Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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post@LarsHennings.de 25<br />
werde, wenn Wachh<strong>und</strong>e fehlen. (1979: 177) Der ägyptische Schöpfergott Atum schuf die<br />
nächste GöttInnengeneration durch Onanieren, (44) der hurritische Kumarbi zeugt seinen<br />
Sohn Ullikummi mit einem Felsen, aus Sperma entstand noch die göttliche Aphrodite,<br />
Zeus läßt sich Athene mit der Axt aus dem Schädel holen, die später mit einer anderen<br />
Göttin zu Pallas-Athene verschmilzt. In der französischen Höhle von Le Tuc d‘Audobert<br />
finden sich Fußabdrücke von (wohl männlichen) Kindern aus der Zeit des Magdalenien,<br />
die um einen Phallus herum tanzten; 1 auch Reste von Flöten aus jener Zeit wurden in<br />
solchen Höhlen ausgegraben <strong>und</strong> verweisen auf Feiern. Bei Initiationsriten ins<br />
Erwachsenenleben in den steinzeitlichen Höhlen ist die Rede von Situationen der Angst,<br />
das heißt zugleich: des Mutes. (>Burenhult, 2004: 114ff) Auch Schmidt denkt kurz an<br />
diesen Zweck. Die gefährlichen Tiere <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> repräsentierten dann womöglich<br />
die Männerwelt. Ebenso ist von jener Vorstellung her, das Leben der Frauen sei sehr früh<br />
durch das Medium Macht (Dux) von den Männern bestimmt worden, verständlich, eher<br />
einen „Männertempel“ zu erkennen, einen mit männlichen Macht- <strong>und</strong><br />
Fruchtbarkeitssymbolen; später mehr dazu. Die Vorstellung von männlicher Fruchtbarkeit<br />
könnte auf eine schon über die ersten Anfänge magischer Vorstellung hinausgetriebene<br />
mystische Welt verweisen, eine mit bereits GöttInnen – <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>?<br />
War also der Kultbau <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> auch ein heiliger, bedrohlicher Ort, an dem aus<br />
Jungen Männer erzeugt wurden, von Männern? Die durch die Mütter geborenen nur<br />
irdischen Leiber wurden in solchen Riten bei vielen Urvölkern geistig neu geschaffen,<br />
wurden männlich. Eine „soziale Geburt“ durch die Väter gab es noch im Sparta der<br />
klassischen Zeit <strong>und</strong> weit später bei den Germanen, bei der die Neugeborenen von ihnen<br />
angenommen oder getötet wurden; ähnliches gibt es bei rezenten Urvölkern.<br />
Initiationsriten sind zum Teil mit großen Schmerzen durch Beschneidung <strong>und</strong> womöglich<br />
Subinzision (Harnröhrenaufschnitt, Foto Wikipedia.de) verb<strong>und</strong>en, auch Fasten zur<br />
Stimulierung von Träumen, oder (mit Bier?) erzeugte Halloziationen <strong>und</strong> dergleichen<br />
konnten dazugehören; die Beschneidung bei Juden <strong>und</strong> Moslems ist nichts anderes. (Jos 5)<br />
Solche Einführungen in die Erwachsenenwelt gab es für Frauen offenbar seltener, waren<br />
aber manchmal noch schmerzhafter <strong>und</strong> ausgesprochen unges<strong>und</strong>, wenn mit einem Stück<br />
Feuerstein die Klitoris entfernt <strong>und</strong> womöglich die Scheide vorerst bis auf einen<br />
Urinauslaß zugenäht wurde. 2 Die Stoßrichtungen sind sehr unterschiedlich: die Mädchen<br />
werden zum „Tauschgut“, das „unbefleckt“ vom Vater an einen erfolgreichen Bräutig<strong>am</strong><br />
übergeben wird, der den elterlichen Lebensabend mit sichern soll; das „blutige Bettuch“<br />
nach der Hochzeit gehört noch hierher.<br />
Eine neue Weltsicht, die die Herausstellung von GöttInnen gegenüber unspezifischem<br />
Geistglauben ausdrücken könnte, läßt sich ebenso in Richtung verschiedener Totenrituale<br />
weiterdenken: nun sterben nicht nur bloß (irgendwelche) Sippenmitglieder, deren tote<br />
Körper „irgendwie“ abgelegt wurden, sondern den Hinterbliebenen etwas bedeutende<br />
Personen gehen zu den Ahnen. Lévy-Bruhl berichtet davon, Kinder, Sklaven,<br />
gewöhnliche Frauen, arme Teufel ohne Wichtigkeit blieben auch nach dem Tode<br />
unbedeutend. Medizinmänner, Häuptlinge, F<strong>am</strong>ilienväter, geachtete Greise, kurz die<br />
„beträchtlichen Persönlichkeiten“ behielten im Tode bei rezenten Urvölkern ihre<br />
Bedeutung. Wieder stoßen wir auf die traditionale Logik: die Toten sind als mystische<br />
(St<strong>am</strong>mes-) Eltern identisch mit den verbliebenen Kindern, also der Sippe, die ihren<br />
Ursprung in den Toten hat, die deshalb Macht über die Lebenden behalten. Das Ehren <strong>und</strong><br />
Beerdigen der Toten scheint ab einer bestimmten Zeit universal, bei allen Menschen<br />
vorzukommen; manchmal sind die Totengeister auch harmlos, weil sie ins Totenreich<br />
verschwinden. (Malinowski, 1979: 102) Dabei werden Todesfälle bei rezenten Urvölkern<br />
niemals als normal verstanden, auch nicht die aus Altersschwäche. Oft müssen sie gerächt<br />
werden, was nicht selten zum Krieg mit dem Nachbarst<strong>am</strong>m führe. Die in bestimmten<br />
Regionen vorkommende Kopfjagd ist auch oft so begründet. (Lévy-Bruhl, 1959: 54ff)<br />
Doch es geht beim Kopfs<strong>am</strong>meln auch um den Gewinn der Macht des Verblichenen.<br />
(>Bild-7: 109) Die Toten individuell zu erhalten, vielleicht dies in ihren mit Gesichtern<br />
aus Gips nachgeformten Schädeln zu ritualisieren, wie sie <strong>am</strong> Turm von Jericho <strong>und</strong> an<br />
anderen Orten, auch noch bei rezenten Urvölkern gef<strong>und</strong>en wurden, scheint<br />
nachvollziehbar; bisher wurden <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> keine entsprechenden F<strong>und</strong>e gemacht. 3<br />
Schmidt hält auch den Turm in Jericho nicht für den Teil einer Stadtmauer, sondern eher<br />
1 Phallische Fruchtbarkeitszeremonien gab es auch bei den Azteken. (Graebner, 1924: 117)<br />
2 Infibulation; vielleicht aus dem alten Ägypten st<strong>am</strong>mend; wurde an Mumien erkannt. (Pichot, 1995: 221)<br />
3 In Mesopot<strong>am</strong>ien wurde der Kopf nicht als Repräsentanz des ganzen Körpers verstanden, sondern die<br />
Enthauptung zerstört den Toten die Individualität. (Steinert, 2012: 145)