24.07.2014 Aufrufe

Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

post@LarsHennings.de 19<br />

den Kinderwunsch bei WildbeuterInnen, der zur Seßhaftigkeit drängen könne, soziales<br />

Handeln einbezieht. Auch gruppendyn<strong>am</strong>ische Prozesse, etwa in Hinsicht veränderter<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> die Einstellung zu gegenseitigen Hilfen werden berücksichtigt, oder<br />

notwendig werdende soziale Kontrolle beim Wachsen der Gruppen in Dörfern. (2010 b : 80)<br />

Das entstehende bewußte Handeln gibt dem Prozeß der Menschwerdung eine erweiterte<br />

Dimension, zeigt die Grenze auf, die Tier <strong>und</strong> Mensch scheidet, <strong>und</strong> jenseits der aus dem<br />

Biologischen das Soziale wurde. Die menschliche Entwicklung passiert jedoch mehr<br />

„irgendwie“, folgt nicht primär diesem rationalen Handeln, etwa zur Verbesserung des<br />

Lebens. Rezenten Urvölkern geht es um das genaue Gegenteil. Trotz des Versuchs, zu<br />

bleiben wie die Ahnen es waren, die zu kränken Katastrophen bringen müßten, entsteht<br />

eine innere Dyn<strong>am</strong>ik, beispielsweise durch Machtprozesse, <strong>und</strong> erzeugen wiederum<br />

Zwänge zu weiteren Maßnahmen. So stellen sich – wie Benz sagt – Entwicklungen ein,<br />

die die Akteure nicht anstrebten. (84) Das ist die Folge von bei rationalem Handeln<br />

notwendig auch entstehenden ungewollten Nebenfolgen, 1 etwa hygienische Probleme<br />

durch die beginnende Tierhaltung. Watkins (2010) erinnert – für das beginnende<br />

Neolithikum – daran, welche gewaltige Bedeutung es für Kinder hatte, statt nur in der<br />

engen Verwandtschaft nun in einer solchen neuen Großgemeinde aufzuwachsen. Zu<br />

fragen ist beispielsweise, wie die Identität jener Menschen mit ihrer Gruppe sich<br />

verändert. Die St<strong>am</strong>mesgeschichte basiert zwar gegenüber dem Tier auch auf<br />

physiologischen Entwicklungen des Gehirns, der menschliche Geist ist allein d<strong>am</strong>it aber<br />

gerade nicht erklärbar. Einen Tempel zu denken ist ein viel tiefergehenderer Prozeß als<br />

ihn zu bauen – d<strong>am</strong>als, <strong>und</strong> durchaus wieder mit sozialen Auswirkungen... Bei der<br />

Betrachtung der Entwicklung der Kognition kommt es, wie bei jener der Logiken – das sei<br />

vorab noch betont –, auf die Strukturen an, erst in zweiter Linie auf die behandelten<br />

Inhalte.<br />

Dieser Kultbau in Nord-Mesopot<strong>am</strong>ien sagt uns, dort hatte sich offensichtlich eine<br />

geistig-religiöse Ideologie mit großer Kraftentfaltung entwickelt. Sie ist zum einen als<br />

Antwort auf gravierende Geschehnisse jener Zeit vorstellbar, wie vielleicht das Ende der<br />

Eiszeit, das eine neue Welterklärung erforderte, falls es bemerkt werden konnte <strong>und</strong> nicht<br />

zu langs<strong>am</strong> k<strong>am</strong>. Zum anderen können aber innere Prozesse jene nicht-angestrebten<br />

Ergebnisse bringen. So sehen wir mit dem <strong>Göbekli</strong> tepe auf eine dyn<strong>am</strong>ische Zeit, die den<br />

normalerweise sehr konservativen Urvölkern generell nicht zugeordnet wird. Lévy-Bruhl<br />

(1959) <strong>und</strong> andere haben von rezenten WildbeuterInnen <strong>und</strong> einfachen Landbauvölkern<br />

eine Menge Belege dafür zus<strong>am</strong>mengetragen, bei ihnen generell von einer<br />

„Neuerungsfeindschaft“ auszugehen, sich immer wieder den Ahnen anzupassen <strong>und</strong><br />

gerade nicht ihre Gemeinschaften zu „modernisieren“. Schon 1910 schreibt er – mit<br />

Bezug auf F. H. Cushing, auf den sich später auch Lévi-Strauss beziehen wird –, warum<br />

beispielsweise Anfertigungen bei Naturvölkern bis ins (mystische) Detail stets gleich<br />

bleiben wie bei den Vätern <strong>und</strong> Ahnen. Das sei nicht bloß Gewohnheit, sondern das<br />

„unmittelbare Resultat eines aktiven <strong>Glauben</strong>s an die mystischen Eigenschaften der<br />

Gegenstände, Eigenschaften, die an ihre Form geknüpft sind <strong>und</strong> die einem mit Hilfe<br />

dieser zur Verfügung stehen, die aber sofort der Kontrolle des Menschens entgehen<br />

würden, wollte man das kleinste Detail der Form an ihnen ändern“. Eine Änderung<br />

könne den Erfinder <strong>und</strong> die zu ihm halten, wie die Sippe, ins Verderben stürzen. Ebenso<br />

könne eine Veränderung, die der Mensch an dem Zustand des Bodens vornehme, durch<br />

neue Bauten oder auch dem Niederreißen eines Gebäudes, oder allgemeiner, die Änderung<br />

an der festen Ordnung der Dinge, furchtbare Konsequenzen haben. (27; auch Fungshui<br />

wird als <strong>am</strong> Alten haftend erwähnt) Manche Indianer Nord<strong>am</strong>erikas würden es deshalb<br />

für eine Freveltat halten, den Boden zu bearbeiten. (26) D<strong>am</strong>it hatten vielleicht die<br />

ErfinderInnen der Landwirtschaft im Nahen Osten auch zu kämpfen, daß sie nun diesen<br />

Boden mit Hacken aufreißen wollten! Diese Angst, das kleinste Detail bei mystisch oder<br />

rituellen Dingen zu ändern, wird auch bei der Interpretation der Kunst des Tempels zu<br />

berücksichtigen sein. Neuerungen sind d<strong>am</strong>als durch Zwänge <strong>und</strong> Nebenfolgen bedingt,<br />

nicht durch planvolle Weiterentwicklung; die Neolithisierung ist kaum zielgerichtet,<br />

womöglich auf der großen Zentralvers<strong>am</strong>mlung Südwestasien beschlossen worden,<br />

sondern entstand eher aus vielen kleinen einzelnen Transformationen. Nur in einer<br />

Darstellung Turnbulls fand ich– ausgerechnet – bei den Mbuti eine andere Sitte. Dort<br />

werden die Erwachsenen von den Jugendlichen wie von den Alten häufig gemaßregelt.<br />

1 Die Figur: Rationales Handeln schafft notwendig ungewollte Nebenfolgen, die in der Soziologie meist auf<br />

Merton zurückgeführt wird, ist übrigens schon 100 Jahre älter: sie entstand 1845 in der Deutschen Ideologie<br />

von Marx <strong>und</strong> Engels.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!