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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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18 Zum Menschenbild<br />

Komplexeren, manchmal auch andersrum. Es gibt insges<strong>am</strong>t einen Richtungssinn, weil<br />

sich bestimmte Änderungen funktional aufdrängen, wie der Übergang zum effektiveren<br />

Landbau. Entwicklungen finden sogar gegen das bewußte Wollen meist der Älteren statt.<br />

Erst seit der europäischen Aufklärung wird Verbesserung des Lebens von Generation zu<br />

Generation angestrebt (!); zuvor galt es, den Ahnen zu entsprechen, zu bleiben was die<br />

waren. Rationales Handeln wird immer wichtiger <strong>und</strong> d<strong>am</strong>it die unvermeidlichen<br />

Nebenfolgen, die die Prozesse dann mitbestimmen. Aber es gibt offenk<strong>und</strong>ig nicht den<br />

einen großen Prozeß der sozialen Menschwerdung. Amerika zeigt uns besonders deutlich,<br />

wie dort Völker durch die Ankunft der Eroberer in frühere Lebensformen zurückgestoßen<br />

wurden, vom Ackerbau zu Pferdehirten <strong>und</strong> WildbeuterInnen, vielleicht zu solchen<br />

Menschen wie den sehr einfach lebenden Feuerländern. Auch Australien ist diesbezüglich<br />

schwer einschätzbar, weil unser Wissen auch dort nur von Weißen st<strong>am</strong>mt, die den<br />

eigenen Einfluß – etwa durch auch geistig verstörende Epidemien, wie sie jedenfalls<br />

Amerikas Völker trafen – zuerst selbst nicht unbedingt erkannten, wie die betroffenen<br />

Bevölkerungen schon gar nicht, was zur Zerstörung alter Gewißheiten <strong>und</strong><br />

Zus<strong>am</strong>menhänge beitragen konnte. (Mann, 2005; Josephy, 1998; Fagan, 1990) Und<br />

Massenmord <strong>und</strong> Vergewaltigung an eingeborenen Völkern im N<strong>am</strong>en Christi war eher<br />

Regel als Ausnahme. Doch ebenso konnten Konflikte zwischen historischen Völkern<br />

untereinander ähnliche Ergebnisse des Niedergangs haben, wenn auch nicht mit solchen<br />

großen Folgen.<br />

Auch die verwandtschaftliche Organisation kann nicht als feste Folge im Sinn<br />

evolutiver Stufen interpretiert werden, wie bei Morgan. (1877) Der fand zwar auf Hawaii<br />

F<strong>am</strong>ilienformen mit Bezeichnungen der Verwandtschaft, als hätten in noch früherer Zeit<br />

alle Töchter einer Mutter einer Generation alle Söhne einer anderen Mutter „geheiratet“;<br />

doch verstand er wohl diese Bezeichnungen (!) nicht hinreichend, wie wir noch sehen<br />

werden. (Lévy-Bruhl, 1956: 70) All das hat es irgendwann irgendwo wahrscheinlich mal<br />

gegeben, aber nicht in einem einzigen großen Prozeß der sozialen Evolution. Ebenso gibt<br />

es für eine Stufe eines Matriarchats (Frauenherrschaft), die durch die Große Muttergöttin<br />

symbolisiert sei, vor der Zeit allgemeiner Männervormacht keine Belege; nicht einmal<br />

plausible Thesen sind erkennbar, auch nicht spätere „Amazonen-Staaten“ oder<br />

dergleichen. Es gibt Ausnahmen bei den Eheformen. In der tibetischen Kultur heirateten<br />

die Frauen oft mehrere Brüder (Tibet, Bhutan, Nepal), was auf die von Morgan<br />

beschriebenen älteren Lebensweisen verweisen kann. (>Bild-7: 207ff) Sicher gab es auch<br />

mal Frauen, die mit in den Krieg zogen, wie offenbar bei den Blackfoot, oder die bei der<br />

Jagd das Kanu führten. (Lee/ Daly, 1999: 39, 116) Childe, der übrigens bereits bei<br />

WildbeuterInnen die Frauen unter Männerherrschaft stehend für möglich hält, spricht von<br />

Gräbern <strong>am</strong> Baikalsee, in denen Frauen mit Kindern <strong>und</strong> ihrem Bogen begraben wurden.<br />

(1951: 88f) In einer Katalogbesprechung der ersten Bogen als Waffen wird davon<br />

ausgegangen, lange Bogen deuteten auf Verwendung durch Frauen hin. (>Eiszeit, 2009:<br />

198) Bei den Tubu in der Sahara trugen früher Frauen Schwerter, später immer noch<br />

Dolche, <strong>und</strong> sie hatten im Lager das Sagen. Von den Berber-Stämmen wird berichtet,<br />

Entscheidungen fielen gemeinschaftlich zwischen den Geschlechtern. (>Bild-8: 214, 248)<br />

Es mag auch bemerkenswert sein, daß in der Forschung die Jagd der Frauen auf kleinere<br />

Tiere als S<strong>am</strong>meln bezeichnet wird, um S<strong>am</strong>meln <strong>und</strong> Jagen wie Frau <strong>und</strong> Mann deutlich<br />

zu trennen, löst aber das generelle Problem nicht: es gab universell eine klare typische<br />

Arbeitsteilung, sonst hätten Menschen nicht überlebt. Wie die Menschen organisiert<br />

waren, die den <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> bauten, ist aus rein evolutiver Vorstellung dieser Art nicht<br />

ableitbar. Dort kann es durchaus schon – wie ausgeprägt auch immer – sozial<br />

differenzierte Häuptlingssysteme gegeben haben, während vielleicht in der weiteren<br />

Umgebung noch simple unstrukturierte WildbeuterInnen lebten, die es dennoch gewesen<br />

sein könnten, die die seßhafte Landwirtschaft ins Leben brachten, <strong>und</strong> nicht die Leute<br />

vom Tempel. Landbau entstand viel wahrscheinlicher, weil Frauen auf dem Abfallhaufen<br />

neu aufkeimende Pflanzen bemerkten, (Graebner, 1924) als daß eine traditional denkende<br />

männliche Elite ihn sich ausdachte.<br />

Es geht also nicht nur um einen linearen Übergang zum Menschsein durch bloß<br />

ergänzende technische Errungenschaften. Die humane Weiterentwicklung ist nicht nur die<br />

evolutive Reaktion auf die Umwelt. (Uerpmann, 1996: 711; Bartl, 2004: 38) Allzuleicht<br />

werden globale Entwicklungen, die über die Jahrtausende hinweg verliefen, diskutiert <strong>und</strong><br />

differenzierte innere soziale Entwicklungen nicht hinreichend berücksichtigt. Benz geht in<br />

ihrem Ethno-archäologischen Modell der Neolithisierung darüber hinaus, wenn sie über

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