe,<br />
den ich mir als einen ersten Schritt weg von schlichtem Geistglauben zu einem<br />
Priestertum vorstelle, mit einer neuen Beziehung zur ein wenig reflektierten, aber noch<br />
immer animistischen Welt. Woher kommt also dieser Animismus, die Vorstellung, alle<br />
Erscheinung in der Welt sei subjektivisch, handelnd, eine Kraft? Er ist Basis jeder<br />
Religion, wobei der Monotheismus eine Sonderrolle spielt, aber das Ende des Animismus<br />
im <strong>Denken</strong> ist nicht zugleich das Ende subjektivischer oder traditionaler Logik, wie uns<br />
die spekulative Philosophie noch des frühen 19. Jahrh<strong>und</strong>erts deutlich zeigt.<br />
Das Gilg<strong>am</strong>esch-Epos hat Dux zur Erläuterung der Frage genutzt, wie der Mensch zu<br />
seinem Selbstbewußtsein kommt. (1992; kurz: Hennings, 13 2013) Es wird klar, nicht<br />
biologisch-genetische Evolution ist beim Entstehen der Menschen die Ursache ihrer<br />
wachsenden kognitiven Kompetenz, sondern die entsteht im Prozeß hin zum Homo<br />
sapiens durch Lernen, Symbolik, Konstruktion <strong>und</strong> Reflexion. Dux macht den<br />
1 Steinert schließt aus dem Zweidrittel, das sich durch göttliche Mutter <strong>und</strong> sterblichem Vater ergibt, daß<br />
Vater <strong>und</strong> Mutter an der Bildung des Kindes beteiligt waren, wenn auch verschieden. Im akkadischen wird<br />
später das Kind vom Vater gezeugt <strong>und</strong> von der Mutter lediglich geboren. (2012: 127)<br />
2 Die Frage, ob das Sumerertum aus dem Osten k<strong>am</strong>, wo bei Schmökel auch der heilige Berg Duku liegt, die<br />
Dravida aus Indien vielleicht, wie die Sprache vermuten lasse, scheint nicht beantwortet zu sein. (1956: 49)