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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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post@LarsHennings.de 29<br />

eine gelb erscheinende Krankheit (Harnwege, Gelbsucht) durch gelbe Stoffe behandelt<br />

wurde, (Lévi-Strauss, 1994: 62) oder das Rot von Rose, Blut, Feuer oder Sonne Dinge<br />

verbindet. 1 (Dux, 1990: 130) Die Mythenforschung sehe große Gemeins<strong>am</strong>keiten der<br />

Gr<strong>und</strong>themen in der ganzen vergangenen Welt – heißt es bei Vieyra –, in der alten Zeit für<br />

unser Thema also Sumer, Babylon bis hin zum Alten Test<strong>am</strong>ent <strong>und</strong> zu den Griechen, <strong>und</strong><br />

das gelte auch bei heutigen „sogenannten Primitivkulturen“. 2 (1977: 85)<br />

Die wechselnde Bedeutung einzelner GöttInnen ist in weiter entwickelten Mythen nicht<br />

selten, bis hin zu Zeus, der gleich eine ganze Gruppe auf dem Olymp anführt, nachdem die<br />

ErdgöttInnen (<strong>und</strong> die Frauen auf dem Heiligen Gipfel) an Bedeutung verloren. Einige von<br />

ihnen werden – bei Vermischungen der Völker, etwa als Wanderungs- <strong>und</strong>/ oder<br />

Kriegsfolge – auch miteinander verb<strong>und</strong>en (Synkretismus). Ob sie nun in Sumer An, Enlil,<br />

Ninhursag <strong>und</strong> Enki heißen (die Anunna-GöttInnen), in Babylon aus Enki dann Ea, aus<br />

Enlil Marduk wird, der das Urgeschöpf, das äußere bittere <strong>und</strong> weibliche (!) Urmeer<br />

Ti<strong>am</strong>at hinschlachtet, um daraus Himmel <strong>und</strong> Erde zu machen, das alles hat manche<br />

gemeins<strong>am</strong>e Wurzel in der Struktur traditionalen <strong>Denken</strong>s. Auch in Ägypten wird im<br />

Schöpfungsmythos mittels der Urzeugung zuerst mal Himmel <strong>und</strong> Erde getrennt. 3 Vor<br />

allen GöttInnen, auch denen der Feinde, bestand großer Respekt, wenn es strukturale<br />

Ähnlichkeiten gab, entsprechend wurden sie vorsichtshalber eingeb<strong>und</strong>en, was nebenbei<br />

nach dem Sieg dem Frieden dienen konnte. Die Dyn<strong>am</strong>ik solcher <strong>Glauben</strong>svorstellungen<br />

von der GöttInnenvers<strong>am</strong>mlung der Gleichen im frühen Stadtstaat Sumers (Vieyra, 1977:<br />

87) bis hin etwa zum Herrscher des Olymps <strong>und</strong> dann dem Monotheismus ist über Mythen<br />

<strong>und</strong> Epen nachvollziehbar. Mittels einer solchen Geschichte wird beispielsweise über die<br />

Verrechtlichung des athenischen Stadtstaates gehandelt – also über den frühen „Prozeß<br />

der Zivilisation“ –, wenn ein Preisträger der (religiös verstandenen) Tragödiendichtung<br />

das neue Gerichtswesen gegenüber den nach alten Vorstellungen Rache fordernden<br />

Erdgöttinnen als nun vorrangig betont <strong>und</strong> in diesem Sinne mit seinem Epos reale Politik<br />

macht, wie Aischylos (Die Eumeniden). Mythen sind dennoch weder Theologie, noch gibt<br />

es für sie einen verbindlichen Schriftkanon, sagt Vieyra zu Mesopot<strong>am</strong>ien. (1977: 88)<br />

Die religiösen Riten <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> haben sich kaum von allein geändert, nicht<br />

schleichend an neue Verhältnisse angepaßt. Für eine solche Anstrengung muß es wohl<br />

einen Gr<strong>und</strong> gegeben haben, einen religiösen Gr<strong>und</strong>. Viele Entscheidungen waren nötig,<br />

um die Dr<strong>am</strong>aturgie des Kultbaus zu bestimmen. Wie hätten sonst die Baumeister <strong>und</strong><br />

Bildhauer die Symbolik entwerfen können. Nein, das sollen wir uns schon sehr konkret<br />

vorstellen: „Sitzungen“ mußten stattgef<strong>und</strong>en haben, Treffen der Meinungsträger. So wie<br />

sich die Wichtigen <strong>und</strong> Großen in rezenten Urvölkern zus<strong>am</strong>mensetzen, wenn zum<br />

Beispiel (durch Missionare) eine neue Pflanze in die Gemeinde gebracht wird, die nun<br />

klassifiziert werden muß, deren Bedeutung mystisch wie „medizinisch“ festzulegen, ins<br />

bestehende System für alle verbindlich einzugliedern ist. So wie manches mehr permanent<br />

zu entscheiden ist: ob ein Kind leben darf, ob ein Blutgeld die Rache ersetzen kann, was<br />

das veränderte Wetter bedeuten mag... Oder wie die sich schleichend entwickelnde soziale<br />

Differenzierung ihren Ausdruck finden kann, ihre formelle <strong>und</strong> göttliche Legitimation.<br />

Kunst-Gewerbe<br />

Die Anbindung des Bauwerks <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> an andere Kulturen, um nach<br />

Analogien zu suchen, ist vor allem über die Kunst möglich. Ich will nicht versuchen, sie<br />

weitergehend zu kunsthistorisch interpretieren, sondern sie nur hinsichtlich ihrer Machart<br />

ansprechen, was dort gemacht wurde <strong>und</strong> wie. Deshalb wurde bereits oben etwas über die<br />

Insel im Urmeer spekuliert, nicht hier. Der Titel dieses Abschnitts soll andererseits nicht<br />

abwerten. Oberflächlich gesehen sind meist gefährliche Tiere <strong>am</strong> Kultbau bildhauerisch<br />

verarbeitet, die manchmal mystische Bedeutungen haben, sie finden wir noch auf viel<br />

1 Piaget/ Inhelder (1977: 96ff) – auf die wir später zurückkommen – haben selbst das im Experiment bei präoperativen<br />

Kindern zeigen können: Eine farbig eingeteilte rotierte Scheibe wird durch Magnete, die in einer<br />

von verschieden gekennzeichneten Schachteln stecken, gestoppt. Mangels Ahnung über Magnetismus wird die<br />

äußere Kennzeichnung zur Hilfe genommen: die Scheibe stoppe mit dem roten Teil an der roten Schachtel,<br />

oder an der mit dem gezeichneten Stern, der dem besonderen Stern in der Nacht entspreche.<br />

2 Der Begriff „primitiv“ ist heute umstritten, bedeutet aber: ursprünglich, dem ersten Stadium zugehörig. Es<br />

geht gerade nicht (!) darum, den primitiven Menschen, der nicht lesen <strong>und</strong> schreiben kann, oder den präoperativen<br />

Menschen als einen zu bezeichnen, der etwa hinsichtlich des logischen <strong>Denken</strong>s, das unserer<br />

Hochkultur eigen sei, „natürlich nicht auf tierischer Stufe, aber doch dem Tiere näher steht als wir“, wie bei<br />

Graebner. (1924: 132)<br />

3 Noch in der isländischen Edda des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts nC kommt ein ganz ähnlicher Mythos vor. Die<br />

Trennung von Himmel <strong>und</strong> Erde ist eines der universellen Motive in den Mythen der Welt. (in interim6: 13)

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