Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR
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post@LarsHennings.de 23<br />
Ursprünglichen/ Chaos lag zwar nicht schon die Ordnung, aber bereits die Kraft zur nun<br />
bestehenden Ordnung. In den verschriftlichten Mythen wird die Ordnung bereits durch<br />
GöttInnen gefügt, nicht mehr nur durch Geistwesen einer Naturreligion, wenn wir so<br />
nennen wollen, was Homo sapiens mitbrachte.<br />
Ein Sinn dieser Mythen ist also: die Frau erscheint im vorzeitlichen Ursprung/ Chaos<br />
deshalb als mächtiger, weil in ihnen gerade deren Niederlage religiös begründet werden<br />
soll; die GöttInnen selbst haben sie herabgestuft. Wie banal klänge dagegen die schlichte<br />
Feststellung des Mannes: Weil ich stärker bin, tust Du was ich sage! Im Alltag geht es so<br />
schlicht, wie Schläge zeigen, die in vielen rezenten Urvölkern gegenüber den Frauen als<br />
normal gelten. Es geht auch um viel mehr, nicht nur um die Unterdrückung von Frauen,<br />
sondern um die Macht über das Weibliche, über Geburt <strong>und</strong> Schöpfung selbst, das dann<br />
mit den Riten beherrscht werden muß. Die männliche Angst, die auch in diesen Mythen<br />
ausgedrückt wird, das Leere/ Chaos könne mit der Macht des Weiblichen jederzeit<br />
zurückkommen, kann dann rituell überw<strong>und</strong>en werden. Etwa indem Regeln erf<strong>und</strong>en<br />
werden, die das sichtbarste Zeichen des Weiblichen jenseits der Geburt von Kindern, die<br />
Monats-Blutung, eingrenzen. Tabus, daß Frauen beispielsweise während der Menstruation<br />
bestimmte Dinge nicht anfassen oder tun dürfen, <strong>und</strong> sei es einen Gegenstand nur zu<br />
überschreiten. 1 Oder wenn die Jugendlichen durch Männer in Initiationsriten erst sozial<br />
beziehungsweise mystisch geboren werden, besondern die Jungen zu Männern. Die alten<br />
Mythen von der Macht der Frauen sind also gerade kein Hinweis auf frühe Frauenmacht<br />
oder gar ein Matriarchat. 2 Spricht irgendetwas dagegen, die gedanklich nicht übermäßig<br />
komplexe äußere Darstellungsform solcher Ursprungs-Mythen auch schon den Leuten<br />
vom <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> zuzutrauen? Etwa in einer Form, wie in Australien bei einfachen<br />
Urvölkern die göttliche Schlange die tabubrechenden Frauen verschlingt, gerade nachdem<br />
die die Welt geschaffen hatten, <strong>und</strong> so den Männern göttliche Macht gibt? Wer sollte<br />
daran Zweifel haben?<br />
Erzeuger <strong>und</strong> Tod<br />
Sehen wir auf eine zweite Denkungsart, die aus Mythen über jene frühe Zeit auffallend<br />
deutlich erkennbar wird, auf männliche Fruchtbarkeitssymbole. Dabei ist es egal, ob die<br />
Jungs ihren eigenen Anteil an Geburt <strong>und</strong> Schöpfung im biologischen Sinn erkannt haben.<br />
Wichtiger ist die mystische Geburt; die wirkliche Zeugung ist in solcher Vorstellung oft<br />
nicht Ergebnis körperlicher Vereinigung, auch wenn deren Funnktion erkannt ist, sondern<br />
(männliche) Geistzeugung schafft in Wahrheit das Kind beziehungsweise dessen<br />
mystische Menschlichkeit. Doch der K<strong>am</strong>pf um die Deutungsmacht ist lange noch nicht<br />
entschieden, Fruchtbarkeits- <strong>und</strong> zugleich Kriegs- <strong>und</strong> Todesgöttinnen spielen weiter eine<br />
Rolle: Inanna/ Ischtar bleibt mächtig in Mesopot<strong>am</strong>ien, noch Gilg<strong>am</strong>esch hat Ärger mit<br />
ihr. In den Mythen früher (Stadt-) Staaten ist allerdings die patriarchale Verfassung schon<br />
abgesicherter als bei (rezenten) WildbeuterInnen <strong>und</strong> wahrscheinlich <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong>.<br />
Deshalb w<strong>und</strong>ert es nicht, im frühen Sumer, Ägypten <strong>und</strong> bei den alten Griechen<br />
Vorstellungen über die Entstehung der Welt zu finden, die zwar zum Teil noch die<br />
Niederringung der Frauen thematisieren, nun aber schon von der männlichen Zeugung die<br />
Rede ist. Deshalb frage ich, ob nicht auch Initiationsriten <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> stattfanden?<br />
Warum sollte auch von nur einer Nutzung ausgegangen werden? Ein solcher Ritus scheint<br />
derzeit nicht weniger plausibel begründbar zu sein als ein Totentempel, von dem Schmidt<br />
ausgeht, auch wenn mittlerweile offenbar Hinweise auf Bestattungen gef<strong>und</strong>en sind, wenn<br />
auch keine Gräber. Ich fand bislang in den Berichten über WildbeuterInnen <strong>und</strong> einfachen<br />
Landbau-Gemeinschaften keine Sitte, die in Verbindung mit einem Totentempel stünde,<br />
wenn auch entsprechende Riten große Bedeutung haben können, wie später etwa in<br />
Ägypten.<br />
Am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> finden sich zwar keine Hinweise auf weibliche Fruchtbarkeit, wie<br />
Schmidt schreibt, aber Phallus-Symbole. Als Skulptur <strong>und</strong> Relief, dazu eine Menschen<strong>und</strong><br />
eine Tierskulptur mit deutlich erigiertem Penis! Und nicht nur dort: „Gut ein Drittel<br />
der in allen bekannten Bildern gezeigten Männer ist mit Phallus abgebildet, jedoch<br />
scheint der erigierte Penis eher Männlichkeit anzuzeigen als auf Sex hinzudeuten oder<br />
Fruchtbarkeit zu symbolisieren wie in späteren Kulturen“ nach dem Paläolithikum, sagt<br />
1 Es gibt Ausnahmen: die Hidatsa/ USA sehen bei der Adlerjagd einen segenbringenden Einfluß der Regel<br />
(Identität mit blutigem Köder), aber nur dabei. (Lévi-Strauss, 1994: 66)<br />
2 Viele dieser Annahmen finden wir noch in der Analyse der Baruya von Godelier (1987); dieses Volk<br />
Neuguineas (1951 entdeckt, 1967ff beschrieben) pflegte Ursprungsmythos <strong>und</strong> Riten, die vollständig auf die<br />
Macht der Männer gegenüber den Frauen hin konstruiert waren.