Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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28 Religion<br />
GöttInnenfraktionen voraus, weil Religionen nur zus<strong>am</strong>men mit real bestehenden sozialen<br />
Figurationen entstehen können, 1 wie verbrämt/ irrational auch immer? Wird an diese<br />
Ursprungs-Mythe der Maßstab Dux‘ hinsichtlich der Positionierung der Geschlechter<br />
angelegt, läßt sie sich als Hinweis auf die Übernahme der Macht durch den Tempel der<br />
Stadt interpretieren: aus der Leere/ Chaos entstanden zwar die abstrakten Ur-GöttInnen,<br />
auch mit Aufgabengebieten in der Natur, wie dem Wachstum der Pflanzen, doch erst der<br />
Tempel, die Priesterschaft kann die reale soziale Macht in der Gesellschaft ordnen; also<br />
wieder primär die Männer/ Priester, die hier legitimiert werden. Legitimiert wird zugleich<br />
die Tempelwirtschaft in (weit gefaßt) analoger Form zu einer Art Feudalismus <strong>und</strong> der<br />
göttlich bestimmten Ausbeutung mittels der Arbeitskraft; Schmökel spricht vom<br />
religiösen Staatssozialismus Sumers. (1956: 54) Aber das ist alles viel später.<br />
Wie sind solche Geistwesen/ GöttInnen verstehbar? Hübner (1985) sieht in seiner<br />
Studie zum religiösen Empfinden der mythischen Zeit Griechenlands in ähnlicher Weise<br />
einen gewissen Bruch von den frühesten Mythen hin zur dann reflektierten Mythologie der<br />
griechischen Klassik, die sich vielleicht als neues Weltbild fassen läßt. Er hat für die<br />
griechische mythische Zeit verständlich gemacht, was dort – offenbar noch wenig<br />
verschieden von Sumer <strong>und</strong> selbst früheren Zeiten wie auch bei rezenten Urvölkern –<br />
unter Göttlichkeit verstanden wurde: eine ständige <strong>und</strong> auch örtlich überall gleichmäßig<br />
die Gemeinschaft durchdringende Kraft oder (nicht-materielle) Substanz; ähnlich für<br />
Ägypten: Wilson. (1954). Ebenso sieht es Steinert, Götter in Mesopot<strong>am</strong>ien seien nicht als<br />
übernatürlich verstanden worden: „Götter, Geister <strong>und</strong> Dämonen ... manifestierten sich<br />
in Naturerscheinungen <strong>und</strong> -kräften oder werden in Naturmetaphern beschrieben“.<br />
(2012: 527) Lévy-Bruhl fand allgegenwärtige „mystische Kräfte“ noch bei rezenten<br />
Urvölkern. (1959: 72) GöttInnen konnten deshalb überall gleichzeitig auftreten, an<br />
verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten. Dieses schwer zu beschreibende Göttliche/<br />
Numinose konnte sich (?) auch „verdichten“ zur Person, zum Tier oder was immer<br />
(Epiphanie; Hübner). Jedes Teil sei das Ganze, in jeder Ähre sei die Göttin Demeter, in<br />
jeder Scholle Gaia, 2 in jeder Rüstung (wie im erbeuteten Kopf des Kopfjägers) der Ruhm<br />
ihres früheren Trägers, (Hübner, 1985: 174) weshalb in der Ilias immer die Rüstung des<br />
erschlagenen Gegners einges<strong>am</strong>melt werden muß, wozu auf dem Schlachtfeld auch Muße<br />
ist, um dessen Herrlichkeit auf den Überlebenden zu übertragen. Auch ein N<strong>am</strong>e für etwas<br />
sei Teil des Ganzen, hören wir wieder. 3 Aus diesem Immer-Alles-Überall ergab sich jenen<br />
Menschen auch die Vorstellung des Gemeins<strong>am</strong>en in der sozialen Einheit: eine Sünde, ein<br />
göttlicher Fluch oder dergleichen beschädigte nicht nur einzelne direkt Betroffene,<br />
sondern die ganze Sippe <strong>und</strong> gegebenfalls das Gemeinwesen, die wiederum durch etwas<br />
wie eine gemeins<strong>am</strong>e Ehre in diesem Göttlichen verb<strong>und</strong>en sind, <strong>und</strong> dann entsündigt<br />
werden müssen (wie vielleicht Korinth nach dem Skandal um Medeas Kindsmord). Das<br />
sind Vorstellungen, die viel später noch bei den alten Germanen bestehen, (Grönbech,<br />
1954) aus denen sich zum Beispiel auch die Blutrache zwischen den Sippen ableitet. Die<br />
besteht offenbar weitgehend universal, was wieder auf eine gemeins<strong>am</strong>e traditionale <strong>und</strong><br />
animistische Logik verweisen kann. 4 Blutrache <strong>und</strong> die Verpflichtung einer Sippe (!) zum<br />
„Schadensausgleich“ – es muß nicht unbedingt der Mörder sein, ein höherstehendes<br />
Mitglied der feindlichen Sippe ist eher besser, ein Bruder, oder ein wenigstens<br />
erreichbarer Verwandter tut‘s auch – fanden sich ebenfalls noch bei rezenten Urvölkern.<br />
(Lévy-Bruhl, 1959: 304) Aus solchem <strong>Denken</strong> ergaben sich auch Übereinstimmungen<br />
durch bloße Ähnlichkeit der Merkmale, die als Identitäten verstanden wurden, wenn etwa<br />
1 Ich gehe nicht von Widerspiegelung aus, daß erst eine soziale Macht, vielleicht Herrschaft <strong>und</strong>/ oder<br />
Priesterschaft, ausdifferenziert sein muß, um die GöttInnenwelt mit entsprechenden Figuren abzubilden.<br />
Alltag <strong>und</strong> Gottesvorstellung unterliegen der gleichen traditionalen Logik. Aber zuerst eine<br />
Ausdifferenzierung des Göttlichen <strong>und</strong> dann die des Sozialen nach diesem Bilde ist auch schwer vorstellbar.<br />
Offenbar gibt es gemeins<strong>am</strong>e wechselwirkende Strukturentwicklungen (<strong>und</strong> manche würden jetzt von<br />
Dialektik sprechen).<br />
2 Vielleicht ist diese Kraft auch insofern nur eine, als immer derselbe Gott nur erscheint, allerdings in<br />
verschiedenen Formen, wie gerade auf ihn gesehen wird, bei der Ähre Demeter, beim Blick auf die Scholle<br />
eben Gaia...<br />
3 Es gibt bei traditionalen Völkern manchen Hinweis, daß die N<strong>am</strong>engebung von erheblicher Bedeutung war,<br />
um etwas in die Welt zu bringen. Das erinnert an den Universalienstreit des Mittelalters, bei dem in Frage<br />
stand, ob Begriffe eigenständige Dinge seien. Auch der christliche Bilderstreit paßt hierhin, der darin gipfelt,<br />
ob ein Gottesbild Gott ist (!; Identität), oder ihn nur abbildet, was für die Anbetung Bedeutung hat. (vergleiche<br />
Wikipedia.de) In der traditionalen Logik sind N<strong>am</strong>en, der Schatten eines Dings uwm. identisch mit dem<br />
Objekt. (Dux, 1990: 131; vergleiche Hübner; Hallpike)<br />
4 Manches über solche Ehre finden wir beim Mord an „unehrenhaften“ Frauen einer „nichtindividualisierten“<br />
F<strong>am</strong>ilie bis heute.