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Denken und Glauben am Göbekli Tepe - SSOAR

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post@LarsHennings.de 17<br />

sondern von einer ausschließlich sozialen Bestimmung. Von Menschen also, die das<br />

Lebensnotwendige jenseits von Reflexen <strong>und</strong> rein biologischen Funktionen, wie die<br />

Verwertung von Lebensmitteln, komplett lernen <strong>und</strong> nicht in ihren Genen vorfinden, nicht<br />

Intelligenz, nicht Aggression, nicht Sprache – immer schon. Selbst wenn das nicht bis ins<br />

Letzte bewiesen sein würde, von einer nicht-nativistischen Arbeitshypothese auszugehen,<br />

erlaubt jedenfalls als Perspektive die menschliche Freiheit. Und die Zeichen mehren sich,<br />

biologistischen Vorstellungen wissenschaftlich endgültig eine Absage zu erteilen. Von<br />

Teilen der Genforschung mit Hilfe des Scannens der Gehirnfunktionen werden sehr<br />

dürftige Auskünfte gegeben <strong>und</strong> die Abhängigkeit menschlichen <strong>Denken</strong>s <strong>und</strong> Handelns<br />

(!) von seinen Genen wieder einmal in problematischer Weise betont. 1<br />

Diese Erkenntnis der geistigen Konstitution des Homo sapiens macht es möglich, für<br />

die hier zu untersuchende Zeit um vor 12.000 Jahren <strong>und</strong> früher von ihm generell wie vom<br />

heutigen Menschen zu sprechen, der nur in jener anderen Zeit mit anderer Kompetenz<br />

lebte <strong>und</strong> eine traditionale Logik, noch keine prozeßhafte entwickelt hatte, die selbst<br />

heute noch nicht durchgängig modernes <strong>Denken</strong> prägt. Viele historische Zeugnisse, von<br />

der steinzeitlichen Höhlen-Malerei, über die tragbare Kunst als Schnitzereien, oder<br />

Bildhauerarbeiten, frühem Hausbau <strong>und</strong> einem sozialen Netzwerk von den Pyrenäen bis<br />

Sibirien, <strong>und</strong> zuletzt der Bau <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> unterstützen diese Sichtweise. Dazu spricht<br />

der moderne Mensch wohl immer schon das für ihn nötige in einer vollwertigen Sprache.<br />

Das kann wahrscheinlich für die F<strong>am</strong>ilie des Homo erectus‘ nicht gesagt werden. Noch<br />

dem Neandertaler wird keine moderne Sprachfähigkeit zugetraut. (Haarmann, 2006) Als<br />

Maß oder Ebene für die historische <strong>und</strong> soziologische Differenzierung menschlicher<br />

Lebenswelten steht deshalb nur die je ausgebildete Kompetenz der jeweiligen<br />

Gemeinschaft/ Gesellschaft zur Verfügung, nicht mehr eine biologische Unterscheidung,<br />

wie zuvor in der biologischen Evolution hin zum Homo sapiens. Den Menschen<br />

wesentlich bestimmende genetische Veränderungen (Mutationen) liegen weit zurück (<strong>und</strong><br />

brauchen generell sehr viel längere Zeiträume als hier zu besprechen). Aber nicht nur aus<br />

früherer Zeit kann eine gewisse Kontinuität der Lebensweise unterstellt werden, wenn<br />

etwa vom Cro-Magnon-Menschen Süd-Frankreichs von vor gut 40.000 Jahren in Europa<br />

Kenntnisse vorsichtig auf die Leute vom <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> übertragen werden. Sondern auch<br />

aus späterer Zeit, vor allem aus Mesopot<strong>am</strong>ien, etwa bei der Analyse von Mythen Sumers,<br />

sind Rückschlüsse möglich. Und das gilt ebenso für die Betrachtung rezenter Urvölker aus<br />

aller Welt, die nicht nur, wie meist in der Archäologie, zur Analyse des sozialen<br />

Verhaltens dieser Leute beigezogen werden, sondern vor allem hinsichtlich der Kognition<br />

<strong>und</strong> Logik. Im Moment ist meine Studie allerdings eine S<strong>am</strong>mlung von Möglichkeiten,<br />

wie weit eine Rekonstruktion angesichts der Quellenlage vor 12.000 Jahren möglich wird,<br />

muß sich noch zeigen.<br />

Ich gehe – wie gesagt – nicht davon aus, es habe eine generelle Entwicklung<br />

menschlicher Lebensformen hin zum Komplexeren überall in der Welt in gleichlaufenden<br />

Stufen gegeben. 2 Daß es viel später nach der Zeit des Bauens <strong>am</strong> <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> unter den<br />

rezenten Urvölkern sehr schlichte WildbeuterInnen gab, bedeutet nicht, es wären vor<br />

12.000 Jahren alle Menschen noch schlichter organisiert gewesen. Obwohl es solche<br />

Tendenzen der Entwicklung offenk<strong>und</strong>ig gegeben hat. Kulturelle Übergänge, wie der<br />

Übergang von Wildbeuterei zum Landbau, entwickelten sich aus konkreten Bedingungen<br />

<strong>am</strong> bestimmten Ort, aber nicht überall in gleicher Weise nach einem festen Schema (oder<br />

gar Plan). Denn für den konkreten Einzelfall sagt „Evolution“ im Sozialen nicht viel. Was<br />

in der Biologie möglich scheint, einen einzigen St<strong>am</strong>mbaum aller Lebewesen zu finden,<br />

ist im Sozialen nicht denkbar, weil die Prozesse dort anders funktionieren. Mal passiert<br />

hier etwas, mal dort. Immer wieder erkennen wir einzelne Prozesse vom Einfacheren zum<br />

1 Das geschieht unter anderem durch eine Trennung von Bewußtsein <strong>und</strong> Gehirn, weshalb es heute nötig ist,<br />

nicht mehr nur vom Bewußtsein als sozial geprägt zu reden, was lange auszureichen schien, sondern das ganze<br />

Gehirn zu betrachten, da auch unbewußtes Handeln sozial geprägt erlernt wird. Niemand bestreitet ein<br />

biologisch funktionales Gehirn, aber innere Strukturen <strong>und</strong> Inhalt werden geistig konstruiert. Mein Gehirn<br />

wisse vor meinem Bewußtsein, welche von zwei Tasten ich auf Anforderung drücke, heißt es dann etwa unter<br />

Bezug auf den Zeitraum einer Viertelsek<strong>und</strong>e. Daß ich den Prozeß zumindest aber noch abbrechen könnte,<br />

bleibt unberücksichtigt, ebenso <strong>und</strong> vor allem die Fähigkeit, etwa in einem langen Gespräch den ganzen<br />

Zus<strong>am</strong>menhang im Kopf zu behalten, obwohl mein Bewußtsein jeweils nur mit sehr kurzen Phasen des<br />

Gesprächs operiert. (siehe Donald, 2008: 43ff) Zur Frage des Nativismus, dem biologistisch behaupteten<br />

Anteil <strong>am</strong> Sprechen, Handeln <strong>und</strong> so weiter, später.<br />

2 Unbestritten ist die zwingende Tendenz, die Umwelt kognitiv zus<strong>am</strong>menzufassen, um in ihr agieren zu<br />

können, sie also reduzierter zu sehen als sie ist; ein Gebüsch, unter das sich jemand im Regen verkriecht, ist<br />

bei solcher Wahrnehmung schon beinahe eine Hütte. Die Reduktion erlaubt dann komplexeres Handeln,<br />

Schritt für Schritt.

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