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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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22 Ursprungs-Mythen<br />

Gegenteil (!) des Bestehenden, verweisen zurück auf das noch nicht Geordnete in der<br />

mythischen Zeit, die also nicht als eine reale historische Zeit verstanden war; in Australien<br />

ist die „Traumzeit“ eine solche ewige vorgeschichtliche <strong>und</strong> doch zugleich historische<br />

Zeit. Diese Differenz existiert im traditionalen <strong>Denken</strong> nicht, wie wir sie kennen. Wurde<br />

die wilde Natur, das Chaos (leeres Gähnen) oder was immer mit der früheren Zeit gemeint<br />

war, als weiblich vorgestellt, dann konnten mit solchen Mythen die wirklichen<br />

Verhältnisse, die soziale Ordnung einer Gruppe oder eines St<strong>am</strong>mes, als nun durch<br />

Männer geprägt legitimiert werden: der Umbruch wurde als durch die allgegenwärtigen<br />

Geistwesen oder schon GöttInnen vorgegeben behauptet, sie übergaben die Macht den<br />

Männern – <strong>und</strong> diese Mythen wurden als real gesehen, sonst gäbe es keine Spur mehr von<br />

ihnen.<br />

Die Mythen als „wahr“ erscheinen zu lassen, gelang auch deshalb, weil in der<br />

traditionalen Logik jener Menschen solche heiligen Geschichten die Kraft des Wortes<br />

verkörpern, mit ihm identisch sind, wie das Wort mit dem d<strong>am</strong>it Bezeichneten auch (Und<br />

Gott sprach: es werde...; 1. Mos 1; Im Anfang war das Wort..., Joh 1,1). So wie auch<br />

N<strong>am</strong>en im <strong>Denken</strong> typischer rezenter Urvölker <strong>und</strong> noch in der späteren idealistischen<br />

Philosophie bis zum 19. Jahrh<strong>und</strong>ert (wenn nicht auch später noch) als identisch mit dem<br />

Benannten verstanden werden. Das Wort erscheint als Kraftfeld. (Lévy-Bruhl, 1910: 330)<br />

In gleicher Weise gelten Geburt <strong>und</strong> Tod als identisch <strong>und</strong> mit der Geburt das Weibliche<br />

<strong>und</strong> also auch Leben <strong>und</strong> Tod! Auf den Trobriand-Inseln gab es noch 1914 Fliegende<br />

Hexen, die sich an Leichen labten. (Malinowski, 1979: 82ff) In der Angst vor der Kraft<br />

des Weiblichen wird die Angst vor dem Tod mitgedacht oder gefühlt, es droht der<br />

Rückfall ins Chaos der Vorzeit. In weiblichen Symbolen – seien es nur eingeritzte Vulven<br />

in den alten Höhlenbildern oder Frauen-Figurinen, ob dick oder dünn, oder was immer –<br />

sind deshalb ebenfalls beide zu sehen: Leben <strong>und</strong> Tod. Das gilt für jedes<br />

Fruchtbarkeitssymbol, auch wenn es sich um männliche Symbole für sie handelt. Doch<br />

mehr noch: bei jedem individuellen Tod – sagt Dux – ist in jener Vorstellung der Tod des<br />

Lebens insges<strong>am</strong>t zu befürchten. In der Ansicht der Männer gebären <strong>und</strong> töten Frauen<br />

also, sofern sie nicht wie die Kinder unter Kontrolle der Männer gehalten werden. 1 Das<br />

Blut der Menstruation ist Männern deshalb vor allem unheimlich, die innere W<strong>und</strong>e, die<br />

offenbar nicht tötet, sondern erneuert, kräftigt – Tod <strong>und</strong> Leben. Und alle Erscheinungen<br />

<strong>und</strong> Kräfte sind in animistischen Vorstellungen jener Vor-Zeit des <strong>Denken</strong>s Subjekte,<br />

Handelnde, woraus sich die Beziehung zu Geistwesen, GöttInnen <strong>und</strong> Ahnen bestimmt,<br />

die <strong>am</strong> Alltag der frühen Menschen direkt teilhaben. Mit dem Verkünden <strong>und</strong> Akzeptieren<br />

der Mythe ist klar, daß sich seit der mythischen (Vor-) Zeit für die jeweilige Gemeinschaft<br />

etwas geändert hat <strong>und</strong> nun berechtigt (!) die Männer den entscheidenden Einfluß haben,<br />

sie die Schöpfer des Realen <strong>und</strong> Gewährleister dessen Ordnung sind.<br />

Die Mythen werden selbst zur numinosen Kraft, von denen sie handeln. Wer über die<br />

Mythen, über das Wort verfügt, verfügt über jene Kraft, die Ordnung werden ließ, die das<br />

Weibliche, d<strong>am</strong>it Leben <strong>und</strong> Tod, dem Männlichen unterwarf. Und die Kraft, die aus dem<br />

Ursprung heraus dieses ermöglichte, ist mächtiger als das daraus folgende, mächtiger als<br />

der aktuelle Zustand. Zugleich ist diese Kraft subjektiv, nicht ein Es, sondern ein: Du.<br />

(Frankfort, 1954: 11) Der (anerkannte) Träger/ Verkünder des Mythos ist deshalb<br />

mächtiger als die Realität, ist Gott. Wir werden noch sehen, daß das keine bloße<br />

Behauptung war, sondern sich dies aus dem frühen <strong>Denken</strong> über Ursprung/ Ursache <strong>und</strong><br />

dessen Ergebnis oder Ziel selbst ergibt. Wer über den Mythos herrscht, beherrscht die<br />

d<strong>am</strong>alige Gegenwart. Es geht auch um Identität der Menschen mit den GöttInnen <strong>und</strong> dem<br />

Gemeinwesen im Ganzen, dessen „Verfassung“ die Mythen sind. Die Untergruppen der<br />

Gemeinschaft stehen – sagt Müller (in interim6: 116) – in einem „latenten Identitäts- <strong>und</strong><br />

Geltungskonflikt“, dessen Konsequenz die Hierarchisierung der Gemeinschaft ist, die auf<br />

Macht beruht, wie wir noch sehen. In Wildbeutungs-Gemeinschaften sind es immer die<br />

Älteren (primär Männer), die als eine solche Gruppe das Sagen haben; wer sich daran<br />

reibt, wie manche der Jüngeren hin <strong>und</strong> wieder, erhebt sich gegen die Ahnen, die<br />

Geistwesen, Gott. Der Bezug auf die Mythe postuliert, daß Ältere als erste vor den<br />

Jüngeren vom Ursprung dieser Gemeinschaft herst<strong>am</strong>men, daß sie den Ort als erstes<br />

besessen <strong>und</strong> die Ordnung der Kultur bestimmt haben; zur Identität der Älteren mit der<br />

Gemeinschaft kommt die Identität mit dem Ursprung, mit der Schöpfung hinzu. Im<br />

1 Daß Frauen der Leere (manchmal der: Natur), Männer der Kultur zuzuordnen sind, gilt Männern als<br />

„ewig“; dieser Ansatz war erneut bei den Aufklärern des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts Basis des männlichen<br />

Selbstverständnisses. Noch Tönnies schreibt 1887 in Gemeinschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, es gehörten Frauen <strong>und</strong><br />

Kinder zus<strong>am</strong>men als vom gleichen Geiste, ähnlich Weber (<strong>und</strong> das bei Ehefrau <strong>und</strong> Biographin Marianne).

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