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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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post@LarsHennings.de 39<br />

(52) Zugleich treffen sie ein Ziel durchaus schon über die Bande. Eine „Operation ist<br />

nämlich nicht nur eine verinnerlichte Aktion, die sich mit anderen zus<strong>am</strong>men zu<br />

reversiblen Ges<strong>am</strong>tsystemen verbindet: sie ist auch, <strong>und</strong> eben dadurch, eine Aktion, mit<br />

der eine Bewußtwerdung ihres eigenen Mechanismus <strong>und</strong> ihrer eigenen Koordinationen<br />

verb<strong>und</strong>en ist. Gerade diese verschiedenen Merkmale fehlen auf dieser [prä-operativen] 1<br />

Stufe: Das Kind handelt nur im Blick auf das Ziel <strong>und</strong> fragt sich nicht, wie ihm die<br />

Verwirklichung gelingt“. (19) Wir werden später noch auf das Verständnis von Ursache/<br />

Ursprung <strong>und</strong> Ziel zurückkommen. Im konkret-operativen Stadium (7 - 11/12 Jahre)<br />

werden dann unter anderem aus den ges<strong>am</strong>melten Fakten Serien/ Klassen festgestellt, <strong>und</strong><br />

die Reziprozität wird erkannt, gedanklich zum Ausgangspunkt eines Experiments<br />

zurückzukehren, wobei das Verständnis des Vorgangs betont wird. 2 Das Kind entdeckt im<br />

konkret-operativen Stadium, heißt es weiter, noch nicht alle Klassen der Möglichkeiten,<br />

<strong>und</strong> es kann auch nicht einen Beweis führen, „weil ihm eine systematische Methode fehlt,<br />

die insbesondere so vorgeht, daß sie einen einzigen Faktor variiert <strong>und</strong> alles andere im<br />

übrigen so läßt wie es ist“. (263) Dabei „gelingt es diesen Kindern, alle für die<br />

Auffindung des Gesetzes von der Gleichheit des Einfalls- <strong>und</strong> des Reflexionswinkels<br />

notwendigen Elemente herauszuarbeiten, aber sie sind dennoch nicht imstande, dieses<br />

Gesetz zu konstruieren, <strong>und</strong> erst recht nicht, es verbal zu formulieren“. (20; hv. h.) Die<br />

Hervorhebung benennt ein gr<strong>und</strong>sätzliches Problem: den Unterschied zwischen<br />

Handlungsfähigkeit im Alltag <strong>und</strong> deren verbaler Erklärung – das gilt es bei den folgenden<br />

Besprechungen, auch bei der der Sprache stets zu bedenken. Das formal-operative <strong>Denken</strong><br />

wird dann vor allem durch Erfahrung mit Technik <strong>und</strong> Schulbildung (!) erlernt. Wir<br />

verstehen es heute eng mit prozessualem <strong>Denken</strong> verb<strong>und</strong>en; aber auch in modernen<br />

Gesellschaften erreichen nicht alle Menschen dieses höchste Stadium (bildungsferne<br />

Schichten). Piaget/ Inhelder betonen, formales <strong>Denken</strong> sei nicht Folge der primär<br />

biologisch gesteuerten Pubertät, 3 nicht Ursache angeborener Vorstellungen, sondern sie<br />

hänge auch vom sozialen Milieu ab, von der Erziehung in der F<strong>am</strong>ilie <strong>und</strong> in der Schule.<br />

Die Gesellschaft wirke nicht durch bloßen äußeren Druck auf die in Ausformung<br />

begriffenen Individuen, die in bezug auf das soziale Milieu ebensowenig wie auf das<br />

physische Milieu hin (Nervensystem) unbeschriebene Blätter seien. (323ff) „D<strong>am</strong>it das<br />

soziale Milieu wirklich auf die individuellen Hirne einwirken kann, müssen diese<br />

imstande sein, dessen Beiträge zu assimilieren, womit wir wieder bei der Notwendigkeit<br />

einer hinreichenden Reifung der individuellen zerebralen [intellektuell, geistigen, mit<br />

dem Großhirn verb<strong>und</strong>enen] Werkzeuge angelangt wären“. (325) Wie geschieht in der<br />

frühen Ontogenese diese Assimilation, die Einbindung neuer Erkenntnis durch <strong>und</strong> in das<br />

bisherige Schema der Erkenntnis?<br />

Der Motor der kognitiven Entwicklung – sagt Dux – läge „diesseits der<br />

präoperationalen Kompetenzen nicht in dem endogenen Antrieb des Organismus,<br />

vielmehr in den Bedingungen, unter denen die Gesellschaft sich fortentwickelt“. (2008:<br />

249) Das kindliche Gehirn beginnt bereits vorgeburtlich zu arbeiten <strong>und</strong> muß sich von<br />

Anbeginn an um seine Interessen kümmern; nicht einfach Neugier treibt es an, sondern<br />

sein Empfinden, wie der Hunger, später die Anforderungen seiner Bezugspersonen <strong>und</strong> die<br />

der Gemeinschaft. Kinder lernen beim Aufwachsen, sich „ihre“ Welt in ihrem Kopf zu<br />

konstruieren, ihre „Entsprechung“ denken zu können, um die Umwelt zu beurteilen, um<br />

handlungsfähig in ihr zu sein. Einerseits passen sie sich durch Erfahrung aktiv der Umwelt<br />

an (Piaget: Akkomodation) beziehungsweise setzen sich mit ihr auseinander, prüfen ein<br />

Objekt; andererseits erwerben sie dabei Schemata des Umgangs im eigenen <strong>Denken</strong>, an<br />

die sie neue Erkenntnisse jeweils ergänzend anbinden (Assimilation) <strong>und</strong> neue<br />

Möglichkeiten der Akkomodation erwerben... Die von Piaget <strong>und</strong> auch anderen<br />

AutorInnen entwickelten Experimente wurden nicht nur an modernen Kindern, sondern<br />

auch bei Erwachsenen rezenter Urvölker eingesetzt <strong>und</strong> dabei so etwas wie die Logik<br />

deren Weltbildes analysiert. (Dux) Symbole, Klassifikationen, Zahlen, Messen, der Raum,<br />

die Zeit <strong>und</strong> die Kausalität sind wesentliche Prüffelder. Der bekannteste Test ist<br />

wahrscheinlich der der Erhaltung: erkennt ein Mensch, wenn eine gleiche Menge<br />

1 Einschübe in eckigen Kl<strong>am</strong>mern [...] in Zitaten st<strong>am</strong>men von mir.<br />

2 Da sind auch die Begriffe <strong>und</strong> Formulierungen verschiedener AutorInnen genau zu prüfen: Das<br />

Klassifizieren von Pflanzen <strong>und</strong> Tieren, das sich aber von dem von Denkschritten unterscheidet, hält<br />

beispielsweise Lévi-Strauss für eine besonders bedeuts<strong>am</strong>e Fähigkeit bei rezenten Urvölkern, sehen wir gleich,<br />

denen dennoch generell nur das prä-operationale Stadium zuzuordnen ist.<br />

3 In der Pubertät bauen Jugendliche auch ihr Gehirn um, Überflüssiges wird eleminiert; beispielsweise<br />

entwickelt sich aus einem Sprachzentrum in der rechten Hirnhälfte oft (besonders bei Frauen) ein zweites<br />

links.

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